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I """» mmummmmmmmmmmmm Das Glück im Forsthaus. Pfingstnovelle von Dorothea Zahm Immer langsamer wurden die Schritte des jungen Mannes, je näher er seinem Ziel kam. Da lag es vor ihm, das Forsthaus, ein Bild des Frie dens im goldenen Maienlicht. Und dann der Garten, der liebe alte Garten mit seinen Holunderbüschen und Flieder sträuchern, die ihren Dust dem Wanderer entgegensandten. Wie liebte Robert Gentner diesen Garten' Denn hier hatte er Annemarie zum erstenmal gesehen, mit einem Körbchen am Arm, eifrig bemüht, die ersten bunten Frühlingsblumen. zu pflücken, um dann einen schönen Pfingststrauß daraus zu binden. Ein Jahr war das her, gerade ein Jahr. An einem lachenden Pfingstsonntag wie heute. Aber ach, obwohl heute die Sonne ebenso golden wie damals schien, war ein dunkler Schatten auf sein Leben gefallen. Vor einem Jahr — Robert Gentner hatte erst kurze Zeit die Stelle als Hauslehrer auf dem großen Gut inne, zu dem das Forsthaus gehörte — hatte ihn sein Brotherr, Herr von Below, gebeten, eine Bestellung an den Förster zu über nehmen. „Sie werden einen originellen Mann kennen lernen," sagte der Gutsbesitzer, „einen Mann von altem Schrot und Korn, wie man sie jetzt nur noch selten findet. Eine ehrliche, treue Seele, dabei ein Starrkopf, der der Schrecken aller Wilddiebe im Revier ist und auch in seinem eigenen Hause ein strenges Regiment führt." Fröhlichen Herzens hatte der junge Mann sich damals auf den Weg zum Forsthause gemacht, ohne zu ahnen, welch bedeutungsvoller Begegnung er entgegenging. Denn gibt es für junge Menschen Bedeutungsvolleres als die Liebe? Hier müssen gute Menschen wohnen, war es ihm, durch den Sinn gegangen, als er das Forsthaus zum erstenmal so friedlich und still in der Sonne vor sich liegen sah, mit dem rauschen den grünen Wald als Hintergrund. Dann hatte er die Gartentür geöffnet. Und im Garten war Annemarie. Wie eine Offenbarung war es gewesen. Zwei junge Menschen standen sich gegenüber, und während ihr Mund irgendwelche gleichgültigen, formellen Worte sprach, fragten ihre Augen m glücklichem Staunen: „Bist du es wirklich? Hab' ich in dir gefunden, was ich ersehnte?" Aber gab es auch etwas Lieberes und Schöneres als Annemarie so blondhaarig, blauäugig und jung. Er hätte stehen und sie ansehen mögen bis in alle Ewigkeit, wäre nicht Waldmann, der braune Teckel, mit wehenden Ohren um die Ecke gesaust und ihm kläffend zwischen die Beine gefahren, so daß er aus seiner Verzauberung erwachte und in die Wirk lichkeit zurückkehrte. „Ich werde Sie zum Vater führen", sagte Annemarie ein wenig verwirrt, und so war Robert Gentner in das Forsthaus gekommen. Er wußte nun, daß nicht alles Friede und Glück war, was das Forsthaus barg. Wohl entsprach der Förster dem Bilde, das Herr von Below von ihm entworfen hatte, aber nachdem Robert Gent ner ein häufiger Gast im Forsthause geworden, merkte er, von welcher tiefen Bitterkeit das Leben des alternden Mannes verdüstert wurde. Er war wie ein Baum des Waldes, dazu geschaffen, frei und gerade in den Himmel zu wachsen, doch Stürme und Unwetter hatten ihn gebeugt und zerzaust, Blitze ihn getroffen und verwundet. Mit der Zeit faßte er Ver trauen zu dem jungen Manne. „Sie sind ein anständiger Kerl, Gentner!" sagte er, „wenn Sie auch ein Federfuchser