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Pulsnitzer Tageblatt 84. Jahrgang Beilage z« Rr. 158 Freitag, den 8. Juli 1932 Nahrungsfreiheit. Die um 10—15 Prozent größere Ernte dieses Jahres bringt eine einschneidendeWendungin unserer Ernährungslage: Zum erstenmal sind dank der konse quent durchgeführten Umstellung der deutschen Landwirtschaft auf größeren Weizenanbau und verminderten Roggenanbau und dank dem guten Ernteausfall die Brotgetreidemengen im eigenen Land erzielt worden, die zur deutschen Bedarfs- deckung während des ganzen kommenden Versorgungsjahrs ausreichen. Zum,erstenmal ist damit für Getreide die erstrebte Nahrungsfreiheit, die Unabhängigkeit in der Ge treideversorgung vom Ausland Wirklichkeit geworden. Jetzt heißt es all die Mittel anwenden, die notwendig sind, um den reichen Ernteertrag zu einem rechten Erntesegen für Erzeuger und Verbraucher zu machen. Dazu wurde die Grund- läge geschaffen, durch das jetzt von der Reichsregierung be- ^anntgegebene Programm der Erntesicherung. In zweifacher Hinsicht ist diese Sicherung theoretisch vorge- sehen: einmal durch Schaffung von Unterbrin gungsmöglichkeiten für die Ernte während des ganzen nächsten Wirtschaftsjahrs und durch Beseitigung des besonderen Angebotsdrucks unmittelbar nach der Ernte, d. h. in den entscheidenden Monaten von Juli bis einschließlich September; zum anderen durch die Bereitstellung genügender Geldmittel für die Erntebergung und -einlagerung. Diese Maßnahmen in der Praxis zielbewußt durchzuführen, das muß in den kommenden Monaten die Auf- gäbe der Landwirtschaft, der landwirtschaftlichen Genossen schaften und der landwirtschaftlichen Kreditinstitute sein. Die Voraussetzung für die Unterbringung der neuen Rekordernte war die Räumung der Läger von den letzt jährigen Getreiderestbeständen, die durchgeführt ist. Um der neuen Ernte im Verlauf des Persorgungsjahres 1932/33 ausreichenden Absatz zu sichern, ist zunächst einmal der Vorzugszoll von 12,25 Reichsmark für ausländischen Hartweizens für die Grieß-, Grützen- und Maccaroni herstellung auf RM 16,— erhöht werden. Dadurch kann entsprechend dem Verbrauch von Hartweizen während des letzten Wirtschaftsjahres ein zusätzlicher Absatz von rund 150 000 Tonnen deutschen Weizens erzielt werden. Der Vermahlungssatz für Inlands weizen ist, um eine genügende Ausnutzung zu gewähr leisten, für die Dauer des ganzen Wirtschaftsjahres auf 97 Prozent festgesetzt. Nur solche Mühlen, die etwa 230 000 Tonnen deutschen Weizen Uber die normale Vorratswirt schaft hinaus für vier Monate von ihren übrigen Vorräten getrennt fest einlagern werden und damit eine Entlastung des Weizenmarkts gleich nach der Ernte vornehmen, soll die Vermahlung in Höhe von 30 Pro zent von solchem Auslandsweizen zugelaffen werden, der im Wege des Austauschverfahrens, also als Er- satz für in gleicher Menge ausgeführten Inlandsweizen, ein geführt worden ist. Zur weiteren Minderung des Ange bots und damit des Preisdrucks für Brotgetreide in den ersten Erntemonaten werden ab 1. August d. I. für Weizen, Roggen und daraus hergestellte Müllereierzeugnisse Aus - suhrscheine eingeführt, die zur späteren Wiedereinfuhr der entsprechenden Menge der gleichen Getreideart berech tigen. Ein System, das bereits im Vorjahr mit Erfolg an gewandt worden ist, dem aber in diesem Jahre meng.n- mäßig einige Schwierigkeiten entgegenstehen durch die im Laufe des Jahres vorgenommenen Zollerhöhungen und Ein fuhrbeschränkungen des Auslandes. 