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Ein Blick wie aus weiter Ferne spazierte über die zu dringliche Wölbung. Selbstverständlich schlicht und einfach sagte der Mann: „Ich geh ins Bett!" Er erhob sich ruhig von seinem luftigen Sitz — achtlos war die Gebärde — trat einen Schritt vorwärts, war mit einem Male verschwunden. Tief unten plumpste es. Zacharias Erstarrung lösten Gedanken der Menschenpflicht. Schöne blanke Lackschuhe rasten schmutzige Stufen hinunter. Peitjen sprang mit ge übtem Kopfsprung. Das Wasser war knietief. Mit dröhnendem Schädel saß Zacharias aufrecht. Neben ihm saß schweigend der andere Gemeinsam stiegen sie die Stufen hinauf. Der stolz gewölbte Bergleichsregenschirm war zusammengeklappt, dahin aller Glanz. Die neckische Knopflochblume schaukelte unten im Wasser. Dienstbeflissen. Ende des Hochherrschaftlichen Es sammelten sich: Noch zwei Beschwipste. Ein Chauf feur. Ein Milchjunge. Eine Zeitungsfrau. Dann ein Schupo. Peitjen erklärte das Kleiderbündel. Der Fremde ver harrte in verstocktem Schweigen. Behördliche Untersuchung des Turners. Amtliches Urteil: „Total besoffen!" Der Schupo verschwand in der Richtung aus ein Telefon. Zacharias nahm triefend den bewundernden Zoll der Umstehenden entgegen. Die zurückkehrende Uniform brachte ein Rettungsauto mit. Ein schwarzes Notizbuch verschlang Peitjens Adresse und Namen. Das Auto entführte den seelenruhigen Geretteten mit dem Kleiderbündel. Zacharias wandelte weiter. Der feiertägliche Anzug war verdorben. Die Straße zog am Kanal entlang. Hoch klingt das Lied vom braven Mann. Zu Hause besah Peitjen sich stolz und wehmütig im Spiegel. Vier Tage später brachte die Post eine Karte. Sie lautete: „Mein Herr! Bei dem unliebsamen Vorfall am Donnerstag sind meine Stiefel abhanden gekommen Sie kosteten 16,95 Mark. Sollte ich innerhalb vierzehn Tagen nicht den Gegenwert in Händen haben, wäre ich genötigt, mich mit meinem Rechtsanwalt in Verbindung zu setzen. Hochachtungsvoll . ." Peitjen fluchte in allen Tonarten. Der Menschen liebe im besonderen. —»» Das Heiratsgesuch Skizze von Paulrichard Hensel Robert Bruns fühlte sich mit fünfzig Jahren noch nicht alt genug, um sein Leben auf sich allein zu beschränken. Aber es war nur eine Laune, als er das Heiratsgesuch in die Zeitung gesetzt hatte. Er wollte Menschen kennen lernen, aber er konnte sich nicht mehr binden; es gab einmal eine Zeit für ihn, in der er hohe und strenge Ansichten von Ehe und Gemeinschaft besaß; es war ihm keine Freude daraus entstanden. Eifersucht, Mißverständnisse, das Unvermögen, seine Gedankenwelt mit der leichteren Lebensauffassung der Frau in Einklang zu bringen, alles das hatte ihn unsicher und zermürbt gemacht. Er setzte die Scheidung durch, weil er es für alle Teile am besten hielt. Mit der Schuld, die er auf sich nahm, verlor er Weib und Kind. Seit jener Zeit — sie lag schon weit zurück — war er nicht viel glück licher geworden. Viske hatten auf sein Gesuch geantwortet. Die Briefe einer jungen Dame fesselten ihn am meisten. Das mochte ein Abenteuer werden! Was war Recht oder Unrecht? . Er wollte keinen Kampf oder Widersprüche, der Ansichten mehr, sondern es sollte ein Spiel werden, eine Freude, die Herz web ersparte — und es schien Bruns fast, als ob im Grunde die junge Briefschreiberin genau so dachte wie er. Und auf seine Einladung, Pfingsten in seinem Kraftwagen gemeinsam einen Ausflug zu machen, hatte er schnell eine Zustimmung bekommen. Langsam fuhr er zur verabredeten Zeit, seinen Wagen selbst lenkend, dem vereinbarten Treff punkt zu. Er hatte ja noch immer Gelegenheit, gleichgültig vorbei zu fahren, wenn ihm das Gesicht der Erwarteten nicht gefiel. Da hielt ein paar Seitenstraßen vorher ein Ruf ihn an. Ein schlankes Mädchen von etwa achtzehn Jahren trat schnell näher und reichte unbefangen dem Manne die Hand „Guten Tag, Papa." Und während er sie noch