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VulsmherD»-eb!att Donnerstag, den 23. Mai 1S29 Beilage M Nr. 117 81. Jahrgang Die Lebensmittelkontroke in den Amtshauptmannschasten Bantzen und Kamenz im Sahre 1928. Die Nahrungsmittelkontrolle wurde im Jahre 1928 erweitert und vertieft. Sind früher nur in den Städten und in den Gemeinden der Amtshauptmannschaft Bautzen auf je 1000 Ein wohner 30-Proben entnommen worden, so wurde die Probcnzahl im letzten Jahre auch in der Amtshauptmannschaft Kamenz auf diese Höhe gebracht. Infolge dieser Mehrarbeit, besonders aber wegen des neu in Kraft getretenen Lebensmittelgesetzes, wurde auch der Personalbestand im Laboratorium erhöht. Das neue Lebensmittelgesetz brachte insofern eine erhebliche Mehr arbeit mit sich, als den Untersuchungsanstalten die Besichtigung der Lebensmittelherstellungsbetriebe zur Pflicht gemacht wird. Auf Grund dieses Gesetzes wurden Konservenfabriken, Bier brauereien, Marmeladen- und Schokoladenfabriken, Molkereien usw. eingehend besichtigt. Di« Gesamtzahl der entnommenen Proben betrug 4950, gegenüber 4440 im Vorjahre. Davon wurden 536, das sind 10,85 Prozent, beanstandet, eine Zahl, die etwas unter der Beanstandungsquote der Amtshauptmannschaft Bautzen im letzten Jahre, mit 11,9 Prozent, zurückbleibt. Von der Polizei wurden 1087 Proben eingeliefert, gegen über 814 im Vorjahre. Ein Viertel aller dieser Proben erwies sich als nicht einwandfrei. Auch aus Verbraucherkreisen wur den 15 Proben eingeliefert, von denen 8 Proben zu beanstanden waren. Es wäre sehr zu wünschen, wenn die Verbraucher mehr von der Einrichtung oer amtlichen Nahrungsmittelkontrolle Gebrauch machten, und es ließe sich so leicht mancher Mißstand frühzeitig beseitigen. Der größte Prozentsatz der beanstandeten Proben stellt Milchproben dar. Er bleibt "leider mit 33,4 Prozent nur um ein Geringes hinter dem Durchschnitt des Vorjahres (der 36,2 Prozent betrug) zurück. Mehrfach mußten auch Beanstan dungen auf Grund der Kennzeichnungsverordnung vom 29. Sep tember 1927 und ihrer Ergänzung vom 28. April 1928, wonach Packungen von Schokolade, Kaffee, Tee, Fischkonserven usw. den Namen, Ort der Firma und Angabe des Gewichts tragen müssen, ausgesprochen werden Die Durchführung dieser Ver ordnung geht in der Praxis (wohl meist wegen Unkenntnis in den Händlerkreisen) recht langsam vor sich. In 16 Fällen wur den die Vergehen gegen das Lebensmittelqesetz gerichtlich ge ahndet. Dabei handelte es sich um 10 Milchfülschungen, 2 Vut- terfälschungen, 2 mal um Zusatz von Hacksalz zum'Hackfleisch, 1 mal um Wein- und 1 mal um eine Schokoladenfälschung. Die ausgesprochenen Strafen bewegen sich zwischen 10 und 400 RM. Die einzelnen ausgeführten Untersuchungen betrasen folgende: Fleisch und Ileischwaren. Untersucht: 200. Beanstandet: 10. Di« V«anstanduugen betrafen sämtlich den Zusatz von schwefliger Säure zu Hackfleisch. Es zeigt sich, daß diese Unsitte noch immer stark verbreitet ist. Eine mit Beschwerde eingelieferte Probe Sülze war ver dorben. Die untersuchten Fleischsalate waren bis auf einen mit er höhtem Mehlzusatz einwandfrei. Wurstwaren. Untersucht: 295. Beanstandet: 6. Fünf Beanstandungen mußten wegen Mehlgchalt aus gesprochen werden. Eine Wurst war sandhaltig. Fischwaren- und Krebskonserven. Untersucht: 140. Beanstandet: 12. Entsprechend der erhöhten Bedeutung der Fische als Volks nahrungsmittel wurde die Probenzahl erhöht. Es wurden fast 10 Prozent beanstandet. Der größte Teil fällt auf nicht oder auf ungenügend deklarierte Konservierung. So enthielten zwei Proben Krabben mehr als 1 Prozent Bor. Bei Avvetitlild war oer Borgeyau, bei Nollmopskonserven und Lei Filetstücken der Formalingehalt nicht deklariert. Eine Probe Seelachs war ver dorben. Eine Packung Oelsardinen mit Aufschrift „In pure olive oil" enthielt Erdnußöl. Eine