1lm dem Ausfuhrschein wesen einen besonderen Anreiz zu geben, ist bestimmt wor den, daß die Wiedereinfuhr zollfrei erfolgen kann, vorausgesetzt, daß die Getreidemengen bis zum 3 1. O k - tober 1932 ausgeführt worden sind. Weiterhin ist einer Minderung des Angebots dadurch der Weg geebnet worden, daß man den Landwirt durch Verlängerung des Vollstreckungsschutzes, durch Einwirkung auf Kreditinstitute und Osthilfetreuhänder in Richtung einer ganzen oder teil weisen Verlagerung von Schuldfälligkeiten entsprechend der tatsächlichen Verwertung der Ernte vom Druck seiner Gläubiger befreit, ferner durch erhebliche Rediskontkredite die Möglichkeit einer Bevorschussung von Lieferverträgen auf Getreide schafft und dem Landwirt die freie Wahl des endgültigen Verkaufs termins und Verkaufspreises innerhalb einer Dreimonats frist überläßt oder aber ihm die Möglichkeit einer Einlage rung und Lombardierung der Orderlagerscheine anheimstellt. Gestützt auf die Erfahrungen des Vorjahres, in dem viel fach von einer Einlagerung in größerem Umfang wegen der damit verbundenen hohen Kosten abgesehen wurde, sind ein mal die Lagerkosten erheblich gesenkt worden, zum an dern die Bevorschussungssätze für eingelagertes Getreide auf 70 Prozent und die Lombardierungsgrenze wesentlich herauf gesetzt worden. Gleichzeitig ist eine Zinsverbilligung in Höhe von 2 Prozent vorgesehen für die Zwischenkredite, die sich der Landwirt beschafft, um daraus seine fälligen Ver pflichtungen abzudecken, und den er erst zurückzuzahlen braucht, wenn er sein Getreide tatsächlich veräußert hat. Für die zweite Hand, d. h. für Mühlen, Handel und Ge nossenschaften, die für eine möglichst große Lagerbildung und Lagerhaltung gewonnen werden müssen, sind durch die Reichsbank bei einem Bankenkonsortium, das ähnlich wie im Vorjahr gebildet wird, genügende Mittel bereitgestellt. ' Der Absatz für Roggen wird dadurch gesichert^ daß zunächst die restlichen Russenroggenbestände aus dem Martt herausgenommen worden sind und weiterhin die Vor schrift der im Vorjahr angeordneten 70prozentigen Ausmah lung aufgehoben wird. Me Einlagerungs- und Lombardie rungsmöglichkeiten beziehen sich selbstverständlich genau so aut auf den Roggen wie auf den Weizen. Die Lage für den Roggen soll über die genannten Maßnahmen hinaus noch dadurch erleichtert werden, daß einem Teil des Roggens wie der der Weg in den Futtertrog ermöglicht und damit ausländische Futtergetreidearten in verschärftem Maß vom deutschen Markte ferngehalten werden. Zur Durchführung dieses Plans dienten auch die in der Zwilchenzeit bereits erfolgten Preiserhöhungen des Alaismonopols und das sogenannte Verkoppelungsverfahren, das darin besteht, daß mit der Einfuhr ausländischer Futter getreidesorten eine entsprechende Ausfuhr deutschen Futter roggens und anderer deutscher Futtergetreidearten verquickt wird. Durch dieses Erntesicherungsprogramm ist, wie dargelegt, zunächst einmal für die Getreidewirtschaft der Weg zur Ge sundung und Rentabilität und für den Verbraucher die Gewiß heit einer genügenden Versorgung mit Brotgetreide für das neue Wirtschaftsjahr bei stetigen Preisen auf Grund der gleichmäßigen Vorratsverteilung gegeben. Wenn die Reichs- reqierung zuerst an die Sicherung dieses Wirtschaftszweiges ging, so geschah das nur, weil die Getreidefrage im Augen- blick die brennendste war. Jetzt erst hat sie den Weg frei, sich mit den übrigen notleidenden Zweigen der Landwirtschaft, dem Kartoffelbau, der Veredelungswirtschaft gründlich zu be fassen. Daß sie deren Not nicht aus dem Auge verloren hat, beweisen die K ü n d i g u nad e r F r ü h k ar to ff e l - abkommen mit Holland und Belgien, die Drosselung der Kartoffeleinfuhr, die Kündigung des deutsch-schwedischen Handelsvertrags, der eine grundlegende Forderung gerade der auf Veredlungs wirtschaft eingestellten Landwirtschaft war. Gerade die Riesen verluste der Veredlungswirtschaft, die in