Volltext Seite (XML)
Nr. 81 Pulsnitzer Tageblatt — Donnerstag, 7. April 1932 Seit« 6 Aus aller Well Stettin. Selbstmord eines Oberpost- inspektors. Als Polizeibeamte auf eine Anzeige hin den Oberpostinspektor Gottschalk festnehmen sollten, fanden sie sämtliche Türen verschlossen. In dem Augenblick, als die Tür geöffnet werden sollte, fiel plötzlich ein Schuß. Man fand den Oberpostinspektor erschossen auf. Es ist anzu nehmen, daß er Selbstmord verübte, weil er die Einleitung eines Strafverfahrens gegen sich befürchtete. Frankfurt a. d. Oder. Raubübcrfall auf ein Straßenbahn ndepot. Als gegen Mitter nacht die letzten diensttuenden Straßenbahnschaffner im Straßenbahndepot mit der Abrechnung der Tageseinnahmen beschäftigt waren, drang eine Bande von mehreren mas kierten Männern in die Räume ein und eröffnete unter dem Rufe „Hände hoch!" ein scharfes Feuer. Es sind über 20 Schüsse gefallen, die jedoch niemand verletzten. Geraubt wurden etwa 700 RM. Die Täter sind in der Dunkelheit unerkannt entkommen. Kassel. Infektion bei der Operation führte zumTode. Der 28jährige Assistenzarzt vr. meä. Heinrich Wimmel hatte am Kasseler Landeskrankenhaus bei der Operation eines Kindes sich infiziert. Er ist nun an Blut vergiftung gestorben, während die mitbehandelnde Operations schwester, ebenfalls infiziert, noch schwerkrank daniederliegt. Gera. Der Rauchversuch des Osterjungen. In Kleinfalke brach auf dem Gute des Landwirts Prasse Feuer aus. Die große Scheune und eines der beiden Wohn häuser wurden vollkommen eingeäschert. Als Entstehungs ursache kommt nach den bisherigen Ermittlungen fahr lässige Brandstiftung in Frage. Ein Junge, der Ostern die Schüle verlassen hatte und bei dem Landwirt in den Dienst getreten war, hatte seine ersten Rauchversuche angestellt und dabei wahrscheinlich den Brand verursacht. Hamburg. Mißglückte Flucht eines Häft lings. An der Holtenauer Schleuse war ein finnischer Häftling von Bord des finnischen Dampfers „Ariel" ent- flohen und konnte erst nach längerer Jagd im Gelände des Holtenauer Hafens wieder aufgespürt werden. Als er wieder an Bord gebracht werden sollte, unternahm er einen Selbst mordversuch, der jedoch vereitelt wurde. Hamburg. Am Mittwoch wurde ein dreister Raub- überfallin einem Kontor eines Hamburger Textilwaren geschäftes ausgeführt. Als eine 20jährige Angestellte der Textilwarenfirma Karl Freitag gegen 8>4 Uhr die Ein gangstür zu dem Kontor der Firma in der Düsternstraße öffnete, traten zwei junge Männer mit ihr in das Kontor ein. Einer von ihnen zog sofort einen Revolv e r und bedrohte die Kontoristin. Sie mußte die Geldschrank schlüssel herausgeben. Die Eindringlinge öffneten dann den Geldschrank und raubten etwa 200 RM. Kassel. Weitere Goldfunde sind im Edertal ge macht worden. Der WünschelrutengängerLudwig Koch aus Allendorf, der bereits im ganzen 25 Mineral quellen sowie verschiedene Erdlager mit seiner Wünschelrute festgestellt hat, entdeckte durch einen Zufall am sogenannten Bromsberg auf der Landstraße von Allendorf nach Bromskirchen eine goldhaltige Mineralquelle. Bei den Bohrungen stieß man jetzt in 35 Meter Tiefe auf goldhaltiges Ge st ein. vr. Steinau vom Preußi- schen Bergamt Clausthal, ein bekannter Geologe, untersuchte dieses goldhaltige Gestein näher und stellte 38 Prozent gold- haltige Substanz fest. Oranienburg. Ein Kindesraub wurde am Mittwoch in Oranienburg verübt. Eine Frau aus der Stadt ging mit ihrem Kinde die Schmachtenhagener Chaussee entlang, als plötzlich ein Auto herangefahren kam und kurz vor der