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Sonnabend, 3, Januar 1S2S 1. Vellage zn Nr. 4 81. Jahrgang Dresdner Allerlei Und wieder ist ein neues Jahr aus dem Ungewissen emporge« stiegen, wieder haben wir ihm allerlei liebenswürdige Eigenschaften im Rausche der Silvesterfreudc angedichtet, die zu erfüllen das neue Jahr gewiß nicht verpflichtet ist. Jubel und Trubel ist vorüber und der Alltag hat das Wort. Der Alltag ? Ei, noch lange nicht! Noch duftet es festlich im Haus nach Stollen, Pfefferkuchen und Wachslichtern. Noch hat sich der allzu angestrengte Magen des guten Essens nicht entwöhnt. Im Ge genteil, das süße Weihnachtsgebäck fängt jetzt an erst richtig zu schmecken. So ist es mit allen Freuden, wenn sie beginnen zu schwinden, werden sie am meisten geschätzt? Und wurden wir erst durch Glückwünsche für das Kommende erfreut, ungefähr so: „Gesunde Feiertage! Glück liches neues Jahr!" so heißt es jetzt: „Wie haben Sie die Feiertage verlebt?" Da gibt es Erzählungen von verdorbenen Magen, von nn- zufriedenen Beschenkten, von Aergcr allerlei. Am meisten aber schimpfen diejenigen, welche die Feiertage im Gebirge hatten zubringen wollen. Ein Bretilwald war es dem auch, der sich am Sonnabend nach mittag auf den Bahnhöfen einfand. Mädels in Pluderhosen, mit großen Kappen auf den ondulierten Locken, mit erwartungsvollen Gesichtern und den wunderbar gewachsten neuen Skiern, bereit, mit ihnen, man sagt allgemein „dem Freund", einige Tage im Gebirge zu verbringen. Eine verkappte Hochzeitsreise, bei der sich niemand mehr etwas denkt, höchstens eine Großmama, die an den wundervoll aufgeklärten Begriffen unserer Zeit den Maßstab von früher legt. Lächerlich! Ueber solche veraltete Moralbegriffe schreitet man kühn hinweg! Aber der launischee Wettergott hat solch süßem Sehnen mit Naturgenuß ein vorzeitiges Ende bereitet. Schon am Heiligen Abend lauteten die Wetterberichte gar nicht günstig, der Schnee schmolz, und die Heimkehrenden sahen nicht festlich aus mit den durchweichten, ver regneten K eidern und den triefenden Rodelu uud Skiern. Es war denn auch lebensgefährlich auf unseren Bahnhöfen. Dieser Zug hatte Verspätung, jener ging überhaupt nicht; des Mur rens wollte denn auch kein Ende nehmen. Ungerecht war «s, unsere braven Eisenbahner dasür verantwortlich zu machen. Da lesen die Leute in den Zeitungen von dem sonderbaren Etsenbahnkricg zwischen den Staaten und merken nicht, daß solche Störungen die Folge sind. Und Wetter geht es in das neue Jahr hinein, auswärts, der Sonne entgegen. Und — neue Vergnügen! Unsere Bäcker machen den Anfang. Zwar gilt es nicht mehr, einen Fürsten mlt dem Riesen- stellen zu beschenken, wie das wohl früher geschah; aber Fest uud Um zug soll Dresden haben. Und der Riesenstollen soll auch mit dabei sein. Wer wird ihn erhalten? Vielleicht soll er verpfuudet werden? Oder wird er gar am Festabend von den Bäckern selbst verspeist? Kin Riesengebäck, selten wie der Elefant, der vor Jahren im Zirkus Sarra» sani geschlachtet werden mußte und dann, verpfuudet, den Dresdne.m in verschiedener Zubereitung dargereicht wurde. „Haben Sie eine Por tion Rüss-l gegessen?" wurde man damals überall gefragt, und so viele Portionen wie vertilgt worden waren, konnte auch der längste Rüffel nicht hergeben. Vielleicht gehts so mit dem Riesenstollen. Ach, «in en recht langen Rüssel möchte der Dresdner sich selbst zulcgen. Wofür? — Ei, um zu schnüffeln Md zu riechen, was es alles für Neuigkeiten zu merken gibt. Bei der Straßenbahn, wo man ein» und aussteigen maß; denn viele, allzuviele Haltestellen sind zu Vexierbildern geworden, und manche andere Verkehrsbestimmung, täglich neu herauSkommeud, kann sich ein