be troffen und aus seinem Gcdankengang gerissen ansah, öffnete sie schon die Wagentür: „Du nimmst mich ein Stückchen mit, ja? Das trifft sich ja fein!" Ein paar Minuten lang war Robert Bruns verlegen. Monatelang hat er seine Tochter nicht gesehen. Bisweilen besuchte sie ihn. Denn was hatte sie mit dem Konflikt zwi schen den Eltern zu schaffen? Nun saß sie da, froh, ihn zu treffen, jung, vergnügt — sollte er da sagen: Kind, gerade heute habe ich keine Zeit . . . ? Er hatte Erika, sein Kind, immer gern gehabt. Ihre Unbefangenheit, die nie mit Fragen an der Situation, in der sie zu dem Vater stand, rührte, war erfrischend. Auch jetzt plauderte sie frisch drauf los, als wäre es das Natürlichste auf der Welt, daß sie gerade heute neben ihm saß. Aber die Straße weiter fahren bis zu der Säule, an der eine andere wartete, konnte er nun nicht. Langsam wendete er den Wagen. „Ich störe dich doch nicht, Papa? Ist doch auch ganz schön, mit einer jungen Dame in den Frühling zu bummeln, j nicht wahr?" Er lächelte. „Sei nicht so kokett, Erika!" Sie sah ihn groß an. „Wieso bin ich kokett? Ist es nicht schön?" Er schwieg. Sie waren bald am Ausgang der Stadt. Nach einer Weile sagte er: „Du fragst gar nicht, wie es mir in der letzten Zeit gegangen ist." „Ich weiß, nicht allzu gut. Ich sehe es an Deinen Augen. Da hat man meist das Fragen nicht gern." Sie war von einer fast kalten, aber sicheren Logik. Wie sie so ihn nahe war, in dem Hellen Mantel, mit der nachlässigen Anmut der an Selbständigkeit gewöhnten jungen Dame, wunderte sich Bruns, daß dies sein Geschöpf war, daß dieses Mädchen lebte und entwickelte, ohne daß er An teil daran hatte. Warum dachte er nicht mehr an sie, be kümmerte sich nicht mehr um sie? Es war ein ganz früh lingsechter Wunsch, dieses Mädchen viel um sich zu haben, sein Kind, in ihr Erinnerung an die eigene Jugend zu fin den und die neue zu verstehen. Hier lag eine Aufgabe für ihn, eine Pflicht, deren Erfüllung verlockte. Und das Alt werden war dann nicht mehr voller Schrecken und törichter Gedanken. Da sagte Erika: „Schade, daß Bob nicht so einen Wa gen hat. Wir hätten eine schöne Pfingstfahrt machen können." „Welcher Bob?" fragte Bruns, und es war ihm, als müsse er den Atem anhalten. „Bob . . . nun ja, das ist ein sehr netter Mensch, den ich lieb habe . . ." „Bist Du mit ihm verlobt?" „Nein, das hat doch Zeit..." „Und trotzdem hast Du den Wunsch, allein mit ihm fort zu fahren?" Sie sah ihn verwundert an. „Wenn man etwas aus Liebe tut, kann es nie unrecht sein." Ganz langsam ließ Bruns den Wagen lausen. Er konnte seine Gedanken nicht verschweigen. „Ich dachte eben daran, wie selten Du zu mir kommst. Aber nun wirst Du wohl bald gar nicht mehr kommen . . ." Erika war ernst geworden. „Bist Du wirklich traurig darüber, Papa? Aber die junge Dame, die Du heute kennen lernen wolltest, hättest Du doch bald wieder verloren ..." Fassungslos sah Bruns das Mädchen an. „Was meinst Du?" Sie schmiegte sich dicht an ihn, zärtlich und schamhaft. „Ich dachte zuerst nur an einen Scherz. Aber dann habe ich gleich Deine Handschrift erkannt. Ja, ich bin die junge Dame, die Du heute erwartetest. Und ich wollte nicht, daß Du — ja, das meinte ich wohl — daß Du enttäuscht wirst. Ich kenne Dich doch. Aber ich kenne auch die Jugend. Es sollte Dir nichts wehe tun. Und Du hättest Dich am Ende nur geärgert, daß Du anders gedacht und gehandelt hast, als Du es von uns, der Mutter und mir, immer wolltest . .." Ganz zusammengesunken saß Robert Bruns auf seinem Sitz. War das sein Kind, das so redete? Sprach die Mut ter aus dem Kinde? Warum verstand er heute zum ersten Male, ahnend und erkennend, daß zwei Menschen, fern von ihm und doch vielleicht nahe, lebten, die an ihn dachten, sich um ihn sorgten, und daß darum seine eigenen Gedanken und Wünsche kein fremdes Ziel zu suchen brauchten? Es war Pfingsten — hatte er nicht einmal das