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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 19.01.1904
- Erscheinungsdatum
- 1904-01-19
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190401197
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19040119
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19040119
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- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Bemerkung
- Vorlagebedingter Textverlust
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1904
-
Monat
1904-01
- Tag 1904-01-19
-
Monat
1904-01
-
Jahr
1904
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 19.01.1904
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Luch liegen jetzt Nachrichten Über tzie bisher un-,i bekannte Ursache des Ausstande» der BondelzwartS I nor. Wie Leutnant Gentz den „Berl. N. Nachrichten*! schreibt, hatte der BondelzwartS-Kapitä» Christi«» in Warmbad einem Damara ein Schaf weggenommen. BezirkSchrs Jobst ließ den Kapitän auffordern, zu ihm auf die Statiou zu kommen. Vergeblich. Später er. schienen NatSleute und erklärten, der Damara habe nachträglich 20 Mark erhalten. Der Kapitän komme nicht. Leutnant Jobst ließ die Leute ihrer untrer- schämten Auftretens wegen festsetzen und dem Kapitän mitteilen, sie würden nicht eher entlassen werden, bis er selbst auf der Station erscheine. Der Kapitän er- widerte, er werde die Gefangene» mit Gewalt besreien. DaS Flußbett zwifchen der Station und seiner Werst ließ er mit bewaffneten Hottentotten besetzen, die den Auftrag hatten — Wie durch Eingeborene festgestellt wurde — jeden Weißen, der daS Bett passiere, nieder- Zuschüßen. Leutnant Jobst begab sich mit dem Sergeanten Snay, zwei Reitern und zwei bewaffneten Ansiedlern nach der Werst, um den Kapitän mit Ge walt nach der Station zu holen. Snay faßte den sich heftig Sträubenden am Arm und zog ihn mtt sich fort. Alsbald fielen von den BondelzwartS die ersten Schüsse. Snay erhielt eine Kugel durch den Ober arm und schoß nun den Kapitän nieder. Fast gleich, zeitig sank Snay um, von vier wntereu Schüssen ge. troffen. In dem heftigen Kamps wurden Jobst und ein Ansiedler erschossen, der andere Ansiedler schwer, ein Soldat leicht verwundet. Die am Leben Ge bliebenen mußten sich aus die Station zurückjiehen, wo sich die übrigen Europäer cinfandev. Der Bursche de» Leutnants Jobst, ein Herero, ritt nach Keetmann» Hoop. Bon dort war bereit» Hauptmann von Koppy ausgebrochev. Die BondelzwartS hätten ihn und seine kleine Abteilung leicht abfangen können, er gelangte aber glücklich nach Warmbad. Die nicht starke StationSbesatzung war hart bedrängt worden und hätte sich ohne den festen Lehmturm, der nach dem Kamps mit Kugellöchern besät war, nur schwer halten können. Nach der Ankunft v. Koppy» hatten die BondelzwartS sich bei Soudsonlyn verfchanzt. Ihre Stellung wurde mit dem Bajonett gestürmt, wobei von der Schutz truppe niemand verletzt wurde, trotzdem einem Leut- nant und drei Leuten die Pferde unter dem Leibe er- schossen und einem Manne die Stiefelsohle durch- schossen worden war. Bon den Rebellen konnten nur drei erwischt werden; sie wurden erschossen. Bon den Besatzungen der kleineren Polizeistationen im Gebiet der Aufständischen ist nur die von UhabiS, die aus zwei Mann bestand, überfallen und ermordet worden. * , * Zu dem Ausstand der Herero», die einige Eisen- bahnstationen auSgeraubt Haven, schreibt die „Tägl. Rdfch." u. o.: Möge die Verstärkung nur aus besten Freiwilligen bestehen und möge die Regierung auch dafür sorgen, daß diese Truppen wie mit allem anderen Kriegsbedarf, so auch mit gutem Pserdematerial aus reichend versehen seien. In der Kolonie selbst findet diese Truppe keine Reittiere mehr vor und in ganz Süd afrika sind, wie un» P ioatnachcichten besagen, Pferde nicht erhältlich. Wir möchten aber wrrnen, daß man sich wieder nach Argentinien w ndel. DaS Pferde- material von dort ist zu weich. DaS nach Swakopmund berufene Kanonenboot „Habicht', das einzige S ationrschiff in Weftafrita, weilte Ende Dezember vier Tage in der Walfijchbuchi und trat am 28 Dezember über di- Station Lüderitz- bucht die Fahrt nach Kapstadt an, um dort auf füuf Wochen zu docken. Der „Hadi t- braucht etwa fünf Tage, um Swakopmund zu erreichen, vermag aber ohne Aufenthalt die Strecke zurückzulegen, da der Kohlenvorrat für 2000 S« »eilen genügt. Da» Schiff kann ein ansehnliche» LandungSkorp» abgeben. Die Mannschaft zählt rund 120 Köpfe. Als zweite» Schiff steht da» VermtssungSschiff „Wolf* zur Beifügung, daS auch kürzlich seine Besatzung erneuert Hal und ieit dem 10. Okiober in der Mündung de» Kamerunflass-t ankert. Der „Wolf* hat 85 Mann B satzuog. Die kleine Snmacht verfügt also insgesamt über 220Mann, darunter 10 See-, 2 Sanitätt- und 12 DcckoWere, und über 15 Geschütz-. , rerttwrbkitervewe,««» i« Crimmitschau. Eri«»itscha«, 16. Januar. Bon zuständiger Stelle wird dem kr. Lnz. mit dem Ersuchen um Veröffentlichung mitgetcilt: „Line lsozialdemokratische Zeitung will den Arbeitern vor-I Ireden, jetzt fei er rntfchirden, daß die Fabrikbesitzer ins dem hiesigen Streike nechgeben würden. Wer von deu Streikenden feine Hoffnungen auf die Nachrichten der fozialdemokcatischev Presse fetz», wird sich bald betrogen sehen. Wir erklären endgültig, daß wir in diesem Streik unter keinen Umständen nachgeben, die ungerechten Forderungen de» Textilarbeiteroerbande» weder ganz noch teilweise bewilligen werden. Ler- Handlungen mit diesem B.rbande sind in diese» Streike jetzt und immer ausgeschlossen. Dagegen sehen wir, daß die Arbeiterschaft immer mehr die Aussichts losigkeit des unnützen Streiks erkennt. Die Zeit wird kommen, wo viele, auch wenn sie arbeiten wollten, Arbeit nicht mehr finden werden! Wer wird dann diefe Opfer fozialdemokratischer Irreführung er- nähren?" Die heute vorgcuommene Zählung der im ganzen Streikgebiete in der Textilindustrie beschäftigten Per- sonen ergab eine Gesamtzahl von 2624 Arbeitern und Arbeiterinnen. Darunter befinden sich 470 von aus- wärtS Zugezogeue, unter diesen 75 au» Bayern, 42 auk Galizien, 68 au» Böhmen und 1 aus Rußland. Gegen die am vergangenen Sonnabend vorgenommene Zählung ergibt die» eine Zunahme von 301 Arbeitern, bei den von autwLrt» Zugezogene» beträgt die Zu- nähme 130 Arbeiter in der vergangenen Woche. Vom GewerkschastSkartell in Gößnitz war beim dortigen Stadtrat die Genehmigung zu vier Bersamm- langen für heute Sonnabend daselbst nachgesucht worden, in welchen über „den gegenwärtigen Stand des KampseS in Crimmitschau und die Denkschrift der Fabrikanten* gesprochen werden sollte. Da» Gesuch wurde jedoch abgelehnt mit der Begründung, daß bereits eine der im Dezember daselbst abgehalien n Versammlungen polizeilich aufgelöst und weil in einer andern Versammlung die Brhörden von Crimmitschau in beleidigender Weise angegriffen worden seien. DaL Verbot erfolgte