andere Büchse Fischkonserven wies ein Mindergewicht von nahezu 40 Gramm auf. Milch- und Molkerei-Erzeugnisse. Untersucht: 636. Beanstandet: 206. Die Zahl der beanstandeten Proben kommt mit 32,6 Prozent dem Durchschnitt des Vorjahres in der Amtshauptmannschaft Bautzen (30,1 Prozent) ziemlich gleich. Die hygienischen Ver hältnisse in den Milchgeschäften haben sich, wie wenigstens eine Revision zusammen mit dem Milchausschuß in der'Amtshaupt mannschaft Bautzen ergab, bedeutend gebessert, bis auf einen Molkereibetrieb in der Stadt Bautzen, der fortwährend schmutz haltige Milch in Verkehr brachte. Dieser Betrieb wurde stilt- gelegt. Trotz der strengen Kontrolle wurden wieder nicht weniger als 72 Proben wegen Schmutzgehalt bemängelt. Erhöhte Auf merksamkeit wurde dem Keimgehalt der Milch geschenkt. Durch die im hiesigen Institut neu eingeführte Reduktaseprobe konnte eine Reihe Proben als verdorben erkannt werden. Wegen Wässerungsverdacht wurden 22 Proben gerügt. Durch die eben falls neu eingeführte Eefrierpunktmethode bestätigte sich in den meisten Fällen der Verdacht der Wässerung. Der Rest der Be anstandungen betrifft zu geringen Fettgehalt. Der durchschnitt liche Fettgehalt der Proben betrug 3,02 Prozent und kommt so mit dem des Vorjahres gleich. Läßt man die beanstandeten Milchproben außer acht, so errechnet sich ein durchschnittlicher Fettgehalt von 3,16 Prozent. Die zu fettarmen Proben hatten einen durchschnittlichen Fettgehalt von 2,45 Prozent. . In verschiedenen Fällen müße eine Abänderung der Bezeich nung der Milch veranlaßt werden. Ein Gutsbesitzer wollte tiefgekühlte Rohmilch, die den Bedingungen der Vorzugsmilch bei weitem nicht entsprach, als „Vorzugsmilch" in den Handel bringen; verschiedene Bautzener Molkereien hatten gewöhnliche pasteurisierte Vollmilch als „Kindernahruna^ und „Keimfrei" bezeichnet. Gegen diese irreführende Bezeichnung wurde Stel lung genommen. Bon Rahm wurde eine Probe wegen zu geringen Fettgehal tes beanstandet. Eine weitere Probe, als „Süßrahm" bezeich net, erwies sich als sauer. Seit dem 3. Juli 1928 besitzt die Stadt Bautzen eine neue Polizeiverordnung über den Verkehr mit Milch, zu deren Vor arbeiten das Amt mehrmals zugezogen wurde. Die Amtshauptmannschaft Kamenz ist ebenfalls mit dem Erlaß eines Milchregulativs für den ganzen Bezirk beschäftigt. Käse. Untersucht: 256. Beanstandet: 10. Auf dem Käsemarkte konnten auch in diesem Jahre verhält nismäßig gute Zustände festgestellt werden. Von Den 10 bean standeten Proben betreffen drei zu geringen Fettgehalt. Die Unsitte, den Fettgehalt bei halbfetten Käsen in winziger Schrift und ganz versteckt anzubringen, hat nachgelassen, und es wurde m fast allen Fallen eine ordnungsmäßige Deklaration festqestellt. Vo» Quarkproben wurden fünf mit zu hohem Wassergehalt sest- gestellt, eine war verdorben, eine weitere war bitter Die im Handel befindlichen Sahnequark« hatten in allen Fällen den vorgeschriebenen Fettgehalt. Speisefette und Oele. Untersucht: 635. Beanstandet: 41 Butter: Auf dem Buttermarkte ist eine Besseruna zu ver- I kuckiTiseki-, Loka-u. LkisissIonLusclvelrsn ksuksn Sis I I blliigim Lapciinsnksus Wunclsrliek, ttsuptmsrlctl zeichnen Es wurden 246 Proben entnommen, von" denen 14,3 Prozent, gegenüber 25 Prozent in der Amtshauptmannschaft Bautzen im Vorjahre, beanstandet wurden. Fast alle hatten erhöhten Wassergehalt. Bei einer Probe betrug dieser nicht weniger als 40 Prozent, 6 Stück waren ranzig oder verdorben. Margarine: Durch die Entnahme einer größeren Anzahl von fertigen Margarinepackungen gelang es auch einige Proben mit erhöhtem Wassergehalt aufzudecken. Anderweitige Mängel konnten nicht festgestellt werden. Uebrige Fette: Dasselbe gilt auch für die übrigen Speise fette. Nur eine Probe Olivenöl mußte als ranzig und ver dorben angesprochen werden. Wehl. Untersucht: 