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braunen Locken aus der Stirn, klopfte mit dem Taktstock ans Pult und erhob beide Arme. Mäuschenstill Mars in der Kirche. Voll inniger Süße klang das Kyrie auf, über dem wie mit Engelsflügeln die liebliche Sopranstimme Theresls auf und nieder flog. Ent zückt hörte cs der junge Dirigent und mußte sich Mühe geben, nicht aus dem Takt zu kommen. Er wagte kaum zu ihr hin zu schielen. Dann jubelte das Gloria von der Empore auf wie ein rauschender Vogel mit leuchtendem Gefieder. Trompeten und Posaunen schmetterten darein, festlich prun- kent. Und wieder sanfte Innigkeit, das Credo, das engelsreine Sanktus, ihm folgend das kanonartige, von zwei Sopranen und zwei Tenöre., sich antwortend gesungene Benediktus, zu höchster Glaubensseligkeit anschwellend, schließlich kindlich wehmütig das Agnus Dei, worauf die heilige Wandlung durch den Priester in lautloser Stille hingebender Andacht folgte. Das war ein Erfolg! Das gab ein Händeschütteln von Freunden, Gevattern und Nachbarn. Dem alten Holzer standen die Tränen in den Augen, und Vater Schubert schloß gerührt seinen bisher mißachteten Sohn in die Arme. Ja, er schenkte ihm sogar ein Klavier mit fünf Oktaven Umfang, womit dem Jungen ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung ging. Aber Franzl hatte jetzt doch mehr Sinn für zwei Äugen, die ihn nach dem Verklingen des letzten Tones mit so stolzer Freude angestrahlt hatten, daß ihm glutheiß wurde und alles in ihm zu wirbeln schien. Ja, Theresl hatte wun- derfein gesungen! Sein Herz war ganz voll Klang von der Süße der schmiegsamen Mädchenstimme. Und jetzt sah er ihr voll ins Gesicht, ergriff ihre Hand und dankte ihr mit wirren Worten. „Schon gut Franzl", jagte sie schlicht. „Es war doch so Viet schön, in deiner Mess' zu singen. Du bist doch der erste von uns allen." Wie Engelsmusik klangen ihm diese Worte. Sie war nicht gerade hübsch zu nennen, hatte ein rundliches, blatternarbiges Gesichtel, dabei einen leidlich schlanken Wuchs. Dem Franzl aber war sie heute der In begriff aller Schönheit. Die Flügel seiner drolligen Stups nase zitterten, als er ihr noch schnell zuflüsterte: „Dank, du Theresl, goldiges du! Heut' nachmittag gehn wir mal a Stuckl zusamm', gell? — An der großen Linde Vorm Tore nach Nußdorf zu treffen wir uns um halber viere, gell," — Sic nickte nur, und schon war ihr rosa Kleidchen in Ler Menge verschwunden. Franzl brauchte nicht lange zu warten. Sie wanderten auf der Nußdorfer Linie fort. Schnell waren sie zwischen Wiesen und Neckern und den Weingärten auf den sanft ge schwungenen Hügeln. Ueberall Gesang und Fröhlichkeit. Bald fand sich Hand zu Hand, Mund zu Mund. O Jugendselig keit! O Glück, ein jung Mädel am Herzen zu halten! Theresl war stolz auf ihn und schenkte ihrem Franzl gern ihr kleines, jubelndes Mädchenherz. Dann rasteten sie auf einer kleinen Anhöhe vor Grinzing. Schubert nahm seinen Goethe vor, dessen Gedichte und Faust er vor kurzen kennen gelernt hatte und immer mit sich trug. Er las seiner Liebsten daraus vor. Besonders gefiel ihr das Gretchenlied aus dem Faust: „Meine Ruhe ist hin . . Bei dem Worte „Und ach, sein Kuß!" ließ sie sich erglühend seinen Kuß gefallen. „Du, Franzl, das mußt du für mich aber komponieren. Das ist gar so viel schön." — Sie konnte Gretchen begreifen in ihrem Jugendüberschwang, und ihr Faust saß ja neben ihr. Schubert sagte nichts, aber schon dachte er an nichts anderes, als ihr diesen Wunsch zu erfüllen. Drei Tage später, am 19. Oktober, brachte er ihr das Lied: „Gretchen am Spinnrad", einen Meisterwurf, von dem man die Geburt des deutschen Kunstliedes datiert. Theresl sang es ihm bald mit ihrer glockenhellen Stimme, und beide waren beseligt von dem herrlichen Gesang. Schubert vergaß auch nicht die Pause bei „Ach, sein Kuß!" — Sie hat das Lied vor allem so berühmt gemacht. Drei Jahre Liebesseligkeit. Drei Jahre Schaffenssturm. Vielleicht war es diese wundervolle