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Pulsnitz er Tageblatt Mittwoch, 22. Juni 1932 84. Jahrgang Neuregelung des Ausverkaufswesens. Die Kreishauvttuounschasien Bantzen, Chemnitz, Dres den und Leipzig haben in einer gemeinsamen Bekannt machung vom 15. Juni 1932 Vorschriften über die Ver anstaltung von Ausverkäufen rind ausverkaufsähnlichen Veranstaltungen erlassen. Im Gegensatz zu der bisherigen Verordnung ist in der neuen Bekanntmachung klar um schrieben, was unter „Ausverkauf" zu verstehen ist. Danach gilt alS Ausverkauf nur eine Veranstaltung, die ihren Grund hat in der Aufgabe al des gesamten Geschäfts- betriebes oder bl des Geschäftsbetriebes einer Zweig Niederlassung oder el einer einzelnen Warengattung. Der Veranstalter eines solchen Ausverkaufs hat mindestens 14 Tage vor der Ankündigung des Ausverkaufs bei der zuständigen Industrie- und Handelskammer oder Gc- werbekammcr die Veranstaltung schriftlich in dreifacher Ausfertigung unter Angabe des Grundes des Ansver^ kaufs, seines Beginns und seines voraussichtlichen Endes und unter Beifügung eines vollständigen übersichtlich ge ordneten Verzeichnisses der ausznverkaufenden Waren, ebenfalls in dreifacher Ausfertigung, anzuzeigcn. Die Dauer eines Ausverkaufes darf drei Monate nicht über schreiten. Ausvcrkanfsähnliche Veranstaltungen (Abver kaufe), durch die ein bestimmter Warenvorrat beschleunig! abgcstoßen werden soN, dürfen künftig, auch wenn sic im Wege der Versteigerung stattfinden, nur dann abge halten werden, wenn ein von der Verkehrsanffassung als ausreichend anerkanntcrGrund vorliegt. Eine ausverkänfs ähnliche Veranstaltung darf jedoch nicht länger als einen Monat dauern. Die bevorstehenden Saisonschlußverküufc dürfen zwölf Wochentage nicht übersteigen. Neu ist ferner, daß diese Verkäufe nicht mehr als „Saisonausverkäufe" oder „Inventurausverkäufe" bezeichnet werden dürfen, sondern als „Saisonschluß v e r kauf" und Inventur ver - kauf angekündigt werden müssen. Oie Auswertung von Landeskuliurrenienscheinen. Zweite Verordnung. Die Verordnung über die Auswertung von Landes kulturrentenscheinen vom 12. Februar 1926 wird, wie im Sächsischen Gesetzblatt mitgeteilt wird, abgeändert, Für dic Zeit vom 1. Januar 1932 an wird der in den unverändert bleibenden aufgcwerteten Landeskulturrenten enthaltene laufende Verwaltungskostenbeitrag auf 0,82 Prozent her abgesetzt. An der Höhe und der Laufzeit der Renten wird dadurch nichts geändert. Die durch diese Herabsetzung ver fügbar werdenden Mittel dienen zur Erhöhung des Zins fußes der aufgcwerteten Landesknlturrentenscheine von 5 auf 6 Prozent mit Wirkung vom 1. Januar 1932 an. Das Nechi zur Teilnahme an der Verteilung der Teilungs masse erlischt, wenn nicht bis zum 31. Dezember 1937 der aufzuwertende Landeskulturrentenschein bei der Landes- knlturremenbank eingereicht oder der Antrag auf Erlaß des Aufgebotes zum Zwecke der Kraftloserklärung des anszuwertcnden Landeskulturrentenscheines gestellt wird und der Antragsteller der Landeskulturrentenbank hiervon biS zum 31. Dezember 1937 schriftlich Mitteilung mack-t. Die durch die Nichtvorlegung frei werdenden Anteile fließen in dic Teilungsmasse. Der Geldwert der durch das Erlöschen der Teilnehmer berechtigung frei werdenden Anteile ist an die Inhaber der auf Goldmark lautenden Aufwertungs-Landeskultur rentenscheine, Reihe III, die noch nicht infolge Auslosung fällig werden, zu verteilen. Die Auszahlung der Nest- anteilc erfolgt nach dem 1. Oktober 1939 gegen Vorlegung der im Umlauf befindlichen Zinsbogenerneuerungsscheine, die zugleich als Vesserungsscheine (Gutscheine) gelten. Verstärkte kommunistische Propaganda in Dresden. Das Polizeipräsidium warnt. Das Presseamt des Dresdner Polizeipräsidium teilt mit: Die kommunistische Hetze nimmt neuerdings auch hier immer schärfere und skrupellosere Formen an. Fast über alles, was sich zuträgt, berichtet die kommunistische „Arbeiterstimme" in völlig entstellter Weise, und zwar mit der deutlich erkennbaren Absicht, insbesondere die Er werbslosen aufzupeitschen und für die kommunistischen Zwecke einzuspannen. Auch geht man kommunistischerseits von Tag zu Tag mehr dazu über, durch Verbreitung na türlich unter Außerachtlassung der preßgesetzlichen