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Nr. 167. Pulsnitzer Tageblatt — Dienstag, 19. Juli 1932 Seite 3 44 496 279 (Kiimmberechiigte am 34. Juli. Ueber die mutmaßliche Zahl der Stimmberechtigten am 31. Juli 1932 wird von sachverständiger Seite mitgeteilt: Die Zahl der Stimmberechtigten in der Zeit zwischen dem ersten und zweiten Wahlgang der Reichspräsidentenwahl 1932 (23 Tage) ist von 43 934 481 um 112 360 auf 44 046 481 gestiegen. Auf einen Tag umgerechnet beträgt die Steige rung 4013 Stimmberechtigte. Hiernach würde die Zahl der Stimmberechtigten in der Zeit vom 11. April bis 31. Juli 1932 (112 Tage) um 4013X112 — 449 456 Stimmberechtigte auf 44 496 279 oder rund 44 500 000 steigen. Den Abschluß der Ostpreußenreise des nationalsozialisti schen Führers Hitler bildete ein Aufmarsch der gesamten ostpreußischen SA. in Königsberg. Hitler sprach über das -nationalsozialistische Programm. Sein Ziel sei die Beseiti- aung der anderen Parteien. Nicht nur etwa über die sechs Wochen der Regierung Papen, sondern über die ganzen letzten dreizehn Jahre müsse jetzt Rechenschaft abgelegt wer den. Das deutsche Volk müsse von dem Bruderkampf erlöst werden. Auf einer Kundgebung der Eisernen Front inItzehoe sprach Reichstagspräsident Löbe. Der Redner, der gegen die Nationalsozialisten heftige Angriffe richtete, sprach diesen das Recht ab, sich Arbeiterpartei zu nennen. Die Eiserne Front wolle keinen Bürgerkrieg, aber sie werde von den Nationalsozialisten dazu gezwungen. Nach seiner Ludwigshafenr Rede sprach Brüning in Frankfurt/Main. Er ging aus die Behauptung ein, daß er durch Staatssekretär Bergmann angeblich eine Schluß entschädigung von vier Milliarden für Lausanne habe an bieten lassen. Er bezeichnete diese Behauptung als un richtig. Zu der Frage einer Beteiligung des Zentrums an einer Rechtsregierung äußerte Brüning, er könne die SPD. Nicht hinter das Licht führen. Ohne nationalen Charakter leine nationale Kultur. vr. Joseph Goebbels sprach im Rundfunk über das Thema „Der nationale Charakter als Grundlage der natio nalen Kultur". Der Redner erklärte, das 20. Jahrhundert sei das Jahrhundert der Masse. Nicht sich von ihrem Willen lenken zu lassen, sondern ihr Gehalt und Gestalt zu geben, sei Aufgabe des Führers. Die nationalsozialistische Politik kenne keine Zugeständnisse, sie habe vielmehr den Charakter, der den demokratischen Parteien abginge. Was einst für den deutschen Eharakter kennzeichnend gewesen sei, sei jetzt wieder durch die nationalsozialistische Volksbewegung Merkmal des National- charakters geworden: Treue, Klugheit, Idealismus, Uneigen, nützigkeit und Gerechtigkeit. Keine Kultur gäbe es, die keinen Charakter habe. Die aus dem deutschen Volkscharakter be dingte und entstandene schöpferische Idee, die der größten Geistestaten fähig war, sei später mit dem Umsturz abgelöst worden durch den rechnerisch-kleinlichen Verstand. Jetzt sei aber die neue Bewegung gekommen, die wie keine andere zu- vor unterdrückt und schikaniert worden sei, und mit ihr hätten wir wieder einen Volkscharakter bekommen, aus dem eine neue nationale Kultur entspringen werde. Die Kräfte des Herzens würden siegen über die Kräfte der Vernunft und des Verstandes. Die guten Kräfte müßten geweckt werden, um eine neue geschichtliche Entwicklung einzuleiten. Erst ein Volk mit eigenem Eharakter finde den Weg zur Nation, den Weg zum verlorenen Selbstbewußtsein rurück. Hilse für die bäuerliche Vereötungswirischasi. Im Interesse der bäuerlichen Veredelungs- Wirtschaft und gleichzeitig zur Entlastung des Gerste n- marktes in den inländischen Ueberschußgebieten wird die angekündigte Verkoppelungsaktion von Inlandsgerste und Auslandsroggen durchgeführt. Die Deutsche Getreide- Handels-Gesellschaft wird bis auf weiteres Inlandsgerste in Verkoppelung mit den noch vorhandenen Beständen an Aus- landsroggen frachtfrei Vollbahnstation oder cik. Hafen des Mästers liefern. Der