Volltext Seite (XML)
V()> Vir<; I bracht. Er gleicht auls Haar einem Menschen, der mir einmal, vor langer Zeit, sehr nahe stand .. . Ja, das war nun so ein Blümlein am Wege, und ich bin dankbar dafür." — Frau Ilse reichte ihr wie ganz selbst verständlich die Hand zum Abschied, und dabei muhte sie denken: wie selt- Alltagssorgcn der Häuslichkeit hin zu den großen Fragen des Mcnschseins? — „Meine ganze Liebe gehört ja den Kindern", fuhr die Fremde verträumt fort. „Aber wenn man ein Kind lieb haben will, muh man es auf den Schoß Freund einen Grub zu wechseln. Sei nicht kleinlich, Ilselein! .Bin Ilse, und ein ganz klein wenig Menschengüte, bitte! Laß Ilse, ich bitte dich noch einmal , lies diese geilen in einer ruhigen an. Bild rechts: War es denn möglich?? Hier stand es: „aller ¬ kleiner, entzückender Junge und denke ^Vl . . Das war ja . . . liebstes Reiseerlebnis nehmen und streicheln dürfen. Das hab' ich immer so gern getan, als ich noch Lehrerin bei den Allerkleinsten war .. Da war ich noch nicht krank. Das ist das Allerschwerste, dah ich das jetzt nicht mehr darf!" — Frau Ilse schwieg. Sie schämte sich ihres Glücks. Hatte sie ein gütiges Schicksal nicht überreich beschenkt mit ihren drei blühenden Kindern? Sie erschauerte vor der Gröhe der Entsagung, die von der anderen Frau da gefordert wurde. Was wogen dagegen die kleinen Entbehrungen, die ihr durch wirtschastliche Nöte auserlegt waren! Lächerlich! Mechanisch wurde ihr Blick wieder zu der blonden Fremden gezogen. Wie still und gefaht war dieses Antlitz, wie edel der leise Jug des Leidens, der von keiner Bitterkeit wußte. Wie wehmütig-liebevoll der Blick, mit dem sie ihren Jungen, das fremde Kind, streichelte! Ach, nur mit Blicken streicheln dürfen Sie prehte ausatmend die Hand ihres Knaben. Es nahte eine gröhere Amsteigestation. DieFremde machte sich zum Aussteigcn bereit. Juletzt sagte sie plötzlich leise, stockend zu Frau Ilse: „Ich muh es Ihnen doch sagen: Ihr kleiner Sohn da hat mir eine besondere Herzensfreude ge- ich nicht. Aber du weiht, dah ich schon lange gebeten habe, diesen Briefwechsel einzustellen. Was hast du nur davon?" „Ich — gar nichts. Aber sie verbindet damit die Erinnerung an eine herrlich-sorglose Spanne ihrer Jugendzeit. Das Leben ist ihr alles schuldig geblieben — willst du ihr das kleine Glückserinnern nicht lasten? Wird dir auch nur das leiseste Tüttelchen von deinem Glück genommen, wenn ich ihr ein- oder zweimal im Jahre ein Stündchen widme und ihr von unserem Leben und unseren Kindern erzähle? Hab doch Vertrauen zu mir, Stunde! And jetzt möchte ich kein Wort mehr darüber verlieren." — Eie schwieg, legte aber den Brief nachdrücklich neben seinen Teller. Da schob er ihn mit so gebieterischer Miene auf ihren Platz zurück, dah sie kein« offene Auflehnung mehr wagte. Aber lesen würde sie den Schrieb bestimmt nicht! Nein, nun gerade nicht! — Ein Tag verging, auch noch ein zweiter: der Brief lag noch immer ungelesen in ihrem Schubfach. Keiner hatte mehr davon gesprochen; aber am dritten Tage rih Frau Ilse, wie unter einem Zwang stehend, plötzlich die Lade auf und machte sich über den verhaßten Brief her. Auf einmal stutzte sie: was war denn das? mich in Ruhe!" — Wütend schlug Frau Ilse die Tür hinter sich zu. Mit einem gequälten Lächeln sah ihr der Gatte nach. Arines Mädel! Im nächsten Brief wollte er ihr nun doch schreiben, dah er ihr die kleine Freude nehmen müsse um des häuslichen Friedens willen. Langsam öffnete er den Brief. Er las und las und immer ernster wurden seine Züge. Als Frau Ilse mit der dampfenden Suppenschüssel hereinkam. legte er den Brief offen neben ihren Platz. „Lies das mal, Ilse", fagte er mit belegter Stimm«, „vielleicht gewinnst du dann doch von den Dingen eine andere Anschauung!" — „Nie!" sprühte sie ihn zornfunkelnd Vorstühling gebunden MS Pfingststrantz prangen sie plüv- lich in der Küche Noch heute wird alljährlich zu Pfingsten im Siidharz die Oueste errichtet, ei» riesiger Birkenkranz, der weithin ins Land sichtbar