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Dienstag, den 27. September 1932 Pulsnitzer Tageblatt 84. Jahrgang, Nr. 227, Seite 6 Verrat an Wollmann Roman von 0^. G. Panstingl 18j Urheber-Rechtsschutz sür die deutsche Ausgabe: Drei Quellen-Verlag, Königsbrück/Sa. Copyright 1932 by vr. G. Panstingl, The Hague, Holland Jetzt begriff der Träger, warum der Mann aus Hol land keinen Mietwagen brauchte. Jan hatte seinen Herrn bemerkt und schnellte herbei. „Goeden avond, Mynheer!" Beinahe freute sich Wernoff, daß er wieder Holländisch hörte und ein bekanntes Gesicht sah. Er hatte Jan vor drei Tagen vorausgeschickt. Jan war oft genug mit Baron Schimmelpoort im Ausland gewesen und konnte sich überall durchschlagen. Wernoff fuhr nach dem Ringstraßenhotel, wo er Zim mer bestellt hatte. Der Portier flog an den Schlag des Autos. Er hatte Ian erkannt und wußte, daß der „reiche Russe" angekommen war. Am nächsten Morgen wartete Ian pünktlich um viertel vor neun vor dem Hotel. Genau so wie in Amsterdam! Ebenso pünktlich war Wernoff. Er gab Jan eine Fünfund zwanzigguldennote und entlieh ihn. Er solle sich Wien an schauen und um sieben Uhr abends wieder beim Hotel sein. Wernoff setzte sich ans Steuer und fuhr weg. Er war keine hundert Meter gefahren, als ein Schutzmann ihm in den Weg trat und ihn mit aufgehobener Hand zum Halten zwang. „Warum fahren Sie auf der verkehrten Straßenseite?" Wernoff sah sich einen Augenblick erstaunt um, dann mußte er lächeln: „Verzeihen Sie, ich komme aus Holland, und dort fährt man rechts. Ich vergaß, daß man in Wien links fährt." Der Wachmann senkte schon das gezückte Notizbuch. „Na, da müssen Sie jetzt aber aufpassen!" Wernoff lenkte auf die linke Straßenseite hinüber. Es war noch viel zu früh, um Besuche zu machen. Lang sam fuhr er den ganzen Kreis der Ringstraße durch, ganz wie ein Fremder, der sich die Stadt zeigen läßt. Nur daß er sein eigener Fremdenführer war. Wie wundervoll schön war doch diese Straße! Bei einem Ringstraßen-Kaffeehaus hielt er, setzte sich an einen der Tische vor dem Kaffee und bestellte ein Frühstück. Der Kellner sah den herrlichen Wagen und dienerte wie vor einem fremden Fürsten. Langsam aß Wernoff sein Frühstück. Damit war es beinahe zehn geworden. Er zahlte und fuhr weiter über die Freyung und den Graben zur Singerstrahe. Schon von weitem sah er die Goldbuchstaben: F. Woltmann. Einen Augenblick lang gab es ihm einen Stich. Er fuhr an der Bank vorbei in die Singerstraße hinein und stellte das Auto ab. Dann ging er zurück. Nun stand er vor dem Ein gang. „Ruhig bleiben! Sie können dich von drinnen aus schon sehen!" sagte er zu sich, und ruhig und kühl trat er über die Schwelle. Ein Diener mit weißem Haar trat auf ihn zu. Wahr haftig, der alte Baumgartner lebte noch. Der sah ihn höf lich fragend an und erkannte ihn nicht. Wernoff gab ihm seine Karte. „Ich möchte den Direktor der Bank sprechen." „Der Herr Direktor läßt bitten." Nun kam die schwerere Probe. Die Bureauzimmer lagen im ersten Stock. Jetzt stand er vor der Tür des Zimmers seines Vaters. Unwillkürlich blieb er stehen. „Hier, bitte," sagte Baumgartner und zeigte auf die nächste Tür. So, Holzhauser arbeitete nicht im Chefzimmer! Wahr scheinlich aus Pietät. Um mehr zu erfahren, fragte Wernoff in unschuldigem Ton: „Hier steht doch .Chefzimmer' auf der Tür!?" „Das ist das Zimmer vom seligen, alten Herrn. Das wird jetzt nicht benützt, das gehört dem jungen Herrn, wenn er einmal zurückkommt. Wenn er überhaupt jemals noch zurückkommt! E^ war in Sibirien, aber er hat schon seit dem Jahre fünfzehn nichts mehr von sich hören lassen. Die anderen sind längst schon zurück. Der kommt wohl