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Mittwoch, den 7. September 1932 Pulsnitzer Tageblatt 84. Jahrgang, Nr. 210, Seite 7 Kämpfe in der Meerestiefe Der Japaner Usejoso, der älteste Taucher der Ozeanographischen Station in der Bucht Peters des Großen auf Kamtschatka, erzählt hier abenteuerliche Erlebnisse aus ZOjährigem, fast täglichem Kamps auf dem Meeresboden. Weit im Fernen Osten, von der ganzen Welt abgeschnit ten, liegt in der Bucht Peters des Großen die kleine, vor Winden gut geschützte Insel Engeln, die ihren Namen von einem längst vergessenen russischen Feldherrn hat. Die Insel ist so klein, daß man sie in fünfzehn Minuten bequem zu Fuß durchqueren kann. Sie fehlt deshalb beinahe auf jeder Karte. Auf diesem Erdenfleck ist eine Ozeanographische Sta tion untergebracht, auf der russische Gelehrte Hausen. Das Inselchen dient zugleich als Basis für Trepanafischer. Das Seetier, das auf den für das europäische Ohr fremd klingenden Namen Trepang hört, gilt bei uns im ganzen Osten als eine große Delikatesse. Chine sische Gastronomen zum Beispiel kennen sechs ver schiedene Arten der Zube reitung des Trepang, das wie eine exotische Pflanze aussieht und trotzdem ein Tier ist. Das kleine Unge heuer ähnelt einer Banane, hat weder Augen noch Ohren und ist mit empfindlichen Fangarmen versehen Die Fischer des Trepang müssen nun als Taucher auf den Mee resboden hinuntersteigen, wo eine furchtbare Gefahr auf sie lauert: der Riesenpolyp, das Seeungeheuer, das man in die sen Gewässern massenhaft trifft. Ich bin seit 30 Jahren Taucher. Von der wissenschaft lichen Station bin ich beauftragt, Polypen soweit wie mög lich in der Tiefe zu beobachten. Der Polyp hält sich mit Vorliebe in kleinen, ruhigen Buchten mit steilen Felsen und steinigem Boden auf. Sonderbarerweise findet man in die- fen Buchten zugleich die besten Trepangarten. Der Polyp ist ein geselliges Tier. Er lebt nicht allein sondern stets in kleinen Kolonien. Dieses Meeresungeheuer hat eine für das Tier selbst außerordentlich nützliche Eigenschaft: sich dem stei nigem Boden zu assimilieren. Sowohl seine Farbe wie auch seine Form sind für ein ungeübtes Auge kaum von der Um gebung zu unterscheiden. Es ist ein großes Kunststück, sich unbemerkt einem Polypen zu nähern, denn das sonderbare Tier ist außerordentlich schlau. Der Polyp versteht zum Beispiel — man höre und staune! — zu sparen. Er weiß sehr gut, daß es ihm nicht jeden Tag gelingen kann, gute Beute nach Hause zu bringen. Deshalb häuft er Vorräte an für eine beutelose Zeit. Er spart sich die Nahrung, indem er kleine Muschelchen sammelt und sie in irgendeiner unter seeischen Grotte verbirgt. Muschelchen sind aber keine allzu schmackhafte Speise für den verwöhnten Polypen, der im stande ist, rubig in der Grotte zu sitzen und auf leckere Beute zu lauern. Der Polyp verbirgt sich in Schluchten, die sich zwischen den Felsen auf dem Meeresgründe bilden, und streckt einen Fangarm aus. Ich habe oft Gelegenheit gehabt, feine sonderbare Jagdlist aus nächster Nähe zu beobachten. Der Fangarm, der wie eine Meerespflanze aussieht, wechselt seine ursprüngliche graue Farbe und wird allmählich grün. Wie eine harmlose Schlingpflanze schaukelt sich dann das furchtbare lebende Instrument im ru^MN Wasser. In atem loser Spannung habe ich oft Fische beobachtet wie sie nichts ahnend heranschwammen Kaum befindet sich ein Fisch in der Reichweite des lebenden Lassos, als der geduldige Jäger auch schon den Fangarm zusammenzieht. Es entsteht eine Art furchtbarer Schlinge, die plötzlich anschwillt und die Beute