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Dienstag, den 23. August 1932 Pulsnitzer Tageblatt 84. Jahrgang, Nr. 197, Seite 2 Eine Kirche durch Blitzschlag eingeäschert Stendal, 23. Aug. (Funkmeldung) Bei einem heftigen Gewitter am Montag nachmittag schlug der Blitz in die zum Ritter gut Billberge gehörende Kirche. Der Ein schlag wurde erst festgestellt, als bereits die Flammen aus der Kirche herausschlugen. Die Feuerwehren konnten nicht mehr viel aus richten, obwohl angesichts der nahe vorbei fließenden Elbe die Löscharbeiten wesentlich erleichtert wurden. Die Kirche wurde völlig ein Raub der Flammen. Das Inventar der Kirche wurde größtenteils gerettet, jedoch sind die Orgel und die Glocken vernichtet worden. Schwere Vergiftungen in einer Kantine. Saarbrücken, 23. August Wie aus dem lothringischen Garnisonort Mörchingen gemeldet wird, sind dort 60 Per- Ionen unter schweren Vergiftungserscheinun gen erkrankt. In der Kantine der Unteroffi ziere des 23.Tirailleur-Regiments wurde nach dem Essen ein Gebäck gereicht, das allem An schein nach verdorben war. Nach wenigen Stunden stellten sich bei etwa 30 Sergeanten Vergiftungserscheinungen ein. Auch eine gleichgroße Zahl von Angehörigen verschie dener Offiziersfamilien ist erkrankt. 30 Per sonen kamen ins Krankenhaus, wurden aber, da man ihnen hier nicht die notwendige Pflege angedeihen lassen konnte, nach Nancy übergeführt. Todesfälle sind bisher noch nicht zu verzeichnen. Eine Untersuchung ist einge leitet. Lustmord Berlin. An der Eisenbahnstrecke Spandau- Nauen machten am Sonntagvormittag Spa ziergänger zwischen den Stationen Finken krug—Falkensee einen grauenhaften Fund. Unweit der Gleise lag unter einem Gebüsch die nackte Leiche eines etwa 16jährigen. Die Kehle des Toten war durchschnitten, außer dem wies die Leiche noch mehrere Ver letzungen auf, die auf einen Lustmord schließen lassen. Herbeigerufene Landjäger aus Falkensee alarmierten die Berliner Mord kommission, die bis in die Nacht hinein am Tatort weilte. Der bisherige Befund ergab lediglich, daß der Knabe bereits am Freitag oder Sonnabend ermordet worden sein muß. — Wie die Morgenblätter ergänzend melden, hat man außer zwei Rasiermessern am Tat ort auch ein Notizbuch gefunden, das auf der ersten Seite den Namen „Kurt Schöning, Lichtenberg" trägt und aus dessen Inhalt hervorgeht, daß es sich bei den Notizen um Aufzeichnungen eines ehemaligen Fürsorge zöglings handelt. Der Hals des Toten war von einem Ohr bis zum anderen durch schnitten. Die Leiche des Knaben wurde in zwischen nach dem Schauhaus gebracht. Die Mordkommission ist fieberhaft mit der Suche nach dem Täter beschäftigt. Der Vater des Ermordeten wurde noch in der Nacht zum Montag ins Polizeipräsidium bestellt und dort vernommen. Jedoch konnte er keinerlei auf schlußreiche Aussagen machen. Folgenschwere Brandstiftung Moskau. Ein aus der Kollektivwirtschaft der USS. ausgestoßener Bauer steckte aus Rache die Wirtschaftsgebäude der Kollektiv wirtschaft in Brand. Durch den Wind wurde das Feuer nach dem Dorfe getragen; 42 Bauernhäuser verbrannten, vier weitere Kollektivwirtschaften wurden ebenfalls durch das Feuer zerstört. Der Brandstifter und seine Frau wurden verhaftet. Sie werden von dem Kollegium der OGPU. abgeurteilt werden. Aeuer Landlagspräsidenl in Thüringen Weimar, 23. Aug. (Funkmeldung) Der thüringische Landtag wählte in seiner ersten Sitzung mit den Stimmen der Natio nalsozialisten, des Landbundes und der Deutschnationalen den nationalsozialistischen Bürgermeister M a r s ch l e r - Ohrdruf zum Landtagspräsidenten. Da die Nationalsozia listen sich nicht entschließen konnten, den Sozialdemokraten als zweitstärkster Fraktion den Vizepräsidenten zu überlassen, wurde mit gleicher