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1788 PAPIER-ZEITUNG Nr. 47 Zur Geschichte der Spielkarten Eigenbericht aus London. Nachdruck verboten Die Geschichte der Spielkarten ist so unvollständig be kannt, dass jede Ergänzung willkommen ist. Es giebt kaum einen Gegenstand, bei dessen Behandlung man sich in so weit gehendem Maasse auf Vermuthungen stützte und diese als ge schichtliche Thatsache darstellte, wie den vorliegenden. In der englischen »Society of Arts« wurde unlängst von einem Herrn Robert Steele ein Vortrag gehalten, der einige wichtige Beiträge zur Geschichte der Spielkarten beisteuerte. Nach Mr. Steele giebt es zwei Hauptarten von Spielkarten, nämlich Whist und Tarock. Ersterer besteht aus vier »Farben«, während bei letzterem zu diesen eine Reihe von Karten tritt, die keine Farben, sondern ausschliesslich Bilder enthalten. Durch welche besonderen Abzeichen sich die ersten Karten von ein ander unterschieden haben, lässt sich nicht feststellen. Die ersten uns bekannten, aus dem Jahre 1423 stammenden, be- sassen als Abzeichen Becher, Schwerter, Keulen und Geld und waren französischen Ursprungs. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind jedoch die deutschen Abzeichen Eichel, Schellen, Laub (Spaten? Red.) und Herzen älteren Datums. Die französischen, die sogenannten Farben darstellenden Abzeichen, wurden be reits vor Mitte des 15. Jahrhunderts benutzt, und diejenigen, die auf den englischen Tarockspielkarten aus jener Zeit er scheinen, waren meist jenen oder den deutschen nachgebildet, wenn die Karten nicht ganz und gar aus den betreffenden Ländern stammten. Vom Tarocltspiel kennt man drei Hauptarten, nämlich den Tarock, den Minchiate oder Germini und den Tassochino. Das heutige Tarock besteht aus vier Farben von je 14 Blättern, König, Damen, Ritter, Buben und 10 Karten ohne Figuren mit 1 bis 10 Zeichen. Die fünfte oder Tarock-Farbe setzte sich ehedem aus folgenden Blättern mit den beigefügten Ziffern zu sammen: Narr 1, Gaukler 2, Kaiserin 3, Kaiser 4, Päpstin 5, Papst 6, Mässigkeit 7, Liebe 8, Triumfwagen 9, Stärke 10, Glücksrad 11, der Bucklige 12, der Gehenkte 13, Tod 14, Teufel 15, Pfeil 16, Stern 17, Mond 18, Sonne 19, Engel 20, Gerechtigkeit 21, die Welt. Reihenfolge sowie Namen dieser Karten wurden oft geändert. Das Minchiate- oder Germini- Spiel enthielt ebenfalls vier Farben von je 14 Blättern, doch trat in den Serien »Geld« und »Becher« an die Stelle des Buben eine Magd, und die Tarock-Serie enthielt 41 namenlose Karten. Diese waren: Narr 1, Gaukler 2, der Grossherzog 3, der Kaiser 4, die Kaiserin 5, Liebe 6, Mässigkeit 7, Kraft 8, Gerechtigkeit 9, Glücksrad 10, Triumfwagen 11, Buckliger 12, Verräther 13, Tod 14, Teufel 15, Thurm 16, Barmherzigkeit 17, Hoffnung 18, Weisheit 19, Glaube 20, Feuer 21, Wasser 22, Erde 23, Luft 24, Waage 25, Jungfrau 26, Skorpion 27, Widder 28, Steinbock 29, Schütze 30, Krebs 31, Fische 32, Wassermann 33, Löwe 34, Stier 35, Zwillinge, Stern, Mond, Sonne, Welt und Engel. Bisher nahm man allgemein an, der Tarocksatz von 78 Blättern habe von allen Spielkarten zuerst in Europa Eingang gefunden, aus diesem Spiel haben sich Whist, Piquet und Tarocchino gebildet, indem man einen Theil