Abgabepreis für eine Tonn« Gerste plus eine Tonne Roggen beträgt zusammen 320 RM, wovon auf die Gerste ein Betrag von 170 RM, auf den Roggen von 150 RM entfällt. Der Durchschnittspreis für bas Futtergemisch stellt sich also auf 160 RM je Tonne. Da- mit ist ein Preis erreicht worden, der vom Standpunkt des Verbrauchers aus als günstig bezeichnet werden kann. Um für die Zeit des ersten Verkaufsdrucks den Absatz des in ländischen Futteraetreides nach Möglichkeit zu fördern, wird der Kaufvertrag so gestaltet, daß die Gerste sofort, d. h. Juli/ August 1932, der Roggen aber erst Dezember 1932/Ianuar 1933 geliefert wird. Das gerichtliche Rachspiel zum Attentat auf Nr. Luther. Berlin. Am Dienstag begann vor dem Schöffen gericht Berlin-Mitte die Verhandlung gegen den früheren Rechtsanwalt vr. Max Roosen und den Volks wirt Kertscher wegen des von ihnen am 8. April auf dem Potsdamer Fernbahnhof begangenen Attentats auf den Reichsbankprästdenten vr. Luther. Der Reichsbankpräsident Dr. Luthe» war, als er an diesem Sonnabendabend den Bahn steig des Potsdamer Bahnhofes betrat, um den Schnellzug nach Basel zu benutzen, von Kertscher beschossen worden. Glücklicherweise streifte die Kugel lediglich die Schulter des Reichbankpräsidenten, der die geplante Reise antreten konnte. Die beiden Täter, der 59jährige vr. Max Roosen und der Volkswirt Kertscher wurden sofort festgenommen. Dr. Roosen, der aus einer Hamburger Patrizierfamilie stammt und dessen Onkel früherer Finanzminister in Karls ruhe war, hatte sich vornehmlich mit wirtschaftlichen und finan ziellen Dingen befaßt. In seinem Kampfe gegen die Reichs- bank hat vr. Roosen zu verschiedenen Malen gegen den Reichsbankpräsidenten vr. Luther Strafanträge wegen Der- Atzung der Bankgesetze, wegen Betruges am Volke usw. er- stattet, vr. Roosen reichte in der Reichskanzlei Denkschriften ein, um durch diese zu zeigen, daß unsere momentane Reichsbankpolitik eine verfehlte sei. Gegen Reue Hochwajserverwüstungen Augsburg. In der Sonntagnacht wurden neuerdings Mittelschwaben und die angrenzenden Ge riete von einem furchtbaren und stundenlang anhaltenden Unwetter heimgesucht, das Bäche in reißende Ströme ver- wandelte und die Ernte teilweise vernichtete. Fünf Stunden tobte die Unwetterkatastrophe nordwestlich von Augsburg. Gewaltige Wassermassen sammelten sich im Berggelände des Ried und drängten tosend, alles mit sich reißend, zur Ebene. Besonders heimgesucht wurden die Marktflecken Holzheim und Altenmünster. Das Wasser erreichte hier eine Höhe von 1,50 Meter. In vielen Zimmern schwammen die Betten umher, die Grundmauern einiger Häuser wurden unterspült. Die Nordmauer des Friedhofes wurde von den gelben Fluten das Dorfbaches eingedrückt. Grabmäler und Kreuze stürzten mit der Mauer in die Tiefe. Zahlreiche Gröber wurden weggespült und Särge geöffnet. Die Totengebeine liegen weit verstreut umher. Zwei Kinderleichen schwemmte das Hochwasser fort. Die Unwetterkatastrophe setzte auch Altenmünster völlig unter Wasser. Die Dorfkirche von Weissingen stand bis zum Hochaltar in der schmutzigen Flut. Auch der Friedhof wurde überschwemmt. Hier wie auch in Altenmünster mußten zahl- reiche Häuser geräumt werden, und nur mit Mühe konnten sich die bereits schlafenden Bewohner aus dem ersten Stock werk retten. Der Hochwaldbestand litt großen Schaden. Hagelschlag vernichtete die Ernte zum größten Teil in der Gegend von Dinkelscherben. Zahlreiches Kleinvieh kam in dem Hochwasser um. Der Blitz schlug mehrfach ein. Auch das Allgäu wurde wieder vom Hochwasser heim- gesucht. In Grünenbach wurde durch Blitzschlag ein Bauernhof mit allen Vorräten und Nebengebäuden bis auf die Grundmauern eingeäschert. Der Schaden ist überall außerordentlich groß. Das ärgste Hochwasser seit 1887. Breslau. Die gesamte Provinz Niederschlesien wurde am Sonntag und in der Nacht zum Montag durch große Unwetter heimgesucht. Die schweren Gewitter hatten viele