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pulsuiherIayeblait Dienstag, 26. Marz 1S2S Beilage zu Nr. 72 81. Jahrgang Die „Reparationsfcont" der Alliierten (Unber. Nachdr. Verb.) V/. Vp Als vor bald 8 Wochen die Reparattonsiachv rständigen in Paris zusammentraten, um eine Eudlösung der Reparationsfrage auszuarbeiten, wurde deutscherseits besonderes Gewicht darauf gelegt, sich und ihrer Arbeit allein überlass-n zu sein. Abstimmungen mit Mehr heiten und Minderheiten gibt es in den Pariser Beratungen nicht, son derst nur die Suche noch Formeln und Vorschläge, denen alle Sachver ständigen aus ehrlicher UeberzeugunS beitreten zu können glauben. Man war bis zu Beginn der Sachverstandiaenberatungen und auch noch während der ersten Beratungstage der Auffassung, in Paris gebe es zwei Parteien: den Schuldner Deutschland und die Gläubiger Frankreich, England, Belgien, Jralien und Japan. Zwischen beiden, — vielleicht noch etwas näh r den Gläubigern als dem Sch.lder, — stehe dann Amerika. Je länger die Pariser Reparationsberatungen dauern, desto deutlicher wird es, daß von einer geschloffenen Front der Alliierten nicht die Rede sein kann Schon vor den Verhandlungen hatte der ita. lieniscke Hauptdelegierte, Alberto Pirelli, in vertraulichen Besprechungen Mit französischen und englischen Staatsmännern die Forderung erhoben, sein Land möchte bei einer Neufestsetzung der „Quoten" (d. h. der Pro- zentsatze, zu denen die einzelnen Gläubigerländer an den deutschen Re ParationSleistungen beteiligt sind) besser als bisher bedacht werden. England ist überhaupt nie ein großer Freund der Revision der Repa- rationsfrage im gegenwärtigen Augenblicke gewesen, — mit Aus nahme der Saihlnserunftsfrage, in der England ungleich viel ablehnender ist als seine Mitgläubiger. Im Laufe der Pariser Verhandlung«» hat sich Wetter ergeben, daß ein an den deutschen Leistungen so wenig be teiligtes Land wie Japan viel stärker an der Beseitigung künftiger Währung«., Finanz- und Welthande>sschwierigkeiten als an der Fest setzung möglichst hoher und möglichst langdauernder Reparationsver pflichtungen Interessiert ist. Auf die amerikanischen Vertreter haben die nüchternen Ausführungen der deutschen Delegierten starken Eindruck gemacht. Die Folge davon war, daß sich die amerikanischen Vertreter bemühten, die Zahlenillusionen der Franzosen und Belgier zu bekämpfen. Noch deutlicher sind die Meinungsverschiedenheiten im Lager der Alliierten geworden, als man nähere Einzelheiten der zu schaffenden neuen Reparationsordnung diskutierte. Aus England kamen die Be denken gegen die große Reparalionsbank, der die Abwicklung aller Re» parationsfragen übertragen werden soll. Man fürchtet in England eine Schädigung der Stellung der Bank of England und ihres Einflusses auf den internationalen Geld- und Oevisenmarkt. Auch die Idee der Zweiteilung der deutschen Jahresleistungen ist in England abfällig glasiert worden. M«n hat in Paris erwogen, — und die Franzosen und Belgier setzen sich eifrig für die Erfüllung dieser Planes ein, — den auch weiterhin transsergeschützten Teil der deutschen Jahresleistungen für die Rückzahlung der allii rten Schulden an Amerika und England zu benutzen, den transferungeschützten (also jederzeit frei in Devisen zu verwertenden) Teil der deutschen Zahlungen dagegen zur Deckung der Aufbaukosten zu verwenden. Dadurch würde England, da» ja keine Ausbankosten zu tragen hatte, vom Bezug transferfreier Ueberweisunqen ausgeschlossen und würde einen großen Teil des Risiko» tragen müssen, daß die deutschen Reparationsleistungen nicht richtig ausgenutzt werden können. Es mag sei», daß sich die Alliierten schließlich doch verständigen. Vorläufig kann man aber von einer Einheitsfront der Alliierten in Parts nicht sprechen. D r. Croll. Der Radebeuler Hellseher vor dem Dresdner Landgericht Unglemdliche Geister und Hexeugeschichte» Zu Anfang dieses Jahres verhandelte das Amtsgericht Kötzschen, broda an zwei Tagen gegen den 38 Jahre alten, in Radebeul wohn- hasten früheren Glasschleifer, jetzigen Naturhellkundigen, Masseur, Mag netiseur und Hellseher Arno Max Fickler wegen versuchten Betruges in einem und vollendetem Betrugs in zwei Fällen, begangen in der Aus übung seine» Berufs. Er wurde im Sinne der erhobenen Klage zu 1 Monat Gefängnis und zu 120 Reichsmark Geldstrafe oder zu weiteren 30 Tagen GetängniS Ersatzstrafe verurteilt. Hiergegen hatte Fickler, der stine Freisprechung erstrebte, und aus gegenteiligen Gründen auch die Staatsanwaltschaft, Berufung eingelegt, mit der sich am Mittwoch die Dresden befaßte. Was zunächst di- Person des Beschuldigten anbelangt, so war er in der Schulzeit zwei mal sitzen geblieben. Lesen und rechnen will er überhaupt erst während seiner MMSrdienstzeit erlernt haben. Betreffs seiner angeblichen hell seherischen Fähigkeiten gab er in der Kötzschenbrodaer Verhandlung an, solche schon als Schuljunge von 8 bis 10 Jahren ab wahrgenommen zu haben. In der jetzigen Berufungsverhandlung kam der Angeklagte mit. einer anderen Schilderung, die eine gewisse Heiterkeit erregte. Als Kriegsteilnehmer will er vor einem Sturm an der Westfront voraus geahnt haben, daß diese Geschichte fehlginge, dir Kameraden hätten ihn aber damals ausgelacht, hinterher aber einsehen müssen, daß seine Ah nung richtig gewesen war Die habe sich schnell herumgesprochen. Und so sei er als Hellseher ohne jede andere Vorbildung immer mehr bekannt g worden. Der Zulauf wurde Immer stärker, schließlich habe er den Beruf als Glasschleifer aufgegeben und eine regelrechte Praxis auSge« übt. Wegen eines au» seiner hellseherischen Tätigkeit heraus entstandenen Mißerfolges hat Fickler bereits eine Geldstrafe erhalten, angeblich aber einer inneren Stimme folgend, diese über sich ergehen lassen. Was die ihm jetzt zur Last gelegten Emzelefälle anbelangt, so hatte er als Hellseher recht schlechte Diagnosen gestellt. Ein in der Mitte der zwanziger Jahre und nüt Katkreiner ^rmkenDelneKlnde^ -leMlck no6r 'mal so Zenr/ ^ebe gute bestätigt bas/ stehende Arbeiterin war von ihm als Mutter eines zweijährigen Kindes bezeichnet worden, und der weggelaufene 15 Jahre alte landwirtschaftliche Gehilfe Rösler aus Reinersdorf bei Großenhain sollte 1120 Kilometer weit bis an die polnische Grenze gefahren sein und zu einem bestimmten Zeitpunkte wieder im Elternhause eintreffen. Letzteres stimmte ganz und gar nicht. Der Bursche befand sich in der Nähe seine» Heimat orte«, wo er bei einem Bauer beschäftigt war. Den Hauptpunkt der Anklage bildeten aber die sogen. Lenzer Geister- und Hexengeschichten, mit denen sich gewisse abergläubische Personen schon seit Jahrzehnten befassen und in deren Mittelpunkte wiederum ein Bauer Dörschel noch heute steht. Vor dessen Einfahrt zum Gute soll ein russischer Kriegs- schätz begraben liegen, lieber all diese Spukgeschichten wurde bei Be» kannlwerden derseiben und anläßlich der Kötzchcnbrodacr Gerichtsver handlung eingehend berichtet. Diese Dinge kamen während des Beru fungsverfahrens wiederum mit zur Erörterung. Der Direktor der Dresdner Heil- und Pflegeanstalt, Prof. Dr. Reiß begründete als Sachverständiger, daß er den Angeklagten im Vor jahre dreimal untersucht habe. Er ist dabet zu dem Ergebnis gekommen, daß Fickler selbst nicht an seine hellseherischen Fähigkeiten glaubt, er fei ein höchst primitiver Mensch und habe nur geringe Kenntnisse. Mit der Materie der Astrologie, di« bei der ganzen Wahrsagerei eine große Rolle spielt, ist der Angeklagte nur wenig vertraut. Da eine geistige Störung nicht