nicht wieder." Wernoff nickte und trat dann durch die Tür, die der alte Diener ihm öffnete. Was würde nun kommen? Holz hauser war kein Baumgartner, der selbst in seinen besten Jahren nicht als Genie hatte bezeichnet werden können. Auch Holzhauser war kein Genie — aber doch ein Mensch von be sonderen Gaben. Ein Mann mit einem verblüffenden Ge dächtnis für Zahlen, Daten und Tatsachen. Ob er ein eben solches für Personen hatte, würde sich nun zeigen. Als Wernoff eintrat, stand er rasch auf und ging ihm einige Schritte entgegen. Holländische Bankdirektoren, die Wien besuchten und einen Kredit von fünf Millionen Gulden mitbrachten, waren damals seltene Gäste. Wernoff sah ihn kommen. An dem war die Zeit beinahe spurlos vorüber gegangen. „Mein Name ist Holzhauser. Es ist mir ein besonderes Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen, Herr Wernoff! Unsere Bank hat Ihnen viel zu danken. Darf ich Sie bitten, Platz zu nehmen! Womit kann ich Ihnen dienen?" Wernoff verbeugte sich leicht und sagte verbindlich: „Im Augenblick führt mich eigentlich nichts anderes hierher als der Wunsch, persönlich die Bekanntschaft des Bankhauses zu machen, mit dem wir schon längere Zeit in so angenehmer Verbindung stehen. Es ist möglich, daß ich in den nächsten Tagen Ihre Hilfe auch in geschäftlicher Be ziehung in Anspruch nehmen werde. Ich hoffe, daß Sie von Amsterdam aus bereits entsprechende Nachricht erhalten haben." „Sicher, Herr Wernoff. Die „Internationale Handels und Industriebank" hat Sie bei uns akkreditiert." „So vorsichtig und gediegen wie früher. Er nennt die Höhe der Akkreditierung nicht, weil er mich noch nicht kennt," dachte Wernoff im stillen. Dann setzte er laut hinzu: „Zur Feststellung meiner Person hier mein Paß, Herr Direktor. Ich werde vorläufig nur über einen ganz kleinen Teil der fünf Millionen verfügen. Später werde ich mög licherweise mehr brauchen." „Wir stehen völlig zu Ihren Diensten, Herr Wernoff." „Vielleicht darf ich gleich davon Gebrauch machen. Was halten Sie vom französischen Franken, Herr Direktor?" Holzhauser blickte überrascht auf. Wollte der mit fünf Millionen Hollandgulden spekulieren? Er erwiderte kühl: „Sie müssen es mir nicht übelnehmen, Herr Wernoff. Aber sowohl die Überlieferung der Bank als meine persön liche Überzeugung hindern mich, Klienten unseres Hauses in jo gefährlichen Fragen einen Rat zu geben." Wernoff hatte nichts anderes erwartet. Er hatte eine milde Zurechtweisung empfangen. Wäre er nicht der ein flußreiche holländische Bankdirektor mit einem vorläufigen Kredit von fünf Millionen Gulden gewesen, sondern ein Durchschnittsklient, wäre die Zurechtweisung sicher viel schärfer ausgefallen. Er erhob hunderttausend Gulden und empfahl sich. Einige Minuten später stand er vor dem Portal des Bankhauses Hasenauer. Er war nun in seinem Auftreten ganz sicher geworden. Wenn Holzhauser ihn nicht erkannt hatte, dann erkannte ihn niemand. Noch vom Auto aus sog er mit einem Blick das Bild der Bank ein. Sie hatte sich äußerlich stark verändert. Das Schmutziggraue und Altväterliche war verschwunden. Sie war mit der Zeit mitgegangen, die sich mit Scheinwerten schmückte, weil die echten verlorengegangen waren. Die Vorderfront des Hauses war bis zum ersten Stock mit Kunst marmor ausgelegt worden. Große Spiegelscheiben glitzerten in Bronzefassungen und Bronzebuchstaben formten den Firmennamen. Ein livrierter Diener öffnete die Schläge der stets an- und abrollenden Autos. Wernoff sah sich die In sassen an und dachte bei sich: „O—weers!" Das war ein holländischer Ausdruck und bedeutete — „Kriegsgewinnler". Beim Aussteigen aus dem Auto gab Wernoff seine Karte ab und