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Nr. 137. Pulsnitzer Tageblatt. — Sonnabend, den 15. Juni 1929. Seite 3. opfernde Arbeit in Paris aus und fügte den Dank an die in erster Linie beteiligten Beamten insbesondere die Ministerial direktoren Dorn, Schäffer, Ritter sowie die Ministerialräte Berger und Claussen hinzu. Daran schloß sich eine kurze Erörterung der an den Sachverständigenplan anknüpfenden allgemeinen Fragen. Um die Frage der Beschlußfähigkeit des Reichstages — Ein Vorschlag Löbes In der Sitzung des Aeltestenrats am Freitag teilte Reichstagspräsident Löbe im Anschluß an den gestrigen Zwischenfall anläßlich der Bezweiflung der Beschlußfähigkeit des Hauses durch den Nationalsozialisten Dr. Frick mit, daß er die Einfügung einer Bestimmung rn die Geschäftsordnung in Aussicht genommen habe, wonach die Frage nach der Beschlußfähigkeit des Hauses in Zukunft nur gestellt werden dürfe, bei Unterstützung von 15 Mitgliedern einer Fraktion. politische Rundschau. Der Reichspräsident empfängt die deutschen Sachver ständigen. Der Reichspräsident empfing am Freitag die deutschen Sachverständigen Schacht, Kastl und Melchior zur Entgegnnahme des abschließenden Berichtes über die Pa riser Sachverständigenverhandlungen. „Wie würden Sie sich im Falle eines neuen Weltkrieges verhalten?" Die Prager Halbmonatsschrift „Die Wahrheit" hat eine Rundfrage „Wie würden Sie sich im Falle des Wiederausbruches eines Krieges bzw. Weltkrieges ver halten?" veranstaltet. Von den Antworten sind die von Einstein, Schönaich, Barbusse, Kurt Hiller, Lehmann, Ruß- büldt und Professor Winternitz ganz oder teilweise der Be schlagnahme verfallen. Um eine vereinfachte Besteuerung der Landwirtschaft. Der Reichsminister der Finanzen hat zur Prüfung der Frage einer vereinfachten Besteuerung der Landwirtschaft einen Ausschuß eingesetzt, der aus Vertretern ds Reichstags, der Landwirtschaft und der Wissenschaft besteht und unter seinem Vorsitz tagen soll. Er soll insbesondere die Frage prüfen, ob es möglich ist, die gegenwärtig auf der Landwirtschaft ruhenden Steuern durch eine einheitliche Steuer zu ersetzen. Kein feierlicher Empfang Owen D. Poungs in New Tork. Der von der Stadt New Popk geplante feierliche Empfang beim Eintreffen der amerikanischen Neparations- sachverständigcn ist auf eine von Bord des Dampfers draht los übermittelte Bitte Owen Poungs hin wieder aufgegeben worden. Verspätete deutsche Ernte aus allen Gebieten. Deutsche Frühkartoffeln um einen Monat ver zögert. Kirschen und Birnen empfindlich ge schädigt. Die Winterkartoffeln, die aus den Mieten der Land wirte fortlaufend auf den Markt gebracht werden, reichen noch für eine ganz beträchtliche Zeit aus. Man ist sehr froh darüber, besonders in großen Familien, weil die Frühkar toffeln, die jetzt aus Holland und Italien zu uns kommen, zu dem hohen Preise von 15 Pfennig je Pfund und darüber verkauft werden. Die Frühkartoffeln deutscher Ernte, die bald nach ihrem Erscheinen immer einen erschwinglichen Preis haben, dürften in diesem Jahre erst mit bedeu tender Verspätung zum Verbrauch kommen. Es dürste Anfang oder stellenweise sogar M itteIuli werden, ehe die deutschen Kartoffeln cintreffen, während sie sonst um einen vollen Monat früher die Winterkartoffeln ablösen. Wie die Frühkartoffelernte, so wird auch die Sommer- getreidcernte eine starke Verspätung aufweisen. Auch hier hat der Regen günstig gewirkt, und die Wärme hatte bisher nur fördernden Einfluß. Jedoch kann die durch verspätete Aussaat verlorene Zeit nicht wieder eingeholt werden. Was das Obst anbelangt, so haben Kirschen und Birnen empfindlich gelitten. Hier ist ein starker Rückgang