namentlich auch au» dem Grunde, weil durch Flugblätter die Arbeiter in aufreizender Weife zum Klaffenkampf aufgesordert werden und da- her Ausschreitungen zu befürchten sind. In welcher Weise die Streikeoden Vorgehen, um den Zuzug sremder Arbeiter fernzuhalten, darüber be richten Crimmitschauer Blätter: Von der Firma E. O. Zöffel sind Arbeiter au» Mühlhausen i. Tb. an genommen worden. Diese sind aus der Reise nach Crimmitschau von dem sozialdemokratischen Agitator Förster begleitet worden. Förster hat deu Leuten er- zählt, daß sie in Crimmitschau aus Streu schlasen müßten unter Polen und Zigeunern und daß die Schlasstälte von Läufen und Wanzen wimmele. Die Arbeiter würden durch Gendarmen nach der Fabrik gebraut und bekämen da» Tage-licht nicht wieder zu sehen. Mehrere von den Streikenden unter allen möglichen Vorspiegelungen von Crimmitschau wilder weggebrachte böhmische Arbeiterinnen haben an die Firma Prul Hosmann-Reukircheo geschrieben, daß sn bedauern, nicht geblieben zu sein. E» sei ihnen, da sie nicht richtig deutsch sprechen könnten, alles mög liche vorerzühlt worden, wa» sie zu befürchten hätten. Sie haben der Firma schon wiederholt brüflich den Wunsch auSaesprochen, wieder zurückkhren zu könoen * * Die „Nordd. Alla. Ztg.* schreibt in ihres Wochenrückblick: „Der Erimmitschauer Streik, d.ssev Code leider noch immer nicht abzusehen ist, hat ausi neue gezeigt, baß e» von Widersprüchen in der heutigen Sozialdemokratie geradezu wimmel». Wir können deshalb ruhig diese Partei mit den Waffen be- kämpfen, die sie selber un» liefert, uod Kritik an ihr üben, da die einfachste Logik aus Schritt und Tritt uvlengbar selbst Widersprüche in ihr und in den sophistischen s6 Koc berechneten Aeußerungen ihrer Presse auf- weist; lo z. B. ging die Tendenz eine- Artikels im .,Vorwärts" neulich dahin, nachzuweisen, daß bei j-dem Streik die Arbeitgeber die am meisten Ge- lchädigten sind. Der Arbeiter verliere, so lange auch der Streik dauern möge, mcht- weiter al» seinen Wochcnlohn, dir Arbeitgeber verliere aber nicht nur seine Einnahme für tue Dauer di» Streik», er ver liere unter Umständen au- die Dauer, wenn der Streik lange währe, seine oft mühsam geschaffenen G - ichästSbeziehungen. Der hieraus natürliche Schluß ist, Saß, wenn in eioem S-reik wie dem Crimmitschauer veide Teile gleichviel Solidarität bew.isen, die Unter- nehmer die größeren Opf-r dringen und darum auch die größere Tapferkeit beweise». Ewe solche Folgerung, paßt aber sehr wenig zum Latein der Sozialdemo, kratie, die sonst i» Gegenteil nicht Worte genug findet,! um die Tapferkeit der Proletarier bei deu verschiede»-« Streik» in den Himmel zu heben. So macht da» Dresdner sozialistrsche Organ den grotesken Versuch, gla»bhast zu machen, daß die Tapferkeit der „kämpfen den Proletarier* in Crimmitschau turmhoch über der Tapferkeit stehe, die unsere Soldaten im Jahre 1870/71 bewährt haben. Als» zwei Fliegen mit einer Klappe! Bon der FeldzugSarmee 1870/71 wird eine Schilderung gegeben, al» ob sie in Srkt, Hammelbraten und anderen guten Dingen förmlich erstickt wäre, »ährend oie Crimmitschauer Ausständigen un» als arme Märtyrer einer zweifelsfreien Siche vorgestellt werden, und die», obwohl dieselben Blätter auf einer anderen Seite erzählen, daß die Unter stützungSgelder bi» Februar oder gar bis Ostern vollkommen gesichert feien! Und reden sich dieselben Organe oftmals nicht außer Atem, um die sürchterlichen Schrecken des Krieges