den letzten Jahren das Sechsfache dessen betrugen, was die Getreidewirtschaft finanziell eingebüßt hat, dürften der Reichsregierung An sporn genug sein, ihr besonderes Augenmerk jetzt diesem Agrarzweig zuzuwenden. l- lk- Aus -er Wahtbewegung. Die Neugruppierung der Parteien der Mitte zur Wahl schlacht am 31. Juli scheint immer noch nicht beendet zu sein. Nachdem sich in diesen Tagen DNVP. und DVP. zur Auf stellung einer gemeinsamen Reichsliste geeinigt hatten, hat auf dem linken Flügel der Volkspartei eine Abwanderung eingesetzt. Der bisherige Reichstagsabgeordnete Or. Cre mer hat in einem Schreiben seinen Austritt aus der Deutschen Volkspartei erklärt. Diesem Schritt Cremers hat sich auch der Vorsitzende des Deutschnationalen Handlungs- gehilfen-Verbandes, Bechly, der seit Jahren in Oppo- sition gegen die Deutschnationale Volkspartei steht, ange- schlofsen. Auch die bisherigen Reichstagsabgeordneten Thiel und Glatzel, Vertreter einer Gewerkschaft, scheinen die gleiche Konsequenz gezogen haben. Durch diese Abwanderung ist eine notwendige Klärung herbeigeführt worden. * Die Deutschnationale Volkspartei hielt in Berlin eine Massenversammlung ab, in der Reichstags- abgeordneter Bürgermeister Berndt erklärte, an all dem Elend, durch das wir heute gehen, seien die beiden inter nationalen Parteien — Zentrum und Sozialdemokratie — schuld. Der Redner gab dann die Richtlinien für eine zu künftige nationale Politik aus. U. a. forderte er Wieder herstellung der deutschen Wehrhoheit, Verweigerung jeglicher Reparationszahlungen, Wiedergewinnung der uns ent rissenen Gebiete einschließlich der Kolonien und entschiedenes Auftreten gegenüber jeglichen polnischen Raubgelüsten. In der Innenpolitik verlangte er ein Arbeitsbeschaffungs programm, Einführung der Arbeitsdienstpflicht, vernünftige Regelung der Sozialversicherung, Einfuhrbeschränkung und Stärkung des Binnenmarktes. Der Christlich-Soziale Volksdienst erläßt einen Aufruf zu den Wahlen, in dem es u. a. heißt: „Dev unaufhaltsame Zusammenbruch der alten Parteien zwingt alle, die sich ihrer Verantwortung für Volk und Staat vor Gott bewußt worden sind, einen neuen Weg zur Rettung des Vaterlandes zu beschreiten. Im Volksdienst ist ein Oie vom?Iie6erlMU8 Koman von Oort Kotkberg / ,35 Freilich, wie sie mit der Frau Pastor auskommen würde, das war eine andere Frage. Die war mit der gütigen, freundlichen Frau Doktor Beringer nicht zu ver gleichen; aber gut war sie doch eben auf ihre Weise. Also mutzte ste, Marie, eben sehen, sich zu fügen. Sie blieb doch die Dienerin. Und besser war es ja auf alle Fälle so, als wenn man st« auf die Straße setzen würde. Sie besaß niemanden mehr und war mit dem Fliederhause ver wachsen. Da ste jetzt keinen Lohn mehr bekam, auch in Zu kunft bet Frau Pastor nicht, so war es immerhin möglich, daß man gut zu ihr war, um die billige Magd zu halten. Sie brauchte ja auch nichts mehr. Die paar Mark, die ste sich gespart hatte, die konnte man dann einmal zu ihrem Begräbnis verwenden. Marie seufzte. Verene gefiel ihr gar nicht. Die saß immer da und lächelte so still vor sich hin wie jemand, der in einer völlig anderen Welt lebt und kaum noch Weitz, daß gewöhnliche Sterbliche um ihn sind. Ob es doch am Ende nicht gut war, daß sie nun den Oberförster nahm? Liebte sie den anderen noch immer? Aber das Kind mußte doch wirklich bedenken, daß das eine gänzlich aussichtslose Sache war? Immer bleiben mußte? Und der Herr Melenthin war doch so ein guter Mann. Wie froh das Kind sein konnte, daß er es liebte und zur Frau nahm! Der Gedankengang der alten Marie bewegte sich immer wieder nach dieser Richtung. Und sie dachte, wenn es doch nur erst so weit wäre, daß Verene Melenthins