Jugendliebe, die Schuberts Herz so aufschloß. Alles wurde ihm zum Gesang. Von überallher strömten ihm Melodien zu, selbst aus dem Ge kreisch einer Kaffeemaschine. Aber Schubert war arm und ohne Amt. Er blieb zeitlebens ein großes Kind, ein wahr hafter Lebenszigeuner, ein Hans im Glück, der aus über vollem Herzen spendete und dabei sich selbst vergaß. Und Theresl? — Sie war auch nicht reich und mußte unter die Haube, ehe sie verblüht war. So nahm sie aus Vernunft einen Andern. Blutend riß das Herzensband. Schubert hat sein Theresl nie vergessen. Es war und blieb wohl seine einzige und tiefste Liebe. Und das mußte wohl so sein. Zur Ehe hätte er doch nicht getaucht. Er mußte ungebunden bleiben, um seinen Reichtum verschwenden zu können. Manch mal wohl hat er in derbem Liebesrausch die aufquellende Bitterkeit über sein Mißgeschick erstickt. Aber immer wieder leiteten ihn sehnsüchtige Träume zurück in die heilige Glücks zeit der drei Liebesjahre. Immer wieder wurden sie zu tö nendem Gold, zu seelenvollen Klang, am schönsten wohl in jener herrlichen, Volkslied gewordenen, in allen deutschen Herzen ewiges Heimatrecht genießenden Melodie, die so weh mütig an das erste Begegnen mit seinem Theresl erinnert: „Am Brunnen vor dem Thore, da steht ein Linden baum. Ich träumt' in seinem Schatten so manchen lieben Traum. Ich schnitt in seine Rinde so manches liebe Wort..." —»o Es gibt Menschen o»——» Skizze von Arthur Zmarzly, Breslau Der Personenzug fuhr mit einschläferndem Rattern durch die mitternächtliche Landschaft. In einem Abteil drit ter Klasse hatte das Schicksal acht Personen für einige Stunden dicht aneinander gerückt. Die Dame am rechten Fensterplatz versuchte schon seit längerer Zeit ein Gespräch in Gang zu bringen. Ihr Bemühen schlug aber immer wie der fehl. Dabei stieß ihre spitze Nase unruhig in die Luft, als suche sie einen Gesprächsstoff, der, aus dieser Atmosphäre geboren, Anspruch auf allgemeine Geltung beanspruchen durfte. Ihr kleiner schimmelgrauer Pinscher wanderte unterdessen ruhelos aus ihrem rechten Arm in den linken und wieder zurück. Sobald sie versuchte, die spärliche Unterhaltung zu beleben, hob der ältere Herr, der ihr gegenüber saß, den Kopf über das große Zeitungsblatt hinaus und blickte sie schweigend aus scharfen Brillengläsern an. Und es war ganz merkwürdig. Sie verlor dann immer ihre besten Ge danken und hemmte den Redefluß, nicht ohne vorher den anderen Fahrgästen die Versicherung gegeben zu haben, „daß es Menschen gibt ... die . . ." Sie führte das nicht weiter aus, aber auf ihrem Gesicht war die Fortsetzung der Rede deutlich zu lesen. Alle konnten den Stachel bemerken, der ihre Seele beunruhigte. Wie zwischen zwei schwarzen, dicht aneinander gerückten Wänden hindurch polterte der Zug durch die Nacht. Da — ganz deutlich war es zu vernehmen — sog sich die Bremse an die Näder. Der Zug lief langsamer. Wie ein Gummiball sprang die Dame mit dem Pinscher von ihrem Sitz. Sie blieb hoch aufgerichtet stehen, die spitze Nase starr in die Höhe gerichtet, als erwarte sie in den nächsten Augenblicken ein schreckliches Ereignis. Die anderen Fahrgäste sahen sie erst verständnislos an; dann wurden sie unruhig, erhoben sich und traten an die Fenster. Draußen war weit und breit nicht der kleinste Schimmer eines Sta tionslichtes zu erspähen, und die Räder knirschten unter dem Druck der Bremse und liefen immer langsamer. Es hätte niemand sagen können, wer es gewesen war, der zuerst die Worte von einem Unglück herausgestoßen hatte. Aber das Wort lief um und fraß sich in die Hirne hinein. Nur der Herr mit der Zeitung blickte von seiner Lek türe nicht auf. Er nahm keine Notiz von der Aufregung, die durch das Abteil lief. „Da scheint etwas nicht in Ordnung zu fein", sagte der eine — und dann quirlte es durcheinander: „Das gibt bestimmt ein Unglück . . . ! Daß gerade mir das passieren muß! Und mitten in der Nacht — man wird uns aus plündern . . . !" Der Mann mit dem Zeitungsblatt