an Quantität und Qualität zu gewärtigen. Demgegeniiber haben die widerstandsfähigen Apfelbäume keinen Schaden genommen, so daß wenigstens hier eine normale, wenn nicht gute Ergiebigkeit bevorsteht, wie auch Aprikosen und Pfirsiche anscheinend nicht so mitgenommen sind, wie es zunächst be fürchtet wurde. Die Nachrichten über das Beerenobst lauten widersprechend. Alles in allem läßt sich sagen, daß das Hauptübel überall die Verspätung der Ernten sein wird. Auf jeden Fall reichen die Mengen zu einer zufriedenstellen, den Versorgung des Marktes aus — wenn das Wetter bis zum letzten Augenblick günstig bleibt! Au» aller Gell. Schwerer ELsenbahnunsaltin München München. Im Münchener Hauptbahnhof hat sich ein schwerer Eisenbahnunfall ereignet. Dort fuhr dem nach Fürstenfeldbruck ausfahrenden Personenzug 3905 ein in gleicher Richtung fahrender Rangierzug in die Flanke. Dabei entgleisten drei Wagen und wurden zum TeU schwer beschädigt. Bis jetzt wurden 13 Personen als verletzt festgestellt. Zu dem Eisenbahnunglück werden noch folgende Einzel heiten bekannt. Im ganzen sind dreizehn Personen bei dem Zusammenstoß verletzt worden. Es handelt sich glücklicher weise nur um leichtere Verletzungen, wie Nervenschock, Schnittwunden und Hautabschürfungen. Die Verletzten wur den von herbeieilendem Sanitätspersonal sofort an Ort und Stelle verbunden und konnten sich sämtlich selbst nach Hause begeben. Der Sachschaden steht noch nicht ganz fest, wird aber einige tausend Mark nicht überschreiten. Glückslos 255 406. Bei der Ziehung der dritten Klasse der Preu ßisch-Süddeutschen Klaffenlotterie wurde der Haupt- treffer in Höhe von 10 0 0 0 0 Mark gezogen. Das Glücks los trägt die Nummer 255 406. Die Gewinner sind Ber liner. In der einen Abteilung wurde das Los, das in Achteln gekauft wurde, im Westen, in der anderen Abteilung im Zentrum Berlins gespielt. Ein Scheich im Alter von 120 Jahren gestorben. In Mossul starb ein Scheich im Alter von 120 Jahren und hinterließ vier Witwen und mehr als hundert Kinder und Enkelkinder. Bis wenige Jahre vor seinem Tode stand der Scheich im Vollbesitz seiner Kräfte, und sein jüngstes Kind zählt erst zehn Jahre. Günther Plüschow von seiner Feuerland-Fahrt zurück gekehrt. Kapitän Günther Plüschow, der Flieger von Tsing tau, ist von seiner Feuerland-Fahrt zurückgekehrt. Eine um fangreiche Ausbeute von Filmaufnahmen, die Plüschow auf langen Erkundungsflügen mit dem an Bord des Fischkutters mitgeführten Heinkel-Flugzeug ausführte, ist der Ertrag des kühnen Unternehmens. Altertumsstücke aus einer Folterkammer gestohlen. Aus der Folterkammer des Heimatmuseums in Altenburg wur den eine Anzahl wertvoller Altertumsstücke gestohlen, und zwar eine Daumenschraube, ein spanischer Kragen aus dem 16. Jahrhundert, ein Totenschädel und wertvolle Richt- schwerte. Die Diebe haben sich durch Zerschlagen eines Fen sters im Erdgeschoß Eingang, verschafft. Als Täter kommen zwei Studierende des Technikums in Frage, die den Diebstahl infolge einer Wette ausgeführt haben wollen. Die deutsche Filmexpedition in Tromsö. Die „Hobby" mit der deutschen Filmexpedition traf aus Spitzbergen in Tromsö ein. Die Expedition hatte unter schlechtem Wetter zu leiden und war auch durch die Eisverhältnisse be hindert. Im übrigen ist die Reise gut verlaufen. Die trockengelegte Zuidersee. Die Ausführung der Ar beiten zur Trockenlegung der Zuidersee, die im Jahre 1920 begonnen wurden, war bisher mit einer riesigen Ueberschreitung der veranschlagten Beträge verbunden. Bei einzelnen Arbeiten wurden die Kosten um nicht weniger als 120 Prozent überschritten. Nach aller Voraussicht werden die gesamten Kosten dieses