Stimmenzahl sodann der bisherige Landtagspräsident von Thümmel (Landbund) zum ersten Vizepräsidenten ge wählt. Als zweiten Vizepräsidenten schlugen die Nationalsozialisten den Abg. Studienrat Hille-Hildburghausen vor, der ebenfalls mit Mehrheit gewählt wurde. * Würdeloser Verhalten der Kommunisten Weimar, 23. Aug. (Funkmeldung) Vor Beendigung der ersten Sitzung des neugewählten thüringischen Landtages kam es zu einem peinlichen Zwischenfall. Der neue Landtag gedachte der Todesopfer der „Niobe" in ehrender Weise, indem sich sämtliche Ab geordneten bis auf die Komunisten von ihren Plätzen erhoben. Nach dieser Ehrung rügte Landtagspräsident Marschler unter Pfui- Rufen des Hauses das Verhalten der Kom munisten. Er schloß die gesamte Fraktion, da ihr Verhalten die Würde des Hauses verletze und das deutsche Volk mißachte, auf drei Tage von den Sitzungen aüs. Die Lehrberechtigung entzogen Heidelberg, 23. Aug. (Funkmeldung) Gegen den a. o. Honorarprofessor vr. Gumbel, der an der Universität Heidelberg über Statistik las, schwebte ein Untersuchungs verfahren wegen einer Äußerung, daß das Kriegerdenkmal gewissermaßen eine einzige große Kohlrübe sein müßte. Nach Ab schluß der Untersuchung haben, wie jetzt amt lich mitgeteilt wird, der engere Senat und die philosophische Fakultät einstimmig beantragt, Prof. Gumbel die Lehrberechtigung zu entziehen. Das badische Unterrichts ministerium hat diesem Antrag stattgegeben. Prof. Gumbel scheidet damit sofort aus Lem Lehrkörper der Universität aus. Der Oberkommiffar von Spanisch-Warokko verhaftet London, 23. Aug. (Funkmeldung) Wie aus Tanger gemeldet wird, ist dort der Oberkommissar der spanischen Zone in Marokko, Ferrer, bei feiner Rückkehr von einer Urlaubsreife verhaftet worden. Er wurde am Sonnabend unter militärischer Be gleitung nach Algeciras gebracht. Ein Blitz schlägt in eine Moschee Belgrad. Ein heftiges Gewitter, das sich am Freitag abend über Pec, einer in der Nähe der albanischen Grenze gelegenen Stadt, entlud, richtete durch das Zusammen treffen mehrerer unglücklicher Umstände heftige Zerstörungen an. Ein Blitz schlug in das Minarett gerade in dem Augenblick, als der Muezzin die Gläubigen zum Gebete rief. Der Muezzin war auf der Stelle tot, ein zweiter Blitz, der dem ersten unmittelbar folgte, schlug in das Dach der daneben liegen den Moschee und schmolz die Bleiausgießun gen der Dachziegel. Die Folge davon war, daß die Moscheekuppel einstürzte und zahl reiche Gläubige unter sich begrub. Drei Tote und viele Schwerverwundete wurden aus den Trümmern hervorgeholt. „Gehet hin in alle Welk . . ." Die Herrnhuter Brüdergemeinde beging am vorigen Sonntag das 200jährige Jubiläum ihrer Missionstätigkeit. Am 21. August 1732 entsandte sie die ersten Missionare nach St. Thomas in Westindien. Unser Bild zeigt das Hauptgebäude der Herrnhuter Brüder gemeinde, deren Heidenmission und weitverzweigtes Erziehungswesen in der Geschichte der christlichen Welt eine bedeutende Rolle spielt. Eine nekke Hochzeitsfeier Tilsit. Vor einigen Wochen machten drei Tilsiter auf einem Spaziergang gelegentlich einer Hochzeitsfeier Krach und wurden durch einen Schupobeamten zur Ruhe gewiesen. Diese trat bei den dreien nun aber keines wegs ein, im Gegenteil, sie ohrfeigten den Polizisten, drangen mit Zaunlatten auf ihn ein, entrissen iym das Seitengewehr und schlugen ihn blmig, so daß er erheblich ver letzt wurde. Wegen gemeinschaftlicher Körper verletzung flanoen Lie drei nun vor dem Tilsirer Schöffengericht, das gegen einen der Schuldigen ein Jahr, gegen die beiden anderen je drei Monate Gefängnis verhängte. Schwerer Verkehrsunfall Dortmund. Auf dem Ostwall ereignete sich ein schwerer Verkehrsunfall. Ein in mäßigem Tempo fahrender Lastzug mit