normaler Mitteleuropäer überhaupt nicht merken. Da gibt es denn Reibungen zwischen Beamten, die es nicht begreifen, daß man just ihr Gebiet nicht im Kopfe hat, und dem Publikum, das den Beamten mit einer Htmmrlsgeduld ausgestattct wähnt. Dann heißt es von beiden Seiten: „Es ist ja keün Wunder, wenn man nervös wild!" Nervös ist das entschuldigende Schlagwort für alle und alle. Aber vielleicht rufen meine werten Leser jetzt auch, ungeduldig werdend „Ist denn der Brief immer noch nich t zu End? Ich werde noch nervös!" Nein, meine Herrschaften, das will ich durchaus nich t! Kexln» öertbolä Im Schnee verirrt und erfroren. Opfer des Schneesturms in Schlesien. Breslau. Der starke Schneesturm, der in diesen Togen in Schlesien wütete, hat verschiedene Todesopfer gefordert. So verirrte sich die 23jährige Tochter des Maurers Walter aus Kathol isch-Hennersdorf im Kreise Lauban im Schneesturm, blieb in einer Schneewehe stecken und wurde er froren aufgefunden. Auch bei Langenbielau fand man eine halberstarrte Frau aus Reichenbach im Schnee liegen. Sie war auf dem Heimwege im Schneetreiben zusammen gebrochen. Erst nach ihrer Ueberführung ins Krankenhaus fand sie die Besinnung wieder. Ebenfalls infolge des Schnee treibens ist der Eisenbahnschaffner Johann Niegsch aus Liegnitz ein Opfer seines Beruses geworden. Er wollte auf einem nach Gnadenfrei fahrenden Zuge eine festgefrorene Bremse lösen und begab sich zu diesem Zwecke während der Fahrt heraus auf das Trittbrett, von dem er abglitt und so unglücklich auf den Bahndamm stürzte, daß er den linken Unterschenkel brach. Ueberall aus der Provinz laufen Nach richten ein, daß Autos unterwegs im Schnee stecken bleiben. Bisweilen müssen mannstiefe Löcher ausgehoben werden, um die Bahn wieder freizumachen. Die Einwohner der Gast häuser haben sich alle mit Spaten und anderen Hilssgeräten versehen, um den Autofahrern Hilfe leisten zu können. Hirschberg. Im Schneetreiben sind drei Schüler auf dem Wege von der Spindlerbaude nach der Prinz- Heinrich-Baude von der Stangenmarkierung abgeirrt. Sobald man ihr Fehlen bemerkte, machte man sich auf die Suche. Als man sie erschöpft auffand, war der 18 Jahre alte Horst Laux, der einzige Sohn einer Witwe in Leipzig, bereits erfroren. Die beiden anderen konnten gerettet werden. ^aynwarrer vom Zuge wrgesayren. Der 74 Jahre alte Bahnwäter i. R. Richard Flach wollte von Ruppertsgrün aus sich nach seiner Wohnung vom Bahnwärterhaus aus begeben. Er benutzte den neben den Schienen herlaufenden Fußsteg, muß sich aber Wohl infolge der herrschenden Schneeverwehungen vom Wege verirrt haben und zwischen die Gleise geraten sein. Er wurde von einem hinter ihm kommenden Zug erfaßt und getötet. An einem Tage vierfacher Schwiegervater geworden. Der Gemüsehändler Schulze in Döbern hat zu Weihnachten das seltene Glück erlebt, daß seine vier Töchter auf ein mal unter die Haube ge kommen sind. Nach der vier fachen Trauung hat es in dem Hause des Schwiegervaters sicherlich ein sehr frohes Weih nachtsfest gegeben. Das Bild zeigt die vier jungen Ehepaare. Spiel-Plan der Dresdner Theater Opernhaus. Sonntag, 6. Januar, außer Anecht., „Tristan nnd Isolde" 6—10,30. Montag, 7., Anr. 8, „Madame Butterfly" 7,30-g. 10. Dienstag, 8., Anr. 8, „Violetta" 7,30-g. 10. Mitt- woch, 9., außer Anr., „Die ägyptische Helena", Helena: Vera Schwarz a. G. 7,30-g. 10. Donnerstag, 10., Anr. 8, „Sly" 7,30—g. 10. Freitag, 1t., 4. Sinfonirkonzert Reihe ä, 7,30; 11,30 öffentl. Haupi- probe. Sonnabend, 12., außer Anr., „Der Zigeunerbaron" 7,30—10,45. Montag, 13., außer Anr., „Aida" 6,30— g. 10. Montag, 14., An- rechtsreihe L, „Sly" 7,30- g. 10. Schauspielhaus. Sonntag, 6., „Schneewittchen" 2,30; außer Anrecht, „Finden Sie, daß Constanze sich richtig verhält ?" 