großen nationalen Kulturwerks sich auf fast 1 Milliarde Gulden belaufen, während die Arbeiten ursprünglich mit nur 635 Millionen Gulden veranschlagt waren. Ein deutscher Ballon auf großer Fahrt. Ein großer deutscher Ballon aus Chemnitz landete westlich vor Vejle auf Jütland. An Bord befanden sich zwei Passa giere, der Zahnarzt Hreyfs und der Kaufmann Bütt ner, beide aus Chemnitz. Sie waren in Chemnitz gestartet und hatten zirka 700 Kilometer in 13 Stunden zurückgelegt. Eine Dame, die ihr Geld nicht verbrauchen konnte. Trotz ihres festen, wiederholt geäußerten Entschlusses, den größten Teil ihres Vermögens schon bei Lebzeiten zu verbrauchen, hinterließ Frau Mary Copley Thaw aus Pittsburg nach ihrem Tode im Alter von 87 Jahren jedem ihrer vier Kinder eine Million Dollar. Aus dem Gerichtssaal. Der Doppelmord der Kaschauer Menschenfresser an dem Ehepaar Kocerba. Kaschau. Freitag wurden noch 30 Zigeuner als Zeugen vernommen, mit welchen die beiden Brüder Zsiaa und der Eine Sitzung des Völker bundrates. Um einmal etwas Abwechslung in die Eintönigkeit der Völker bund-Sitzungen zu bringen, hat man diesmal Genf den Rücken gekehrt und hat die 5 5. Tagungdes Völker- bundrates nach Madrid verlegt Spaniens heiße Sonne soll nun das übrige tun um die verschiedenen Tempera mente der Delegierten in Wal- lung zu bringen. — Wir sehen auf unserem Bild eine Voll- sitzuna des Rates, die im Sitzungssaal des Senats- Palastes stattfand. Angeklagte Hudak ihr Alibi beweisen wollten, "was ihnen aber nicht gelang. Dann wurden zwei Verbrecher vernom men, die zusammen mit Filke in Hast waren. Filke hat ihnen den Verlauf der Mordtaten erzählt. Diese Aussagen brachten einige neue Einzelheiten zutage, und zwar hin sichtlich derErmordungdesEhepaaresKocerba. Als man den Mann umdrachte, flehte die Frau auf den Knien um Gnade. Es wurde zunächst ihrer Bitte nachge- Leben. Dann hielten die Zigeuner im Hofe eine Beratung ab, und Filke machte dabei seine Genossen darauf aufmerk sam, daß die Frau sie verraten werde, wenn sie sie am Leben ließen. Hierauf kehrten sie in das Haus zurück, wo Ciszar die Frau mit einem Beil erschlug. Widerspruchsvolle Aussagen im Bonner Giftmord-Prozeß. Boun. Das Interesse des Publikums an dem Richter- Prozeß ist nach wie vor ungeheuer groß. Am Freitag früh trat man sogleich in die Zeugenvernehmung ein. Zeuge' N e u k i n g - Godesberg, ein Studienfreund des Angeklag ten, sagte aus, daß er den Angeklagten auf Grund seiner langen Bekanntschaft eines Mordes nicht für fähig hält. Der Zeuge König, der ebenfalls vr. Richter seit längerer Zeit kennt, sagt aus, daß er stets den besten Eindruck von vr. Richter gehabt habe. Frau Lommerzheim, die Schwester der Ermordeten, gab zu, daß ihre Schwester ihr gesagt habe, sie wolle Richter mit Selbstmord drohen, um ihn gefügig zu machen. Auch habe ihre Schwester sich entrüstet, daß vr. Richter ihr gesagt habe, wenn sie Selbstmord verüben wolle, solle sie es im Hotel oder im V-Zug tun. Auch von einer Abfindungs summe von 3000 Mark, die vr. Richter der Frau Mertens angeboten habe, sei einmal die Rede gewesen. Frau Mertens habe jedoch erklärt, das sei ihr zu wenig. Zeuge Barth, der im Hause der Frau Mertens gewohnt hat, ist in der Mordnacht gegen 9,20 Uhr abends nach Hause gekommen. Er rief Frau Mertens an, die aus der Küche kam. Frau Mertens sei sehr lustig gewesen. Frau Müller, die nächste Zeugin, hat am 1. Dezem- ber ihr Kind zu Frau Mertens gebracht mit der Bitte, es zu verwahren, da sie selbst ins Theater gehe. Als sie nach dem Theater gegen 11.30 Uhr zu Frau Mertens kam, kam der Zeugin ihr Kind bereits auf dem Korridor entgegen. Frau Mertens habe einen