Volltext Seite (XML)
Verrat an Woltmann Roman von 0n. G. Panskingl Urheber-Rechtsschutz sür die deutsche Ausgabe- Drei Quellen-Verlag, Königsbrück/Sa- Copyright 1932 by vr. T- Panstingl, The Hague, Holland I. Bankier Woltmann wird bestohlen. Jäh und unerwartet flog die Türe auf. Die Mädchen- gestalt am Schreibtisch fuhr herum. Ein halblauter Schrei erstickte im Entstehen. Eine geöffnete Holzdose siel aus kraftlosen Händen mit hartem Schlag zu Boden. Münzen und Banknoten rollten heraus, und mit entgeisterten Augen ! starrte Martha Steiger, Sekretärin des Eigentümers der Woltmannbank in Wien, auf Willi Woltmann, den Sohn ihres Chefs. Er war unerwartet und ungestüm eiützetreten und sah sie nun verblüfft und verständnislos an. Was sollte das bedeuten? Das eigenartige Bild, das sich ihm bot, paßte nicht in den Rahmen des väterlichen Ge schäftes Dort war es keine Gewohnheit, daß Schreib- . fräuleins in den Laden Abwesender herumstöberten. Und > gewiß nicht in der des Chefs! Die Woltmannbank war eine der alten und gediegenen Privatbanken in Wien. Willis Großvater hatte sie ge- gründet. Nun leitete sie sein Vater, heute selbst schon ein Mann knapp an die Sechzig, und die Bank hatte sich stets in aufsteigender Linie entwickelt. Vor etwa zehn Jahren § war sie in die neuen Räume an der Ecke des Stefansplatzes und der Singerstraße übersiedelt, ins Herz der alten Stadt, dem „Stock im Eisen" gegenüber, dem Wahrzeichen Wiens, und war selbst ein Wahrzeichen gediegenen Wiener Pa- triziertums geworden. Sie hatte sich eine Überlieferung auf gebaut. Die Stütze des alten Chefs war der Prokurist Holz hauser. Er war als junger Mann eingetreten und hatte sich hinaufgearbeitet. Freunden gegenüber pflegte Woltmann zu sagen: „Ich bin froh, daß ich Holzhauser habe. Wenn mir etwas zustoßen sollte, bevor Willi so weit ist, dann hat er an Holzhauser die beste Hilfe, die man sich denken kann." Willi war des seit Jahren verwitweten Bankiers ein ziger Sohn und Erbe. Der junge Mann hatte sich entwickelt, daß sein Vater stolz auf ihn sein durfte. Seine Mutter war die Tochter des Grafen Startsche- witsch, eines russischen Diplomaten, der längere Zeit in Wien ! sein Heimatland vertreten hatte. Es war eine Liebesheirat gewesen, und es hatte einen harten Kampf gekostet, bis alle Hindernisse überwunden waren. Natürlich sprach und schrieb Willi Russisch wie ein Russe. Selbst wenn er betete, betete er Russisch; denn die Mutter hatte es ihn so gelehrt. Auch das Heimatland der Mutter kannte er ausgezeichnet, da er viele Sommer aus den Gütern seiner russischen Verwandten verbracht hatte. Mit achtzehn Jahren schickte ihn der Vater nach Deutsch land, um Staatswissenschaften zu studieren. Am Ende des vierten Studienjahres, gleichzeitig mit dem Abschluß dieser Studien, rief ihn ein Telegramm nach Wien zurück. Am nächsten Tag stand er am Totenbett seiner Mutter. Gleich der Kaiserin Elisabeth eine leidenschaftliche Reiterin, war sie diesem Sport zum Opfer gefallen. Ein Kaninchen loch auf der Wiese, über die sie eben in leichtem Galopp ritt, hatte den Unfall verursacht. Das Pferd war mit dem rechten Vorderhuf eingebrochen und hatte sich überschlagen. Der unsinnige und gefährliche Damensattel mit dem doppelten Horn hinderte Frau Alexandra am Abspringen, und die einZIK Gunst, die ihr das Schicksal erwies, war, daß es sie nicht lange leiden ließ. Für den Bankier war der Verlust ein fürchterlicher Schlag, der ihn bis ins Lebensmark traf. Sein Herz klammerte sich nun mehr denn je an seinen Sohn. Willi blieb in Wien und studierte nun an der Handelshochschule, zugleich aber arbeitete er einen Teil des Tages in der Bank seines Vaters. Bei seiner ausgesprochenen Begabung erfaßte er das Bank wesen ebenso rasch wie seine Studienfächer. Der Prokurist Holzhauser stand ihm in dieser Lehrzeit treu zur Seite. Als es dann galt, das Freiwilligenjahr abzudienen, wählte der junge Woltmann eine