in voller Anschaulichkeit zu schildern und ihn als die schrecklichste Geißel der Menschheit hinzustelle»? Wir sehen in der Ta-, die von einem Sokrates so scharf gegeißelte Kunst der Sophisten, jeden Standpunkt mit plausibel erscheinenden Argumenten zu verteidigen, ist auch bei unseren modernen Demagogen bis zu einer beträchtlichen Virtuosität ausgebildet, die leider, wie wir schon irüher hervorgehoben, auch in weniger urteilsfähigen Kreisen des Bürgertum» einen gewisser Eindruck nicht verfehlt. * * * — Dre-d-M, 17. Jan. Zu einer Besprechung des Crimmitschauer ArbeitSkampfeS hatte die Orts gruppe Dresden der Gesellschaft für soziale Reform für Sonnabend abend nach Meinhold» Sälen einge laden. LlS erster Berichterstatter sprach Herr Ge heimrat Professor Dr. Böhmert. Redner bezeichnete gleich beim B ginn seiner Ausführungen feinen Stand- punkt n der Crimmitschauer Frage al- einen objektiven, nannte dlN dort ««»gebrochenen K-mpf nicht nur einen solchen der Arbeiter, sondern auch einen Kamp! der Unternehmer und legt die Schuld an dem Streik beiden Teilen zur Last. In seinen weiteren Au»sühr- ungen, die iw wesentlichen nur in einer Wiederhol- ung des vor acht Tagen im nationalliberalen ReichS- oerein Gesagten bestanden, neigte sich allerdings die Wage der Gerechtigkeit mehr ans die Seite der Ar beiter, denen der Redner e» im Grunde nicht glaubte verdenken zu dürfen, wenn sie für sich und ihre Familien Aufbesserung des Lohne» und Verminderung der Arbeitszeit verlangten, ebensowenig, wenn sie sich Gewerkschaften anschlössen, da doch die Unternehmer auch ihre Verbände hätten. Wesentlich klarer, weniger sprunghaft in seinen AuSsührunqen war der zweite Berichterstatter des Abend», Herr Schrtststeller Corvey welcher die Crimmitschauer Vorgänge au» eigener An ;chauung, srei vom Vorurteile der Parteien, darzu- st.llen luchte. Rach Erörterung der Vorgeschichte des Streike und auSsührlicher Würdigung der Arbei- rerforderungen warf Redner zum Schluffe die Frage auf, wa» soll in Crimmitschau werden? Eigentlich sri kein so baldige» Ende abzusehen, denn die Un- terstützungen flössen noch reichlich. Er, Redner, habe die Empfindung, daß der Strükversumpsen werde; große Ver luste auf be'des Seiten. ,m weisteu auf Seile »er Unter nehmer, ein Sieg weder hübcv noch drüben ; die Pait e werde remis blcibcn. Die beste Lösung wäre die reichtgesetzliche E nsührung Sc» Zehastaad-ntareS, be. »ondirr für die Frauen- Der soziale Friede köaoe »ur auf dem festen Bo^eo sozialer Gerechtste r ged h n — An de Vorträge schtcß sich eine kurze Debüts, »ach weicher wlgerde Rewlnton emstimm g «ngcaommrn wurde: „D>e von der Drc»>uer O-t-zuppc der Gc fell'chast für soziale Reform einzeln»-»- Versammlung stellt au die KöLigl. StaM»r-g erung d«S Ersuche?, >rn IllndrSrote die delchlenn-gte Einführung der z ba- nvndigcn Ardciirzc't 'ür Urbe terikvee zu be«"tr»zer and zur raschen Schlichtung de» Criwm tschauer Streiket nne UnteisuchuvgSkommissios zu beaartraze», dlr Vor ränge und Umstände, die zu dem Streik g 'ührt u»d die Tät gke't dc< Crimmit chaurr G »ubezencht» v rhru !