Brände durch Blitzschläge zur Folge, bei denen viel- fach die gesamte Ernte vernichtet wurde. Zwei Landwirte sind vom Blitz getötet worden; auch ist in vielen Fällen Vieh vom Blitz getroffen und getötet worden. Auf den Feldern und in den Gärten wurden durch die Regen güsse, die teilweise mit Hagelschlag verbunden waren, erheb liche Schäden angerichtet. Das Hochwasser nahm besonders wieder in der Oberlausitz einen Umfang an, wie er seit der Hochwasserkatastrophe von 1887 nicht mehr erlebt worden ist. Die Görlitzer Neiße ist in der Gegend von Deutschossig über die Ufer getreten. Infolge der schweren Wolkenbrüche, die kurz hintereinander in dieser Gegend nieder gingen, überschwemmte auch der Schwarze Schöps die Gegend und setzte mehrere Dörfer unter Wasser. In Meuselwitz standen die Wohnungen bis zu einem Meter unter Wasser, so daß die Bewohner teilweise in die oberen Geschosse der Häuser flüchten mußten. Einen unllberseh- baren Schaden hat das Wasser auch in Seifersdorf an- gerichtet, das in einer Breite von einem Kilometer und in einer Länge von vier Kilometern einem See gleicht. TeOntsAe Aotytlfe in der Oberlausth am Werl. Die in den letzten Tagen an zahlreichen Stellen des Reiches und vornehmlich in Mitteldeutschland nieder gegangenen Wolkenbrüche und Regenmassen haben zum Teil schwerste Schäden und^ Zerstörungen hervorgerufen. Wie stets bei solchen Anlässen, hat auch diesmal wieder der K a t a st r o p h e n h i l f s d i e n st der Technischen Nothilf« rettend eingegriffen. Durch den Rundfunk alarmiert, hat die Technische Nothilfe sofort nach Bekanniwerden der schweren Verwüstungen in der Ober lausitz ihre Helfer aufgeboten und ist seit Sonnabend Tag und Nacht an der Arbeit. Besonders handelt cs sich bei ihrer Tätigkeit um di« Abstützung von einsturzbedrohten Häusern, Bau von Not brücken, Ausbesserung von Straßendurchbrüchen, Flußbett regulierungen, Dammsicherungen und -befestigungen, Reini gung von Brunnen und Aufräumungsarbeiten. S^wer« Schad«« durch Wolkenbruch« in Tbürmocn. Das schwere Unwetter der letzten Tags hat besonders in Thüringen zahlreiche Gebiete betroffen. In der Gegend von Hermsdorf auf der Eisenbahnlinie Weimar—Gera richteten Wolkenbrüche unübersehbaren Schaden an. Zahlreiche Häuser haben Schaden gelitten, viele sind vom Einsturz bedroht. —> Ein Gasthaus, dessen eine Seite von den Fluten aufgerissen wurde. vr. Roosen wurde zunächst das Ermittlungs verfahren wegen versuchten Mordes ein- aeleitet. Da vr. Roosens Behauptungen, daß er nicht die Absicht gehabt habe, den Reichsbankpräsidenten zu töten, sondern er habe lediglich auf sich aufmerksam machen wollen, um in einer Gerichtsverhandlung seine Stellungnahme zur Reichsbankpolitik mitteilen zu können, nicht zu widerlegen waren, ist die Klage lediglich wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben worden. Regierungskrise in Oesterreich? Wien. Die Annahme, daß der neue französische Erpres sungsversuch in Oesterreich zu einer Regierungskrise In Wien führen kann, wird schon heute beinahe zur Gewißheit. Mitt- woch wird die Regierung Dollfuß den Versklavungspakt dem Nationalrat vorlegen. Es gilt als so gut wie ausgeschlos sen, daß es der Regierung gelingt, für diesen Vertrag eine Mehrheit zu finden. Darüber hinaus ist es sogar möglich, daß bis dahin die nationalen und rechts eingestellten Minister des Kabinetts ihren Rücktritt einreichen. So beabsichtigt der Vertreter des Heimatschutzes in der Regierung, Handels- Minister Or. Jako neig, und die dem rechten Flügel der Christlich-Sozialen Partei angehörenden Minister vr. Rin- telen und vr. S ch u s ch n ia g, vielleicht noch vor der Par- lamentssitzung am Mittwoch ihren Rücktritt zu erlären, da sie es als mit ihrer persönlichen und nationalen Ehre für unver einbar halten, einem derartigen Diktat zuzustimmen. Sollten die genannen Minister tatsächlich ihre Rücktritts absichten verwirklichen, dann wäre natürlich die