sind. Die kann ich nämlich im allgemeinen nicht leiden! Aber alles was recht ist, Sie bilden eine rühmliche Ausnahme." Oft ging Robert Genter nun abends zum Forsthaus. Der Alte rauchte auf der Bank vor der Haustür seine Pfeife. Die Försterssrau, noch von häuslichen Pflichten beansprucht, ging drinnen im Haus umher. Man hörte ihre geschäftigen Schritte. Zuweilen zeigte sie ihr gutes, mütterliches Gesicht am Fenster, um ein paar Worte in den Garten zu sprechen, oder wenn es gar zu übermütig draußen herging, zur Ruhe zu mahnen. „Kinder, Kinder, macht nicht solchen Radau! Großvater will Zeitung lesen!" Denn im Garten tobten die beiden Enkel der Förstersleute, zwei kräftige, lustige Buben von acht bis zehn Jahren. Am allerschönsten war es, wenn Annemarie und der „Herr Lehrer" am Spiel teilnahmen — und ach, wie gern war Robert Gentner dabei! Gab es doch dann Gelegenheit, im Eifer des Spiels Annemaries Hand zu fassen, einen verstohlenen kleinen Augenblick ihr in die Augen zu sehen, ein paar Worte mit ihr zu sprechen, die niemand hörte. Aber mitten im Spiel kam Else, Annemaries Schwester und Mutter der beiden Buben, und rief die Kinder ins Haus. „Ihr müßt nun zu Bett, es ist höchste Zeit!" sagte sie. Wenn Else erschien, fiel ein Schatten in alle Fröhlich, keit. Sie war eine blasse, stille Frau. Ihr Gesicht, dem der Schwester ähnlich, war früh gealtert, um ihren Mund zogen sich gramvolle Linien. Welches Schicksal sie in das Eltern haus zurückgeführt hatte, Robert Gentner wußte es nicht, und niemand sprach davon. Der alte Förster war nicht un freundlich gegen die Tochter, aber Robert bemerkte, daß Else das Zusammensein mit dem Vater nach Möglichkeit vermied. Mit desto größerer Liebe hing Annemarie an dem Vater. War der Alte in besonders grimmiger Laune, so war sie die einzige, die es verstand, die Falten auf seiner Stirn zu glätten. Für Robert Gentner kam die seligste Stunde seines Lebens. Unter dem Holundersttauch hielt er sein blondes Mädel im Arm und küßte zum erstenmal den weichen, roten Mund. Sie kamen überein, zunächst ihre Liebe geheimzuhalten, denn noch konnte Robert in seiner Stellung als Hauslehrer nicht daran denken, einen eigenen Hausstand zu gründen. Besonders der Vater durfte nichts merken, darauf wär Anne marie ängstlich bedacht. „Er würde denken, es geht mir so wie Else, und deshalb würde er nie seine Einwilligung geben." Und nun erst erfuhr Robert auch Elses Geschichte. Sie hatte gegen den Willen des Vaters einen bankerotten Gutsbesitzer geheiratet, der nach den ersten sorgenvollen und entbehrungsreichen Ehejahren mit dem Rest seines Geldes nach Amerika gegangen war. Dort hatte er eine Farn: ge kauft und hoffte, sich eine neue Existenz zu schaffen und dann seine Familie herüberholen zu können. Aber er war betrogen worden. Die Farm erwies sich als eine Steinwüste, der auch die mühsamste Arbeit keinen Ertrag abringen konnte. So saß nun Else mit ihren beiden Knaben noch immer im Eltern haus, Jugend und Hoffnung schwanden von Jahr zu Jahr. „Das würde Vater nicht ertragen, wenn auch ich gegen seinen Willen handelte!" sagte Annemarie, „und nie und nimmer brächte ich's übers Herz, ihm solchen Kummer zu machen!" Aber sie waren ja jung und konnten warten. — Die Zett verging in heimlichem Glück, doch als von neuem der Frühling kam, brachte er Annemarie einen