der Blätter fortliess, und das Minchiate-Spiel sei durch Zu fügung gewisser Blätter entstanden. Diese Annahme stützt sich zum Theil auf Vermuthungen bezüglich der Natur der Naibi, mit welchem Namen man in Italien im 14. und 15. Jahrhundert im Volke Spielkarten zu bezeichnen pflegte. (Spanisch heissen Spielkarten auch heute »naipes«. Red.) In Merlinis »Origine des cartes ä jouer« (Ursprung der Spielkarten), ein Werk, welches im Jahre 1869 erschien, wird diese Annahme eingehend begründet. Zum ersten Male werden Spielkarten in einem Schriftstück aus dem Jahre 1377 erwähnt. Zwar ist ein anscheinend älteres Manuskript bekannt, in dem es heisst: Non getti dadi, ne tocchi naibi (Würfle nicht, noch spiele Karten), doch ist nicht bestimmt festgestellt, in welchem Jahre dasselbe verfasst wurde. Die Abhandlung des Johannes Teutonicus aus 1377 erwähnt Spielkarten als eine Neuheit unbekannten Ursprunges und be schreibt einen Satz von vier Farben der bekannten deutschen Karten, jede einen König, zwei Buben und figurenlose Karten von 1 (ass) bis 10 enthaltend. Teutonicus bemerkt in seiner Schrift, dass sich das Spiel durch Hinzufügung einer Königin und zweier Hofdamen verbessern liesse. Er lobt es als eine Kurzweil, die sich selbst für Predigermönche eigne. Daraus scheint hervorzugehen, dass Karten damals noch nicht dem Glücksspiel dienten. Ihre harmlose Natur blieb jedoch nicht lange bestehen, und so kam es, dass im Jahre 1404 die Synode von Langres ihre Benutzung untersagte. 1423 war das Kartenspiel zu einer solchen Volksleidenschaft geworden, dass der heilige Bernhard von Siena einen Kreuzzug durch Nord Italien gegen die Karten unternahm, der zur Folge hatte, dass solche in Unmengen vernichtet wurden. Dasselbe spielte sich später in Florenz anlässlich der Predigten Savonarolas ab. Die Geschichte erzählt u. A. von einem Spielkarten-Maler, der einst neben Savonarola stehend in Thränen ausbrach, weil er durch dessen Predigten gegen die Spielkarten seinen Erwerb verloren hatte, worauf ihm der Gottesmann den Auftrag gab, sich fortab mit der Herstellung von. Karten mit Heiligenbildern zu beschäftigen. 1430 verbot Amadeus von Savoyen das Kartenspielen in seinem Lande, ausgenommen, wenn dasselbe mit »Damen um Nadeln« stattfand. Von jener Zeit an wurden die Verbote allgemein. Der heilige Bernhard gab in seinen 1440 geschriebenen Predigten aufs Entschiedenste der An sicht Ausdruck, dass die Karten eine Erfindung des Teufels seien, und nannte sie »Teufels Gebetbuch«. Als Grund gegen die vorhin erwähnte Annahme, Tarock sei das älteste Kartenspiel, kann der Umstand gelten, dass die vorhandenen geschichtlichen Aufzeichnungen bis 1440 keine anderen als Whistkarten aus vier Farben von je 14 Blättern, König, Damen, Ober- und Unterbuben (milites etiam inferiores et superiores = Soldaten niederen und höheren Ranges) er wähnen. Erst um jene Zeit tauchte eine neue Gattung auf. Marziano, Sekretär Philipp Maria Visconti’s von Mailand, malte seinem Gebieter ein Spiel Karten, auf denen Götter mit Vier füsslern und Vögeln dargestellt waren, und welche die für jene Zeit ungeheure Summe von 1500 Kronen kosteten. Ueber die Regeln, nach denen dasselbe zu spielen war, lässt sich heut zutage