Bestim mungen herausgegebener Flugzettcl usw., „Aktionen" vor allen Dingen vor den „Stempelstellen", auszulösen. Tas Polizeipräsidium warn! und gibt bekannt, daß mit aller Schärfe vorgegangen wird. In der Werner-Schule zu Lankwitz bei Berlin wurde von Feldpropst Schlegel ein Ehrenmal für die im Krieg ge storbenen Rote-Kreuz-Schwestern eingeweiht. Der Entwurf stammt von Adelheid Koenigs. Am ^en Verkauf -er Gelsenkü cheu-Akiien. gu dem Verkauf des Pakets Gelsenkirchen- Aktien durch die Flick-Gruppe wird u. a. noch fol gendes bekannt: Was die Vorgeschichte anbelangt, so ist fest zustellen, daß der Wunsch der Flick-Gruppe, sich von dem Gelsenkirchen-Paket zu trennen, bereits älteren Datums ist. Die Gründe hierfür liegen keineswegs in der Finanzlage der Flick-Gruppe — abgesehen davon, daß die Fälligkeiten von Auslandstrediten der Flick-Gruppe erst im nächsten Jahr beginnen, sind sie auch noch durch das Stillhalteabkommen geschützt —, sondern dürften eher in Organisations- s ragen bei den Vereinigten Stahlwerken und in den sonstigen Interessen der E h a r l o t t e n h ü t t e zu suchen sein. Es haben sich bereits im vergangenen Jahr mehrere Auslandsgruppen für dieses Paket interessiert. Eine davon schaltete mit dem Zusammenbruch Kreugers aus. Die Verhandlungen, die hierüber geführt wurden, sind auch der letzten Reichsregierung zu Ohren gekommen, und diese glaubte, wegen der lleberfremdungsgesahr einschreiten zu müssen. Sie ist ihrerseits an die Flick-Gruppe herangetreten, wobei wohl auch die Sozialisierungsideen des früheren Reichs finanzministers eine Rolle gespielt haben dürften. Obschon das Angebot der Reichsregierung nicht unerheblich schlechter war als die vom Ausland vorliegenden, glaubte doch die Flick- Gruppe, diesem aus nationalpolitischen Grün den den Vorzug geben zu müssen, und es kam nach mehreren Vorverträgen, deren erster bereits im Februar getätigt wurde, bereits am 31. Mai zu einem endgültigen Abschluß durch Unterschrift des Rcichsfinauznunistcrs (ain 30. Mai trat die Negierung Brüning zurück und führte alsdann noch einige Tage die Geschäfte). 'Das Gelsenkirchen- Paket der Flick-Gruppe beträgt nom. 110 Millionen RM. Es wird von der Dresdner Bank übernommen, und zwar zum Kurse von 90 Prozent. Der entsprechende Betrug be läuft sich demnach auf rund 100 Millionen RM. Dieser Betrag kommt aber nicht voll der Flick Gruppe zugute. Etwa ein Drittel davon wird verwendet zur Bereinigung der Finanzlage der Gelsenkirchener Bergwerks- A.-G., in erster Linie also zur Abstoßung von Bankschulden der Gesellschaft. Da Bankgläubiger wiederum die,Dr.sd.n.-r Bank ist, so handelt es sich bei diesem Drittel lediglich um eine Umbuchung. Dasselbe gilt für ein zweites Dritte! der Kaufsumme, die verwendet wird zur Tilgung von Bank schulden von Tochtergesellschaften der Charlottc'nhütte, wobei ebenfalls die Dresdner Bank Gläubigerin ist. Lediglich das letzte Drittel (25—28 Mill. RM) fließt der Flick-Gruppe in bar zu und dürfte teilweise für Zwecke der ober schlesischen Interessen, teilweise zum Ausbau der Mittelstahl-Gruppe verwandt werden. In keiner Familie fehle die heimatliche Zeitung: das „T a g e b l a t t" Oie vom ?1i6cl6rk3U8 Roman von Oort kiottiberA OopvNjM UsNin NeucktwsnLer, N»U« <8»sle> 1SZI I7 Nun ja, das war auch gut. Was hätte Verene wohl an- gefaugen, wenn sie plötzlich das alles hätte wissen sollen? Denn in der Oberförsterei gab es im Stall zwei Kühe, einige Schweine und viele Hühner. Das wollte doch ver standen sein. Da der Oberförster eine sehr selbständige Stellung beim Grafen Eschweiler bekleidete, so war dic Oberförsterei eine kleine Wirtschaft für sich. Aber der Oberförster hatte immer wieder betont, datz Verene nur eben für ihn da sein solle und ein bißchen mit für die Kinder. Alles andere würde von den Dienstboten erledigt. Und das hatte der alten Dame sehr gefallen. Für grobe Arbeiten war die kleine, zarte Verene nicht geschaffen. Und — die alte Dame lächelte Plötzlich vor sich hin - was hatte sie venn gestern abend für einen beinahe ein bitzchen dummen Gedanken gehabt? Die breite, ein wenig kurze Hand Melenthins hatte dicht neben derjenigen Verenes auf dem Tisch gelegen. Sie hatten plötzlich gar nicht zu einander gepaßt, diese beiden so