hob jetzt den Kopf und warf einen Blick aus scharfen Brillengläsern auf die Erregten. Sein Blick blieb dann längere Zeit an der spitzen Nase haften, die noch immer erwartungsvoll in die Höhe stach. Aber dieser Blick konnte es nicht verhindern, daß die Dame mit dem Pinscher unterm Arm mit überzeugter, doch bebender Stimme erklärte: „Ich habe das Unglück voraus gesehen, ich habe es geahnt, meine Ahnnung trügt nie . . ." Sie hätte sicherlich noch ausführlicher ihr Ahnungs vermögen begründet, wenn nicht ein Ereignis eingetreten wäre, das ihr jedes weitere Wort abschnitt. Es gab plötz lich einen sehr heftigen Ruck. Schreie des Entsetzens stürz ten mit den herumstehenden Fahrgästen durch den Wagen, und die ahnungsvolle Dame fiel in heftigem Schwünge an die Brust des schweigsamen Herrn, der in instinktiver Abwehr das Zeitungsblatt schützend vor sein Gesicht hielt. Aber dieses schwache Schutzschild konnte es nicht verhindern, daß ihre lange, spitze Nase durch das Papier hindurch stieß und der schimmelgraue Pinscher sein schwarzes, feuchtes Schnäuz chen fest an die Nase des so überfallenen Herren drückte. Der Zug stand. Auch die Dame mit dem Pinscher hatte Dank der tatkräftigen Hilfe des schwer belasteten Herrn bald wieder festen Fuß fassen können. Die anderen Fahr gäste stürzten sich nun auf ihr Gepäck. Die Dame mit dem Pinscher entwickelte plötzlich Riesenkräfte; ihr schwerer Koffer, bei dessen Verstauung ihr immer zwei Herren behilflich sein mußten, flog nur so aus dem Gepäcknetz. Sichtlich belustigt sah der Herr mit dem zerknitterten Zeitungsblatt auf diese geräuschvolle Szene. Da traf ihn ein unsagbar scharfer Blick aus den etwas hervorstehenden Augen der ihm gegenüberstehenden, zum sofortigen Aus steigen bereiten Dame. Und er konnte es diesmal nicht verhindern, daß sie empört ausrief: „Es gibt Menschen, die einen mit ihrer Ruhe wirklich zur Verzweiflung bringen können!" Das war das Signal zu einem allgemeinen Angriff auf den lesewütigen Herrn. — „Wie man so ruhig dasitzen kann!" — „Es ist doch kein Zweifel möglich, hier muß etwas geschehen sein, sonst würde der Zug doch nicht mitten in der Nacht auf freier Strecke halten." So und ähnlich flogen die Worte in die stumme Ecke. Da wandte sich ein junger Mann an den Herrn: „Was denken Sie sich denn eigentlich, was hier vorliegen könnte?" „Hier liegt gar nichts vor", antwortete gemächlich der Angeredete, „der Personenzug wartet hier auf den l)-Zug, den er an sich vorbeilassen muß." Sieben ungläubige Gesichter machten Front und spie gelten sich in den scharfen Brillengläsern. „Ich fahre diese Strecke dreimal in der Woche und immer wartet der Personenzug hier an dieser Stelle." Das gab den Ausschlag. Und wie zur Bestätigung dieser Worte brauste auch schon der V-Zug auf dem anderen Gleis vorbei. Aber jetzt hatte der Herr in der Ecke ganz verspielt. „Das hätten Sie uns doch gleich sagen können", meinte spitz die Dame mit dem Pinscher, und als sie den ungeteilten Beifall vernahm, den ihre Worte bei den anderen Fahrgästen auslösten, setzie sie noch seufzend hinzu: „Ja, ja, es gibt schon — Menschen . . . !" Die Welle des Unwillens schien aber an dem Büßer in der Ecke abzuprallen, denn er sagte, zu der Wortführerin gewandt, mit milder Ironie: „Und ich hatte mich schon so sehr darüber gefreut, wie froh und glücklich Sie sein würden, erkennen zu müssen, wie trügerisch Ihre — Ahnung war . .." Der Zug rückte an, die Räder quietschten. Im Rat tern des fahrenden Zuges lösten sich die Spannungen und verloren sich die weiteren Worte des Herrn, dessen Kopf schon wieder hinter dem Zeitungsblatt verschwunden war. Besser vom Sturm zertrümmert, Als am Boden verkümmert. Dreikönigsiag. ' Mit diesem Tage, der zu den ältesten Festen der Kirche gehört, das im Orient zum Andenken an die Geburt und Taufe des Heilandes gefeiert wurde, begann in den ersten christlichen Jahrhunderten das neu« Kirchenjahr. Erst im 4. Jahrhundert wurde dieses Fest von der