reitende Truppe. Nach Ableistung seiner Übungen verließ Woltmann das Regiment und ging in die Bank seines Vaters zurück, um nun dauernd dort zu bleiben. Es war an einem Sonnabendvormittag. Der alte Herr Woltmann war zu einer Besprechung in eine der Groß banken gegangen. Willi arbeitete eifrig; denn es gab noch viel zu erledigen. Plötzlich sah er, daß er einen Sachverständigenbericht nötig hatte, der auf dem Schreibtisch seines Vaters lag. Um nicht zu lange warten zu müssen, ging er selbst in den ersten Stock, wo das Büro seines Vaters lag. Rasch durchschritt er das Vorzimmer und bemerkte nicht einmal, daß das Schreibsräulein, das dort als Sekretärin seines Vaters arbeitete, nicht anwesend war, sondern ging auf die innere Türe zu und öffnete sie. Mit erstauntem Blick sah er, daß die Sekretärin sich über die linke offene Schreibtischlade beugte, in der Hand eine kleine Holzdose. Das ertappte Mädchen sah ihn blutrot und entsetzt an. Die Holzdose war eine Art Geheimkasse seines Vaters. Bankier Woltmann war als gutherzig be kannt und bekam nicht selten Besuche von Personen oder Vereinigungen, die um Unterstützung baten. Um das, was er spendete, nicht über ein Konto laufen zu lassen, bewahrte er in dieser Holzdose stets etwas Geld auf. „Fräulein Steiger, was soll das bedeuten? Wieso kommen Sie zu dieser Dose?" Das Mädchen begann zu zittern und brach in Tränen aus. Gegen alle Wahrscheinlichkeit hatte Willi gehofft, sie würde irgendeine natürliche Erklärung des Vorfalles geben können. Als diese ausblieb, sah er wohl oder übel ein, daß Martha Steiger eine Diebin war. Sie war eine gewandte Sekretärin, hatte ein gefälliges Äußeres, war aber erst seit sechs Monaten in der Bank, und man wußte eigentlich nicht viel von ihr. Der Vorfall war ihm außerordentlich peinlich. Doch irgend etwas mußte geschehen. „Wieviel haben Sie aus der Dose genommen?" Schluchzend warf Martha Steiger eine Hundertkronen note auf den Tisch. Und dann geschah etwas, was Wolt mann nicht erwartet hatte. Das Mädchen warf sich ihm zu Füßen, umschlang unter stoßweisem Schluchzen seine Knie, versuchte seine Hände zu küssen und wimmerte, er möge sie nicht unglücklich machen. Als er sich frei machen wollte, kam es beinahe zu einem regelrechten Ringkampf. Eigentümlicherweise gingen dabei die Blusenknöpfe des Fräulein Steiger auf, die sich aber gar nicht beeilte, sie zu schließen, sondern ihre Aufregungsszene weiterspielte. „Ich hätte es nie getan, wenn meine Mutter nicht so krank wäre. Ich mußte Geld haben." Woltmann wußte gar nicht, ob Martha Steiger noch eine Mutter besaß oder nicht, geschweige denn, ob diese krank oder gesund war. Ihn ekelte der ganze Auftritt an. „Vielleicht wäre es gut, wenn Sie zuerst einmal Ihre Bluse wieder in Ordnung brächten, Fräulein Steiger." Das Mädchen spielte ein geschicktes Erschrecken und knöpfte scheu verlegen zu. Woltmann war bestrebt, den Auftritt sobald als möglich zu beenden. Natürlich mußte Martha Steiger sofort ent lassen werden. Aber immerhin gewährt eine Bank solchen Naturen Vorteile; denn es ist peinlich, wenn das Publikum von, wenn auch noch so geringfügigen, Diebstählen erfährt. „Legen Sie die Banknote wieder in die Dose!" Martha gehorchte. „Wieviel Gehalt haben Sie?" „Hundertundachtzig Kronen, Herr Woltmann." „Warten Sie einen Augenblick in Ihrem Zimmer!" Woltmann legte die Dose zurück, schloß den Schreibtisch und ging hinaus, sperrte aber das Zimmer seines Vaters hinter sich ab. Dann ging er hinunter zu Holzhauser. Mit diesem besprach er rasch die Angelegenheit. „Sie muh sofort die Bank verlassen. Vielleicht läßt es sich so machen, daß mein Vater den wahren Sachverhalt nicht erfährt. Das Gefühl, daß in seinem Privatzimmer so etwas geschehen konnte, wäre ein böser Schlag für ihn. Den möchte ich ihm ersparen." Holzhauser stimmte zu. Woltmann entnahm seinem Privatkonto einen Betrag und ging wieder hinauf. Er fand Fräulein Steiger