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Verrat an Wollmann Roman von 0^. G. Panstingl 17t Urheber-Rechtsschutz für die deutsche Ausgabe- Drei Quellen-Verlag, Königsbrück/Sa. Copyright 1932 by 0r. G- Panstingl, The Hague, Holland Und der alte Oberst erzählte, was er wußte. Am Ende fragte Goldstein: „Und die Familie wurde benachrichtigt, Herr Oberst?" „Ja, sein Vater und seine damalige Braut, die dann später einen anderen Offizier von meinem Regiment ge heiratet hat. Wie sie geheißen hat, weiß ich nicht mehr." „Darf ich fragen, Herr Oberst, ob Sie damals der Familie einen eingehenden Bericht über die Ergebnisse der Nachforschungen nach Leutnant Woltmann gesandt haben?" „Aber kein« Spur! Dazu war gar keine Zeit. Ein Blatt Papier mit ein paar Worten. Freundlich und tröstend, aber ganz kurz!" „Also kein dicker Brief?" „Gewiß nicht!" „Einen zweiten Brief hat das Regiment nicht abge sandt?" „Davon ist mir nichts bekannt." „Ich danke sehr, Herr Oberst." Im Zug dachte Goldstein nach. Herma Hochstätten hatte vom Regiment doch einen dicken Brief bekommen. Also konnte diese Mitteilung nicht der Brief sein, von dem ihm die Bäckersfrau erzählt hatte. Also mußten zwei Briefe vom Regiment gekommen fein! — Wer hatte den zweiten Brief abgesandt? Unruhig schlief er auf der harten Bank der dritten Klasse. Auf der Reise war Goldstein sparsam. Am Morgen war er in Wien. Er fuhr in seine Woh nung und zog sich um. Mitten beim Waschen kam ihm ein Gedanke. Gleich darauf saß er in einem Auto und machte wieder eine Runde bei seinen Bekannten vom dritten Husarenregiment. Er wurde überall freundlich empfangen, denn er sparte die Kronen bei diesen Besuchen nicht. „Wie hießen die Unteroffiziere, die damals die Post besorgt haben?" Am Nachmittag hatte er die Namen. Und schon am nächsten Tag konnte er mit großer Ge nugtuung feststellen, daß er seine Aufgabe gelöst hatte. Er hatte einen der Korporale gefunden, die damals die Feld post bearbeiteten. „Ich erinner' mich noch ganz gut. Leutnant Hasenauer war Adjutant, und wir haben die Post verteilt. Am gleichen Tage, an dem Leutnant Woltmann verschollen is', waren ein paar Briefe für ihn gekommen. Weil keine Absender d'rauf waren, hat Leutnant Hasenauer die Briefe aufmachen lassen. Dann hab' ich sie in einen Dienstumschlag packen müssen, und das Ganze haben wir dann an eine Dame ge schickt." „Erinnern Sie sich noch an die Adresse?" „In Hadersdorf war's. Von dort war ja auch der Leutnant Woltmann. Ja, aber... wie die Dame g'heißen hat . - . das weiß ich heut wirklich nicht mehr. Hoch . . . Hohenberg . . . Hochberg . . . oder so was Ähnliches . . ." „Vielleicht Hochstätt. .?" „Ja. Hochstätten. Das war's. Hochstätten in Haders dorf." Goldfein gab dem Mann fünfzigtaufend Kronen und schrieb einen Bericht. Sechs Tage später erhielt er tausend Dollar. In Amsterdam saß ein Mann mit harten, kalten Augen und las den Bericht. Und seine Augen begannen zu funkeln. Er las den Bericht aufmerksam bis zu Ende. Dann lehnte er sich in seinen Stuhl zurück und dachte lange nach. End lich murmelte er langsam und überlegend, als ob er das Ergebnis einer Rechenaufgabe überprüfe: „Hasenauer war der Schuft, für den ich ihn immer hielt. Und sie trifft die Schuld, daß sie mir nicht vertraut hat. Gegen alles und alle! Sie hat verurteilt und mich verraten, ohne mich zu hören." XXI. Wernoff gehl nach Wien. Wernoffs Bank nannte sich nicht nur international. Sie war es auch. Sie streckte ihre Verbindungen nach allen Hauptstädten der Erde aus. Besonders aber nach Wien. Diese Stadt, die einer holländischen Bank damals doch wirklich nichts bieten bieten konnte, schien eine eigenartige Anziehungskraft auf die Amsterdamer .Internationale Han dels- und Jndustriebank' auszuüben. Bis zu einer gewissen Grenze war dies Interesse der Ihany' ja durch die Tatsachen begründet. Einen