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/ in Frankenthal und Rammenau herrschte rege Weberei- Beschäftigung. Im Jahre 1813 wurde in Großröhrsdorf die Gurt-, 1836 die Iaquardgurt- und Gummiband- wcbcrci eingeführt, ihr folgten im Jahre 1844 die Schnuren-, Kordel- und Litzen- und 1860 die Canevas- Fabrikativn. Im Jahre 1855 gelangte die erste Dampf maschine zum Antrieb mechanischer Bandwebstühle, letztere aus England bezogen, bei der Firma Johann Gottfried Schöne sn Großröhrsdorf zur Aufstellung, der in den folgenden Jahren weitere für die Band- und Breitweberci überall folgten. Neues Zukunftshoffen und Aussichten auf weitere Fortschritte durch die technische Errungenschaft der Dampfmaschine waren also vorhanden und besonders Großröhrsdorf war es, welches sich neben Pulsnitz, Bretnig und Ohorn zu einem bedeutenden Fa brikort erheben konnte. Mit dem Fortschritt der Weberei entwickelte sich auch die Hausweberei, die besonders die Einwohner der kleineren Ortschaften beschäftigte und dort Lohn und Brot vielfach für ganze Familien brachte. Im übrigen haben im Laufe der Zeit nicht nur Hunderte, sondern Tausende von Menschen in der Textilindustrie Beschäftigung finden können, so daß Wohlstand eine un ausbleibliche Folge war, nicht zu vergessen das starke Anwachsen der Bevölkerungsziffern in den verschiedensten Ortschaften. Ohne daß es moderne Verkehrsmittel gab, wurde schon vor Jahrhunderten mit den Leinwand- und Band waren ein reger Handel betrieben. Außer Märkten waren besondere Hauptabsatzgebiete die Messen Leipzig und Frankfurt/Oder, aber auch darüber hinaus nach dem übrigen Deutschland, sogar nach dem Ausland, wurden die Waren abgesetzt und fanden überall guten Anklang Vor Schaffung von Eisenbahnen benötigten zum Beispiel die hiesigen Fabrikanten drei Tage, um bis nach Leipzig zur Messe zu gelangen, eine Zeitspanne, die bei den heutigen modernen Verkehrsmitteln nicht mehr vorstell bar ist. Weniger fortschrittlich war den damaligen Zeit verhältnissen entsprechend die Beförderung von Post sachen. Noch bis zum Jahre 1848 wurden alle geschäft lichen und privaten Postsachen, wie Briefe, Pakete usw., durch zwei Botenfrauen hin- und herbefördert, so daß es als großer Fortschritt bezeichnet wurde, als in diesem Jahre als Postverkehrsmittel eine Hundefuhrwerk den Verkehr bis Radeberg vermittelte. Erst im Jahre 1867 wurde dieses „Postverkehrsmittel" durch einen Post wagen abgelöst. s Aus kleinsten Anfängen heraus mit den primitivsten „Maschinen", die mit einer Fabrikation, wie sie heute verstanden wird, noch nichts zu tun hatten, ist eine In dustrie entstanden, die weit über Deutschlands Grenzen hinaus den besten Ruf genießt. Nicht nur, daß die Breit weberei mit den übrigen deutschen Industriezentren zu konkurrieren vermag, ist es vor allem die Bandindustrie, die sich ihrem größten Rivalen, der Wuppertaler Band industrie, standhaft behaupten kann. Neben letzterer hat die hiesige Bandindustrie in ihrer Vielgestaltigkeit Welt ruf erlangt. Die Textilindustrieerzeugnisse des Rödertales, wie überhaupt des Bezirks des Amtsgerichts Pulsnitz finden heute Absatz in aller Herren Länder. Mag auch durch die jetzige Wirtschaftskrise, die die ganze Welt er» faßt hat, so mancher traurige Rückschritt in der hei mischen Textilindustrie erfolgt sein, so ist doch mit Stolz dem jahrhundertelangen Fortschritt und der technischen Vervollkommnung bis zur jüngsten Zeit zu gedenken, in der Hoffnung, daß die erfolgten Rückschläge der gegen wärtigen Krise bald wettgemacht und überwunden wer den, damit die, welche jäh aus dem Arbeitsprozeß der Textilindustrie gerissen wurden, neue Beschäftigung und damit wieder Lohn und Brot finden wie früher zu Zeiten des