295. Beanstandet: 12. Obwohl wieder so viel« Mehlproben in diesem Jahre ent nommen wurden wie im Vorjahre, sind Beanstandungen be deutend zurückgegangen. Das liegt wohl in der Hauptsache daran, daß durch den heißen Sommer das Getreide gut aus gereift war und auch trocken unter Dach und Fach gekommen ist. Die Beanstandungen verteilen sich auf bitteren Geschmack, er höhten Säuregrad und zu hohe Ausmahlung. Mehrmals wurde festgestellt, daß die verwendeten Streumehle stark mineral besonders gipshaltig waren. Grieß-, Graupen-, Reis- und hülsenfrüchle. Untersucht: 358. Beanstandet: 6. Hier gilt dasselbe wie von den Mehlproben. Einige wenige waren milbenhaltig, zwei als Hartgrieß verkaufte Proben er wiesen sich als Weichweizenware. Brot- und sonstige Backwaren. Untersucht: 242. Beanstandet: 71. Eine große Anzahl der Beanstandungen ist auf erhöhten Wassergehalt des Brotes zurückzuführen. Neun als Butter gebäck verkaufte Proben waren mit Margarine zubereitet. Großer Mißbrauch wurde mit dem Worte „Makronen" getrieben. Besonders auf den Jahrmärkten wurden gewöhnliche Kokos- makroncn als „feinste Makronen" angepriesen. Teigwaren. Untersucht: 107. Beanstandet: 14. Die Zahl der Beanstandungen beläuft sich auf 13,1 Prozent gegenüber zirka 10 Prozent im Vorjahre. Allein 9 Proben waren künstlich gefärbt, ohne daß der Farbstoffzusatz deklariert war, und vielfach wurden diese Produkte sogar als Eierware in den Handel gebracht. Fünf der untersuchten Proben hatten zu geringen Eigehalt. Stärkemehl. Untersucht: 64. Beanstandet: 1. Eine als „Maisstärke" verkaufte Probe erwies sich als Kartoffelstärke. Gewürze. Untersucht: 250. Beanstandet: 2. Neuerdings kaufen sich die Kaufleute die ganzen Gewürze und vermahlen sie selber, so daß ihnen gefälschte Gewürze gar nicht in die Hände kommen. Das dürfte auch der Grund sein, weshalb so wenig Proben zu beanstanden waren. Lediglich ein« Zimtprobe mit erhöhtem Eandgehalt wurde angetroffen. Ein Senf war künstlich gefärbt, ohne daß der Farbstoff deklariert Untersucht: 185. Beanstandet: 32. Nicht so gut wie auf dem Eewürzmarkt waren die Verhält- nisse im Essigverkehr. Speiseessig: Von den 117 beanstandeten Proben enthielten fünf zu wenig Säure. Vier waren stark verunreinigt. Allein acht enthielten beträchtliche Mengen von Essigälchen, ein Be weis dafür, daß der Aufbewahrung des Essigs viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. In mehreren Fallen war die küns6 äche Färbung nicht deklariert. Essigsprit: In den meisten Fällen wurden Verfehlungen Nächte der Angst. Ein Sylt-Roman von Anny Wvthe. Copyright by Greiner 8- Co., Berlin NW 6. (Nachdruck verboten.) 53. Fortsetzung. In Hamburg würde sie leicht eine Wärterin finden, bis dahin muhte sie ihrer eigenen Kraft vertrauen. War sie nicht jung und stark? Waren nicht ihre Kräfte wie dergekehrt, fo daß sie schon etwas wagen konnte. Estrid schlief diese Nacht nicht. Kaum graute der Morgen, war sie bereits aus. Sorg lich packte sie eine Tasche mit allerlei Gerät für den kleinen Jngewart. Eine große Milchflasche fand auch noch Platz. In dem Thermophor würde die Milch warm bleiben — sie durfte wohl ohne Sorge sein. Ungeduldig gab sie acht, ob die Männer nicht end lich das Haus verließen. Schließlich hörte sie Peter und Bent im Garten sprechen und gleich daraus rollte der Wagen mit ihnen davon. Estrid atmete auf, aber wie sollte sie, ohne Alkes Argwohn zu erregen, mit dem Kinde aus dem Hause gelangen, beschwert durch die verräterische Tasche, die sie nicht entbehren konnte? Sie hatte stets daran gedacht, ihre Flucht von Munk marsch aus ins Werk zu setzen, mit dem Dampfer über das Watt nach Hoyerschleuse zu fahren und von da weiter mit der Bahn nach Hamburg, wo Peter fie sicher nicht so leicht zu finden vermochte. Dieser Weg war ihr verlegt, weil Peter heute selbst von Munkmarsch