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c/e» Kleines Erlebnis in der Natur Im Frühling war es. In einem Garten an der Berlebecke standen zwei Weiden- bäume. Groß und stattlich streckten sie sich hoch, 'ihre Spitzen hatten schon schmale, leine Blättchen, die lichtgrün und silbern Hegen den blauen Himmel schimmerten. Zwischen den beiden wuchs zierlich eine junge Erle. Mit ihrem schlanken Stamme und den feingliedrigen Resten und Zweig lein stand sie wie ein Gewächs aus einer anderen Welt, vielleicht aus einem Mär chen. Wenigstens fanden die Weiden das, als sie zum erstenmal in diesem Frühjahr bewußt auf die junge Erle hinabblickten. Ein Rauschen des Entzückens ging durch ihre silbernen Blätter. Die Weiden neigten sich zum Gruß der Erle zu. Zuerst die eine, die gegen die Sonne, gegen Mittag stand, dann die zweite, die gegen Abend wuchs. Ihre Blätter sprachen den Gruß, den Frühlings- grutz, lispelnd, zitternd vor Erregung. Die Erle vernahm es. Sie erbebte in allen Resten und Zweiglein, es war ein Er wachen aus langem Traum. — - — Frühling und Sonne hatten es gut ge meint, weiche, warme Lüfte wehten. Die ganze Welt stand rings im Grünen und Blühen. Silbergrau standen die Weiden in allem Grün. Sie selbst aber bemerkten nichts von ihrer eigenen Herrlichkeit. Sie hatten nur Augen und Ohren für die Erle, deren lichtgrüne Lieblichkeit sich von Tag zu Tag mehr entfaltete. Schmeichelnde, be törende Worte flüsterten sie ihr zu, Worte von Schönheit, Liebe und Glück. Die Erle hörte, sie lauschte und lauschte, sie träumte von Glück. Geschmeidig, zier lich wiegte sie sich im weichen Lenzwind hin und her, und in ihren Blättern klang ein geheimnisvolles Singen. Ihr Tanzen, ihr Singen, ihr holder Gruß galt der Weide, die gegen Mittag stand. Die Weide gegen Abend sah es Wohl, aber sie wollte es nicht wahrhaben. Sie liebte die Erle, und die Erle sollte sie lie ben! Ihr Werben und Grüßen wurde lauter und dringlicher, ihre silbergraue Pracht entfaltete sich mehr und mehr — vergebens. Die junge Erle wuchs immer mehr der silbernen Weide gegen Mittag zu, schmiegte sich in ihre Zweige hinein, daß diese sie wie Arme umspannten. Abseits stand die Weide, die gegen Abend wuchs. Nicht mehr neben der Erle wie die andere, nein, abseits. Was half es, daß sie ihr Rauschen lauter erhob? Sie ließ die silbernen Blätter hängen, lang und fein. Traurig und wehmutsvoll sah es aus. In ihren Blättern klang es Weh und voll Schmerz. In dieser Nacht kam der Sturmwind. Er bog die Bäume, er schüttelte und rüt telte sie. So war es der einsamen Weide recht! Noch einen Blick warf sie auf die lichtgrüne Erle, die im Schutze der Sonnen- weidc stand, dann reckte sie sich auf, zog sich schmal zusammen, daß die Silberblätter knisterten, und warf sich dem Sturmwind in die Arme. „Nimm mich mit, Geselle, nimm mich mit!" rief sie in ausbrechender Verzweiflung. Wie Orgelmusik klang es der Weide, ihre Silberblätter blinkten im Schein eines Blitzes noch einmal auf, dann ein Brau sen, ein Rauschen, Knistern, Krachen rrrrtzack — — die Weide neigte sich, der Stamm brach mit einem Aechzen um und stürzte in die schäumende Berlebecke. Und wer die lichtgrüne Erle in den Ar men der silbergraucn Weide sehen will, der gehe sommertags die Berlebecke entlang. Von der Weide, die gegen Abend stand, ragt nur noch der Stumpf am Ufer hervor. Luise Küchler. Oe» Ooss r«Ue» . Oie Königin ver Blumen in der Geschichte Keine Blume zieht durch die Kultur geschichte der Völker ein so farbenfrohes, duftiges Band wie die Rose, die „Königin der Blumen", die sich jetzt wieder in ihrer vollen Schönheit entfaltet hat. Sie war der Menschheit in ihrer kulturellen Entwick lung stets ein treuer Begleiter und wußte ihren Platz als Königin der Blumen durch alle Zeiten hindurch zu behaupten, wenn auch die allmächtige Mode gelegentlich andere Kinder Floras zu ihren Günst lingen machte. Nach einer alten Ueberlieferung soll die Rose aus einem Schaumtröpfchen herrüh- ren, der in dem Augenblick, als Venus Aphrodite sich den Meereswellen entwand, am Ufer zur Erde fiel. Der persische Dichter Firdusi behauptet, daß sie aus einem Schweißtropfen des Propheten Mohammed entstanden sei, den dieser beim Durchschrei ten des Paradieses von der Stirne wischte, als er sich plötzlich dem Ewigen gegenüber sah. Nach einer anderen Sage soll der Rosenstrauß aus der Reue des Artemis «nd den Tränen des Eros entstanden sein, und eine indische Legende