Aufstieges der Textilindustrie. Zum Schluß sei noch in ehrfurchtsvoller Weise des Schöpfers der Bandweberei im Rödertale gedacht. Cs war, wie eingangs bereits erwähnt, der Großröhrsdorfer Bandwebcr George Hans. Die Stadt Großröhrsdorf hat zu Ehren dieses Mannes an dem Hause in Groß röhrsdorf, in dem George Hans gewohnt hat, eine große bronzene Gedenktafel anbringen lassen und ferner eine Straße innerhalb der Stadt nach seinem Namen be nannt. Großröhrsdorf gilt heute als Hauptsitz der Band industrie Sachsens und verdankt seinen heutigen Ruf als Industriestadt nicht zuletzt George Hans. E. M. Förster Laubsch Skizze von Kurt Kühns Mitten im oberschlesischen Grenzwald lag das Forst- Haus Heidewinkel. Im Erdgeschoß hauste der gräfliche Förster Laubsch, im Oberstock lagen die Iagdzimmer der Grafen Hohenstein'-Hielstein, in denen die Edelleute wohnten, wenn sie zur Jagd nach Heidewinkel kamen. Es geschah das selten, seit der große Forst Hohenmoor polnisch geworden. So hatte Förster Laubsch hier allein sein Reich, und es war ihm recht so. Er brauchte nie manden, der alte Junggeselle! Cora, die edle Schweiß- Hündin, und Waldmann, der Teckel, waren ihm Gesell schaft genug, seit das Mädchen, das er liebte, einen andern geheiratet hatte. Förster Laubsch, ein untersetzter, stämmiger Mann, dem bereits das erste Grau den rötlichen Schnurrbart Heller färbte, schloß die Türen und Fensterläden seines Hauses. Er hatte dies zu einer völligen Festung aus gebaut: Schießscharten in allen Fensterläden, namentlich nach dem freien Vorplatz hin; hinter dem Garten hatte er einen Drahtverhau errichtet, wie er's im Kriege ge lernt. Und Wolfsgruben. So leicht war seine Festung nicht zu nehmen. Nun, bis jetzt hatte noch keiner gewagt, ihn in seinem Malepartus anzugreifen, denn er war ein Schütze wie wenige. Das wußten alle. Es dunkelte eben, als Laubsch sich in seinem Lehn stuhl am Fenster mit dem Blick auf den freien Vorplatz setzte. Er wollte Nachtwache halten, es war wieder dicke Luft. Seine Waldarbeiter waren heute nicht zur Arbeit erschienen, und als er am Nachmittag in Gorczin, dem nächsten polnischen Dorf, gewesen, hatte er wieder aller hand faules Volk auf der Straße und in den Schenken gesehen, Insurgenten. Ja, es wäre doch wohl ein anderes Leben geworden, wenn eine hübsche Frau Försterin ihm hier hausgehalten hätte, dachte Laubsch. Ein feiner Mädchenkopf tauchte vor ihm auf, mit stillen, blauen Augen. Das war eine schöne Ueberraschung gewesen, als er aus dem Kriege gekommen und seine Christine inzwischen den reichen Viehhändler Kupisch in Gorczin geheiratet hatte. Nun ja, in einem so unruhigen Grenzerleben war eine Frau gar nicht zu gebrauchen. Er hätte sich ja kaum getraut, ins Revier zu gehen, wenn er sie allein in dem einsamen Hause gewußt. Er wäre nie der Förster geworden, der er war, immer im Revier gegen Raubzeug und Wild diebe. immer auf dem Sprung. Förster Laubsch saß still in seinem Lehnstuhl; kein Laut. Nur seine Hunde, die, behaglich zusammengerollt, auf ihren Decken schliefen, begleiteten zuweilen ihre Träume mit einem leisen Knurren. Da, es mochte gegen elf Uhr nachts sein, begannen die Glocken in Gorczin heftig zu läuten! Sturm! — Laubsch fuhr auf. Jetzt ging der Tanz los. Arme Landsleute! Eine Stunde mochte vergangen sM, da hörte er rasche Schritte. Zugleich fuhren seine Hunde knurrend auf. Laubsch griff zur geladenen Büchse, die neben ihm lag. Eine Frau eilte aus dem Walde, zwei weinende Kinder an der Hand. Zugleich hörte er eine merkwürdig bekannte Stimme: „Förster Laubsch! Hilfe! Hilfe! Das war Christine! Mit einem Satz war er an der Tür und zog das arme, zitternde Weib über seine Schwelle. „Du, Christine?" brachte er hervor. I „Ich, ja!" stöhnte Christine. „Laubsch', hilf mir' Mein Mann liegt am Wege. Sie haben ihn halbtot ' geschlagen!" Ohne ein Wort griff Laubsch zum Gewehr, pfiff seinen Hunden und stürmte in die Nacht hinaus. Daß jener Mann ihm sein Teuerstes genommen, was Lalt das jetzt? Ein Landsmann in Not! Laubsch eilte den Gorcziner Weg hinab. Nach kaum fünf Minuten hatten die Hunde Witterung. Am Wege lag eine Gestalt, blutig geschlagen, die Kleider waren halb vom Leibe gerissen: Christinens Mann, der reiche Vieh händler Kupisch. Laubsch richtete den Stöhnenden auf und schleppte ihn nach dem Forsthause. In tausend Aengsten hatte Christine gewartet. Sie half den schwer Atmenden auf das Bett des Försters legen und kühlte die brennenden Wunden. Laubsch stand schweigend. „Ich denke, dein Mann war ein Freund der Polen?" sagte er bitter. „Es sind auch Menschen und haben vielleicht ein besseres Recht auf dies Land!" war seine Rede. „Die Polen haben ihn für seine Freundschaft übel belohnt!" Christine antwortete nicht. Sie hielt den Blick ge senkt, wie damals, als er ihr, aus dem Felde heim gekehrt, zum ersten Male nach ihrer Ehe begegnet. Jetzt schlugen die Hunde hell an. Wieder mit einem Satz war Laubsch am Fenster: ein Dutzend Kerle stürmte über den Vorplatz. Laubsch ritz die Büchse an die Wange, ein Knall zerriß die Stille der Nacht! Noch einer! Zwei Kerle wälzten sich in ihrem Blut. Die anderen verschwanden. Laubsch ging vor das Haus und streifte die nächste Umgebung ab. Alles war ruhig. Die Polen rannten bis Gorczin, da konnte er sicher sein. Aber sie würden wiederkommen, vielleicht 50, vielleicht 100 Mann. Er eilte zurück. Kupisch hatte die Augen aufge schlagen: er hatte sich etwas erholt. „Ihr müßt über die Grenze", sagte Laubsch. „Dort seid Ihr sicher. Kommt!" Mühsam raffte Kupisch sich auf; Christine nahm ihre Kinder an der Hand, während Laubsch den Verwundeten halb stützte, halb trug. Die Hunde sicherten den Zug. So zogen sie durch den Wald. „Wir gehen durch das schwarze Moor", sagte Laubsch. „Keiner kennt den Uebergang, auch nicht der Grenzjäger." Der Boden wurde weich unter ihren Füßen und be gann zu schwanken. Da schrie der Verwundete: „Du führtst mich in den Tod. Du willst mich ertränken. Ich gehe nicht weiter." „Sei vernünftig, mach' vor allen Dingen kein Ge schrei!" redet Laubsch ihm zu. „Ich tu dir nichts. Weiter!" „Ich kann nicht mehr!" Kupisch ließ sich erschöpft ins Moos fallen. Es half nichts. Laubsch lud sich den Verwundeten auf den Rücken. Es war wahrlich keine leichte Last. Sie betraten den schmalen Damm, den Laubsch durch das Moor gebaut. Die Knüppel waren glatt, dazwischen gluckste das Moor. Mühsam kämpfte man sich vorwärts, durch Schilf und dichtes Erlengehölz. Da schimmerte offenes Wg^ser vor .Hnen, die Prczemsa, das Grenzflüßchen. Das andere User war deutsch. Sie überschritten den schwanken Steg, den Laubsch hinübergelegt. Gerettet! — — Ein Weilchen rastete man. Kupisch lag völlig er schöpft im Grase. „Laubsch", sagte Christine und faßte seine Hand, „ich habe dir viel abzubitten." „Gar nichts", erwiderte Laubsch, die Zähne zusam menbeißend. „Es kommt alles, wie es kommen soll. Bloß, daß du es mit den Polen gehalten —" „Ich nicht", rief Christine. „Aber soll eine Frau nicht ihrem Manne gehorsam sein?" > „Auch wahr", sagte Laubsch. „Also vorwärts, daß du mit den Kindern unter ein schützendes Dach kommst!" Er warf die Büchse über die Schulter und richtete den Verwundeten auf. Weiter zogen sie durch den nächt lichen Wald. Dieser lichtete sich. „Da liegt Rüdnitz", sagte Laubsch und deutete auf einige Lichter, die in der Ferne aus tauchten. Ihr seid in Sicherheit. Lebewohl, Christine, mit deinen Kindern!" Er drückte ihr die Hand, strich