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Donnerstag, den 8. September 1932 Pulsnitzer Tageblakl 81. Jahrgang, Nr. 211, Seite 6 Verrat an Woltmann » Roman von Öl'. G. Panstingl «I Urheber-Rechtsschutz fllr die deutsche Ausgabe: Drei Quellen-Verlag, Königsbrück/Sa. Copyright 1932 by vr. G- Panstingl, The Hague, Holland Von draußen klang manchmal gedämpft das Lachen der anderen herein, die ein großes Gartenfest vorbereiteten, zu dem ganz Hadersdorf eingeladen werden sollte. Alle arbeiteten mit. Nur Freddy Hasenauer nicht, der Schiedsrichter beim Tennisspiel. Er hatte mit Woltmann bei den Husaren gedient und entstammte ebenfalls einer Bankiersfamilie. Gleichwohl kannten sich die Familien Woltmann und Hasenauer nicht von früher her. Die Familienhäupter hatten sich natürlich schon oft auf der Börse getroffen, aber zu einer persönlichen Freundschaft zwischen ihnen war es nicht gekommen. Die Hasenauersche Bank war ja recht gut, aber sie machte doch auch Geschäfte, die Woltmann senior abgelehnt hätte. Auch der Klientenkreis beider Banken zeigte nicht die gleiche Zusammensetzung. Bei der Woltmannbank liefen die Geschäfte großer alteingesessener Industrien und lagen die Vermögen einer Reihe österreichischer Adelsfamilien. Zu Hasenauer kam der mittlere Geschäftsmann und der Berufs börsenspieler, ja man konnte sogar Klassenlotterielose dort haben. Es war eben ein starker Unterschied zwischen beiden Banken. Freddy Hasenauer hatte Herma bei einem Wohltätig keitsfest im Schwarzenbergpark gesehen. Als er hörte, daß das bildschöne Mädchen eine Tochter der millionenreichen Hadersdorfer Hochstättens sei, machte er sich sofort an Wolt mann heran. Gutmütig hatte dieser den Regimentskameraden, von dessen Nebenabsichten er nichts ahnte, in Hadersdorf ein geführt. Die Verlobung Hermas zerstörte nun Hasenauers Pläne. Mißmutig war er tief in den Garten hineingewandert und setzte sich auf eine stille Bank nieder, drehte sich eine Zigarette nach der anderen und überdachte die Sachlage, bis ihn der große Gong zusammen mit allen anderen unter die Linde rief. Johann und Marie, die Köchin, hatten ihr Bestes getan. Die Kaffeetafel war übervoll. Plötzlich erklangen an der unteren Seite der Tafel Hoch rufe, und zahlreiche Stimmen schrien: „Papa Woltmann kommt!" Und richtig — gleich darauf wurde die Gestalt des alten Herrn im Jagdloden und dem grünen Hut auch für die anderen sichtbar. Woltmann senior hatte die frohe Kunde schon vernommen, denn gleich, nachdem er Herrn und Frau Hochstätten begrüßt hatte, trat er auf Herma zu, schloß sie in jeine Arme und küßte sie auf Stirn und Wange. Dann gab er seinem Sohn die Hand. Beide sahen sich einen Augenblick an, und Willi errötete, als ihm der Vater sagte: „Gut gemacht, mein Junge! Du hättest nicht besser wählen können." Und doch blieben die ernsten Schatten auf dem Gesicht des asten Herrn und die Falten, die seit dem Tod der gelieb ten Frau sein Gesicht durchfurchten, glätteten sich nicht Der Ernst Woltmanns fiel auf, und eine eigentümlich fragende Stimmung begann sich auf die frohe Schar nieder- zusenken. Was hatte der alte Woltmann nur? Jetzt rief er gar Herrn Hochstätten zur Seite und führte ihn ein paar Schritte weg. Er schien ihm etwas mitzuteilen. Nein . . . wahr haftig . . . was war das? Der sonst so ruhige Hochstätten faßte in äußerster Aufregung den Arm seines alten Freun des. Und der nickte nur immer wieder ernst. In der Luft lag es wie die Ahnung bösen Kommens. Selbst Rolf, der Hund, war von der Spannung der Menschen angesteckt worden. Das Tier fühlte sie mit seinem unfehlbaren Instinkt, hörte auf, sich mit Else herumzubalgen und schaute gespannt auf seinen Herrn. Inmitten der Totenstille kamen die beiden zurück, dann wendete Hochstätten sich an die gespannt Wartenden: „Meine lieben Freunde! Es tut mir leid, unser schönes Fest stören zu müssen. Aber ich darf euch die tieftraurige Nachricht