ist. Schon Jahrhunderte alt ist dieses Sinn bild, und der Questenberg trägt seinen Namen davon /^V^utti, jetzt gehts los!" jul. tte der blondgelockte Dreikäsehoch ) / 1 auf, als mit einem m rkbaren Ruck die Räder der Eisen- " -V < bahn ins Rollen kauen. Behaglich lehnte er sich in seine Ecke zurück, legte die eiligemammelte Patschhand in Mutters Rechte und streckte die weißen Gamafchenfüßchen Weir von sich. Es war ihm höchst gleichgültig, dah die vom märzlichen Matschwetter schmutzigen Sohlen den feinen, hellgrauen Mantel seines Gegenübers berührten. „Horstl, Lausbub, siehst du denn nicht, was du wieder anrichtest?" zankte die Mutter und wandte sich mit einer Bitte um Entschuldigung an die betroffene Dame. „Schadet nichts, gelt, kleiner Mann!" be schwichtigte diese mit einem ütigen Lächeln den jetzt ängstlich drein schauenden Buben. „Das veine weihen Lämmerpfötchen von dem Im Kreise Celle ist es üblich, daß die Burschen von Schwarbeck am Himmelsahrts- oder am Pfingsttage des Morgens einen Hübncrbabicht erlegen und mit diesem Feind des Hühnerstalles zu den Bauern ziehen. Sie weisen ihre Beute vor und erhalten dafür Eier oder andere Gaben FD Im Kreis rechts: Im Weserland ziehe» die Kinder am 1. Pfingstfeiertag mit dem Psingstkranz, einer Tannenkronc, die mit ausgeblasenen bunten Eiern und mit Papierrosen behängt ist, umher und erbitten Geld sür eine gemeinsame Scbnlveranstaltung. einen schönen Ausflug oder ähnliches. Meist tront an der Spitze des Pfingstkranzes noch ein Hayn oder wenigstens ein paar Hahnenfedern dir, die stahlblauen Augen, die hohe, eigenwillige Stirn, das energische Kinn — das alles war dir wie aus dem Gesicht geschnitten. Ein seltsames Äpiel der Natur! Mir wars ein schöner Gruh aus einer Welt, die mir nie gehören wird, selbst wenn ich wider Erwarten noch einmal gesunden sollte. Ich muh endgültig auf Mann und Kind verzichten — aber ich will ganz tapfer sein." — — Ilses Hand entsank der Bogen, Röte und Blässe wechselten auf ihrem Antlitz. Di« blonde Fremde mit dem edlen Rastegesicht und dem leisen Jug des Leidens — — das also war Eva, die Jugendfreundin ihres Mannes! Eine Frau, die vielleicht dem Tode geweiht war oder doch einem Leben voll bitterer Entsagung an allen Gütern, die das Leben mit süher Heimlichkeit füllen. And auf dieses arme und doch so vornehme und tapfere Menschen kind war sie eifersüchtig gewesen! Wie dumm, wie schlecht von ihr! Aber noch war es nicht zu spät: Warte, liebe, kleine Schwesterseele, nun will ich dir viel, viel Liebe und Freude und Wärme schenken! . . . Der seelische Amschwung zaubert ein kindlich-frohes Leuchten in Frau Ilses Augen: schnell läuft sie hinaus in den Garten und holt einen ganzen Arm voll Pfingstrosen ins Haus. And dann hinein zu ihrem Mann. „Du, du, die soll alle Eva haben! Ach, du Allerliebster, und zürne mir nun nicht mehr!" — Er starrt Ilse an, er versteht nichts, bis sie dann in hastigen Worten alles hervorgesprudelt hat, von der unerkannten Begegnung in der Bahn, von ihrem eifersüchtigen Zorn und der beschämenden Freude dieser Stunde durch Evas Brief. „Ilselein", sagt er da und drückt sie bewegt an sein Herz, „das gibt ein seliges Fest! Ja, wir wollen sie ihr schnell senden, deine Boten der Liebe, als einen gemeinsamen Gruh von uns beiden! Aber eine, eine einzige, die muht du mir lasten ..." — And er zog aus dem Strauß die leuchtendste Rose hervor und schmückte damit das Haar der allerliebsten Frau .... sam, daß ich ihr die Hand gebe und weiß doch nicht einmal den Namen! — Wochen waren darüber hingegangen. Längst hatte Frau Ilse das kleine Erlebnis vergessen. Sie steckte jetzt ganz in den Vorbereitungen zum Pfingstfest. Lieber Himmel, die Schneiderin hatte das neue Kleid noch immer nicht abgeliefert, und sie hatte doch nichts zum Anziehen an den Feiertagen! And die Putzfrau hatte ihr heute die teure venezianische Vase zerbrochen, eine Erinnerung an ihre Hochzeitsreise. Was war das immer ein Ärger mit denLeuten! Aber das war ja noch längst nicht alles! Da war