7,30-9,48. Montag, 7., Anr. 8, „Der erniedrigte Vater" 7,30—9,45. Dienstag, 8., Anr. 8, „Philotas", „Der junge Gelehrte" 7,30—9,45. Mittwoch, 9, Anr. 8, „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua" 7,30—n. 10,45. Donnerstag, 10., für den Verein Dresdner Volksbühne" (kein öffentl. Kartenverkauf) „Die Verschwörung des Fiesko zu Genua" 7,30—n. 10,45. Freitag, II, Anr. 8, „Der erniedrigte Vater" 7,30—9,45. Sonnabend, 12., Anrechtsr. 8, „Eine königliche Familie" 7,30—10,15. Sonntag, 13., „Schneewittchen" 2,30; außer Anr., „Eine königliche Familie" 7I0—10,15. Montag, 14, Anr. ä, „Philotas", „Der junge Gelehrte" 7 30-9,45. Albert-Theater. Sonntag, 6 Januar, 3,30 „Pflaumtoffels Weihnachtssahrt"; 7,30 „Arm wie eine Kirchenmaus". Montag, 7., 7,30 „Olympia". Dienstag, 8., 7,30 „Arm wie eine Kirchenmaus". Mittwoch, 9., 3,30 „Pflaumteffcls Weihnachtsfahrt"; 7,30 „Arm wie eine Kirchenmaus". Donnerstag, 10., 7,30 „Olympia". Freitag, 11., 7,30 „Arm wie eine Kirchenmaus". Sonnabend, 12., 3,30 „Pflaum toffels Weihnachtsfahrt"; 7,30 „Heimat". Sonntag, 13,3,30 „Pflaum- toffels Weihnachtssahrt"; 7,30 „Arm wie eine Kirchenmaus". Montag, 14, 7,30 „Olympia". Die Komödie. Montag, 7 Januar, 7,45 „Leinen aus Ir land", Abonn. -V 1, VB. 3421-3520, BVB. Gr 1 3501-3600. Dienstag, 8., 7,45 dto., 3521—3620, 7451—7500. Mittwoch 9., 3,30 „Mox und Moritz"; 7,45 „Leinen aus Irland", 8 1, 3621-3601 bis 3700. Donnerstag, 10, 7,45 dto., 3721—3800, 3701-3800. Freitag, 11., 7,45 dto., c I, 3801—3900. Sonnabend, 12., 3,30 „Max und Moritz"; 7,45 „Leinen aus Irland" 3881- 3940, 3901-3950. Sonn tag, 13., 11,30 Tanzmatinee Neppach Schlieben—Kömme; 3,30 „Max und Moritz"; 7,45 „Leinen aus Irland", 3941-4000, 3951-4000. Montag, 14., 7,45 Gastspiel der Reinhardt Bühnen, Erstaufführung „Es liegt in der Luft", Revue v. MarcelluS Schiffer, >1 2. 40. die ich fr - kommen."^. sie lch n- r- ,,^ch hoffe es. Freilich hängt alles von seiner Stil mung ab. Die ist heute gerade nicht sehr gnt. Aber ve suchen möchte ich es doch — eben weil ich hoffe, ihr Kor men bringt ihn auf andere Gedanken." Er blieb vor einer Tür stehen, öffnete und zünde farm 4t md traurig !, Wenn er eng nicht hwtLe,»ftHKß staube, er Sein wahrer Name. Roman, von Erich Ebenstein. Copyright byr Greiner iL Comp. Berlin W 3 N Nachdruck i erboten. Fortsetzung. „Ja, das ist's auchüSeinl kein Mensch kann's bearä Freude an dem alten Z< „ würde längst den Verstand verloren haben."" Ein wunderliches Gemisch von Teilnahme, st Lell gier und Enttäuschung erfüllte Silas, Hempel. Trotz Melittas Worten/war-er mit/der Vo. raulssetzung gekommen, in dem Kammerdiener den heuchleri fchen Mit schuldigon eines raffinierten Verbrechers zu find, rn, der es irgendwie ermöglicht hatte, die Welt durch sein Di Ippelleben zu tauschen. Nun fand er einen treuen, ehrlichen Menschen, der mit Hingebung an seinem Herrn hing, und ihn nur bekl agte um seines traurigen, einsamens Lebens willen Heuchelei war bei Peter Mark völlig aUsgesa Vossen. Dazu war sem mehr giitmütiges als intelligentes i Gesicht zu sehr der unbewußte Spiegel jeder inneren Negm U- Aber wenn kein Verbrechen — was steckte denn kann hinter dieser merkwürdigen Abgeschlossenheit? Silas Hempel hätte gern Fragen gestellt, aber 7 ^er wagte es nicht, das kaum erloschene Mißtrauen des Diei ler^d wieder zu wecken. Zudem: War es vielleicht auch verlor lene Zeit, er mußte seine einmal begonnene Nolle nun doch Ende spielen. „Glauben Sie, daß Sie Ihren Herrn heute noch fra( >cn können? Wird er es nicht üdelnehmen? Es ist ja wirk! " schon recht spät geworden," sagte er, als man das er Stockwerk erreicht hatte