nichts feststellen, doch da es als »genus ludi qui ex imaginibus depictus fit« (Spiel mit gemalten Bildern) beschrieben wurde, darf man annehmen, dass es eher, zu der Gattung der »ludi triumphorum« (Triumfspiele) als zu den gewöhnlichen Kartenspielen gehörte. (Vielleicht ist die Annahme gestattet, dass die Triumfspiele auch Kartenspiele waren, bei denen eine bestimmte Farbe über die anderen triumfirte. Daher dürfte der noch heute übliche Name »Trumpf« für die siegende Farbe stammen. Red.) In 1427 heirathete der genannte Philipp Visconti die Tochter des Herzogs Amadeus von Savoyen, und es sind noch heute einige Karten vorhanden, auf denen Philipp und seine Gemahlin nebst den Wappen von Savoyen und Visconti dargestellt und die als Hochzeitskarten bekannt sind. Dieselben wurden 1431 von Cigognara beschrieben, leider aber bemerkt dieser weder, ob sie aus Papier oder Pergament bestanden, noch ob sich aus ihnen etwas über die vermuthlichen Regeln des Kartenspiels ermitteln lässt. Ein Hinweis auf alte Spielkarten findet sich in einem Manuskript von Predigten, die in Nord-Italien zwischen 1450 und 1480 von einem Franziskaner-Mönch verfasst wurden. Aus dem Manuskript erhellt, dass das Kartenspiel damals ziemlich volksthümlich geworden war, und man fast allgemein das ludus triumphorum oder Triumfspiel liebte. Jener Mönch giebt uns keine Auskunft über die Regeln des Spiels, doch geht aus seinen Bemerkungen hervor, dass Whistkarten in dem von ihm er wähnten Satze nicht enthalten waren. Die Namen, welche er er wähnt, sind für die Geschichte der Spielkarten von Wichtigkeit. Unter Anderem sagt er z. B. es gäbe »tria genera ludorum fortunae« (drei Arten Glücksspiele), nämlich »Taxillorum, Char tarum et Triumphorum«, d. i. Würfel, Karten und Triumfe. Von 1480 an beginnen wir in alten Werken auf den Namen Tarock zu stossen, so z. B. ist in einem derselben erwähnt, dass Antonio da Cigognara im Jahre 1484 einen Satz Karten für Ascanio Sforza, den Grossenkel Philipp Maria Viscontis, malte. Platina empfiehlt 1481 die Benutzung von »chartis variis imaginibus pictis«, die wahrscheinlich Taroekkarten waren. Die in der Bibliotheque Nationale in Paris aufbewahrten an geblichen Karten des Franzosenkönigs Karl IV. stammen ver- muthlich aus jener Zeit. Offenbar sind sie in allen ihren Theilen vorzüglich erhaltene französische Nachbildungen italienischer Karten. Aretin spricht 1534 von seinem Freunde Giulio Romano als von dem Michael Angelo des Tarockspiels, des grossen Rufes wegen, den er als Kartenspieler erworben hatte. Aller Wahrscheinlichkeit nach sind die Triumf- oder Tarockkarten von einem italienischen Miniaturzeichner den unge fähr in 1440 erfundenen Minchiate-Karten nachgebildet worden, doch deutet alles darauf hin, dass sie vor dem Jahre 1470 noch nicht allgemein bekannt waren. Dies wird bestätigt durch Stellen von Garzoni im Werk Piazza Universale (1585): »Alcuni altri son giuochi da taverna . . . . o tarocchi di nuova inventione secondo il Volterrano (1450—1521)« (Ferner giebt es andere Wirthshaus-Spiele . . . . z. B. das neuerdings erfundene, von Volterrano erwähnte Tarockspiel.) Die angeblichen Aeusse- rungen des Volterranus sind jedoch niemals gefunden worden