nicht vorenthalten, die Herr Woltmann mir eben gebracht hat . . . Erzherzog Franz Ferdinand und die Fürstin Hohenberg sind heute vormittag in Serajewo von einem serbischen Halunken ermordet worden." m. Der Totentanz. Wien war aus seinen Angeln gerissen. Der Stutzer riß dem Mann in der blauen Bluse die „Extra-Ausgabe" aus der Hand, und beide besprachen hitzig die neuesten Nach richten. Menschenmassen ballten sich zu Aufzügen. Arm in Arm mit dem Studenten und dem Ladenmädel stampfte der Professor und der Dienstmann durch die Straßen. Vom Asphalt stieg der graue, heiße Staub auf und legte sich aus die Stimmbänder der heiser brüllenden Menge. „Gott erhalte, Gott beschütze " Ein anderer Zug kreuzte aus der Seitenstraße herein „Heil dir im Siegerkranz " Dazwischen sang eine Gruppe: „Deutschland, Deutsch land über alles " Von der Ferne klang es wie die Symphonie des Grolles. „Auf zur russischen Botschaft!!!" In den Zugangsstraßen stießen sie auf eine vierfache Mauer von Polizei. Dahinter Berittene. „Pfui pfuuuuii!!!!" Wie heulender Sturm klang der Ruf. Ein paar Steine flogen. Fensterscheiben klirrten. Die hohe Sirene des Rettungswagen» zerriß die Luft. Und mitten hinein wuch tete plötzlich in der nächsten Straße das Vlechgeschmetter einer Militärkapelle. „Wir san vom k. u. k. Infanterieregiment " Die Menge ließ von der Polizei ab und wälzte sich jubelnd der Musik zu. Bänder auf Kappen, Brust und Arme, Sträuße aufs Gewehr gesteckt, zogen die Kompanien vorbei. Der Marschtakt dröhnte. In den Reihen liefen die Mädels mit und hingen an den Armen von Brüdern und Liebsten. Hüte flogen in die Luft. Wer sah die paar alten Mütter, die mithumpelten und in ihre Sacktücher weinten. Wir san vom k. u. k. Infanterie " „Hoch", „Hurra", „Eljen"! Staub, Geschrei, Musik, Trommelgeratter, Sonnenglut, Begeisterung, Menschengestampf * Woltmann hatte fünf Wochen nach der Verlobung seine Einberufung erhalten. Am Penziger Bahnhof stand ein langer Zug. Unend- sich viele Lastwagen und ein Personenwagen zweiter Klasse für Offiziere und Offiziersaspiranten. Willi beugte sich hinaus zu seinen Angehörigen. Auf seine ausdrückliche Bitte hin waren nur drei Menschen gekommen. Mama Hochstätten und Herma, beide in tiefem Schwarz der Trauer, und sein Vater, dessen Antlitz noch stärkere Furchen zeigte als früher. Woltmann bewunderte sie. So heldenhaft benahmen sich die drei. Die Damen Hoch stätten hatten erst vor wenigen Tagen den alten Herrn zum Friedhof hinausbegleitet. Zuviel war auf ihn eingestürmt. Gewaltige Summen standen von ihm in England, das einer der größten Abnehmer seiner Seide gewesen war. Von dort bekam er nichts herein. Der eigene Staat hatte seine Bank konten gesperrt, und seine Schuldner zahlten ihm nicht, da ein Gesetz jede Zahlung stundete. Eines Tages konnte er, der vielfache Millionär, am Sonnabend seine Arbeiter nicht mehr auszahlen. Das war bei der Firma Hochstätten in den neunzig Jahren ihres Be stehens noch nicht vorgekommen. Er telephonierte mit dem Bezirkshauptmann seine Fabriken lagen in Mähren dann mit dem Statthalter. Alles vergebens. Die Aufregung war für ihn, dessen Herz nie zu den stärksten gezählt hatte, zuviel. Mit dem Telephonhörer noch m der Hand fand ihn sein Sekretär vor dem Schreibtisch seines Wiener Bureaus, und das Auto führte seinen toten Herrn das letzte Mal hinaus nach Hadersdorf. Nun standen die beiden Frauen vor dem Fenster des Wagens, aus dem Woltmann sich herausbeugte, und fanden den Mut, mit ihm in ruhigem Ton zu plaudern, als ob er zu einem Ausflug fahre. Der Vater hielt mit, und Willi wußte, daß ihm das Herz blutete. Er hätte aussteigen mögen, um den Boden zu küssen, auf dem die drei standen. Doch er überwand sich und sagte in leichtem Ton: „Kinder, sorgt euch nicht. In drei Monaten ist die Geschichte vorüber. Beim Christbaumanzünden helfe ich schon wieder mit." Und die drei nickten gläubig. Sie glaubten