großen TeU ihrer Klienten bildeten Spekulanten, und die öster reichischen Kronen waren ja ebenfalls eines der schwanken den Gebilde geworden, worauf die Spieler sich mit Vorliebe stürzten. Die ,Jhany' kaufte und verkaufte also auch Kronen, und das brachte sie zuerst in Verbindung mit Wien. Die Verbindung verdichtete sich dadurch, daß es in Holland noch eine Reihe von Leuten gab die außer der reinen Kronenspekulation noch mit anderen Werten arbei teten. Die stürzende Währung machte das Einkäufen leicht. Lon der für den Sammler wertvolle. Briefmarke bis zum Automobil, vom Pelzmantel bis zum Landgut, alles wurde n Österreich gekauft. Die Bank Wernoffs stand mit zwei M- r Banken in Verbindung, an die sie ihre Klienten wies. Die eine war die Bank Hasenauer, die andere das Bankhaus Woltmann. Doch machte sie einen feinen Unterschied zwischen den Klienten, die sie an die eine oder die andere wies. Zu Hasenauer sandte sie jene Leute, die unsichere Eintagsspeku lanten waren, Menschen, die mit allem möglichen schacherten und spekulierten und schließlich auch darüber nicht erhaben waren, wenn ihnen das Wasser an die Kehle ging, vom Schauplatz ihrer Tätigkeit zu verschwinden, ohne sich zu verabschieden. Streng gesiebt wurden jene Klienten, die zur Wolt mannbank gewiesen wurden. Daher kamen auch nur wenige dorthin. Das waren die ernsthaften Leute, die wohl auch das vorteilhafte Geschäft suchten, deren Geschäfte aber groß zügig und oft auch dauernd waren. Es gab Interessenten, welche die Zeit benutzten, um in den wenigen österreichischen Industrien, die auch in Friedenszeiten auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig waren, festen Fuß zu fassen. Wernoff selbst gab manchmal seinen Klienten in dieser Richtung wertvolle Winke. Auf seine Anregung hin faßte ein holländisches Kon sortium fünf der leistungsfähigsten Wiener Lederfabriken in eine einziges Unternehmen zusammen, das nun im großen Stil für den Export arbeitete. Die Geschäfte dieses Kon zerns liefen über das Bankhaus Woltmann. Als die österreichische Regierung die Einfuhr von hol ländischen Milchprodukten zu finanzieren begann, da kein Einige reiche Holländer, denen das Wetter in ihrem ' Vaterland zu veränderlich und die Steuern zu hoch waren, Privatunternehmen stark genug war, um dies ohne Re gierungsgarantie durchzuführen, mußte die Woltmannbank zugezogen werden, da die ,Ihany' in Amsterdam, welche die Lieferungsgarantien übernahm, dies wünschte. ! kauften in Österreich Häuser und Landgüter, wobei ihnen die Woltmannbank Ratschläge gab. Die halbmonatlichen Berichte aus Wien gaben nun fol gendes Bild: „Die Hasenauersche Bank betreibt noch immer ihre Valutengeschäfte. Der Umfang derselben hat sich ver größert, seitdem ausländische Interessenten ihr gewisse Geschäfte zukommen lassen. Bei mehreren dieser Geschäfte ist die Bank jedoch zu Schaden gekommen, da sie diese .in sich' gemacht hat. überhaupt kann mit zweifelloser Sicherheit festgestellt werden, daß der Inhaber der Bank auf eigene Rechnung in hohem Maß Währungsspeku lation betreibt. Die Bank Woltmann scheint sich in letzter Zeit wieder emporzuarbeiten. Einige sehr wichtige und großzügige Transaktionen, darunter eine solche der Regierung, sind durch dieses Bankhaus ausgeführt worden. Die erneute Hebung des Umfangs der Geschäfte hat zur Wiederein stellung des entlassenen Personals geführt." Wernoff nickte beim Lesen der Berichte. Dann nahm er einen dritten zur Hand, der eine ganz neue Sache betraf. Derselbe lautete: „Die Nachforschungen nach dem Schicksal des Mecha nikers Josef Wögerer haben interessante Tatsachen er geben. Der Genannte ist seinerzeit mit den anderen Kriegsgefangenen aus Sibirien zurückgekehrt, und zwar in Begleitung seiner Frau, einer Russin namens Marja Bald nach seiner Rückkehr kaufte er eine kleine Ma schinenfabrik in Stockerau bei