bereits mit Hut und Handschuhen fertig zum Weggehen. Das erleichterte seine Aufgabe. „Hier ist ein Monatsgehalt sür Sie. Es ist natürlich unmöglich, daß Sie weiter hier bleiben. Nicht aus Rücksicht auf Sie, sondern auf meinen Vater wünsche ich nicht, daß dieser den wahren Sachverhalt erfährt. Schreiben Sie ihm daher noch jetzt vor Ihrem Abgang einen Brief, in dem Sie ihm irgendeinen glaubhaften Grund für Ihr plötzliches Weg gehen geben." Martha Steiger war dieser Aufgabe gewachsen. Rasch zog sie die Handschuhe wieder aus und setzte sich nieder. In einer Minute war sie fertig und reichte Woltmann den Brief. „So! Nun noch Folgendes, Fräulein Steiger! Ich habe keine Luft, Ihnen eine moralische Standpredigt zu halten. Sie müssen für sich selbst entscheiden, ob der Weg, den Sie gegangen sind, der richtige war. Sie haben mir mitgeteilt, daß Sie das Geld genommen haben, weil Ihre Mutter krank sei. Ich will nicht untersuchen, ob dies wahr ist oder nicht." „Ein Glück," dachte Martha. „Ich will es als wahr annehmen. Hier haben Sie die hundert Kronen, die Sie sich aneignen wollten und die Ihnen mein Vater sicher geschenkt hätte, wenn Sie ihm ein Wort über Ihre Lage erzählt hätten. Verwenden Sie das Geld für Ihre Mutter." Das Mädchen riß die Augen auf. Gab es wirklich so viel edelmütige Dummheit auf der Welt? Die hundert Kronen waren für ihren morgigen Sonntagsausflug be stimmt gewesen. Aus gewissen Gründen wollte sie dazu einen neuen Hut, Handschuhe und Seidenstrümpfe haben. Und der gute Junge mit dem ernsten, lieben Gesicht, der als Husarenleutnant so fesch ausgesehen hatte, gab ihr das Geld nun wirklich. Auf alles war Woltmann gefaßt, aber nicht auf das, was nun kam. Plötzlich fühlte er Martha Steigers Arme um seinen Hals und einen Kuß auf seiner Wange. Ehe er sich von seiner Verblüffung erholen konnte, war sie aus dem Zimmer geeilt. Halb ärgerlich und halb verlegen starrte der junge Mann auf die bereits wieder geschloffene Tür. Er verstand den Vorfall nicht. In seinem Gesicht war eine leichte Röte aufgestiegen. Ohne zu wissen, was er tat, zog er ein Taschentuch hervor und rieb sich seine Wange, während seine Gedanken zu Herma Hochstätten flogen. II. Ein Sommersonnlag in Hadersdorf. Die Villa des Großindustriellen Hochstätten war ein beliebter Treffpunkt der Gesellschaft von Hadersdorf, jener kleinen Villenkolonie bei Wien, wo sich vor langen Jahren ein Kreis alter und gediegener Wiener Patrizierfamilien angesiedelt hatte. Bei den Hochstättens traf sich die Jugend. Herma, die älteste der drei Töchter des Hauses, war neunzehn Jahre und von so außerordentlicher Schönheit, daß der berühmt. Böckinger sie für die Ausstellung im Künstlerhaus gemaU hatte. Sie war mit der großen Sorgfalt, die der Reichtum und die Liebe ihrer Eltern gestatteten, erzogen, und wenn man ihr einen Fehler nachsagen konnte, dann war dies ein ge wisser Hochmut und Unnahbarkeit. Zwischen ihr und der nächstältesten Schwester Else waren volle acht Jahre Altersunterschied. Else war elf und ihre Schwester Helene, das Nesthäkchen der Familie, zählte erst zehn Jahre. Auffällig war es, daß gerade die Jüngste der Ältesten überraschend ähnlich sah. Man schätzte den alten Hochstätten, der vier große Seidenspinnereien besaß, auf eine gute Anzahl Millionen. Er und „Mama Hochstätten" hatten es gern, wenn das Haus voll von Gästen war. Auch an diesem Sommertag war eine fröhliche Gesell- jchaft beisammen, die sich vollzählig zum Tennisplatz im Park begeben hatte. Im offenen Sommerhäuschen, das an - eine Breitseite des Platzes angebaut war. saßen Hochstätten ! und seine Frau und diejenigen Gäste, die am Spiel nicht be teiligt waren. Johann, der Gärtner, der zugleich als Diener auftrat, reichte Erfrischungen herum. Im Augenblick waren alle beschäftigt einer Partie zuzusehen, die einen fesselnden Endkampf bot Auf der einen Seite spielte Herma mit dem mngen Woltmann, auf der anderen