verschiedenen Hände. Das hatte sie gefunden, und das war doch gewiß ein sehr dummer Gedanke von ihr gewesen, wo alles doch solch ein großes Glück für Verene war. Verene kam gegen neun Uhr blaß und mit tiefen, dunklen Schatten unter den Augen herunter. Großmama saß mitten in der Sonne vor dem Hause und putzte in ein paar alten Handschuhen Gemüse zu. Diese Arbeit nahm sie der alten, getreuen Marie immer ab, denn die hatte wahrlich genug Arbeit. Und ihr machte es Freude, noch ein bißchen mithelfen zu können. Marie, die gerade die kleine Diele putzte, sah das junge Mädchen zuerst. Sie schlug die Hände über dem Kopfe zusammen. „Meine Güte, wie sehen Sie denn aus, Fräulein Reni? Gleich koche ich einen Fliedertee. Mir ist der Schrecken ordentlich in die alten Beine gefahren." Verene streichelte die Hände der Alten. „Keinen Tee kochen, Marie. Er Hilst mir nämlich nicht, der sonst so gute Fliedertee." Sprachlos starrte Marie ihr nach. Was war nur? Was denn nur? Nachdem doch gestern abend noch alles so sehr vergnügt hergegangen wär? Marie schüttelte den Kopf. Sie konnte sich nicht denken, weshalb wohl das Kind plötzlich gar so verändert sei. Und sie wischte und putzte weiter, denn blitzblank mußte alles sein, das gab es nicht anders. Großmama freute sich, datz Verene kam; sie sah nicht mehr ganz so scharf wie Marie. Daher kam es wohl auch, daß sie vorläufig von dem krankhaften Aussehen des jungen Mädchens keine Notiz nahm. „Ausgeschlafen, Reni? Nun, Schlaf ist immer die beste Arznei. Aber ich freue mich, daß du nun munter bist. Tante Pastor hat ihr Häkelmustcr bei uns vergessen. Marie Hai es vorhin gefunden. Sie wird es daheim suchen, viel leicht gar denken, sie habe es unterwegs verloren. Und du weißt, sie kann keine zehn Minuten ohne ihr Häkel muster sein. Trag es ihr hinüber, Reni. Nimm aber Astor mit." „Gewiß, Großchen, gern." Großmama sah ein bißchen verwundert auf, weil die Mädchenstimme gar so müde klang. Aber Großmamas freundliche Abgeklärtheit gegen die Stürme des Lebens bemerkte nicht den Kampf eines jungen Menschenherzens Großmama freute sich doch noch immer sehr über den frei gebigen Oberförster und darüber, daß Verene bei ihm so gut aufgehoben sein würde. „Astor?" Der Hund kam in großen Sätzen über den Weg Regungslos wartete er neben seiner jungen Herrin auf weitere Befehle. „Das Muster liegt in meinem Arbeitskorbe auf der Veranda", sagte Frau Doktor. Verene beugte sich über die Großmutter, küßte ste herzlich. Dann ging sie rasch davon. Die Sonne schien genau so hell und strahlend wie gestern. Doch dem jungen Mädchen war alles dunkel, grau, traurig. Heute summte Verene auch kein Lied vor sich hin. Und ohne daß sie es so recht wußte, war sie schon ein ganzes Stück zwischen den blumigen Wiesen hingelaufen. Als sie zusammenzuckte, weil sie es bemerkt hatte und sich besann, daß sie doch nicht wieder hier hatte gehen wollen, war es bereits zu spät. Sie wäre dann, den Bogen der Landstraße mitgerechnet, viel zu lange ausgeblieben, hätte einen Riesenumweg gemacht. Inzwischen konnte Tante Pastor bereits ihr Dienstmädchen nach dem Muster schicken, und dann gingen ste sich fehl. Denn zwischen dem Städtchen und dem Fliederhause wurde ja doch, immer nur der Weg am Waldrande und zwischen den Wiesen be nutzt. Und so schritt eben Verene auch diesen Weg. In ihrem Herzen war eine einzige Abwehr gegen das, was man von ihr erwartete. Denn seit dieser Nacht wußte das Mädchen, datz alle auf der Seite des Oberförsters waren. Alle, allel Daß man von ihr soviel Vernunft erwartete, das große Glück dieser Versorgung richtig einzuschätzen! Verene sann dem gestrigen Abend nach. Weshalb nur war ihr der Oberförster mit einem Male so verhaßt? Verene erschrak vor dem Gedanken, aber ste konnte ihn auch nicht bannen. Wie anders hatte sie sich einmal den Mann gedacht, dem sie sich zu eigen geben würde! Denn wie jedes junge Mädchen hatte sie ja auch von einem großen, echten Glück geträumt Das, was man ihr nun bot, sah anders aus, ganz anders. Sie liebte ja den Oberförster nicht. Und nun war es doch so schwer für sie, ihn zu heiraten. Aber es mußte Wohl sein. Ja, ja, es mußte sein. Astor spitzte die Ohren. Ein Eichhörnchen lief über den Weg, flink, zierlich. Astor raste hinterher.