Wien. Woher er die nötigen Gelder genommen hat, ist mit völliger Sicherheit nicht festzustellen. Gerüchtweise verlautet, daß seine Frau einer sehr begüterten und vornehmen russischen Familie ange hört und ihren wertvollen Familienschmuck mitgebracht hat. Wögerer, der über wenig Schulbildung aber Haus verstand und Fleiß verfügt, hat sich und seine Fabrik gut emporgearbeitet. Sie leidet jedoch unter der allgemeinen unsicheren Lage und sucht derzeit Auslandsaufträge zu erhalten. Aus dem Privatleben Wögerers ist zu melden, daß seine Ehe, der bisher drei Kinder entsprossen sind, als glücklich angesehen wird." Beim Lesen dieses Berichtes lächelte Wernoff zufrieden. Merkwürdigerweise flossen der Maschinenfabrik Josef Wögerer im Laufe der nächsten Zeit nicht geringe Aufträge zu, die aus ganz verschiedenen Staaten herrührten Außer dem wurde ihr die Lizenz auf das Patent einer neuartigen Revoloerdrehbank zu einem so günstigen Preis angeboten daß der Fabrikant mit beiden Händen zpgriff und ein gutes Geschäft damit machte. Daß der Entwicklungsgang der Fabrik von einem scharfen Augenpaar in Amsterdam auch weiter beobachtet wurde, ahnte der Fabrikherr natürlich ! nicht. Inmitten all' dieser Ereignisse kam der Augenblick, wo wieder einmal ein unruhiges Zittern durch die Börsen Euro pas lief. Der französische Franken begann zu fallen. Erst lang sam, dann etwas schneller. Wernoff wurde aufmerksam — so wie der Jagdhund, der Wildgeruch wittert. Von zwölf holländischen Cents sank der Franken auf zehn, dann auf neun und auf achteinhalb. Es ging ja nicht lawinenartig aber doch ständig bergab. Wernoff ließ den Telegraphen spielen. Nach Wien und nach Paris — aber auch nach London und New Pork. Als der Franken auf siebeneinhalb stand, holte er aus dem Tresor der .Ihany' einen Pack Wertpapiere. Es waren die zwanzig Millionen, die er für sich persönlich reserviert hatte. Es schien, als ob der alte Spieler wieder in ihm er- ! wacht sei. Aber er spielte nicht, obwohl er die Wertpapiere verkaufte, sondern zahlte fünfzehn Millionen auf sein Pri vatkonto bei der ,Ihany'; fünf Millionen ließe er zu seinen Gunsten auf das Hollandguldenkonto überschreiben, welches das. Bankhaus Woltmann dort hatte. Zugleich ließ er dem Bankhaus mitteilen, daß er die Absicht habe, in den nächsten Tagen nach Wien zu kommen. Wernoff hatte Holland noch nicht verlassen seit jener Zeit, da er mit der .Prinses Juliana' in Amsterdam ge landet war. Nun saß er im O-Zug und rollte mit jedem Stoß der Räder der Vergangenheit näher. Eigentümliche Gefühle wurden in ihm lebendig. Gefühle, die er bisher gewaltsam zurückgedrängt hatte. Bilder des lachenden, fröhlichen Wien, das er gekannt und geliebt hatte. Er schloß die Augen und öffnete sie sofort wieder; denn wenn er sie schloß, tauchten andere alte Bilder aus seinem Leben auf. die er nicht sehen wollte. Er wollte nicht weich werden. Er stand auf und ging in den Speisewagen. Er, der seit Jahren keinen Alkohol getrunken hatte, bestellte sich eine Flasche Cham pagner und trank mehr als die Hälfte davon. Im Geist überflog er die Gefahren, welche die nächsten Tage für ihn bargen. Er wußte, daß er mit Menschen Zu sammentreffen würde, die ihn gekannt hatten, als er noch ein anderer war. Einer der ihren! Würden sie ihn wiedererkennen? Prüfend besah er sich in den Spiegelgläsern der Tür des Speisewagens. Das Haar war stark ergraut und dünner, die Augenbrauen buschiger geworden. Seine Schul tern waren breiter. Die Wangen hatten sich aber nie mehr gefüllt, seitdem er in Sibirien Typhus gehabt hatte. Stark standen die Backenknochen vor. Die schwere Narbe und der Bart halfen mit, das Bild zu verändern. Nein — er war unerkennbar. So scharf war kein menschliches Auge, um die Verkleidung zu durchdringen, die die Natur über ihn geworfen hatte. Nur ein einziger war zu fürchten Der Maschinenfabri