umschlingt, um sie erbarmungslos in die Tiefe zu zerren und dort zu verzehren. In meinem Leben habe ich unzählige Polypen gesehen, von kleinem Umfang an bis zu dem riesigen Gewicht von hundert, ja sogar dreihundert Kilogramm Ein Riesenpolyp kann mit seinem Fangarm den mutigsten Taucher erdrosseln, noch ehe er die Oberfläche erreicht hat. Stoße ich aus so ein Ungeheuer in der Meerestiefe, so bleibt mir nichts anderes übrig, als schleunigst zu fliehen, um dem Angriff des schreck lichen Tieres zu entgehen. Die Jagd auf leichtere Exemplare betrachte ich dagegen als einen aufregenden Sport, der sich um so mehr lohnt, als das Fleisch des Polypen sehr schmack haft ist. Es erinnert an europäische Steinpilze und wird nach China teuer verkauft, während Europäer allerdings Ekel vor dieser Speise empfinden. Einmal wäre ich dem furchtbaren Tier beinahe zum Opfer gefallen. Ich begegnete auf dem Meeresboden einem selbst von mir bisher noch nie gesehenen Riessneremplar die ser Fabelwesen. Ich wollte schon an dem Seil ziehen, um schnell an die Oberfläche befördert zu werden Nun wußte ich aber, daß mich oben der bittere Spott meiner Ka meraden erwartet hätte. Also hieß es, zum Angriff über gehen. Der Polyp, den die Anwesenheit eines fremden We sens reizte, änderte seine Farbe Es war ein geradezu phan tastisches Schauspiel. Die ursprünglich graugelbe Farbe ging allmählich in milchiges Weiß über, dann wurde das Tier plötzlich tintenschwarz Ich stieß eine schwere Eisenstange in den Kopf des Ungeheuers. Im selben Augenblick ergoß sich über mich ein Strahl schwarzer Flüssigkeit Das Wasser wurde trübe, so daß ich nichts sehen konnte Dann fühlte ich einen schrecklichen Druck an meinen Beinen Das Ungeheuer hatte meine Beine mit seinem kräftigen Fangarm umschlun gen! Jetzt ging es ums Leben Ein Glück, daß das bereits geschwächte Tier nicht mehr vermochte sich an mir festzu saugen, denn sonst wäre ich rettungslos verloren gewesen. Wie ein Besessener stieß ich mit der Estenstange in das auf geblähte Tier, das sich in Krämpfen hin und her wand. Mit einem Male sackte das aufgedunsene Ungeheuer ohnmächtig zusammen. Triumphierend erschien ich mit meiner Beute an der Oberfläche und wurde von den Kameraden stürmisch gefeiert. Manchmal gestatte ich aus Uebermut dem Polypen, sich an meinen Beinen anzusaugen. Die Tauchertracht aus Gummi erlaubt dem kleinen Polypen nicht, mir ernstlich „Ein Herr wünscht Sie zu sprechen!" Der Hotelpage in seiner pittoresken, goldverbrämten Uniform stand in der Tür, und keine Miene seines Gesichts regte sich. Erik Hollander sah unwillig auf die Uhr und runzelte die Stirn. „Ich lasse bitten — aber sagen Sie dem Herrn, daß meine Zeit begrenzt ist." Cs war 8 Uhr. Vom Fenster seines Zimmers konnte Hollander sehen, wie die Perlenketten der elektrischen Lichter in den Straßen ruckartig aufzuglimmen begannen. Menschen, Automobile, Trambahnwagen ballten sich zu einem unent wirrbaren Knäuel. Durch den Zauberstab der Nacht be rührt, war Kapstadt zu neuem Leben erwacht. „Habe ich das Vergnügen mit Herrn Hollander?" ,, ^Ee Besucher war eingetreten. Er war in Abend- saß ihm wie angegossen, seine ganze Erscheinung strahlte Distinktion aus. Erik Hollander nickte. „Womit kann ich Ihnen dienen?" Besucher nahm unaufgefordert Platz, wischte be dächtig ein unsichtbares Stäubchen von seiner makellosen ! Smokmghose und sah dann Erik Hollander aus stahlgrauen Augen gerade ins Gesicht. „Ich bin gekommen," begann er mit einem gedehnten, leicht affektierten Tonfall, „um eine Frage an Sie zu richten, Herr Hollander. Eine sehr einfache