wurde in ein Mahagoni-Wartezimmer ge führt. Schon nach einer halben Minute holte ihn der Diener ab und führte ihn in das hochmoderne und prunkhafte Ge mach Hasenauers, der sich hastig freigemacht hatte, als er den Namen des Amsterdamer Bankmannes las. Er kam ihm mit ausgestreckten Armen und überspru delnder Freundlichkeit entgegen, ganz wie einem alten Freunde, schob ihm sebst einen Klubsessel zurecht, stellte Zi garren und Zigaretten zur Auswahl hin und reichte dem Gast persönlich Feuer. Wernoff beobachtete ihn. Das war nicht der alte Freddy Hasenauer. Die Gestalt war schlapper und fetter geworden, nervöser Genußmensch, der sich eben jetzt zur Rolle des wichtigen Geldmagnaten zwang, der einen befreundeten Herrscher im Börsenreich empfing! Wernoff urteilte ihn mit einem Wort ab: „Ersatz". „Freut mich riesig, daß Sie uns aufsuchen, Herr Wer noff. Sie sind mir zuvorgekommen. Ich habe schon die ganze Zeit daran gedacht, einmal nach Amsterdam zu kom men. Wie gefällt Ihnen unser altes Wien? Schöne Frauen! Nicht wahr?" „Ich kenne die Stadt schon von früheren Besuchen her, Herr Hasenauer." „Na ja, da brauche ich Ihnen ja nichts zu erzählen. Aber das eine oder das andere werde ich Ihnen schon noch zeigen können. Das Wien von heute ist doch anders als das vor dem Krieg! Das werden Sie bald Herauskriegen, Herr Wernoff, wenn Sie länger hierbleiben. Sie wollen doch hoffentlich nicht gleich wieder zurück?" „Nein, ich habe Ferien genommen. Wie lange ich bleibe, weiß ich noch nicht. Aber immerhin ein bis zwei Wochen. Vielleicht sogar länger. " „In jedem Fall hoffe ich, daß Sie mir gestatten werden, Ihnen Ihren Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen. Vielleicht darf ich Ihnen meinen zweiten Wagen zur Verfügung stellen?" „Ich danke sehr, ich habe meinen eigenen Wagen hier." „Das hätte ich mir denken können. — Na, ich hoffe stark Sie bald bei mir zu Hause als Gast begrüßen zu dürfen." An diese Möglichkeit hatte Wernoff nicht gedacht. Aber es blieb ihm nichts anderes übrig als anzunehmen. „Es wird mir ein Vergnügen sein, Herr Hasenauer." „Und nun, verehrter Herr Wernoff, was führt Sie zu mir? Ich habe so eine Ahnung, als ob Sie auch etwas Ge schäftliches auf dem Herzen hätten." „Kaum der Rede wert, Herr Hasenauer. Eine Kleinig keit. Verkaufen Sie für mich heute fünf Millionen Franken!" Hasenauer verbeugte sich. „Mit Vergnügen, Herr Wernoff." „Genügt Ihnen eine Deckung von zehn Prozent?" „Von Ihnen natürlich, Herr Wernoff! — Sie sind also sicher, daß die französische Regierung keine ausländische Hilfe bekommt? Haben Sie drüben etwas gehört?" „So weit möchte ich noch nicht gehen. Aber ich bin der Meinung, daß der französische Franken noch weiter fallen dürfte." Damals stand er auf siebeneinviertel holländischen Cents. „Na ja, wir haben es ja schon erlebt. Wenn es einmal beginnt, dann gibt es kein Halten mehr. Dann geht es hinunter." Wernoff nickte ernst. Freilich erzählte er Hasenauer nicht, daß zu gleicher Zeit die ,Jhany' in Amsterdam infolge eines dringenden Telegrammes ihres Chefs für dessen Rechnung fünf Mil lionen Franken gekauft hatte. Wernoff war eben kein Spieler mehr. Er hatte sich sofort eingedeckt. Für ihn war das ganze ein Scheingeschäft, von dem Hasenauer aber nur die Verkaufsseite sah. Zwei Tage später stand der Franken auf fünfeinhalb Wernoff kam zu Hasenauer und beglich sein Konto. Hasenauer lachte und sagte: „Wenn Sie wieder so etwas für mich wissen, sagen Sie es! Ich habe zehn Millionen mitlaufen lassen und schön verdient." „Gratuliere!" „Das müssen mir feiern, Herr Wernoff. Darf ich Sie für heute abend zu mir zu Gast laden?" „Ich möchte nicht gerne lästig fallen." „Aber