Anhänger ge riet auf der Lurch den Regen schlupfrigen Straße ins Schleudern uno rutschte etwa zwölf Meter weit über den Bürgersteig gegen eine Hauswand. Drei Personen wurden von Lem Lastzug erfaßt und gegen die Wand ge drückt. Der 50 Jahre alte Invalide Emil Brinkmann erlitt fo schwere Verletzungen, daß er schon auf dem Transport zum Krankenhause starb. Zwei Personen wurden leicht verletzt. Dresdner Produktenbörse 22. Auaust 19. August Weizen, 76 kx neu 2 5.00—210 00 S07.00 212,00 Roggen, 74kx IÜ7,'N I62.u« 159.00- 164 00 Futtergerste 160.0O-I7O.OO 160,00-170/ 0 Wintergerste 150.00 - 160,00 150,00-16^,00 Sommergerste 180,00-195,00 — Hafer, tnl. 160,00-166,00 160,00-166.00 Hafer, unberegnet — — Wicken — Mais, La Pl. — — Mats, Ctnq. — — Lupinen, blaue — — Lupinen, gelbe — — Peluschken — Erbsen, kl., g. — — Rotklee,Siebend- — — Rotklee, schieb — — Trockenschnitzel 9,50-9,70 9,50 9,70 Kartoffelflocken — — Futtermehl 12,50-13,50 12,50—18,50 streu«!«»? RitrltM Weizenkleie 9.70—10.00 9.91-10,20 Roggrnkleie 9.60 10.80 9,80-ll,00 Kaiser-Auszug 39.50-41,50 40 00 42,00 Bäckermundmchl 34,50-36,50 35,00-37.00 önlandweizen- mehl, 70"/, 36,75- 38,75 37.00 39 00 Griesler. 24,00-25 50 24.00 2b SO Roggenm. 60"/, 26,50-27,50 37.00- 2» 00 Roggenm.7O"/, — — Rongennachmehl — — Wie wird das Wetter? Deutschland wird, abgesehen von seinen südlichen Gebieten, von Nord- und Ostsee winden getroffen, welche hauptsächlich bewölk tes, wenn auch nahezu niederschlagsfreies Wetter bedingen. Die Temperaturen liegen am Dienstagmorgen 8 Uhr um durchschnitt lich 2 Grad niedriger als vor 24 Stunden und reichen von 15—21 Grad. Das nordwest liche Hoch ist uns näher gerückt, während sich das gestern erwähnte flache Nordseetief ost wärts bewegt. Vorhersage für Mittwoch. Zeitweise auffrischende Winde aus West bis Nord. Mäßig bis stark bewölkt. Etwas kühler. Auftreten von meist leichten Nieder schlägen, die mit gewitterartigen Erschei nungen verbunden sein können. 4. Fortsetzung IV. Die beiden Knaben wuchsen heran, ohne sich in all den Fahren zu sehen. Zu verschieden waren die Wege ihrer Fugend. Der junge Prinz kam in die Erziehung von Hauslehrern und trat bereits mit seinem zwölften Lebensjahre als jüngster Leutnant in das sächsische Heer ein. Dort erhielt er nach alter Tradition seine militärische Ausbildung, zu der sich bald auch eine praktische Verwaltungslehrzeit bei der Dresdner Amts, uno Kreisbaupimannschaft gesellte. Auch im Landtag sah man den Prinzen, wie er an ven Arbeiten der damaligen Ersten Kammer die Politik des Landes stu dierte unv an den Beratungen teilnahm, die zu der Zeit regen, eigcustaatlichsn Lebens im Königreich Sachsen noch um Probleme kreiste, die heute längst nichts mehr in der Landespoliiik zu tun haben und von der Reichshauptstadt Berlin aus zentral behandelt zu werden Pflegen. Immer aber blieb der Prinz auch seinem Regimente treu. Er war schließlich Hauptmann ver siebenten Kom pagnie, von der er denn auch aus dcm aktiven Soldaten leben schied. Seinen Leuten war er ans Herz gewachsen. Er sah in jedem Soldaten einen Kameraden, und als er von ihnen Abschied nahm, sagte er in schlichter, allen Um schweifen abholder Weise, wie er sich oas Verhältnis zu ihnen dachte: „Wenn einer von Euch einmal in Not ist, so komme er nur zu seinem Hauptmann. Ich werde ihn nicht im Stiche lassen." So einfach in seinem Wesen, so gerade in seinem Den ken und so eng verwachsen mit den Leuten aus dem Volke, wie er als Knabe es in Pillnitz dem kleinen Friedrich stadter Jungen gegenüber gewesen war, so war er noch immer. Jener Junge aus Friedrichstadt aber hatte in zwischen fleißig die Volksschule besucht. Dort lernte er die Anfangsgrünve alles Wissens, Rechnen, Lesen und Schreiben, dort lernte