Frage: Wollen Sie leben oder sterben?" „Diese Frage ist wohl sehr sonderbar! Aber wenn Sie es durchaus wissen wollen, so kann ich Ihnen verraten, daß ich das Leben zweifellos liebe." „Ich dachte es," jagte der Besucher bedächtig, und seine grauen Augen fixierten nachdenklich Hollanders Krawatten nadel. „Da wir uns über diesen Punkt geeinigt haben, wer den Sie wohl gestatten, daß ich einen Augenblick das Tele phon benutze." „O bitte, wenn es sonst nichts ist!" „Hotelzentrale!" sagte der Fremde, den Hörer ausneh mend. „Hallo, hier Zimmer 78, jawohl, Hollander — Herr Hollander wünscht bis 12 Uhr nicht gestört zu werden —" „Herr — wollen Sie mir sagen, was das zu bedeuten hat?" fuhr Hollander auf. Der Fremde lächelte entschuldigend. „Sie werden es gleich erfahren. Inzwischen werden Sie die Güte haben, mir Ihr Federmesser zu leihen." Ein Wahnsinniger, dachte Hollander plötzlich. Wahn sinnigen muß man ihren Willen lassen. Mechanisch zog er sein Federmesser aus der Tasche und reichte es dem Fremden. Der ließ es auf schnappen, prüfte die Klinge und durchschnitt mit der Sorg falt eines Chirurgen, der eine schwierige Operation oor- nimmt, den Telephondraht. Dann zündete er sich bedächtig eine teure Luxuszigarre an und sagte, während er scheinbar abwesend in den blauenRauch blickte, mit seidiger Stimme: „Ich bin nämlich Nebelhay!" Das Bewußtsein, einem Manne gegenüberzusitzen, von dem man in der Morgenzeitung gelesen hat. daß er vor keinem Morde zurückschreckt, ist ein Erlebnis, das sich wenige erwünschen und viele zu vermeiden trachten werden. Erik Hollander gehörte zu den vielen. „Ich weiß, mit wem ich es zu tun habe," sagte er, und seine eigene Stimme erschien ihm seltsam hohl und fremd, „wollen Sie mich jetzt gütigst darüber aufklären, was Sie mit Ihrem eigenartigen Benehmen bezwecken?" Schaden zuzufügen. Dann steige ich an die Oberfläche nm dem an mir festsitzendeN Polypen; gilt es doch als besonders ruhmvoll, das Tier lebend mit sich an die Oberfläche zu ziehen. Auf der Erde ist der Polyp vollständig hilflos und muß es sich gefallen lassen, in kleine Stücke zerhauen zu werden. Der Polyp ist so eigensinnig, daß er eher sein Le ben läßt, als daß er auf die Beute verzichtet. So geschieht es manchmal, daß ich einen Polypen, der sich an einem Stein festgesaugt hat, mit dem Stein zusammen aus der Tiefe hebe. Der Griff eines Riesenpolypen ist so stark, daß er einem Menschen unter Umständen mit einem Ruck Arme und Beine zerschmettern kann. „Äit Vergnügen — der Wunsch des berühmten Chiffer- experten Hollander ist mir Befehl! Ich bin gekommen, um Sie zu bitten, den Text einer Kabeldepesche zu dechiffrieren, aus döken Inhalt Sie ersehen werden, daß es sich um einen ganz großen Coup für mich handelt." „Und wenn ich mich weigere?" „Ich dachte, Sie wollten leben." „Lassen Sie sehen!" Nur einen Blick warf Hollander auf das ihm gereichte Blatt, und eisiges Entsetzen krampfte seine Kehle. Er kannte dieses System nur zu gut — das System C. Er selbst hatte es vor vierzehn Tagen für Erskine L Liverright, die füh rende Maklerfirma des Kaps, ausgearbeitet. Das Geheimnis dieses Codes war, daß keiner, der den sich täglich ändernden Schlüssel nicht kannte, ihn lösen konnte, und wäre es sein eigener Schöpfer. „Diese Chiffer ist unlösbar, Herr Nebelhay!" „Lächerlich — ich weiß, daß sie von Ihnen stammt!" „Zugegeben. Trotzdem —" Nebelhay sah lächelnd aus seine Armbanduhr. „Herr Hollander," sagte er verbindlich, „ich achte Ihre Standhaftigkeit. Aber es ist unsinnig, einem vernünftigen Menschen einreden zu wollen, daß ein so