ein Geschwisterpaar. Kinder eines Nachbarn. Auf dem hohen Schiedsrichterstuh! thronte Freddy Hasenauer, ein Regimentskamerad Wolt manns. Die Partie stand beinahe völlig gleich. Beide Paare waren glänzende Spieler, und einige Male unterbrach leb hafter Beifall der Zuschauer den Gang des Spieles. Endlich machte ein gewaltiger Smash des jungen Woltmann dem Kampf ein Ende. Händeklatschen erscholl, die Paare grüßten, und eine andere Partie trat an. Herma und Willi schlenderten in den Garten, ohne daß dies die Aufmerksamkeit der anderen erregt hätte. Am runden Platz bei der Sonnenuhr setzten sie sich auf die Bank, die dort in einer durch Gebüsch gebildeten Nische stand. „Das hast du glänzend gespielt," sagte Herma. „Der letzte Smash war bildschön. Überhaupt scheint es, daß wir schon gut aufeinander eingespielt sind. Wir haben in der letzten Zeit wenig Partien verloren." „Das stimmt. Wir sind uns im Beginn immer zu sehr in den Weg gelaufen. Jetzt ist unser Spiel besser verteilt. Außerdem hat sich deine Backhand sehr verbessert." „So? Findest du?" Bei diesen Worten sah Herma auf und blickte ihm voll in die Augen. Sie war sichtlich erfreut über das Lob. Gleich darauf aber senkte sie den Blick wieder. Im Gespräch war eine Pause eingetreten. Plötzlich hörte sie neben sich die bittenden Worte: „Herma, schau doch nicht weg!" Die tiefe Innigkeit des Tones zitterte in ihr mit. Sie wendete langsam den Kopf so, daß sie ihrem Partner wieder voll in die Augen blickte. Eine leichte Röte war über ihren Hals bis zu den Schläfen hinaufgestiegen. Ihre Augen strahlten. Keines von beiden sprach ein Wort. „Gibt es denn wirklich so viel Glück, Herma?" Sie beugte sich vor und schlang ihm die Arme um den Hals. „Sag, Willi! Wir wollen es festhalten. Es muh unser sein, dieses Glück. Und bleiben! Nicht daran rühren!" In diesem Augenblick hörten sie eine Helle Kinderstimme ihre Namen rufen. Ein flüchtiger, blitzschneller Kuß, beide sprangen auf und gingen dem Geräusch entgegen, das eilende Kinderfüße auf dem Kies des Gartenwegs machten. Schon von ferne rief Helene ihnen zu: „Herma, Onkel Willi! Mama ruft euch zum Essen." Woltmann hatte seinen Arm um Herma gelegt. So schritten sie zum Haus. Zu ihrer Überraschung standen sie plötzlich vor Mama Hochstätten, zu spät, um sich aus der Verschlingung der Arme zu lösen. Die lächelte ihr feines und leises Lachen und sagte nur: „Kinder, Kinder, seid ihr aber unvorsichtig!" Herma flog auf die Mutter zu und umhalste sie. Wolt mann ergriff ihre Hand, küßte sie und sah ihr stumm bittend in die Augen. „Mir ist's ja recht, Kinder, und ich freue mich und bin glücklich, daß es so gekommen ist. Meinen Segen habt ihr. Aber nun zu Papa. Ich will nichts vor ihm voraushaben." So kam es, daß die Gäste ausnahmsweise eine volle Viertelstunde warten mußten, da der Hausherr und die Hausfrau zu spät kamen. Als diese aber mit dem glück strahlenden Paar eintraten, da wußte jeder, wieviel es ge schlagen hatte. Bevor Papa Hochstätten noch imstande war, eine Erklärung abzugeben, erklangen die Hochrufe. Im Speisezimmer war ein Trubel und ein Durcheinander von fröhlichen und lachenden Menschen. Nach dem Mahl flüchteten Herma und Willi in das Klavierzimmer, um ein wenig allein zu sein. Woltmann liebte die Musik und spielte selbst recht gut Geige. Auf seine Bitte setzte Herma sich an den Flügel, und leise phantasierend huschten ihre Finger über die Tasten. Herma war eine wirkliche Künstlerin auf dem Klavier. Sie fühlte die Musik. Dabei verband sie vollkommenes Ver ständnis für die Absichten des Komponisten mit einer un bewußt souveränen Technik und war schöpferisch genug, um ein Thema umzuformen und ihrer Stimmung anzupassen Nun spielte sie ohne Noten, und aus ihrem Glücksgefüh! heraus perlte eine Variation eines der „Spanischen Tänze" von Moszkowsky, so rein und so vollendet, daß Woltmann wie durch Zauber gebannt lauschte. (Fortsetzung folgt.)