noch etwas ganz anderes, das war noch viel mehr zum Ärgern. Einen Augenblick fühlte sie sich versucht, den eben angekommenen Brief an ihren Mann ins Feuer zu werfen. Aber nein, dazu war sie doch zu stolz; aber merken wollte sie sich es lassen, es mußte nun endlich ein Ende haben! — Als mittags ihr Gatte fröhlich nach Hause kam, gab sie ihm keinen Kuh, dafür aber mit kaltem Blick den bewußten Brief. „Ah, von Eva! Na, das ist doch sicher ein Jahr, dah ich von der nichts mehr gehört habe. Noch nicht geöffnet, Schatz?" — „Ich verzichte darauf, Liebes briefe an dich zu öffnen", gab Frau Ilse gereizt zurück. „Aber Ilsefrau, bist du denn nicht ganz gescheit? — Komm, sei doch nicht albern! Lah doch dem armen Mädel die Freude, hie und da mit einem früheren Überall regt ücü der Frühling! Zu einem Belen winden die Neifer im «"^iele alte Volks bräuche sind in den unruhigen Jahren des l-- Krieges und der Nachkriegszeit cingeschlafen. Festhalten an alter Überlieferung galt vielerorts als „rückständig". Dazu kam, daß jeder einzelne sich erst in die veränderten Verhält^ Nisse hineinfinden mutzte. Als dann aber die „neue Zeit" nichts Gleichwertiges an die Stelle der uralten Formen setzen konnte, und als man erkannte, daß der Sinn der alten Sitten, die Freude etwa am Werden und Wachsen des Frühlings, ganz unabhängig ist von der Menschengeneration, die sie erlebt, da griff man zurück aus di« Bräuche der Eltern und Großeltern. Unsere heutige Jugend versucht mehr denn je, wieder anzuknüpsen an die Überlieferung und altes Volksgut zu wahren. garstigen Wetter so schmutzig gr wrden sind, das ist viel schlimmer, gelt?" Da purzelte ein Helles Jungenslacheu aus dem aufstrahlenden Gesichtchen und schnell war die Freundschaft mit der neuenTante geschloffen. And wo die Kinder Freund schaft schließen, können die M ter nicht so ganz beiseite stehen, zumal hier ein so warmer, herzlieber Ton ihren Buben traf, der Frau Ilse aufhorchen machte. Das war sicher auch eine junge Mutter! Vielleicht fuhr sie gerade zu ihren Kindern? — Aber nein, sie trug ja > men goldenen Reif am Finger. Frau Ilse be obachtete die schlanken, feingliedrigen Hände, die eben einen Apfel zerteilten Es war ein seltsam gütiger Ausdruck in diesen Händen, so, als ob sie nur immer schenken möchten. And da platzte auch schon ihr ungehobelter Junge in ihre Gedanken hinein: Du, Tante, gelt, ich krieg' auch ein Stückchen?" Schon griff die Fremde mit einem -gewährenden Lächeln nach einem Apfel stückchen, — da zuckte sie plötzlich zusammen, ein flammendes Rot ergoß sich über das zarte Gesicht: die eben noch frischen, blauen Augen wurden mit einem Schlage ganz dunkel und trostlos, und, an Frau Ilse wie um Verzeihung sich wendend, sagte sie leise: „Ich möchte ihm lieber nichts geben, gnädige Frau, ich ... ich ... bin schwer krank, ich fahre eben in eine Lungenheilstätte nach dem Süden. Aber die Apfelsine hier die soll der süße Bub haben. Dars ich Sie bitten, daß Sie sie ihm zurechtmachen? Ich möchte sie lieber nicht berühren. Man kommt sich wie ausgestoßen von allem gesunden Leben mit einer solchen Krankheit vor!" — — Frau Ilse war im ersten Augenblick ganz hilflos, während ihre Hand mechanisch nach der dargebotenen Frucht faßte. Dann ergriff sie ein tiefes Mitleid mit der jüngeren Reisegefährtin und krampfhaft suchte sie nach Worten des Trostes. Aber die andere wehrt« ab: „Ich glaube nicht mehr an Heilung, und was kommts heute auf ein Menschenleben mehr oder weniger an? Ich stehe ja auch allein. Eltern habe ich nicht mehr, Mann und Kinder auch nicht. Also werde ich durch meinen Tod keinen weinen machen. Ich wollte ja nur, ich könnte die kurze Spanne Zeit noch recht viel aus meinem Leben machen, noch recht viel Glück anderen schenken. Aber das ists ja, man muh Geld haben, wenn man schenken will." „Man kann ja auch anderes schenken, Liebe, Freundschaft . .." warf Frau Ilse ergriffen ein. Was war es, das diese Fremde so plötzlich in ihr aufrührte, daß sie sich hinausgehoben fühlte über die kleinen