Frau mar Dann würden die dummen Gedanken schon schweigen Es hatte schon manche den Mann ohne Liebe genommen, und es war nachher noch eine sehr gute Ehe geworden. Marie war jetzt soweit fertig und richtete das Abend bror. Sin bißchen wehmütig war ihr doch oabei zumute, weil es heute das letzte Mal sein würde. Morgen früh holte dann der Herr Oberförster seine Braut zu Tante Pastor, und da wurde Verlobung gefeiert. Dann war in vier Wochen Hochzeit, und dann würde Ruhe sein. Marie deckte sorgfältig den Tisch. Sie tat oas jetzt immer in dem kleinen Hinterzimmer, denn Verene mochte nicht im Eßzimmer sitzen. „Essen Sie mit mir, Marie!« Verene sagte es freundlich. Aber Marie schüttelte den grauen Kopf. „Nein, ein Unterschied muß bleiben. Ich esse man lieber in der Küche. Aber, gnädiges Fräulein, eine Bitte hätte ich schon: Darf ich einmal ins Forsthaus kommen, wenn Sie dort sind?« Verene senkte das Gesicht. Wozu jetzt lügen? Sollte ste sagen, daß sie sich freuen würde, wenn Marie käme, wo sie doch längst wußte, daß sie niemals im Forsthause leben würde? Verene sagte leise: „Marie, Großchen hätte mich niemals zu etwas ge zwungen. Nie! Und — ich heirate den Oberförster nicht, weil ich es nicht kann.« Marie sah aus, als sähe sie ein Gespenst. Sie hob die Hände empor. „Liebes Fräulein Verene, das — geht — doch — jetzt nicht mehr. Es ist ja auch alles ausgemacht.« „Ach ja, Marie, es ist ja alles ausgemacht«, lächelte Verene. „Alles ist in Ordnung, der Weg ist bestimmt.« Marie dachte, daß ste nicht wisse, was sie denken sollte. Aber sie war doch froh, daß Verene einsah, daß nichts mehr geändert werden konnte. Verene aß sogar einige Bissen, zog sich aber dann bald in ihr Zimmer zurück. Und Marie, alt und von der heutigen angestrengten Arbeit sehr ermüdet, besorgte schnell noch den Abwasch und ging dann auch gleich in ihr Stübchen. Vor dem Ein schlafen dachte sie noch: „Es ist doch ganz gut, daß ich von morgen an wissen werde, wo Verene ist. Lieber Gott, ich habe so manche Nacht nicht geschlafen, weil Frau Pastor mir auftrug, ja aufzupassen. Nun ist es ja gut. Und was das Kind da wieder sagte! Wenn sie nur den Mann nicht noch vor den Kops stößt! Wenn sie bloß einsehen könnte, was für ein Glück es für sie ist!« Marie schlief ein. Sie war eben zu müde, die alte, treue Person, die der Frau Pastor zuliebe solange den Zerberus gespielt hatte. Hell schien der Mond in den alten Garten. Er beschien eine schlanke, dunkle Gestalt, die an der Gartenmauer hinschlich. Verene sah sich noch einmal um. Dann huschte sie hin aus. Noch ein Stück zwischen den hell erleuchteten Wiesen hindurch, dann nahm der Wald sie aus. Und dann ging sie ganz langsam, weil niemand ste mehr sehen konnte. Sie genoß den Zauber dieser Mond nacht in vollen Zügen. Und dann lehnte sie sich an einen Baum. Hier war der schmale Weg, auf dem der Graf ste ge tragen hatte! Damals, als er nicht wollte, daß sie mit ihren dünnen Schuhen durch den aufgeweichten Waldboden schritt! Hier war er mit ihr gegangen. Er hatte sie geküßt! Und sie hatte den starken, wilden Schlag seines Herzens gehört, hatte ihn wieder geküßt! Wie lange das her war! Waren es Monate, Jahre? Nein, Wochen waren es nur! Doch alles lag so fern, so weit. Langsam schritt das Mädchen weiter. „Forstwarts Grete ist um ihn ins Wasser gegangen!« Der Wald rauschte es leise. Verene wußte nicht, daß ihr große, glitzernde Tränen über die Wangen liefen. Weshalb hatte sie diesen Mann getroffen? Weshalb hatte er nicht noch ein Jahr fortbleiben können? Dann hätte sich ihre Schmach erfüllt, dann wäre sie das Weib des anderen geworden, hätte sich vielleicht an das ihr nun ein mal bestimmte Leben gewöhnt. Nun war es unmöglich!