meisterhafter Ex perte wie Sie eine Chiffer nicht lösen kann, die er selbst erfunden hat. Ich gebe Ihnen bis 10 Uhr Zeit. Wenn ich bis dahin das Resultat nicht habe, sind Sie ein toter Mann. Ich glaube, das ist doch der geläufigste Ausdruck für eine so undelikate Angelegenheit, nickt?" Zeit gewinnen! schoß es Hollander durch den Kopf. Bis 10 Uhr sind es noch eineinhalb Stunden, und in eineinhalb Stunden kann sich manches ereignen. Hollander kritzelte ganze Bogen mit sinnlosem Geschreibsel voll, als arbeiti er wirklich an der Lösung. Die Buchstaben tanzten vor seinen Augen, formten sich zu sinnlosen Einheiten. Nur Zeit gewinnen! Zeit gewin nen! Fern schlug eine Turmuhr ruhig, bedächtig. „Es ist 10 Uhr!" Nebelhay riß den Vogen an sich, erfaßte mit einem Blick die Sinnlosigkeit des Geschreibsels. „Also Sie wollen nicht?" „Ich kann nicht!" Ein Revolver blitzte plötzlich in Nebelhays Hand. Rich tete sich gerade gegen Hollander. „Dieser Revolver", sagte Nebelhay, „ist eine Gaspistole, die Giftgas genug enthält, um zehn Männer zu töten. Er ist so wunderbar konstruiert, daß seine Wirkung völlig lautlos ist. Ich beabsichtige, diese Wirkung an Ihnen zu erproben, wenn Sie mir nicht augenblicklich die Lösung des Systems C verraten." „Ich habe Ihnen doch schon gesagt -I" schrie Hollander. In diesem Augenblick zischte ein Strahl durch die Luft. Hollander schlug die Hände vors Gesicht, aber es war zu spät Etwas Kaltes, Süßlichriechendes traf sein Gesicht, es war ihm, als stürze er in einen bodenlosen Abgrund, endlos, tausend Jahre lang, bis plötzlich ein Stoß kam und es Nacht um ihn wurde. Erik Hollander erwachte punkt halb elf Uhr aus einer leichten Leuchtgasbetäubung. Auf dery Schreibtisch Wr ihm fand sich ein Kuvert, dem ein Scheck auf 500 englische Pfund und ein Vries folgenden Inhalts entfielen: „Sehr geehrter Herr! Wir haben unseren Privatdetektiv beauftragt^ sich davon zu überzeugen, ob das von Ihnen gelieferte System C, von dessen Verläßlichkeit, wie Sie wissen, die Existenz unserer Firma abhängen kann, wirklich den geforderten Ansprüchen entspricht Da wir uns diese Ueberzeugung verschaffen konn ten, stehen wir nicht an, Ihrem Honorar noch 500 Pfund Sterling hinzuzufügen. Hochachtungsvoll Erskine L Liverright." ILIMDNB » . . . daß man jetzt alte Bauwerke vor Verwitterung da durch schützt, indem man die Steine mit Paraffin überzieht, wodurch die Feuchtigkeit abgehalten wird? . . . daß es an der Küste von England einen unabhän gigen Staat mit 7 Einwohnern gibt, der bis vor kurzem eigene Briefmarken und Münzen hatte? daß Linoleum bakterienfeindliche Eigenschaften be sitzt und daß, wie Experimente bewiesen haben, Krankheits keime äüf Linoleum innerhalb von 24 Stunden abgetötet werden? . . . daß in Amerika die Straßenreiniger schwarz-weiß- karierte^Röcke bekommen sollen, damit sie von Autofahrern besser gesichtet werden können? . . . daß die Blutkörperchen eines Menschen aneinander gereiht'öin Band ergeben, das 21L mal die Erde umspannen kann? . daß die Zugvögel besonders die Zeit um den Voll mond für ihre Reise bevorzugen? . . daß man für den Radio-Senderaum eine Arm- und Fingersprache erfunden hat, damit der Regisseur seine Anweisungen ohne den Mund zu öffnen erteilen kann? . . daß man einen künstlichen Nebel erfunden hat, um empfindliche Früchte gegen Nachtfrost zu schützen? . daß man aus 50 Kilogramm gewöhnlicher Säge späne 25 Kilo Rohzucker durch ein neues Verfahren gewin nen kann? . . . daß das untergegangene U-Boot „Promöthöe" be reits das 7. ist, das seit Kriegsende durch Unglücksfall ver loren wurde?