er aber auch, ein braver und treuer Staatsbürger zu werden, lauschte den Erzählungen aus der Geschichte des nun geeinten Deutschen Reiches, hörte von dem großen Tag im Spiegelsaale zu Versailles und von den Schlachten, die drüben aus französischer Erde ge schlagen worden waren, bis Elsaß-Lothringen wieder deutsch geworden war. Wenn aber dann die Rede auf die Schlacht bei Beau mont kam, dann glänzten seine Äugen noch einmal so hell, unv wieder ward ihm der herrliche Abend lebendig, als er auf dem Arme des Vaters als fünfjähriger Bube dem Freunde zugewinkt, den er seitdem nie wieder zu Gesicht bekommen hatte. Vergessen aber batte er ihn nicht. Sobald er richtig lesen konnte, suchte er heimlich die Zeitung vom Schreib- sckretär des Vaters zu ergattern und stöberte darin so lange herum, bis er unter den Hosnachrichten ein paar Worte über ven Prinzen Friedrich August fand. Allzuoft kam dies freilich nicht vor. Aber der Knabe wußte doch, ob der Prinz in Dresden war oder in Pillnitz oder in Mo ritzburg draußen, wo das massige Schloß mit den runden Ecktürmen stand. Schon diese Wissenschaft aber genügte ihm. Er hatte freilich das Bild seines Kameraden nur so im Gedächtnis, wie er ihn damals am Fenster und zu vor in Pillnitz gesehen hatte, unv war, obgleich er selbst doch nun schon zwölf Jahre zählte, noch niemals auf den Gedanken gekommen, daß auch der Prinz jetzt ein Knabe in seinem Alter und von seiner Größe geworden war. Da passierte ihm eines Tages etwas ganz sonder bares. Als er über den Altmarkt schritt, begegnete er einem Soldaten, der ihn mit einem Male scharf anblickte, die Hacken zusammenriß unv den Jungen vorschriftsmäßig grüßte. Friedrich August gab das einen Heidenspaß. Er legte ebenfalls die Land an die Mütze, so wie er schon oft den militärischen Gruß beobachtet hatte, und lachte dem Sol daten vergnügt ins Gesicht. Dieser aber verzog nun keine Miene mehr. Er blieb wie angewurzelt stehen, solange ver Knabe vor ihm stanv, und erst, als sich dieser, nun ob der unerwarteten Ehrenbezeugung unsicher werdend, weiterwandte, folgte auch der Soldat dem unausgesproche nen „Rührt Euch" und schritt seines Weges weiter. Daheim erzählte Friedrich August das lustige Erleb nis den Eltern. Der Vater blickte nur tiefer in seine Zei tung und wußte nicht, ob er sich über des Knaben Er zählung freuen oder ärgern sollte. Der Vorfall gehörte nach seiner Meinung zu den Dingen, die sich besser nicht ereigneten, zumal ihm der Grund des Mißverständnisses, dem der brave Soldat zum Opfer gefallen war, sofort klar war. Die Mutter saß dabei, lächelte und sagte gar nichts. Am Abend aber, als der Vater im „Eishaus" an seinem Stammtisch saß, rief sie den Solin zu sich und zeigte ihm, ohne ein Wort zu sprechen, aber wieder mit dem feinen Lächeln auf den Zügen, ein Bild. Es stellte die Kinver des Prinzen Georg dar. Friedrich August Bergmüller ließ den Blick von einem zum anderen schweifen unv wußte nicht recht, war um ihm vie Mutter ausgerechnet zu dieser Stunde, wo er gerade im Begriffe war, zu Bett zu gehen und der Vater nicht daheim war, dieses Bild zeigte. Auf einmal aber blickte er erstaunt die Mutter an, ging dann, mit dem Bilde in der Hand, zum Spiegel unv sah abwechselnd einmal sich selbst und dann seinen prinzlichen Namensvetter auf dem Bilde an. Und dann brach er in ein richtiges jungenhaftes Lachen aus. Das war er ja selbst, der La auf dem Bilde stand. Ebenso jäh. wie das Lacken in Erinnerung an den Gruß des Soldaten ausgebrochen war, so jäh verstummte es auch. Der Knabe wurde nachdenklich und sagte dann zur Mutter: „Wir sehen ja einander ähnlich." 7 - „Wie ein Ei dem anderen", sagte Frau Adelheid und strich dem Sohne über Las Haar. „Nun weißt du es. Richte dich darnach." _