den Kleinen über die Blondköpfe und schritt mit seinen Hunden zurück in den Wald. Oer Mann mit den Teuselsstrahlen. In allen Zeitschriften der Welt sah man sein Bild: das durchgeistigte Profil mit der energischen Nase und der hohen Philosophenstirn. Zwei Kriegsminister, der englische und der französische, nebst einem ganzen Heer amerikanischer Agenten lagen um die Erfindung Grindell Matthews in er- bitterter Fehde. War doch diese Erfindung geeignet, die Welt auf den Kopf zu stellen. Es bedurfte nur eines Drucks auf den Taster seines Zauberapparats, damit alle Lokomotiven, Autos, Elektromobile, ja alle Maschinen, die mit motorischer Kraft betrieben werden, weit und breit, im Umkreis von dreißig Kilometer, aussetzten; damit die Kraft des Dampfes, die die Lokomotive über die Schienen, die Schlacht- und Han delsschiffe über die Wellen treibt, erlahme, die Dynamos der Fabriken stillstehen, Aeroplane jämmerlich zu Boden stürzen. Die Strahlen die der teuflische Apparat Grindell Matthews l erzeugte, verstanden sich angeblich auch auf eine andere Kunst. Drahtlos schleuderten sie elektrische Kraft in den Raum hinaus und mit einemmal erstarrte alles Leben in ihrem Macht- bereich. Man durfte nun in den schwärzesten Farben die Schrecken eines Zukunftskrieges ausmalen, des gigantischen Kampfes gegen die todbringenden unsichtbaren Strahlen, die ihren Besitzer schier unbesiegbar machen mußten. Die Welt jenseits und diesseits des Ozeans hallte vom Ruhm Grindell Matthews wider, bevor noch auch ein einziger Mensch seinen Apparat gesehen hatte. Man schrieb und erzählte, daß die Maschine, verborgen irgendwo im Schußhaus eines Gebirgs gipfels, mit den Teufelsstrahlen ganze Armeen hinmähen und die Millionenbevölkerung von Großstädten in wenigen Mi. nuten vernichten könnte. Grindell Matthews führte inzwischen Verhandlungen mit den Abgesandten der französischen, englischen und ameri- konischen Ministerien. Die erste Probevorführung seiner Teufelsstrahlen sollte erst stattsinden, wenn er einen Vor schuß in beträchtlicher Höhe erhalten hatte. An dieser Forde rung hielt Grindell Matthews mit Beharrlichkeit fest. Solang kein Geld, auch keine Strahlen! Schließlich entschlosssn sich die französischen Unterhändler, die Brieftaschen zu öffnen, und die Vorführung der Teufelsstrahlen ging in einem Pa- riser Laboratorium vor sich. Matthews war nicht dabei. Er ließ sich bloß durch einen Assistenten vertreten. Was zwischen den vier Wänden des Laboratoriums geschehen war, wurde niemals öffentlich bekannt. Fest steht nur, daß die berühm ten todbringenden Strahlen nicht einmal eine Maus auf zehn Meter Entfernung zu töten vermochten. Der gezähmte un- sichtbare Blitz, der auf des Erfinders Geheiß von einem Punkt des Raumes auf den anderen hätte überspringen sollen, alles verheerend und vertilgend, erwies sich als ein Schauer märchen, das sich große Kinder hatten erzählen lasten. Die französischen Sachverständigen schämten sich in den Boden hinein, die Sache wurde vertuscht, Grindell Matthews ver- schwand aber mit dem Vorschuß in der Tasche aus Europa und tauchte irgendwo in Amerika unter. Das Märchen von der drahtlos geleiteten, vernichtenden Kraft war begraben. Napoleons pariser Wohnung. Legenden sind zählebig! Zahllose Pariser sind überzeugt, daß Bonaparte als Artillerielcutnant vor der Revolution am Quai Conti Nummer 5 gewohnt hat. Dort erhebt sich im Schatten alter Bäume ein baufälliges Haus mit grauer Fassade. Im Eingang links ist eine schwarze Marmortafel angebracht, auf der mit goldenen Lettern verzeichnet ist, daß der junge Bonaparte dort hauste. Aber es ist unrichtig. Erst während des zweiten Kaiser reiches wurde die Geschichte so entstellt, als man sich erinnerte,