unerwünschten Freier. Der Schulze aus dem Dorf, seit einiger Zeit Witwer, wollte wieder heiraten. Er war der reichste Mann im Dorf, und die arme Försterstochter mußte es als ein großes Glück ansehen, daß seine Augen aus sie gefallen waren. Derselben Meinung war der alte Förster, und eines Tages erhielt Robert ein todesttauriges Brieschen. „Es ist alles aus!" schrieb Annemarie, „Vater will, ich soll den Schulzen heiraten. Vater sagt, er sei alt, und was solle aus uns allen werden — aus Mutter, Else und den Kindern, wenn er einmal nicht mehr da ist." In den fol genden Tagen mußte Robert Gentner die Erfahrung machen, daß Annemarie — seine Annemarie — den Entschluß gefaßt hatte, sich für ihre Familie zu opfern. Und da sie den Starr kopf des Vaters geerbt hatte, war all sein Flehen, seine Be schwörungen nutzlos. Ueberwältigt von Schmerz und Zorn hatte er sich von ihr getrennt und war dem Forsthaus fern geblieben. Aber noch einmal mußte er sie sehen, ehe er für immer von ihr schied. Es war ein schwerer Gang, den der junge Mann heute ging. Er trug schon seinen Reiseanzug, denn er hatte seine Stellung aufgegeben. Wie hätte er in Anne maries Nähe bleiben können mit dem Bewußtsein, daß sie einem anderen gehörte! Am liebsten wäre er bis ans Ende der Welt gewandert! Der Garten war leer, aber im Wohnzimmer traf er sie. Wie blaß war das liebe Gesicht, wie traurig und glanzlos die schönen blauen Augen. Aber er machte sein Herz hart gegen sie und sagte in förmlichem Ton: „Ich komme, Ihnen und den Ihren Lebewohl zu sagen, und möchte Ihnen gleiche zeitig danken, Fräulein Annemarie, für all die Freundlich keit, die Sie mir erwiesen haben." Stumm, mit gesenkten Augen, reichte sie ihm die Hand. Tränen quollen unter ihren Lidern hervor, und dann war es mit der Selbst beherrschung vorbei. Sie fielen sich in die Arme, sie hielten sich umschlungen, und überwältigt von Schmerz und Lieb« hörten sie nicht herannahende Schritte, Stimmengewirr — bis plötzlich ein Schrei sie ihrer Versunkenheit entriß — der jubelnde Erlösungsschrei einer Frau aus jahrelanger Qual. Gleichzeitig wurde die Tür aufgerissen und die beiden Knaben stürmten ins Zimmer und jauchzten in überstürzter Hast: „Tante Annemarie! Tante Annemarie! Komm razch! Vater ist da! Vater ist da aus Amerika!" Was nun folgte, war allgemeine freudige Verwirrung, Umarmungen, Küsse, Lachen und Weinen durcheinander. Else, die blasse, stille Frau, lag mit rosigen Wangen un strahlenden Augen in den Armen eines breitschultrigen Mannes, an dem die beiden Buben herumkletterten wie an einem Schiffsmast. Auf dem Gesicht des Försters zeigte sich ein breites Schmunzeln, und niemand schien zu beachten, daß auch Annemarie die Hmnd eines Mannes gefaßt hielt und nicht weniger glänzende Augen hatte als ihre Schwester. Ja, Elses Mann war zurückgekommen, und nicht mit leeren Händen. Auf seiner Farm war Petroleum erbohrt worden, und die Steinwüste hatte ihm einen hundertfach größeren Reichtum gebracht als ein Boden, der dreimal im Jahre Früchte trägt. Von Annemaries Herzen war eine schwere Last gesunken. Ihr großes Opfer war nun nicht mehr nötig. Hand in Hand mit ihrem Liebsten trat sie vor ihren Vater. Der Alte zwinkerte mit den Augen. Dann wandte er sich an seine Frau. „Na, Mutter," sagte er, „heute wollen wir nicht hartherzig sein, was?!" Dann streckte