>e,t haben, 'äher »«rznstellev und bestimmte E nizuvgS- v"r chläge vorzulegev * ZwmAuSstand in Crimmitschau nimmt der kühel- Chef der Reichskanzlei v. Rottenourg, d-r jetzt Kurator der Uuivr.si'ät Bonn ist, in einem Ai- nkrl der „Nanonalzrituvg" Stillung. Er tritt tür Enfahrurg Si- Z-.hvfiu^dcmagcS «in und fordert die Regierung aut, d.m vor-u^ugeo, drß eirer der Kämpfer gezwungen werde, sich aus Gnade oder Un gnade zu ergeben. Zu diese« Zweck sei vor allem erforderlich, daß ungesäumt die nötigen Maßnahmen sür die Einführung de« gesetzlichen Zehnstundentage» für Frauen getroffen werden. Ein neuer Dippold. Mau schreibt der .Boss. Ztg." au» Paris: Die alte etwa» geheimnisvolle Erfahrung, daß aufsehener regende Ausnahmefälle, r» handle sich um Unfälle »der Verbreche», lie Neigung habe», reihrnwei» auf- zutreten, scheint sich wieder zu bestätigen. Paris hat nun auch ei» Ungeheuer vom Schlage der Dippold», vor kurze» erschien ein Mitglied einer WohltätigkeitS- gesellschaft iu eine» eleganten Gasthos der Rue Rameau und fragte nach einem Mieter, Herrn Gaston Neuville. Er sei ausgegangen, beschiel) man ihn. ,U»d der kleine LouiS?* Der werde wohl zu Hause sein. „Ich »uß ihn sofort sprechen.* Siu Diener führte ihn nach der Stube des angeblichen Neuville und öffnete sie. Ein überraschende» Schauspiel bot sich de» Eintretenden dar. Sie sahen den Knaben, den der Besucher als den „kleinen Louis* bezeichnet halte, eine 12 jährige Waise namen« Loui» Fey-rtag, vollkommen entkleidet, an Händen und Füßen mittel» vielfacher Umwindungen von starke« Bindfaden ge fesselt, an da» Fensterkeeuz gebunden, während ein Knebel, den ein am Hinterhaupt verknotete» Taschen tuch im Munde festhielt, ihn am Rufen und Schreie« verhiuderte. Der Besucher befreite den Knaben rasch au» seiner qualvollen Loge, kleidete ihn an und führte ihn unverweilt auf da» Pslizeiamt de» Viertel», wo er dem Kommissar erzählte, er habe vor einigen Monaten erfahren, ein gewisser Eugene Guerin, ehe maliger Privatlehrer, der in einem schön gelegen«» Orte unweit Pari» wohnte, sei al» Kinderjreund und Wohltäter bekanvt und nehme sich gern verlassener Kleinen an. Auf Eekuudiguug sei ihm die Auskunft geworden, Guerin sei 36 Jahre alt, gelte für wohl- habend, besitze angeblich eine JahreSrrnte von 7000 Francs und erfreue sich an seine« Wohnorte de» beste» Rufe». Darau'hin habe er kein Bedenken ge tragen, ihm den kleinen LouiS Fiyertag zu empfehle», an dr« der Wohltätigkeitsverein, vem er angehörte, Anteil «ehme. Guerin habe den hübschen aufgeweck ten Jungen vor 5 Monaten mit allen Anzeichen der Freute ausgenommen und versprochen, väterlich sür ihn zu sorgen. Vor einigen Tagen sei dsS Gerücht zu ihm gedrungen, daß Guerin unter de» falschen Namen Guston Neuville einen Pariser Gasthof be wohne und seinen Pflegling grausam mißhandle. Er sei ihm weiter gesagt worden, daß Guerin die Aufnahme von verlassene» oder verwaisten Kindern seit geraumer Zeit gewerbsmäßig betreibe und seine vorgeichützte Wohltätigkeit dazu benutze, um bei reichen P-rjonen, die al» mildtätig bekannt seien, ersolgreiche Großbettelei zu üben. Nut diese Auskünfte hin fei er in den ihm ungegebeven Gasthos geeilt und habe sie, wie der Augenschein lehre, traurig bestätigt gesunden. Der Polizeiknmmiffar vernahm den jungen LouiS F-yrrtag, und dieser erzählte: „Ich bin feit 5 Mo- aalen bei diesem Menschen. Ja den beiden ersten Monaten behandelte er mich nicht zu schlecht. Er -ab mir nur von Zeit zu Zeit ansehnliche Backpfeifen. Aber feit drei Monaten hört er nicht aui, mich zu soltcrn. Ost läßt er mich den ganzen Tag fasten. Wenn ich wimmere, zwingt er mich mtt S ockschlägen, Glaubersalz zu schluck,». NachtS kleidet er mich ganz aus, bindet mir die Aime und Hände im Rücken, knebelt mir den Mund und wirkt mich aus Sen