Frau hielt. Ihm entstieg ein Mann, der vor den Augen der Passanten der Frau das Kind entriß, zu sich in den Wagen nahm und davonfuhr. Auf Befragen der Passanten und später der Polizei gab die Frm, an, daß de'- Enifw---r ihr geschiedener Mann sei. Er habe ihr, als er ihr gegenüberstand, auch erklärt, daß er bereits das zweite Kind, das sich in Schmachtenhagen in Pflege befindet, ebenfalls an sich g e n o m m e n habe. Die Frau hat Anzeige erstattet. ' - ' München. Ein frecher Raubüberfall wurde in dem Postgebäude von Stadtamhof unternommen. Ein Land wirt, der auf dem Viehmarkt 545 RM erlöst hatte, erhielt den Betrag im Gebäude der Darmstädter und Nationalbank aus gezahlt. Dabei wurde er von einem Manne beobachtet, der sich dem Landwirt als Detektiv vorstellte und ihm erklärte, daß er soeben falsche Banknoten bekommen habe, die auf der Post nachgeprüft werden müßten. In unbeschreiblicher Leichtgläubigkeit händigte der Landwirt dem angeb lichen Detektiv die Scheine aus und ging, von seinem Sohne begleitet, mit dem Fremden zur Post. Hier zog der Fremde plötzlich einen Revolver und forderte den Landwirt und seinen Sohn auf, sich davonzumachen. Der Täter selbst ver suchte durch den mittleren Posteingang zu entkommen, jedoch setzte ihm der Sohn des Landwirts nach, und es gelang unter Mitwirkung des Passanten, den Räuberzu verhaften. Er wurde auf der Polizei als ein 21 Jahre alter Schiffer Karl Maier aus Regensburg festgestellt. Innsbruck. Der Führer des Südtiroler republikanischen Schutzbundes tot aufge funden. In einem durch die Stadt Innsbruck fließenden Kanal wurde die Leiche des Führers des sozialdemokratisch republikanischen Schutzbundes Südtirols, August Wagner, aufgesunden. Wagner war auch Redakteur des sozialdemo kratischen Innsbrucker Blattes. Man nimmt an, daß Wagner in der Nacht über das Geländer des Kanals qe- stürzt ist. Kapstadt. Selbstmord eines deutschen Dia manten m i l l i o närs. Bei Swakopmund im früheren , Deutsch-Südwestafrika ist der Leichnam des deutschen „Dia- ? niantenmillionärs" Emil Kreplin mit einer Schußwunde am Kopf in der See treibend aufgefunden worden. Nach dem Befund zu urteilen, hat Kreplin wahrscheinlich Selbstmord verübt. Die Gründe für seinen Tod sind unbekannt. „Graf Zeppelins" jüngster Fahrgast. Der 514 Jahre alte Rudi Lang aus einem kleinen Dorf bei Ulm fliegt ohne Begleitung mit dem „Graf Zeppelin" nach Pernambuco (Brasilien) und von da weiter mit dem Flug zeug nach Buenos Aires, wo ihn seine Mutter erwartet. ! Hagel, Sturm und Krühlingsgewitter. Ueberschwemmungskatastrophe in SLdostenropa. München. In Bayern sind die eAten Hagel schläge dieses Jahres zu verzeichnen. Namentlich die Gegend von Rosen heim wurde von eine.< schweren Gewitter mit Hagelschlag heimgesucht. Der Hagelschlag war derartig stark, wie er seit langem zu dieser frühen Jahreszeit nicht erlebt worden ist. Ueber dem Bodensee wütete mit kurzen Unterbrechungen ein heftiger Sturm. Die Föhnstürme gingen bei klarem Wetter und Sonnenschein vor sich. * Hirschberg. Im Riesengebirge ist ein Wetter sturz eingetreten. Mehrere Tage war es auch im Hoch gebirge sehr warm, und es traten mehrere Gewitter auf. Bei einem Gewitter wurden die Fernsprechleitungen nach der Schneekoppe und dem Schlesierhaus beschädigt. Dann trat starke Abkühlung und etwas Schneefall ein. Ls sind etwa 3 Zentimeter Neuschnee gefallen. * Wien. In Rumänien und Südslawien sind protze Ueber schwemmungen eingetreten, die stellen weise ein katastrophales Ausmaß angenommen haben. Sämt- uche Ortschaften am