kant I. Wögerer in Stockerau. Aber der kam sicher auch nicht jeden Tag nach Wien. Diese Gefahr war gering. Aber selbst dieser kannte ihn nur als Franz Wachtel. Und die Sprache? Das sanfte, weiche Wiener Deutsch mit den dunklen Vokalen, das sprach er ja längst nicht mehr! Vielleicht auch konnte er es gar nicht mehr. Zu Hause in Amsterdam sprach er nur mehr Holländisch, und in der Bank hatte er wohl auch deutsche Angestellte, aber die waren alle aus Norddeutschland. Er kannte sich und wußte, wie empfänglich sein sprachengewohntes Ohr für Klangfarben war. Er sprach längst schon das harte Deutsch, das er so häufig um sich hörte. — Der Champagner tat seine Wirkung. Er fühlte sich müde werden und ging in den Schlafwagen. Dort gab er dem Schaffner seinen Paß. Nicht den, mit dem er aus Sibirien gekommen war. Der war abgelaufen und längst schon von der russischen Gesandtschaft im Haag durch einen neuen ersetzt worden; den alten hatte der Geschäftsträger vor seinen Augen vernichtet. Das war in Ordnung. Dann legte er sich schlafen. In Würzburg wachte er aus Er war in Deutschland. Noch drang dies nicht ganz zu ihm durch. — Alles um ihn sprach Deutsch. Ja. eigentlich war dies doch nur natürlich! Beinahe hätte er über sich selbst gelacht. Dann ging er in den Speisewagen und frühstückte. Bei einer der nächsten Stationen kaufte er sich Zeitschriften und Bücher. Eigentümlich, die Deutschen druckten noch immer alles in gotischen Buchstaben. — Je näher die österreichische Grenze kam, desto stärker kamen die Gefühle zurück, die er haßte, weil sie ihn schwach machten. Und als der deutschen Schaffner durch die Wagen schritt und rief: „Nächste Station Passau. Zoll- und Paßrevision," begann sein Herz zu schlagen, und das Blut stieg ihm in einer heißen Welle zum Kopf. „So geht das nicht weiter," sagte er sich und holte aus seiner Brieftasche einen Umschlag. Er öffnete ihn und zog ein kleines, kreisrundes Stück von einer Photographie heraus. Ein Mädchenkopf war darauf. Da wurde er ruhig und gelassen. Seine Züge ver härteten sich. Eine Viertelstunde später waren Zoll- und Paßunter suchung vorüber. Der Zug wurde neu eingestellt und fuhr dann weiter nach Wien. Je näher er der Stadt kam, die einst seine Vaterstadt gewesen war, desto mehr legte sich seine Unruhe. Das war das Eigentümliche an Wernoff. Je dichtet eine Aufgabe an ihn herantrat, desto kühler wurde er. Er kam nach Wien mit bestimmten Plänen. Diese mußten durchgeführt werden. Das war seine Aufgabe. Diese mußte er lösen und damit — Schluß! Daß nach der Lösung in ihm nichts Zurückbleiben würde als eine unendliche, öde Einsamkeit, kam ihm gar nicht in den Kopf, über das .nachher' dachte er nicht nach. Er lebte in der Vergangenheit und in der Gegenwart, die jene be zahlen sollte. Auch ein langfristiger Wechsel muß einmal eingelöst werden. Er kam, um diesen Wechsel zu präsentieren. Noch einmal zuckte es in ihm, als er beim Vorüber sausen den Stationsnamen .Hadersdorf' las. Dann machte er sich bereit. In ein paar Minuten muhte ja Wien kommen. Der Zug pfiff und verlangsamte die Fahrt. Langsam und fauchend zog die Maschine die fünf Wagen in die düstere Halle des Westbahnhofs. Wie schmutzig und verraucht sie war. War Wien so arm geworden, daß es nicht einmal seine Bahnhöfe in Ordnung halten konnte? Träger liefen heran. Wernoff gab einem davon sein? Koffer. „Auto gefällig, gnä' Herr?" „Nein, danke!" Der Träger blickte verdutzt. Ein Passagier, der in der ersten Klasse aus Holland kam — die Adresse stand auf der Visitenkarte im Ledertäschchen am Koffergriff — und kein Auto wünschte? Wollte er vielleicht gar mit der Straßen bahn fahren? Kopfschüttelnd trug er die Koffer hinaus in den Säulengang an der Vorderseite der Ankunftshalle. Der Fremde blieb einen Augenblick stehen, schaute herum und sagte dann: „Dort steht mein Auto." (Fortsetzung folgt.)