es damals wirklich. Dann pfiff die Lokomotive, die Räder kreischten im Anruck, Willi streckte beide Hände hinaus, ein rascher Druck, der Zug fuhr, und Willi sah noch einmal in das geliebte Gesicht, das sacht zu ihm hinauflächelte und über dessen lächelnde Wangen nun langsam und zögernd die über quellenden Tränen herunterperlten. Ein Blick noch in das Gesicht seines Vaters, der ihn ernst und unbeweglich mit dem Hut grüßte, und in dessen Augen das Leid des Mannes stand, der nicht weinen darf, wenn das Letzte, das Liebste was ihm noch geblieben, aus seinem sinkenden Leben weg- zieht. Noch war der Zug erst ein paar Meter weg. Woltmann blickte auf Herma, und sein grüßender Arm, der das Käppi schwang, erstarrte in der Luft. Er sah, wie die Augen des geliebten Mädchens sich schlossen, wie sie zu wanken begann, und er winkte mit entsetztem Gesicht seinem Vater zu und zeigte auf Herma. Der alte Woltmann wandte sich um und hatte gerade noch Zeit genug, um die Ohnmächtige in seinen Armen aufzufangen. Der Zug fuhr um eine Biegung, und Woltmann sank in seinen Sitz zurück. Es war bereits Abend geworden, als sein Blick zufällig auf die Tür fiel. Hinter dem Glasfenster stand sein „Pfeifen deckel" — fein Offiziersbursche, und machte eine behutsame Bewegung, die andeuten sollte, daß er den „Herrn Leut nant" gerne sprechen möchte. Woltmann stieg über die Beine seiner schlafenden Kameraden und folgte dem Burschen bis zur Hinteren Plattform des Wagens. Dort zog dieser einen Brief heraus und reichte ihn Woltmann. „Herr Leutnant, melde gehorsamst, diesen Brief hab ! ich heut' nachmittag am Bahnhof beim Wegfahren von einer Dame gekriegt." Woltmann sah ihn verständnislos an. Dann nahm er den Brief, riß den Umschlag auf und las zuerst die Unter schrift, die ihn sichtlich verblüffte. Dann gab er dem Burschen eine Krone und ging in den Seitengang zurück. Bei einer etwas besser brennenden Lampe blieb er stehen und las. Dabei verzog sich seine Stirn und seine Augen vor Arger. Für ihn war die Sache unbegreiflich. Er steckte den Brief ein, lehnte sich an das Fenster und dachte nach. Was wollte denn dieses Mädchen von ihm. Wieso kam Martha Steiger dazu, ihm solch einen Brief zu schreiben? Einen glühenden, überschwenglichen Liebesbrief! Wie durfte sie es wagen, ihn plötzlich zu duzen? „Geliebter Willi!" Und dann sechs mit kleiner Schrift vollgeschriebene Seiten mit den heißesten Beteurungen ewiger Liebe. „Wie glück lich wäre ich, einmal deine Arme um meinen Hals und deinen Körper an dem meinen zu fühlen !!!!!!" Mit sechs Ausrufungszeichen dahinter. Woltmann, in dessen Herzen eine Herma thronte, war empört. Daß eine Frau sich einem Mann so an den Hals werfen konnte, das war ihm neu und ekelte ihn an. Endlich beschloß er, nicht-mehr darüber nach zudenken, und legte sich auf eine Bank zur Ruhe. — Nach achtundvierzigstündiger Fahrt war der Transport zug in Galizien angelangt. Alles heraus! Menschen und Pferde waren froh, aus den rollenden Gefängnissen zu entkommen. Erst gab es einen Wirrwarr, aber bald kam Ordnung in die Sache. Der Ritt meister rief die Offiziere zusammen und öffnete feierlich den versiegelten Brief mit der Marschorder. Dann nahm er eine Generalkarte, besprach den einzuschlagenden Weg, und die Eskadron brach auf, dem unbekannten Norden zu. Sie ritten vorläufig ohne Deckungen. Das Regiment war min destens noch zweieinhalb Tage weiter vorne. So tief waren die Österreicher in Ruhland eingedrungen. Nach etwa einer Stunde überschritten sie die Grenze. Ein eigenartiges Gefühl beschlich Woltmann, als er auf der einen Seite der Straße den österreichischen Adler und auf der anderen den russischen sah. Als Feind ritt er in das Land ein, das seiner Mutter geliebtes Vaterland gewesen war' Er kannte das Land. Er hatte manchen Sommer auf dem Gut seines Großvaters und nach dessen Tod auf dem seines Onkels zugebracht. Es lag bei Rybinsk an der Wolga. Sie