Oberlauf des Szamos stehen unter Wasser. Die Ueberschwemmungskatastrophe hat zahl- re i che o de so p fe r gefordert. Bis jetzt sind durch die Ueberschwemmung acht Eisenbahnlinien in Rumänien außer Betrieb gesetzt. * Dom. Ein seltsamer Degen. Ueber Florenz ist ein mit mineralischen Bestandteilen vermischter Degen nieder gegangen, nachdem die eigenartig rötlich-gelbe Färbung der Wolken bereits ausgefallen war. Es handelt sich augen scheinlich um Wolken, die mit seinem Staub gemischt waren. Der Direktor des Observatoriums von Florenz nimmt an, daß es sich um afrikanischen Staub handelt. Das in den Regen messern ausgefangene Wasser zeigte eine dunkle Färbung und sonderte einen starken Bodensatz ab, dessen mikroskopische Untersuchung noch aussteht. ! l-inks OsselJl'Si, ist Assisi! Das kleinste Kin- -er Welt gestorben - ein noch kleineres geboren. Ber-lin. Im Kaiserin-Auguste-Diktoria-Krankenhans in Lichtenberg starb das vor einigen Wochen geborene Kind Vera, das bei seiner Geburt nicht einmal ein Gewicht von einem Pfund aufzuweisen hatte und nach Aussagen der Aerzte kaum lebensfähig war. * Kansas-Stadt. Der von Deutschland gehaltene „Welt rekord" des kleinsten Babys ist von Amerika geschlagen worden. Miß William St. John wurde heute in einer Klinik durch die Geburt eines Kindes erfreut, das nur ein englisches Pfund wiegt. Der glückliche Vater mißt über 1,80 Meter, ist also übernormal groß, so daß das Kind kleiner ist als der Schuh des Bakrs. Die Aerzte erklären, daß das Kind durchaus gesund sei und sicher am Leben bleiben werde. Sie erklären, daß sich die berühmte kleinste Berlinerin, das vor kurzem in Berlin geborene Baby „Vera", im wahrsten Sinne des Wortes in keiner Weise mit dem Neugeborenen messen könne- Das amerikanische Weltrekordbaby sei sowohl kleiner wie leichter als die Berlinerin. Es wiegt ein englisches Pfund (453 Gramm!), während das deutsche Baby nach der Geburt knapp 500 Gramm wog. ( »Ik kakkl« Nomi» MN Mikürs Sonnsvoi»« lekrixz »»Nin ^euekl>vnn8er, Halle (Laste) 1831 j54 „Der Arzt kann Diagnosen stellen — Prophezeiungen vermag er nicht zu geben." „Und die Mutter? Die junge Braut?" „Fragt das Schicksal danach?" „Ach Gott, nein, gewiß nicht." Was geschehen konnte, die Qualen zu mildern, das geschah. Nur Narkotika hatte Hell sich geweigert zu nehmen. „Lieber ertrage ich die Schmerzen, solange es irgend möglich ist. Ich habe noch allerlei zu ordnen und brauche meinen klaren Geist." An seinem Bett hatten sich Frau Barbara und Nora wiedergesehen. Sie hatten sich stumm die Hand gereicht. Aller Groll war begraben mit diesem Händedruck. „Wie gut, daß du hier bist", hatte Frau Barbara nach einer Weile geflüstert. Das war ihre Abbitte gewesen. Frau Woll hatte der Freundin die tränennassen Wangen gestreichelt. „Sie dürfen noch hoffen." „Hoffen — bei den Wunden?" Frau Barbara lächelte schmerzlich wie Niobe. Die Flammen hatten den Körper Hell Pollwanks bis zu den Schultern hinauf fast völlig versengt. Wer ihn so auf dem Lager liegen sah, der vermutete kaum die entsetz liche Schwere seiner Wunden. Sein Antlitz war allerdings bleich und zeigte den entschlossenen, fast harten Ausdruck eines Menschen, der nicht gewillt ist, sich von seinen Schmerzen überwältigen zu lassen. Hell wußte, daß es keine Rettung für ihn gab. Nun galt es, aus dem schmalen Rest von Leben zu machen, was zu machen war — unsühn bare Versäumnisse, so gut es ging, nachzuholen. Nora wich nicht von seinem Lager. Ihr immerwährendes Bleiben verstieß gegen die Ge setze des Hauses Aber man ließ sie gewähren. Was konme dem Kranken noch schaden? Man ließ ihm den Willen in allen Stücken. Ein paar Kleidungsstücke hatte sie sich holen lassen. So schlief sie täglich ein paar Stunden auf der Chaiselongue in Hells Zimmer; sonst wachte sie bei dem vor Schmerz immer Schlaflosen. „Sie verzeihen, wenn ich nicht zu Bobs Beerdigung komme — nicht wahr?" sagte Nora zu Hermann, dem sie Geleit gegeben bis vor die Tür des Krankenzimmers. „Wie lange werde ich ihn noch haben? Ich will keine Minute verlieren.. " Es war mit einem Male ganz selbstverständlich und völlig bekannt, daß sie Hells Braut war. Wer hatte es gesagt, wer erzählt? Es war eben so, und jeder schien es selbstverständlich zu finden. „Ist Alice schon zurück?" „Sie können jeden Augenblick eintreffen. Vielleicht sind sie schon da, wenn ich nach Hause komme." „Grüßen Sie sie, Hermann." Dann saß sie wieder an Hells Bett. „Wann wird Bob beigesetzt?" fragte Hell leise. Lautes Sprechen ermattete ihn zu sehr, er vermied es. „Heute nachmittag, Hell, mit den andern Opfern d.s Unglücks." Ein Schalten ging über Hells Gesicht. Bob hat es gut. dachte er; mich wird man allein hinaustragen. Freilich, sann er weiter, wer lot ist, weiß nichts von alledem; das ist immerhin ein tröstender Gedanke. „Ruf die Schwester!" Nora gehorchte. „Schwester, wenn Herr Woll beigesetzt ist — Sie wissen Bescheid?" „Seien Sie ruhig, Herr Vollwcrnk. Ich vergesse es nicht und der Doktor auch nicht — es ist alles vorbereitet." „Ich fürchte, es ist fast schon zu spät", keuchte Hell, von einem der quälenden Anfälle von Atemnot ergriffen, die die Folge seiner Brandwunden waren. Nora wußte nicht, uni was es sich handelte. Sie fragte nicht. Sie hielt seine Hand und schmiegte ihre blasse, küble Wange darauf. Mochte Hell tun, was er wollte — das eine war gewiß: sie würde bei ihm sein dürfen. Heugier lag ihr fern Sie schlürfte jede Minute an seiner Seite wie einen kostbaren Trank. Sie wußte ja, sie mußte ihn hergeben. Sie wollte ihr ganzes Leben in diesen Tagen — Stunden vielleicht nur — oorhernehmen. Sie hatte ja gar nicht geahnt, wie lieb sie ihn hatte. * * Das Auto, das das Ehepaar Rehfisch vom Bahnhof brachte, hielt gerade vor der Tür, als Hermann Woll aus dem Krankenhause zurückkam. Bleich und verwirrt be grüßte Alice den Bruder und eilte hinein, die Mutter zu umfangen. Eine bleierne Angst hatte sich ihrer bemächtigt, je näher sie der Heimat kam. Wer weiß, was inzwischen geschehen ist?, fragte sie sich voll Sorge. Wer weiß, ob ich bereits alles erfahren habe? Und während sie schluchzend und tröstend zugleich die geliebte zarte Gestalt umschlang, die ihr müde und doch voller Liebe auf halbem Wege entgegenkam, schien cs ihnen beiden, als wären sie um so viel Jahre getrennt gewesen, als Tage zwischen Abreise und Heimkehr lagen 'Alice flüsterte: „Und Bob — ist Bob der einzige?" „Ach, Alice, zwei noch außer ihm, die unter den Trüm mern des Laboratoriums lagen. Und bann der Biand — ihr habt es noch nicht erfahren: Selbstentzündung von Gasen an der Unglücksstelle. Sie konnten es so schnell gar nicht bannen, das Feuer." Alice atmete auf. Das war ihre trübe Ahnung ge wesen? Halb mechanisch forschte sie weiter: „Aber Menschenleben hat dies nicht gekostet?" Hermann, der mit Franz Rehfisch folgte und diesen, flüsternd die Botschaft gebracht, die seiner noch harrte, stand in diesem Augenblick dicht hinter der Schwester; er hörte gerade noch die Worte der Mutter: „Hell ist schwer verletzt — verbrannt; er wird nicht gesund werden, Alice." (Fortsetzung solgt.)