festzustellen war, sei er strafrechtlich voll verantwortlich zu machen. — Der Staatsanwalt führte in der Anklagerede einleitend au», es wäre höchst bedauerlich, daß es noch so viele Leute gebe, die an derartiges unsinniges Zeug glauben, wie hier zutage getreten sei. I lkks Qaräinsn u. QskMnsnslanssn ksufsn Lis im Qsrciinsntisus ttsuptmsrüt Die Berufungsverhandlung habe wiederum, wie der Prozeß vor dem Amtsgericht, ein höchst trübes Bild entrollt. — DaS Landgericht kam zur Verwerfung der Berufungen mit der Begründung, man habe sich den getroffenen Feststellungen der Vorinstanz angeschloffen. Der Tatbestand des Betrug-» sei erfüllt. Mutter und Kind in der Pleiße. In Leipzig ist eine Arbeiterin mit ihrem drei jährigen Kinde in die Pleiße gesprungen. Man konnte die Mutter retten, das Kind ist aber abgetrieben worden und seine Leiche ist noch nicht gefunden worden. Die Ursache der Tat war, daß die Frau in ständigem Unfrieden mit ihren Angehörigen lebte und deshalb gemeinsam mit ihrem Kinde aus dem Leben scheiden wollte. / Immer noch keine Aufklärung im Katt Iannowih. Das vermißte Buch im Sarg. Der Verbleib jenes Buches „Bergschmiede" von Felicitas Rose», bei dessen Lektüre Graf Eberhard von Stolberg-Wer- nigerode durch eine« Schuß in den Hinterkopf getötet worden ist, konnte inzwischen aufgeklärt werden. Eine mit der Lin- sargung beschäftigte Person hatte dem Grafen das Buch mit in den Sarg gegeben. Der Betreffende erklärt, er habe das Buch dem Toten mitgegeben, weil es völlig mit Blut und Schirnmasse bespritzt gewesen sei. Diese Aussage stellt ein- »eutig unter Beweis, daß man das Buch dem Grafen Eber- -ard keineswegs nach Eintreten des Todes in die Hand ge sehen haben kann. 1000 Mark für die Entlarvung des Täters. Die Untersuchungsbehörde hat nunmehr endgültig be schlossen, eine Belohnung für die Aufklärung des rätselhaften Falles auszuschreiben, und der Oberstaatsanwalt hat vom Regierungspräsidenten die Erlaubnis erhalten, eine Prämie von 1000 Mark für diejenige Perfon a»szu- setze», deren Bekundungen eine Lösung herbeiführen. Weiterhin wird zu den Untersuchungen auf Schloß Jannowitz der Berliner Gerichtschemiker vr. Brüning hinzugezogen werden, dem die Aufgabe zufallen soll, die Mordwaffe sowie die auf ihr befindlichen Finger nd drücke genau zu untersuchen. Bei den weiteren Untersuchungen ergab sich, daß die gräfliche Familie sich schon seit längerer Zeit mit dem Pla« oefaßt, einen Teil des Gutes zu veräußern, um >ie Schulden, die auf dem Fideikommiß lasten, abtragen zu können. Das Ansuchen wurde aber vom Oberlandesgericht jedesmal abgewiesen. Jetzt unter dem Druck der Verhält nisse hat sich das Oberlandesgericht einverstanden erklärt, daß der Gutsteil Nohrlach parzelliert werden soll. Bei der Nachprüfung hat sich herausgestellt, daß die auf dem > 8000 Morgen betragenden Gute lastenden Schulden sich auf i :twa 500 000 Mark belaufen. Der Hauptgläubiger ist die Schlesische Landschaftsbank; außerdem bestehen aber noch sehr gewaltige Privatschulden der einzelnen Mitglieder des gräf lichen Hauses. Dennoch erklärt der Vorsitzende des F i - d e i k o m m i ß g er i ch ts, daß bei Einsetzung einer Zwangswirtschaft das Gut innerhalb einiger Jahre aller dings saniert werden könnte. Eine Selbstbezichtigung in der Iaunowitzer Mordangelegenheit Berlin, 26. März. Wie Berliner Blätter aus Hirsch- ll v IN s n von krItr T o r n s g g OvpVrlskt Martin ttallo (Laals) Albert ließ sich bei Herrn von Weißenbach melden. tUs er, wie vor vier Wochen, durchs Empfangszimmer, den ^peisesaal, von da in die Glasveranda geführt wurde, glaubte er zu seinem Schrecken aus gewissen Anzeichen ent nehmen zu müssen, daß Liane knapp vor seinem Eintritt hinausgegangen war. Quälende Unruhe befiel ihn. ' Er bat seinen