kamen durch eine russische Ortschaft, die noch nicht geräumt war. Sie kochten ab, und die Bewohner umstanden sie in weitem Kreis. Woltmann hörte zum ersten Mal wieder die ihm so vertraute Sprache seiner Mutter. Ohne sich darüber Rechenschaft zu geben, warum, stellte er sich so. als ob er kein Wort verstünde. Ja, natürlich, warum sollten die Leute schließlich wissen, daß er sie verstand? Damit hätte er sich höchstens einer Unzahl neugieriger Fragen ausgesetzt. Noch als sie wegritten, ging ihm die Sache durch den Kopf, und er beschloß, auch seinen Kameraden gegenüber kein Wort über seine Kenntnis der russischen Sprache zu verlieren. Beim Generalstab war es ja sowieso bekannt, denn da lag sein Grundbuchblatt, und darauf standen alle Sprachen, die jeder kannte, verzeichnet. Es widerstrebte ihm, sich als eine Art Spion gebrauchen zu lassen. Kämpfen war etwas anderes als Spionieren. Sie ritten durch das feindliche Land. Endlich kamen sie an ihr vorläufiges Endziel, ein halb zerschossenes Dorf hinter der Front. Woltmanns Eskadron kam nicht sofort ins Gefecht. Zuerst ließ man sie noch ein paar Tage rückwärts im Dorf liegen. Die Offiziere konnten sich dabei den Genuß erlauben, wieder einmal ausgezogen in einem Bett zu schlafen. Am Tag nach ihrem Einrücken ins Dorf hatte Willi keinen Dienst, und sein Erstes war, an Herma und Vater zu schreiben. Er schrieb so. wie alle damals schrieben. Gefahren bestanden nicht, das Wetter war schön, das verlassene Dorf malerisch aber dreckig, kurz, ohne die blödsinnige Schießerei wäre der Krieg eigentlich ein sehr hübscher Ausflug gewesen. Im Brief an Herma kamen dann freilich noch zwei engbeschrie- bene Seiten, die von der ganzen Kraft seiner Liebe zeugten. In den wenigen Wochen seit seiner Verlobung waren seine Gefühle für sie stärker, tiefer geworden. In die jubelnde Liebe zweier junger, stolzer, lebensfreudiger Menschen war der Schmerz und die Sorge getreten. Nachdem er seine Briefe geschrieben hatte, begann er Langeweile zu empfinden. Nochmals an Herma schreiben, das ging doch nicht. Er lieh sich von seinem Burschen zeigen, wie man Zigaretten dreht. Auch diese Kunst war bald gelernt, und als er in die Tasche griff, um sich sein erstes Meisterwerk anzuzünden, fühlte er ein Papier darin. Er zog es heraus, erkannte es als den Brief von Martha Steiger, warf ihn auf den Tisch und entließ den Burschen. Dann nahm er das Geschreibsel zur Hand und las es noch mals von Anfang bis zu Ende durch. Er begriff es auch jetzt noch nicht, aber immerhin be gann sich in seinem Innern erst nebelhaft und dann fester eine Meinung zu formen. Um dieses Problem zu lösen, suchte er zunächst einen Ausgangspunkt. Diesen glaubte er darin gefunden zu haben, daß er Martha eigentlich recht milde behandelt hatte. Für ihn war das damals eine Selbst verständlichkeit gewesen. Wenn ein armes Ding einmal stiehlt, um seiner kranken Mutter zu helfen, so muß man sie deswegen nicht sofort der Polizei übergeben. Hierbei vergaß Woltmann allerdings, daß er ja gar nicht festgestellt hatte, ob dies wirklich ihr erster Diebstahl gewesen war und ob sie wirklich zu Hause eine kranke Mutter hatte. Immerhin glaubte er richtig zu schließen, daß sein unerwartet gutmütiges Benehmen einen starken Ein druck auf das Mädchen gemacht habe. Ein empfängliches Gemüt schien sie auch zu besitzen. Der erste Eindruck dürfte darin weitergearbeitet und sich vertieft haben, bis er in ihrer Phantasie die Gestalt eines Mürchenprinzen angenommen hatte. Dann der Kriegsausbruch und die Kriegspsychose — der einzige, wenigstens teilweise richtige Schluß von ihm — ihr Held muh in den Streit ziehen, vielleicht sogar in den Tod. Das aufgespeicherte Gefühl entlädt sich in einem über schwenglichen Brief. Eigentlich tat ihm die Person leid. Er, der nun selbst wußte, was Liebe bedeutete, fand es traurig, daß die Liebe eines anderen hoffnungslos war. (Fortsetzung folgt.)