er Robert die Hand hin: „Sie sind ein tüchtiger und ehrenhafter junger Mann, das weiß ich. Mein Mädel hat Sie lieb und war doch bereit, dem Vater zu gehorchen. Das weiß ich auch. Heute hat mir der Herr von Below gesagt, er will befür worten, daß Sie die Stelle unseres alten L"' ^rs kriegen, der sich pensionieren lassen will. Dann könnc Sie sich Ihr eigenes Nest bauen und sich die Annemarie aus dem Forst haus holen." — Vom Dorf herüber klangen die Glocken, die das Pfingst fest einläuteten. Das Forsthaus lag im Sonnenschein, von der grünen Wand des Waldes umraufcht. Friede und Glück waren in seine Mauern eingezogen. In der Mngstsonne. / Von Hans Friedrich Blunck. Pfingstsonnenstille — liegt über dem Garten . . . Das weißlich grüne Geäst, — halbaufgeblüht, schwankt mitunter ein wenig, so daß die gelben Lichtflecken auf dem Erdboden durcheinandertanzen . . . oder wie aus einem ganz großen Sieb niedergetropft nach allen Seiten rollen. Die Wege sind hell und jener blassen Wärme voll, die die Blüten noch warnen möchte und sie doch nicht einhalten kann. Rein, überall leuchtet das schwesterliche Weiß im jungen Grün, mit rötlichen Hauben die Apfelknospen- mit vollem weißen Kelch die Birnblüten. Der Gärtner des Nachbarn lehnt an der Hecke. Er ist ein mißvergnügter Alter, der alles nur auf Fruchttragen berechnet und em wenig scheelsiichtig die springenden Dolden vergleicht. Seine kurze braune Pfeife, die ihm aus den Lip pen übrs Kinn hängt, schmaucht und knistert. Er sieht aus schiefen Augenwinkeln zu mir herüber, nickt und schaut wie der prüfend von Ast zu Ast, als könnte er etwas von unserer weißen Freude zu sich herüberwünschen. Aber der Frühling tut ihm den Gefallen nicht. Er sendet sein Blau in unermeßlichen Wellen, die alles umfluten. Fast spiegelte er sich in den duftenden Wegen, stürzt etwas von seiner Gnade in die saugenden Rinden und grauen Schatten ein. Die Knospen der Kastanien, die drüben vom Weg her über schwanken, das dünne Grün der Birken, die die schwarzen Kiefern überspinnen, die flinken Tupfen der Finkenvögel, — nichts vermag dies jugendfrische Blau zu überwinden, das sich vom Himmel zur Erde, vom Auge ins Herz senkt und alle Gedanken mit seinen Kränzen umrandet. Einige unfrohe Worte. Ach, ein erzürntes Paar, das seinen Kummer einander auflädt, statt ihn sich abzunehmen. Er geht drei Schritte voran, das vergrämte Gesicht zu Boden. Seine Gerte schlägt in die Knospen, tut, als seien sie nur um seinetwillen da. Sie hat den Hut in der Hand, weiß nichts, als den klaren Tag zu trüben mit Worten, die sie kieselhart in das klare, sonnenwarme Wetter wirft. Nicht» von Lust, nichts von junger Pfingstfreude ist da! Wie rasch gehen die zwei vorbei, wie schnell vergißt man sie. Der Wind stößt auf, treibt den Weg entlang, als wollte er ihren Atem auslöschen. Ja, und die Drossel schnattert und ziept schon wieder an meinem Schritt vorbei, der Specht schnarrt oben aus der Buche, ein Zeisig, — ja, es wird ein Zeisig sein —, trillert seinen Uebermut heraus. Lerchen und Sonne stehen hoch zwischen dem Hier und Jenseits. Und da läuft ein Kind über den Rasen, hebt die Arme und jubelt in die unsichtbare goldene Wärme auf. „Hab dich lieb", sagt es und greift ins Leere, als säh' es da einen, der vorbeischreitet, und macht' ihn mit seinen dünnen Armen halten und umschlingen — —