Ches, nachträglich die unangemeldete und eigenmächtige Entfernung entschuldigen zu wollen. Weißenbach runzelte die Stirn. „Ich muß allerdings sagen, Herr Ingenieur, daß ich Ihre Handlunasweise nicht verstehen kann. Wenn Sie in Privatangelegenheiten vom Dienst fernbleiben müssen, so wäre doch eine rechtzeitige Anfrage am Platze. Außerdem haben Sic sich vom Buchhalter Geld vorstrecken lassen, was nicht ganz in Ordnung ist. Wollen Sie nur vielleicht mit teilen, was Sie zu Ihrer Rechtfertigung vorzubrmgen haben?" „Herr von Weißenbach", antwortete Albert in tiefer E>. regung, „ich bitte nochmals: wollen Sie meine Handlung, weife gütigst entschuldigen. Ich sehe, Sie tadeln diefelb. Ich möchte doch um alles in der Welt keinem Mißtraue Ihrerseits begegnen. Herr von Weißenbach, Sie haben mi gestern aus ein Verbrechen aufmerksam gemacht. Ich ha dieses Verbrechen wieder gutgemacht, soweit es in meinc Kräften stand. Ich war in Berlin, mit dem Flugzeug. I habe dem Verbrecher das Geld wieder abgenommen. Es ist derselbe schändliche Mensch, der Liane, Verzeihung, der Ihr Fräulein Tochter beinah..." „Was!?", fuhr Weißenbach auf, „derselbe Mensch, sagen Sic? Also war es ein Mensch und keine leere Einbildung meiner Tochter!? Keine Halluzination, sondern ein Mensch? Wie erklären Sie sich das? Was wissen Sie davon?" „Herr von Weißenbach, ich bin tatsächlich der einzige Mensch auf Erden, der Ihnen darüber restlose Aufklärung zu geben vermag. Aber gestatten Sie mir die Frage, die ich nicht länger zurückdrängen kann: Wie geht es Fräulein Liane? Hat sie sich erholt?" „Sie hat schwer gelitten, das arme Kind. Nicht nur an dem Schrecknis dieser Nacht, mehr noch an den Zweifeln an ihrer geistigen Gesundheit und... an Ihnen." „An mir? Um Gottes willen, warum an mir?" „Das soll sie Ihnen selber sagen!" Er drückte auf den Laster. Der Diener erschien. „Ich lasse meine Tochter her- »verbitten." Albert wurde blutrot. Auf diese Situation war er nicht gefaßt gewesen. Im nächsten Augenblick konnte Liane da sein! „Ich mutz Ihnen ein Geständnis ablegen, Herr von Weißenbach! Seit vorgestern Nacht ist Liane meine Braut! Ich bitte Sie von ganzem Herzen nm die Hand Ihrer Tochter." Im Ueberschwang des Gefühls warf er sich vor den gestuhl des alten Herrn in die Knie. Da trat Liane ein. Im Augenblick schien sie die .tuation erfatzt zu haben. Brennende Röte stieg in ihr rsses, angegriffenes Gesicht. Albert sprang aus und eilte ihr entgegen. Sie wich rück. , ., „Liane! Was ist mit dir?" Da warf sie sich in seine offenen Arme, barg ihr Köpf chen an seiner Brust, und konnte die Tränen nicht mehr hemmen. „Liane! Mein Einziges, Sützes! Ist es möglich, daß du mir zürnst? Weil ich fort war? Es mußte sein, Liane, glaube mir! Auch um deinetwillen mutzte es sein. Ich bin wieder bei dir. Komm, dein Vater Weitz alles! Komm zu ihm!" Da schrie sie auf: „Ich darf ja nicht deine Frau werden. Ich komme ja ins Irrenhaus!" Ein herzzerbrechendes Schluchzen folgte. „Du bist gesund! Gesund wie ein Fisch im Wasser! Liane, ich werde dir das Rätsel lösen. Du wirst sehen, daß alles mit ganz natürlichen Dingen zugegangen ist. Die Schandtat eines gemeinen, niedrigen Menschen war es. Glaube mir, du sollst alles wissen. Aber beruhige dich. Glaube mir, daß du gesund bist. Lache wieder. Sei wieder froh. Sei glücklich, und mache auch mich zum glücklichsten aller Menschen!" * * * Acht Tage danach wurde die Verlobung Lianes von Weißenbach mit Ingenieur Albert Mühlenkamp gefeiert und bekanntgegeben. Der alte Herr war zufrieden mit der Wahl, die seine Tochter getroffen. Voll staunender Bewunderung hatten die beiden die geniale Erfindung Alberts vorgeführt gesehen, dieses Zauberwerkzeug, so neu, wie unerhört, und doch schon so verstrickt mit Schmerz, Verbrechen und Gefahr.