und der Kammerdiener sich nc links wandte. Eines ist klar: Der Diener freut sich über mein Kom men, weil es »ihm gerade jetzt eine willkommene Ab leistung für seinen Herrn zu verheißen scheint. Ablenkung, aber wovon? Es schien fast, als fürchte «er für die nächste Zeit unangenehme Eindrücke. Das könnte .nur mit Lavandals Ankunft zusammenhängen. Auch da steckt ein Rätsel hinter. Der Onkel ladet ! den 'Neffen zu sich ein, und der Diener behauptet, „dieser j Besuch wird nicht viel mit meinem Herrn in Berührung rasch eine Lampe in dem ganz dunklen Raum an. Es war seine eigene Stube. „Belieben Sie, bitte, hier einzutreten und zu warten. ' Ich muß meinem Herrn jetzt das Abendbrot auftragen. Dabei will ich versuchen, die Rede auf Sie zu bringen." „Werden Sie lange sortbleiben?" „O nein! Ich habe das Abendbrot nur in das Zimmer zu stellen. Servieren läßt er nicht." „Bewohnt Herr von Senkenberg denn das. große ' Schloß allein?" fragte Hempel harmlos. „Nein! Seine Schwester bewohnt einen Teil des rechten Flügels, und ein Neffe oben im zweiten Stock einige Gastzimmer. Außerdem erwarten wir heute noch /einen Besuch!" X „Und doch speist Ihr Herr allein?" „Er speist immer allein!" „Wenn Sie Besuch erwarten, dann bin ich wohl doppelt ungelegen gekommen? Hätten Sie mir dies doch gleich gesagt!" Hempel tat überrascht. Peter Mark schüttelte den Kopf, und es schien Silas, als zucke ein Blitz des Verdrusses über sein glattrasiertes Gesicht. „Ungelegen? Im Gegenteil!" sagte er kurz. „Ich glaube, dieser Besuch wird nicht viel mit meinem Herrn in Berührung kommen." Dann verschwand er, nachdem er noch eine Flasche Wein und ein Glas vor Hempel auf den Tisch gestellt und ihn aufgefordert hatte, sich damit die Zeit zu vertreiben. Der Detektiv war allein. „Wie sonderbar und geheimnisvoll einen hier alles an- mutet," dachte er. „Ganz anders, als ich es erwartete v und doch " Was zum Teufel kann das bedeuten? Er gab es endlich auf, darüber nachzugrübeln, und überlegte, was er morgen dem alten Herrn an Antiquitäten in Aussicht stellen könnte. Natürlich würde er sagen, daß sein Gepäck noch iw Wien läge; dann mußte Freund Blum, eine Autorität! ersten Ranges auf dem Gebiet aller Kunstgegenstände ihm eine kleine Auslese seltener Stücke zusammenstelleu. / Hofsentkich besaß er noch die Krügesammlung und Lie! hübschen Hochzeitsbecher, die er ihm kürzlich einmal als! Unika gezeigt hatte. Auch eine kostbare Toilettegarnitur,' die von Marie Antoniette stammen sollte, war, soviev Hempel sich erinnern konnte, von Blum aufgestöbert untz° erworben worden. ' j Der Eintritt des Kammerdieners unterbrach seine Ge danken. Peter Marks Gesicht strahlte förmlich, Und sein vorhin gebückter Gang war plötzlich elastisch geworden. „Es ging besser, als ich dächte", stieß er mit so ehr licher Freude heraus, daß Hempel ihn ganz gerührt be trachtete. „Er will Sie sogar heute noch sehen — das heißt, wenn es Ihnen nicht zu spät wird." „Mir keineswegs! Aber ihm —" „O er schläft ja ohnehin fast keine Nacht, nnd heute schon gewiß nicht. Für ihn wäre es eine angenehme Zer streuung. Und Sie, Monsieur, — wenn Sie erlauben würden, daß ich Ihren Wagen fortschicke und Ihnen nach her eines der Fremdenzimmer richtete? Ja? Wollen Sie?" „Mit Vergnügen!" „Ich danke Ihnen! Sie tun damit mehr ein gutes Werk, als Sie ahnen können! Bitte, kommen Sie nun! Mein Herr erwartet Siel" Verwirrt solgte Hempel dem Diener. Welcher Glückszufall! Das war ja mehr als er je er warten durfte. Jeder Puls in ihm war fiebernde Er regung, als Peter Mark nun die hohen, geschnitzten Flü geltüren öffnete, die aus der Halle in ein mit düsterer Pracht eingerichtetes Gemach führten, und meldete: „Mon- Wris !"