nach Hoyerschleuse fuhr. Sie mußte nach Hörnum und versuchen, mit einem der Lloyd- oder Hapagdampfer über Helgoland nach Ham burg zu gelangen. , klopfte ihr wild. Sie wußte genau, wie fraglich dieses Unternehmen für sie mit dem kleinen Kinde war. Doch der Gedanke, an Peters ^ite, kaum geduldet, weiterleben zu müffeu, oder ihm gar das Kind zu lassen, fachte ihren Mut von neuem an. Wenn sie, um in Hörnum den Dampfer zu erreichen, die Bahn benutzen wollte, mußte sie ebenfalls nach Munk- marsch, da ihr Wenuigstedt zu nah schien und sie Ent deckung fürchtete. Der Weg war nicht weit nach Munkmarsch und sie konnte bis dahin gut das Kind tragen. Trotzdem blieb die Gefahr, Peter zu begegnen, obgleich dieser längst auf dem Wege nach Hoyerschleuse sein mußte. Am aussichtsvollsten schien ihr, sie versuchte in Wester land die Bahn zu erreichen. Der Weg bis dahin war aber zu Fuß zu weit und sie fürchtete, ihre Kraft wifrde ver sagen. Auch käme sie wahrscheinlich zu spät zum Abgang des Dampfers. Sie mußte also unbedingt einen Wagen haben. — Ein Gefährt ans dem Gotteskoog kam natürlich nicht in Frage. Zufällig ging ein kleines, flachsköpfiges Mäd chen vorüber, dem lief sie nach, die Tasche unter ihrem Regenmantel verborgen. „Höre, Kleine," rief sie das Kind an, ihm ein Geld stück reichend, „laus mal schnell nach dem Gasthof zum „Noten Kliff" und bestelle dem Wirt, er möchte sofort anspannen lassen, um Frau Banken nach Westerlnud zu fahren. Tie Tasche möchte er aus den Wagen stellen. Ich würde in einer halben Stunde dort sein." Das Kind lief beglückt davon. Estrid atmete auf. Der erste, wichtige Schritt war getan. Nun galt es das Mud aus dem Hause zu schaffen, ohne Alkes Arg wohn zu erregen. „Das Wetter ist gar verlockend," sagte sie beim Früh stück zu Akte. „Ich hätte Lust, endlich einmal meine Freundin Phine Petersen in Wenningstedt zü besuchen und ihr unseren Jnngen zeigen. Vor Mittag werde ich kaum zurück sein." Akte verwunderte sich. „Ganz allein?" fragte sie. „Natürlich, Akte, der Junge ist nicht schwer und der Weg kurz. Die Mägde haben ohnedies genug zu tun." Akte schüttelte ihren weißhaarigen Kopf und . versuchte Estrid eine Magd zum Mitgehen aufzunötigen. Aber Estrid lehnte fast schroff ab, so daß Akke nichts mein zu sagen wagte. Sie sah Estrid nach, als sie kurze Zeit daraus, da. Kind auf dem Arm, den Gotteskoog verließ. Langsam, wie zu einem Spaziergang schlenderte Estrid dahin und tändelte mit dem Kleinen. Trotzdem fiel es Akke auf, daß die Frau das dunkel blaue Neiscklcid trug und der Junge warm eingebündelt war. Es war doch Sommerszeit. — Nun faß Estrid mit ihrem Kinde tm Wagen und fuhr über die rotblühende Heide. Wie die rosenroten Glöckchen im Hellen Morgentau schimmerten und dufteten. Der Junge schlief in ihren Armen und ahnte nicht, daß er für immer sein Vater- Haus verlassen sollte. Im goldenen Licht lag der Gotteskoog. Wie ein Feenschloß dünkte Estrid dies Haus, dem sie den Rücken kehrte, um es nie wieder zu betreten. Aber sie wollte nicht rückwärts schauen. Allen Jammer, der die Seele zerriß, mußte sie zurückdrängen, denn jetzt hieß es auf eigenen Füßen zu stehen, zu ringen und zu kämpfen für ihr Kind. — Still und friedlich war es auf der Heide. Todes einsam. Und die Gewißheit, daß sie auch die Heimat verlassen mußte, übermannte Estrid mit schmerzlicher Ge walt. Mit Aufbietung aller Willenskraft drängte sie ihre Bewegung und die aufsteigenden Tränen zurück. Niemand sollte sie weich sehen. Nicht einmal die ein samen Föhren, die ab und zu aus dem Heidelaud auf stiegen, durften wissen, daß sie nichts war als ein schwaches, unglückseliges . Weib. Kurz vor dem Bahnhof in Westerland ließ sie den Wagen halten, um dem Kutscher ihr Ziel nicht zu ver raten. Sie nahm ihr Kind auf den Arm und gab einem Jungen die Tasche, sie ihr bis zum Babmhof zu tragen.