Bertvorlege', wo ich bis zum Marge» liege» sleibcn muß. Ec bcnutzie, um mich zu prügeln, eine Sünne Eise»stange, die sich unter der Heftigkeit der Schläge vollständig kiümmte, so daß cr sie au seine« Knie gerade biege» mußte, um weiter zu Hauer. Eine L<eblisgS»ißha»dlung bestand darin, daß er wer nach einander beide Wingen fest zwischen Daumen und Zeigefinger f^ßt« urd so lange dreht-, bis die Haut barst und da- Blut hervvrschoß. Einmal schlug er mich mit der Eisenstange so heftig vor den Mund, daß er mir vier Zähne brach." Bei diesen Worte« zog der arme Jauge au» der Wrst-ntatche de sorg fältig in Papier gewickelten B uchstücke seiner Zähne hervor und breitete sie vor dem emsitz'en Beamte« au». „Oft, wenn ich rackt vor ihm stand oder am jBoden lac, machte er dar Ende seiner Eisenstange im Sam nseurr glühend und brandmarkte mich damit am Die gute Partie. Roman von Margarete Kossak. S. Korts. (Aachdr. verboten.) Glücklicherweise überhob das dröhnende Geläch ter der Tafelnden, welches den gelungenen Scherz be jubelte, den unglücklichen Bräutigam der Antwort. Vnkel Emil aber fuhr heitergelaunt fort: „Ich für meine Person habe von jeher zu große Angst da vor gehabt ,Ne —' sagt' ich mir schon als junger Mensch — ,bleib' lieber ledig, Emil. Dann weißt Du, wa» Du hast, aber wenn Du heiratest, dann weißt Du nicht, was Du kriegst' Aber Sie haben »ehr Nut und offen gestanden — es gefällt mir, wenn junge Leute Nut haben. Na — auf Ihr Spezielles, lieber Herr Neveu " So und ähnlich ging es während der ganzen Mahlzeit „Höre nicht auf den Onkel," flüsterte Erna ihrem Verlobten zu. „Er ist ein abscheulicher, alter Mann und, wenn er nicht ein Erbonkel und ich sein Liebling wäre, so hätten wir längst den Verkehr mit ihm abgebrochen, aber so — Du begreifst wohl?" Iawohl, er begriff — begriff, daß Erna, obgleich die Tochter eines reichen Nannes, doch den Wert des Geldes besser zu schätzen wußte, als er annahm. Nach dem Abendessen wurden Pfänderspiele ge spielt. Kritz hatte immer gemeint, daß dieselben nicht mehr recht Node wären, aber die Erfahrung des heutigen Abends lehrte ihn, daß er sich darin ge täuscht hatte. Selbst der Vnkel Emil, welcher reich lich seine sechzig erlebt hatte, verschmähte es nicht, ab und zu ein wenig mitzuspielen, ja man denke nur, dieser alte Sünder »achte sogar den Vorschlag, die Pfänder mit Nüssen auszulösen. „Wir sind ja doch unter lauter verwa.idten," äußerte er in seiner humoristischen Weise, „und da kommt es auf ein paar Küsse nicht an Was meinen Sie dazu, junger Mann?' wandte er sich an Kritz. „Sie sind doch auch sür's Küssen — was?" Kritz war so verärgert, daß er es nicht fertig brachte, dem unausstehlichen Alten mit einem Scherz zu erwidern; da er ihn andererseits aber doch nicht erzürnen wollte, so schwieg er. Der Tnkel lachte laut aus. .Ich dachte, Sie hätten Nut, junger Nann Also doch nicht ! Na, passen Sie auf, dann werden Sie in der Ehe auch den kürzeren ziehen denn mein liebes Nichtchen, die Erna, ist ein kleiner Racker. Nit der den Kampf aufzunehmen, dazu gehört Nut — Nut — Nut!