wer denkt denn daranl Also heute um füns Uhr fahren wir hinaus." „Wohin — hinaus?" „Wir wohnen im Sommer immer in der Villa meiner verstorbenen Schwiegereltern in Hadersdorf. Das ist ein kleiner Ort in der Nähe von Wien. Wo darf ich Sie ab holen?" „Wenn es Ihnen recht ist, komme ich hierher." „Abgemacht. Auf Wiedersehen!" XXII. Lin spanischer Tanz von INoszkowsky. Pünktlich um fünf Uhr stand Wernoffs Wagen vor dem Bankhaus Hasenauer. Ian saß am Steuer und wunderte sich im stillen über seinen Herrn, der ihm außergewöhnlich zerstreut und ner vös erschien. Er war besorgt um ihn; denn, so eigentümlich es auch war, Jan war seinem Herrn ehrlich ergeben, obwohl dieser ihn nicht besser behandelte als alle anderen Menschen Vielleicht sagte ihm irgendein Gefühl, daß die Außenseite Wernoffs so hart und schroff geworden war, weil er viel gelitten hatte. In Worten hätte er das vielleicht nicht aus drücken können. Aber einfache Menschen haben oft ein unterbewußtes Verständnis für anderer Menschen Leiden. Heute war Wernoff zerfahren. Er sprach ruckweise. Seine Hand vollendete manchmal mit eitM ^Bewegung den abgebrochenen Satz. Was hatte er nur? Plötzlich ging eine Veränderung in ihm vor. Hasenauers Gestalt war im Rahmen der Banktür er schienen. Es war, als ob Wernoff sich einen Ruck gäbe. Er war der Alte, ruhig, erwägend, überlegend, selbstsicher. Mit ungeheurer Willenskraft zwang er den Tumult in seiner Seele nieder. Hasenauer schickte seinen eigenen Wagen weg und stieg zu Wernoff ein. Er begrüßte ihn in seiner überschwäng lichen Art und gab Ian die Fahrtrichtung an. Im Wagen begann er von dem zu sprechen, was ihm am meisten am Herzen lag. „Was sagen Sie nur zu dem französischen Franken? Er fällt und fällt! Nicht aufzuhalten! Glauben Sie nicht auch, Herr Wernoff?" „Ich möchte mich nicht gern auf Voraussagungen ein lassen." „Vorsichtig wie ein echter Amsterdamer! Ich bin es ja schließlich auch," fügte er bei, um den Schein jener Würde zu wahren, die ihm fehlte. „Aber die Sache ist zu deutlich Niemand denkt daran, Frankreich zu helfen! Man hat uns ja auch nicht geholfen." Wernoff dachte sich im stillen, daß der Vergleich etwas hinke; laut aber sagte er: „Mit dem Franken dürfte wohl noch einiges zu ver dienen sein." „Na, sehen Sie! Sie sagen es ja selbst!" Dabei übersah er, daß Wernoffs Worte doppelsinnig waren wie die der Pythia. Er hatte ja nicht gesagt, ob mit dem Fallen oder Steigen etwas zu verdienen sei. Plötzlich schwenkte Hasenauer vom Thema ab. „Was für einen schönen Wagen Sie haben! Der muß ja ein Heidengeld gekostet haben!" Aber sofort kam er wieder auf sein altes Thema zurück. „Den haben sicher auch die Franzosen bezahlt?" Der Mann war ein hoffnungsloser Spieler. Und dies „Gewächs" hatte Herma ihm vorgezogen. Hasenauer selbst fühlte, daß er sich zu weit hatte gehen lassen, und versuchte wieder, die Pose des großen, über legenen Bankmannes anzunehmen. Er sprach von den gewaltigen Industrieunterneh mungen, an denen er beteiligt war — und von seinen Be ziehungen zu der österreichischen Aristokratie. Aber das glaubte ihm Wernoff nicht. Der österreichische Adel war wohl arg verarmt, aber doch noch nicht so weit herunter gekommen. Seinerzeit als Offizier eines vornehmen Regi ments — unter dem zwingenden Druck der gesellschaftlichen Verpflichtungen — hatte Hasenauer sich noch zusammen nehmen müssen. Nun war seine schmutzige Krümernatur längst schon durchgebrochen, und Wernoff bezweifelte stark daß der österreichische Adel selbst heute sich mit solchen Menschen verband. Hasenauer sprach weiter und betäubte seinen Nachbar mit Phrasen. Inzwischen kam Hadersdorf näher. (Fortsetzung folgt.)