Stellung des Bundeskanzlers vr. Dollfuß unhaltbar geworden, und auch die Anleihe als solche würde dann zu Fall kommen. Kein Wort von Gleichberechtigung. Französisch englisch-amerikanische Einigung in Genf. Ministerpräsident Herriot hat der französischen Presse nachfolgende Mitteilung über den gegenwärtigen Stand der Abrüstungsverhandlungen gemacht: In den letzten Besprechungen zwischen der französischen, der englischen und der amerikanischen Abordnung ist im großen eine grundsätzliche Einigung zustandegekommen. In den grund sätzlichen Punkten ist ein Ergebnis erzielt worden, das weitgehend dem französischen Standpunkt Rechnung trägt. In der Vertagungsentschlietzung der Abrüstungskonferenz wird festgestellt, daß in der ersten Phase der Konferenz über folgende Punkte eine allgemeine Einigung erzielt worden ist: 1. Begrenzung der Tonnage der Tanks; 2. Verbot der Gas-, chemischen und Brandwaffen; 3. Schaffung eines ständigen Kontrollausschusses, der über die Durch führung des künftigen Abrüstungsabkommens wachen soll. Ferner wird das am 22. September ablaufende Rüstungsfeierjahr vorläufig auf vier Monate weiter ver längert. Keine Einigung besteht über folgende drei Fragen: 1. Tas Verbot der Bombenflugzeuge; 2. Die Beschränkung der effektiven Truppenbestände; 3. Die Flottensrage. In der Venagungsentschließung werde eine besondere Klausel angenommen werden, daß die in der ersten Phase der Abrüstungskonferenz erzielten Ergebnisse in keiner Weise weilergehenden Abrüstungsmaßnahmen in der zweiten Phase der Abrüstungskonferenz Vorgriffen. Aufsehenerregende Rundfunkrede des Zeitungskönigs Hearst. Scharfer amerikanischer Ausfall gegen Frankreich und England. New Pork. Der amerikanische Zeitungskönig Hearst, einer der Führer im Kampfe gegen die Streichung der alliier- ten Schulden, hielt Sonntag nacht eine über ganz Amerika verbreitete Rundfunkrede, in der er mit größter Schärfe di« Alliierten angreift, die Deutschland bis zur Grenze des Er träglichen mit Reparationslasten belastet und seine Wohl habenheit ruiniert hätten und jetzt ihre Schulden auf Amerika abzuwälzen versuchen. Bemerkenswert ist, daß Hearst offen ausspricht, daß nach seiner Meinung Deutschland nichts mehr an die Alliierten zahlen könne. „Wir haben Tausende von Millionen Dollar für den Krieg ausgegeben", so heißt es in der Rede. „Wir haben den Alliierten Anleihen gegeben, damit sie den Krieg über haupt führen konnten, und weitere Millionen, damit sie sich nach dem Kriege wieder erholen konnten. Wir haben ihre Rückzahlungsversprechen nicht in Frage gestellt. Sie gaben uns ja das Ehrenwort — sofern sie Ehre hatten. Schließlich entschieden sich die Alliierten dafür, einen großen Teil ihrer riesigen Schuldenlasten Deutschland aufzuhalsen, einen an deren Teil auf die Vereinigten Staaten, die doch schließlich den Krieg gewonnen haben, abzuwälzen. Nun kann Deutsch land nicht mehr zahlen. Die Alliierten haben das ganze Vermögen, das Deutsch land hatte, aus Deutschland herausgezogen. Daraufhin entwickelten die Alliierten einen neuen großarti gen Plan, um nicht für den Krieg bezahlen zu müssen. Sie wollen auch uns das Vermögen wegnehmen. Sie wollen die Hälfte ihrer Schulden, die noch verbleibt und die sie uns schuldet, nicht anerkennen. Das würde uns zwar eine Generation lang in finanzieller Knechtschaft halten, aber die Europäer denken, Uncle Sam, dem geschenkbeladenen Weihnachtsmann, werde das nichts ausmachen. Die Europäer haben ein Gentlemen-Abkommen abge- schlossen, um die unehrliche Schuldcnstreichungspolitik Ame- rika gegenüber zu forcieren. Wie kann ein Gentlemen-Ab kommen zwischen Betrügern abgeschlossen werden? Wie kann der ein Gentleman sein, dessen Ehre wertlos ist? Laßt uns diesen Geheimbund etwas deutlicher und erkennbarer be nennen: eine mit offener Gemeinheit zusammengekommene Verschwörung von Europäern und mit ihnen verbündeten Amerikanern, das amerikanische Volk zu berauben."