römischen Kirche zur Erinnerung an die Erscheinung Christi eingesetzt, wovon es den Minen Epiphania erhalten hat, während bet den Christen des Orients der 6. Januar noch heute als Fest der Wasserweihe und Taufe Jesu begangen wird. Der Evangelist Matthäus berichtet von den Weisen aus dem Morgenlande, die nach Jerusalem kamen, um den Sohn Mariens anzubeten, und ihm Gold, Weihrauch und Myrrhen als Geschenk darbrachten; alles Weitere aber hat der Volks glaube hinzugedichtet, und so ist nach und nach die farben prächtige Legende von den heiligen drei Königen entstanden, deren Namen im 7. Jahrhundert vom anglikanischen Ge schichtsschreiber Beda erwähnt werden. Es waren die Könige Kaspar von Persien, Balthasar von Arabien und Melchior von Nubien — ein Jüngling, ein gereifter Mann und ein. Greis mit wallendem Bart, die, angetan mit kostbaren Ge wändern, dem neugeborenen Kinde huldigten. Die Gebeine der drei Heiligen wurden früher in Mai land aufbewahrt und ruhen jetzt in der Dreikönigskapelle des Kölner Doms, wohin sie im Jahre 1186 als ein Geschenk des Kaisers Barbarossa an den Erzbischof Reinald von Dassel gelangt sind. Neben seiner kirchlichen Bedeutung hat der Dreikönigs tag in germanischen Ländern den Charakter eines Volksfestes angenommen, an dem von der Jugend Umzüge veranstaltet werden, die zwar von der Kirche ihren Anfang nehmen, aber mit Tanz und allerhand Kurzweil zu schließen pflegen; ja, selbst unter der protestantischen Bevölkerung hat sich diese Sitte über die Reformation hinaus erhalten. Aber wie das Weihnachtsfest, so senkt auch der Dreikönigstag seine Wurzeln bis tief in das altgermanische Heidentum: er bildet den Ab schluß der geheimnisvollen Rauhmächte, die unseren Vor fahren überaus bedeutungsvoll dünkten. So wird das Epiphaniasfest in manchen Gegenden Deutschlands „Perch- tag" genannt, nach der Göttin der Fruchtbarkeit Perchta, die um die Zeit der Wintersonnenwende segenspendend in den Behausungen der Menschen Einkehr hielt, und damit hängt wohl auch die Sitte zusammen, daß mit dem Dreikönigstage die bunte, lustige Zeit des Karnevals beginnt. A. P. „weisen und Wandern." Die große Dresdener Schau 1929. Wenn es nach sieben bedeutenden und erfolgreichen Ausstellungen der Jahresschau Deutscher Arbeit dessen noch bedurft hätte, so haben sich durch die Veröffentlichun gen über das „Erste Kugelhaus der Welt" die Blicke nicht nur Deutschlands, sondern man darf sagen der ganzen Welt auf Dresden und die Jahresschau während der letzten Ausstellung gerichtet. Das Interesse der inter essierten Organisationen und der einschlägigen Industrie an der kommenden Jahresschau 1929 „Reisen und Wandern" in Dresden ist ganz außerordentlich stark, haben doch gerade diese Kreise längst erkannt, wie wichtig eine Fremdenpropaganda für Deutschland und sein Wirtschaftsleben geworden ist, was sich am besten durch einige Zahlen belegen läßt. Das amerikanische Handelsministerium hat beispielsweise berechnet, daß amerikanische Reisende im Jahre 1927 770 Millionen Dollar im Auslande ausgegeben haben. Während nun von diesen 770 Millionen Dollar allein in Frankreich 190 Dollar geblieben sind, so ist es erschreckend, festzu stellen, daß von dieser gewaltigen Summe nur 5 Prozent, d. h. 38 Millionen Dollar, Deutschland zugeflossen sind. Die Franzosen haben sich ausgerechnet, daß die. Ausgaben der Fremden in ihrem Land sich im letzten Jahre auf etwa 12 Milliarden Papierfrankcn, d. h. auf' rund zwei Milliarden Goldmark, belaufen haben. Nicht viel anders steht es in Italien. Hier erreichen die Einnahmen aus dem Fremdenverkehr in den Jahren 1924 und 1925 die Höhe von 3 bzw. 3,5 Milliarden Lire, eine Summe, die ausreichte, um die Hälfte des Defizits der italienischen Handelsbilanz im Jahre 1925 und sogar drei Fünftel davon im Jahre 1924 auszugleichen. Wenn nun die kommende Jahresschau „Reisen und Wandern" den Zweck verfolgt, einen eindrucksvollen Nach wess dKLsiber in erbringe^ welchen ,Reichtum an Sehens-