gelesen: Und Eure Söhne und Töchter werden weissagen? Er wunderte sich, wie klar er sich daran erinnerte — „Bist Du mir böse, Papa?" fragte eine schmeichelnde Stimme. „Ich kann Dir ja nicht böse sein . . ." Da lächelte Erika wieder. „Dann darf ich Dir ja auch sagen, daß die Geschichte mit Bob gar nicht wahr ist." Hei, wie der Wagen über die Chaussee flog! Nichts mar mehr vom Altwerden in den Augen des Mannes, die jetzt verwundert über die grüne Pracht des Maitages blickten. Schubert, Beethoven und Bach zwischen Wolkenkratzern. Originalreisebrief für unsere Zeitung. Von G. Degener. Lhikagos „Deutscher Tag". — Deutsche Geschichte in Fest zugsbildern. — Mönche und Ritter, Kreuzfahrer und Dichter, Faust und Gretchen sind alle da. — „Herr, mach' uns frei!" schallt's durch das Stadion. Ehikago, den 15. Juni 1929. Alljährlich feiert Ehikago seinen „Deutschen Tag". Die Autoomnibusse, welche die Menschenmassen zum Stadion be fördern, sind alle überfüllt. Schon auf dem Wege zum Gammelplatz wird kräftig gesungen, und die Amerikaner auf dem Wege zu ihren Golf- und Baseballplätzen reißen erstaunt die Augen und Ohren auf. So etwas sehen sie nicht alle Tage. Der Festzug sammelt sich außerhalb des Stadions. Es wimmelt von Rittern in klirrender Rüstung, würdigen Herren im schwarzen Rock und weißer Perücke mit Samt barett und Dreispitz. Und da kommt wirklich der leibhaftige Abraham Lincoln auf uns zu. Auch Schurz und General Grant sind vertreten. Es ist noch nicht viel Ordnung in dem Ganzen, und so begeben wir uns ins Stadion, wo bereits ein Fußballspiel im Gange ist. Die Fuß baller bemühen sich wirklich redlich, aber die Zuschauer passen nicht recht anf. Sie sind gespannt auf die Dinge, die da kommen sollen. Endlich ertönen Böllerschüsse, und die Parade wird eröffnet mit einer Abteilung Chikagoer Infanterie, die den Deutschen das Ehrengeleit gibt. In der ersten Reche marschiert stolz und seiner Würde voll bewußt ein großer schlanker Neger. Die Kapelle spielt das „LtarspanZleck Banner", und alle Anwesenden erheben sich von ihren Plätzen zu Ehren der amerikanischen Nationalhymne, viele stimmen mit ein. Der Infanterie folgt ein amerikanisches Fliegerkorps in sehr eleganter dunkelblauer Uniform. Und dann wird die ganz «Geschichte des deutschen Volkes im Festzuge bildlich dargestellt, beginnend mit einer Schar bärtiger Cherusker, die mit der Schlacht im Teuto burger Walde anfingen, die siegreiche deutsche Geschichte zu schreiben. Mönche, Kreuzfahrer und Ordensritter folgen mit vielen Figuren aus dem Mittelalter: Faust und Gretchen und Mephisto im feurig-roten Mantel, Gestalten aus Tann häuser. Me deutsche Renaissance ist ebenfalls vertreten, Künstler und Gelehrte in weiten schwarzen Gewändern mit -Globus und Zeichengeräten. Wir sehen Soldaten aus den Napoleonkriegen, eine Gruppe deutscher Komponisten, man erkennt Schubert, Beethoven und B a ch. Märchen figuren sind in das Ganze eingestreut, Schneewittchen mit den sieben Zwergen ist ein entzückendes Bild. Trachten- gruppen folgen: Tiroler Schützen, das Gewehr unmilitärisch mit Kolben nach oben über der Schulter, Dogeihändler, eine Gruppe „Münchener Kindl" auf einem blau-weiß bekleideten Lastauto, das Münchener Kindl in schwarz-gelbem Mantel und Kappe der Menge zuprostend. Das macht einen durstig in diesem trockenen Lande. Auf einem anderen Lastauto dirigiert Johann Strauß, Geige in der Hand, einen Walzer. Es ist alles so fröhlich und bunt. Die Deutschen in der amerikanischen Geschichte marschieren vorbei, die Hessen, di« im Unabhängigkeitskriege kämpften, Siedler, die deutschen „Frontiersmen", die die Grenzen ihrer neuen Hemmt ver teidigten. Schurz sitzt in einer vierspännigen Postkutsche. Und mit einemmal ist man wieder in der Gegenwart, denn nun kommen die verschiedenen politischen Bereinigungen, die es leider auch hier gibt und die sich auch hier gegenseitig be kämpfen. Aber