sehr frohen Eindruck gemacht Student Stillger wohnte in der Mordnacht in der Etage über der Frau Mertens. Er Hötte abends gegen 12 Uhr einen furchtbare« Schrei. Er glaubte, es sei auf der Straße. Als er den dritten Schrei hörte, bemerkte er, daß es im Hause war. Er blieb längere Zeit auf seiner Etage stehen. Er hörte dabei, wie Frau Mertens öfter rief: „Lieselott, Lieselott, komm zur Mutter, Mutter muß sterben." Der Zeuge lies sodann hinunter und sah Frau Mertens, wie sie gegenüber der Korridortür hockte. Später sah der Zeuge Frau Mertens die Treppe hinunter gehen. Hinter ihr ging vr. Richter. Vom Fenster sah er später, daß Frau Mertens schnell die Straße hinunter lief. Hinter ihr lief vr. Richter, vr. Richter erklärte hierauf, er habe Frau Mertens nur veranlassen wollen, nicht ohne Hut und Mantel auf die Straße zu lausen. Die Schreie erklärte er sich so, daß Frau Mertens auf jeden Fall die Aufmerksam keit der Hausbewohner auf sich lenken wollte. Der Autonomistenprozeß Dr. Roos. Besancon. Zu Beginn der Verhandlungen im Auto nomistenprozeß gegen den 50jährigen vr. Roos be tonte der Staatsanwalt gelegentlich der Unterweisung der Geschworenen, die ganze autonomistische Bewegung im Elsaß hätte, wenn sie durchgeführt worden wäre, nicht nur die fran zösische Staatsautorität untergraben, sondern zu einem vollständigen Separatismus geführt, und der Angeklagte vr. Roos sei einer der Hauptführer dieser Be wegung. Die Verteidiger Rechtsanwalt Fourrier und Rechts anwalt Berthon widersprachen aufs schärfste dieser Ansicht des Staatsanwalts. Die Gefühle der Elsässer hätten nichts mit Separatismus zu tun. Das Elsaß habe nur den einen Wunsch, seine kulturelle Freiheit wiederzugewinnen und wolle nicht ein Prellbock, sondern ein Mittler zwischen Frankreich und Deutschland sei». vr. Roos verlas sodann eine allgemeine Erklärung über die Sprachenfrage in französischer Sprache. Er erklärte, er müsse die Erklärung verlesen, da er der französischen Sprache nicht mächtig genug sei, um frei reden zu können. 85 v. H- der gesamten elsässischen Bevölkerung spreche auch nur die deutsche Sprache. Im Einvernehmen mit dem Staatsanwalt erklärte sich der Vorsitzende damit ein verstanden, daß vr. Roos anschließend seine von ihm in fran zösischer Sprache niedergelegten Ausführungen, die die ganze Frage der Autonomistenbewegung ausführlich behandelt, ver ließ. Die Verlesung dauerte vier Stunden. Geringe Strafen km Sonnenburger Zuchthausprozetz. Die Sensation, die im Februar d. Is. die erstinstanzliche Verhandlung des Prozesses gegen das Aufsichtspersonal der Strafanstalt Sonnenburg brachte, hat strafrechtlich ein recht l-armloses Blid ergeben. Von den 14 Beamten, die ur- sprünglich unter Anklage gestellt waren, sich widerrechtlich an den zur Umarbeitung nach Sonnenburg gelieferten Reichs- wehrbeständen bereichert zu haben, mußten alle bis auf einen Fall freigesprochen werden. Lediglich der Oberwachtmeister Naumann, dessen Verfahren von den übrigen abgetrennt werden mußte, ist jetzt vor dem Großen Frankfurter Schöf- fengericht zu zwei Monaten Gefängnis wegen Untreue ver- urteilt worden. Freiheitsstrafen für die Hausfriedensbrecher km „Graf Zeppelin". Die seinerzeit in Friedrichshafen festge nommenen blinden Passagiere des „Graf Zeppelin", die in die Luftschiffhalle eingedrungen waren, wurden dem Amts gericht Tettnang übergeben. Sie erhielten wegen Hausfrie densbruchs und unbefugten Waffentragens Freiheitsstrafen von 18 und 21 Tagen zudiktiert. Montag Urteil im Jakubowski-Prozeß. Im Rogens- Iakubowski-Prozeß soll Montag mittag das Urteil verkündet werden, nachdem die letzten Tage mit Plädoyers ausgefüllt waren.