berichtet, der Gott der Götter, Wischnu, habe eine seiner Frauen, Pagoda, in einem Rosenkelche ge- ftinden. Eine orientalische Sage erzählt folgendes: Zwischen der Stadt Bethlehem und der Kirche auf dem blühenden Gefilde Von Floridas sollte ein zu Unrecht der Un keuschheit bezeichnetes Mädchen zur Strafe lebendig verbrannt werden. Als der Schei ¬ terhaufen bereits brannte, bat sie den Herrn, ihr zu helfen, ihre Unschuld zu offen baren. Furchtlos bestieg sie den brennen den Scheiterhaufen, und sofort erlosch das Feuer. Die glühenden Hölzer aber wurden zu Rosensträuchern, mit leuchtenden, flam menden Rosen übersät. In der germanischen Mythologie spielt die Rose eine bedeutsame Rolle. Loki zwingt die Erde zum Nosenlachen und zaubert so den Frühling ins Land. Dort, wo die hei ligen Haine standen, gedeiht die Heckenrose am besten, gefürchtet von Hexen und Wer wölfen, aber auch den jungen Mädchen ge fährlich, denn sie werden verstrickt oder zu Rosenprinzessinnen verwandelt, die hinter Dornenhecken schlafen müssen, bis der heiße Kuß des Sonnengottes Baldur sie zu neuem Leben erweckt. Um die Dome von Hildes heim, Lübeck und Breslau spinnen sich Sagen, deren Mittelpunkt die Rose ist. Die Rose, die wir in Laurins Rosengarten und in dem Rosengarten der Königin Kriemhild in Worms finden, wurde später auch in den christlichen Kult ausgenommen. Den Germanen galt die Rose als Sinnbild des Todes. Schlachtfelder und Grabstätten hießen Rosengärten, bei Leichenverbren nungen verwandte man Rosenholz, und auch heute noch pflanzt man mit Vorliebe seinen Toten Rosen auf die Gräber. Die erste wirkliche Kunde über die Ro sen vermitteln uns die 7000 Fahre alten Tschudengräber. Auf einiget. Silbermün ¬ zen, die man neben anderen Schmucksachen und Geräten fand, befand sich auch das Ge präge einer Rose. Einige hundert Jahre später trank man in China einen Tee aus gelblichen Rosenblättern. Durch das ganze Altertum hindurch trieb man einen unge heuren Rosenkultus. Die Rose war die Blume der Schönheit und Sinnenfreude. Die vornehme römische Gesellschaft trieb einen gewaltigen Luxus mit Rosen. Nero ließ bei einem Gastmahl für 60 000 Mark Rosen aus Alexandrien kommen, und der römische Kaiser Heliogabal bei einer ähn lichen Feier eine solche Menge Rosen von der Decke regnen, daß mehrere seiner Gäste, die sich nicht schnell durch die Flucht retten konnten, darunter erstickten. Die Trinker bekränzten sich und ihre Becher mit Rosen, denn das sollte die Trunkenheit bannen. Die Römer pflegten an der Decke ihrer Speisezimmer natürliche oder künstliche Rosen anzubringen als Mahnung, daß das „sub rosa" (unter der Rose) Gesprochene vertraulichen Charakter habe und nicht weitererzählt werden darf. Später begeg net uns auch in Deutschland die Rose als geheimnisvolles Sinnbild der Verschwie genheit in Beratungssäleu der Rathäuser in Wirtsstuben und Wer den Beicht stühlen. Im Mittelalter wurde die Rose vielfach als heraldischer Wappenschmuck benutzt. Das Rosenwappen der lippischen Länder ist bekannt. Nach ihren Wappen nannten sich die beiden rivalisierenden englischen Ne- gentenhäuser Lancaster und York die „Rote Rose" und die „Weiße Rose", und unter diesen idyllischen Feldzeichen wurde der be rühmte Erbfolgekrieg, der mit dem Unter gang Richards lll. endete, während mehr als dreißig Jahren in blutigen Kämpfen ausgefochten. Auch Martin Luther, der die dunkelrote Rose als Sinnbild der Treue liebte, wählte sie als Wappenschild mit Herz und Kreuz darin und dem Spruch: „Des Christen Herz auf Rosen geht, selbst wenn es unterm Kreuze steht." Die Rose wurde zum Zeichen vieler Gesellschaften und Orden, unter denen besonders der „Rosenkreuzer Orden" berühmt war. Das Christentum verhielt sich zunächst ablehnend gegen den Rosenkuli, weil die> Rose bei den Römern ein Symbol der Sinnenlust war. Später nahm die Kirche die Rose in ihren Marienkult aus. Sie wurde der Jungfrau Maria geweiht und diese selbst als die geistliche Rose gegrüßt. Bei den vielen Rosenkranzfesten verschwan den die Altäre unter der Fülle Her duften den Blumen. Unter christlichem Einfluß entstanden auch eine Anzahl Nofovlegenden, wie die der heiligen Elisabeth von Thü ringen. Die Hochschätzung, die die Völker des klassischen Altertums für die Rose empfan den, besteht bis auf unsere Tage fort. Un zählbar wie die Blätter aller Rosen sind auch die Gedichte und Lieder, die die Rose als Verkörperung der Liebe und Schönheit Mrn. „ .