heute marschiert o"-- friedlich in einem Zug«. Die erste ist irgendeine Hakenkreuzgmppe, die beim Einmarsch ins Stadion ein verhülltes Plakat präsentiert: „Do Hell väth Versailles" („Zur Hölle mit Versailles"). Sie werden von einem amerikanischen Offizier aufgefovdert, das Zeichen her unterzunehmen. Der Iungdeutsche Orden mit seiner Fahne, dem schwarzen Kreuz im weißen Feld, folgt. Auch ein Reichs banner Schwarz-Rot-Gold wurde vor kurzem hier gegründet. Es hat in seinem Zuge eine gut dargestellte Gruppe von Handel und Gewerbe. Ein riesiger Schmied im blauen Hemd und Lederschürze, den schweren Hammer geschultert, bleibt in der Erinnerung. Auch eine Schar von Korpsstudenten im vollen Wichs ist zur Stelle, und die jüngeren weiblichen Zu schauer scheinen sehr begeistert von ihnen zu sein. Man kann gar nicht alles so schnell erfassen, immer neue Bilder und Eindrücke, aber einmal nimmt der Zug doch ein Ende. Die Arena wird jetzt für die verschiedenen sportlichen Wett bewerbe freigemacht, Wettrennen, Geräteturnen, Frei übungen. Ein Radrennen wird gefahren. Dazwischen wird gesungen und geredet. Es ist wiegen: großes deutsches Volks fest, die Menge wird auf 80 000 geschätzt. Einzelne Worte und abgerissene Sätze dringen durch die Lautsprecher an unser Ohr. „Das deutsche Volk kann stolz sein auf seine Ver gangenheit. Deutschamerikaner wie Schurz sollen den Deut schen hier ein leuchtendes Vorbild sein. — Deutsch-amerika nische Brüderschaft und Freundschaft." Alles ist begeistert. Die Bayern ernten Beifallsstürme mit ihrem Schuhplattler. Dann ein Männerchor „Wir treten zum Beten", und das „Herr, mach uns frei" am Schluß ist wie eine Brücke nach Deutschland hinüber. Es sagt: Wir Deutschen hier in Amerika wissen von eurer Not, und alles, was in unseren Kräften steht, soll getan werden, um dem Vaterland zu helfen. Reden ist Silber, Kochen ist Gold. Ein Schlagwort unserer Zeit ist der Ausdruck „Wett bewerb" geworden. Da sind es einmal die Schönheits königinnen, die in Scharen austreten und sich von mehr oder weniger berufenen Preisrichtern das „Spieglein-an-der- Wand-Berschen" ins Ohr flüstern lassen, dort bewirbt sich eine Schar junger Girls um die am schönsten geschwungenen Nasenflügel, Schornsteinfeger konkurrieren um den „schwärze sten Mann", Droschkenkutscher um die längste Fahrt — eiserne Gustave und so —, überall, wo man auch hinsieht, schießen diese „Wettbewerbe" wie Pilze aus der Erde. Nun kommt gar die Meldung, daß Deutschland in diesem Jahre zum zweiten Male zum Internationalen Schüler- redewettbewerb in Washington eingeladen wor den ist. Nach dem Grundsatz „Früh übt sich, wer ein — Reichstagsabgeordneter werden will", werden buntbxmUtzte Sekundaner und Primaner über den Ozean gefrachtet, um sich bei einer großen Redeschlacht die Zungen zu zerbrechen. Man hat diesen Wettbewerb sicher aufgestellt, um einem dringenden Bedürfnis abzuhelfen. Merkwürdig, wo doch bei uns überall so viel geredet wird, wo fast jeder mit vorgefaßter. Meinung seinen Standpunkt vertritt, angefangen beim kleinen Moritz, der mit großem Pathos erklärt, daß das, was der Lehrer in der Schule erzählt, er schon allemal gewußt habe, bis zu dem Parlamentarier, der oft den einzigen ver nünftigen Satz seiner Ausführungen mit einem entsetzlichen Wust von Phrasen umkleidet. Ueberall wird geredet, ge redet, wo man mit Handeln viel weiter käme. Gibt es aber inal eine Sache, bei der wirklich geredet werden sollte, so eine kleine Dölkerbundsitzung, dann wird geschwiegen. Da muß ich mir doch einen anderen Wettbewerb, der wirklich Hand und Fuß hat, loben, den man in Berlin ver anstaltete, um Deutschlands beste Köchin zu suchen und zu finden. Bei diesem Turnier der schwingenden Koch löffel galt es vor allen Dingen zu beweisen, daß man nicht nur gut, sondern auch sparsam kochen kann. Die Sieges palme, die in klingenden Talern ausgezahlt wurde — es