* „Aber Vnkelchen —" flüsterte ihm Krau Diese- bach zu, „was Du auch alles redest!' .Bist auch 'n Racker, ebenso wie Deine Loch' ter," entgegnete der Onkel. Da die Dame sich ver- teidixen wollte, redete er schnell weiter „ich kann das schon sagen — ich. der Senior der Kamille, Dein Oheim und der Großoheim Deines lieben Ernachens Hab' Euch alle aufwachsen sehen und weiß, daß Ihr insgesamt Rackerzeug seid ja, ja, ja!" Alle lachten, es schien wirklich, als ob niemand Anstoß an den Späßen des lieben Vnkel» nähme. Kritz jedoch dachte, daß die Kamilie seiner Braut bezüglich ihrer gesellschaftlichen Bildung doch auf einer noch niedrigeren Stufe stände, als es ihm zu erst erschienen war. Lieber Sott, er stammte auch aus einfachen Verhältnissen, aber mit diesen Leuten hier verglichen, hatte sein »erstorbener Vater das Benehmen eine« Grand Seigneur besessen. Nun, schließt ch heiratete er ja nicht den Vnkel Emil und Konsorten, sondern nur seine Erna, und die war ein fein erzogene», gebildetes Nädchen Im übrigen dankte er Sott, als der Kamilien- abend zu Ende war. Lange genug hatte er gedauert, denn als die ersten aufbrachen, schlug die Uhr über dem Kaminsims drei Diese Leute besaßen eben eine erstaunliche Genußfähigkeit Mährend der nächsten Wochen dachte Kritz Wehner, daß so ein Brautstand für einen Nann, der genötigt war, zu arbeiten, doch seine großen Schattenseiten hätte, wenn er die Ansprüche, welche eine Erna an seine Person machte, auch nur halb- vegs befriedigen wollte, so mußte er sein Geschäft in unerhörter weise vernachlässigen Ein Glück war's nur, daß er Kräulein Sophie hatte, auf die er sich unbedingt verlassen konnte, denn andernfalls wäre der Schaden den er durch seine beständige Abwesen heit von Hause erlitt, unberechenbar gewesen. Da wurden Brautvisiten gemacht, da mußte er mit Erna und seiner Schwiegermutter in Läden oder spazieren gehen, da hieß es Gesellschaften, Theater und Kon zerte besuchen usw. usw. Daß er einen Abend zu Hause zubringen durfte, kam kaum noch ver. Wenn er dann spät heimgekommen war, so fühlte er sich am andern Norgen wie zerschlagen und unlustig zu jeder ernsten Tätigkeit Sagte er aber mal ein Wort darüber, daß dieser fortwährende Trubel ihn geschäftlich zu sehr versäumte so äußerte seine Schwiegermutter sofort: „Ia lieber Kr tz, in unserer Stellung muß man die Dehors wahren. Wenn Ihnen das nicht paßt, so hätten Sie nicht ein Nädchen wählen sollen, das es gewohnt ist, eine gesellschaft liche Rolle zu spielen." Erna ihrerseits aber hatte bei solchen Gelegenheiten eine Art ihn anzusehen, die ihm jedes weitere Wort im Nunde ersterben ließ. Noch schlimmer als der Zeitverlust war es für ihn, daß der Brautstand ihm für seine Verhältnisse ganz unsinnige Summen kostete. Gleich durch sein Brautgeschenk war seine Kasse beträchtlich geleert worden. Erna hatte natürlich in naiver Gleichgültig keit hinsichtlich des Geldpunktes einen Brillantster» gewählt, dessen Preis den des verschmähten Arm bandes um mehr als das Doppelte überstieg. Auch seine Kurcht, daß er ihr fortan täglich Blumen würde mitbringen müssen, mar imr zu begründet ge wesen. Lat er einmal so, als hätte er es vergessen, so erinnerte sie ihn schleunigst daran. „Du, Schatz, heut' abend gehen wir zu Tante Klara, da ziehe ich mein schwarzes Spitzenkleid an, es ist mit dunkelroten Schleifen garniert — also bringe mir heute dunkelrote Rosen mit," hieß es dann oder „denke doch nur ja d'ran, daß ich morgen, wenn wir auf die Eisbahn gehen, zwei kleine Sträuße zum Anstecken habe, einen ans Jackett und einen an den Nuss. Nimm aber lieber halbauf gebrochene Rosen, die erfrieren nicht so leicht in der Kälte." Zuweilen mußte er in solchen Källen auch noch scherzhafte Reden über sich ergehen lassen. (Kortsetzung folgt.)
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