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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 07.11.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-11-07
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190911078
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19091107
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19091107
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-11
- Tag 1909-11-07
-
Monat
1909-11
-
Jahr
1909
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 07.11.1909
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Von ölen Keiss l.so lotstois ns.ck gleitet. Leider haben die große Freude über diese ten Ovationen begrüßt. Besonders seine Ab- wurden an einem Säu- chnell machte er Kehrt und ging schneller als standen. Die Meinungen hierüber sind geteilt. Aus der in einem Gedichte erklärt, sein Buch zu schlie- Die Massenproduktion blieb natürlich aus den der Nollen darf man denselben mäßig nennen, len, anweist, sie sich beim Buchhändler zu kaufen. Medizin vergaß. Erst als er schon an Haustüre stand, war es ihm, als ob etwas Ueberlegend stand er einige Minuten, dann ihm plötzlich ein. Herrgott ja, die Medizin! ohne Trennung Ler Wörter und häufig mit Ab- Dichter-Philosoph, hat trotz seines hohen Alters türzungen geschriebenen Texte. Deshalb sahen auch und seiner ziemlich erschütterten Gesundheit kürz- Schriftstellcr, die sich ihren Freunden gefällig er- lich eine Reise nach Moskau unternommen weisen wollten, die Abschriften wieder durch und Dort wurde er von der Bevölkerung mit begeister- sandalarius, der Schustergasse. Dort den Türen oder, wenn der Laden an lengange lag, an den davorstehenden Anzeigen neu erschienener Bücher oder selbst ausgehängi. Diese so primitive Pfeilern die die Letzteren Art litera- daß die Schrift- ihren Werken ge- in dieser Bezieh- Satiriker Martial, einbrachten und das Publikum sich für Lie neuesten Erzeugnisse namhafter Dichter und Schriftsteller auf das Lebhafteste interessierte. Denn den literarischen Größen spendete die Mit- und Rachwelt Ehre und Ruhm mit vollen Händen, ihre Werke gehörten der Weltliteratur an und wurden überall, wohin rö mische Bildung und Sitte drang, in den Schulen und den Familienkreisen gelesen und aus den Theatern unter dem Beifall von Tausenden gesun gen. So zählte z. B. die Poesie eines Virgils in allen Schichten der Gesellschaft, in allen Bil dungskreisen zahlreiche Verehrer, seine Gedichte bil deten das Fundament und den Hauptgegonstand des lateinischen Schulunterrichts, und wenn der Dichter von Neapel, wo er den Abend seines Lebens zubrachte, nach Rom kam und sich öffent lich zeigte, so mußte er sich vor den stürmischen Begrüßungen der Menge in ein Haus flüchten. Einer fast ebenso großen Popularität erfreute sich ein Propers, ein Horaz, ein Ovid. Propers machte sich keiner Uebertreibung schuldig, wen» er behaup- dcr einen Seite behauptet man, steiler einen realen Gewinn von zogen hätten. Man bcrnst sich ung aus den eben angeführten wie die Buchhändler mit den weit verbreiteten Erzeugnissen turnalienpoesie gute Geschäfte muß man annehmen, daß die seiner fehle, fiel's Huldigungen und die Anstrengungen der Reise den greisen Dichter so angegriffen, daß er kurz nach seiner Heimkehr abermals nicht unbedenklich er- konnte seine späteren Bücher milder stolzen Aeuße- rung beginnen: Ruhm habe ick schon zur Genüge erworben. Er setzte sein Werk nur deshalb fort, weil der unruhige Geist Nahrung verlange. Die Verkaufslokale der Sortimentsbuchhändler lagen in Nom um das Argilcum und im Vicus übergehendes und persönliches Interesse knüpfte, tete, daß der Ruhm seines Namens bis zu den Verglichen mit den heutigen Bücherpreisen war die erwähnt wird, daß der Verfasser derselben aus Anwohnern des winterlichen Borysthenes (Dnieper) gegenwärtig. Nach der Angabe des Satirikers „Du, Fritz," sagte die Frau Kanzleirot zu ihrem Gatten, der gerade ins Bureau gehen wollte, und gab ihni einen Zettel in die Hand, „Du kommst doch an der Einhornapotheke vorbei. Lasse die Medizin zurecht machen für Erich und bringe sie heute mittag mit. — Wirst Du es auch nicht vergessen? — Oder soll ich doch lieber das Mäd chen schicken?" „Aber liebe Elfriede. Vergessen? Du tust ge rade als ob ich ein Kind wäre. Ich werde es nicht vergessen!" antwortete er ein wenig beleidigt. Dann ging er und gab das Rezept richtig ab. Nach Beendigung der Bureaustunden schloß sich »ein Kanzleirat ein Kollege an, der den gleichen Weg hatte. Sie unterhielten sich angelegentlich über die Umpflanzung der Zimmerblumen. So ange legentlich, daß der Kanzleirat tatsächlich ganz der fahrt war von lauten Huldigungskundgebungen lichen Bahnstation, von der aus er seine Reise einer nach vielen Tausenden zählenden Menge be-! nach Moskau antrat. krankte. Unser Bild zeigt T o l st o i mit sei n c r Tochter Alexandra auf der länd verbesserten die Flüchtigkeitsfehler der Kopisten. Die Stärke der Auslage richtete sich selbstver ständlich nach der Tendenz des Werkes und der Beliebtheit des Autors. Wenn schon von einer Gelegenheitsschrift, an die sich doch nur ein vor- tigimg, einzelne wenige Fälle vielleicht abgerech net, im allgemeinen ein Einkommen nicht gewährte. Man darf nämlich nicht vergessen, daß jenen längst entschwundenen Jahrhunderten der Begriff des literarischen Eigentums vollständig fremd war und infolgedessen Weder dem Autor noch dem Buch händler irgend ein Rechtsschutz zur Seite stand, der den Plagiarius daran hinderte, die Schöpf ungen hervorragender und beliebter Schriftsteller nach Belieben zu plündern und für sich zu ver werten. Aus diesen mißlichen Verhältnissen ent sprang wiederum die Armut der meisten Schrift steller, insbesondere der Dichter. So kam es, daß selbst die glänzendsten Talente unter den Dichtern, sofern sie kein persönliches Vermögen besaßen, sich ganz und gar auf die Gunst und Freigebigkeit der Reichen und Mächtigen angewiesen sahen; gewiß ein Fall, der, falls im Altertum eine usimittelbare Verwertung literarischer Produktion bestanden hätte, Wohl schwerlich in solchem Maße und Umfange vorgekommen wäre. eigene Rechnung eine Auslage von 1000 Exem- gedrungen sei. Horaz' bekannte Prophezeiung, daß plaren habe veranstalten lassen, so darf man Wohl ihn die fernsten Völker kennen lernen würden, ist annehmen, Laß die Buchhändler von den Werken buchstäblich in Erfüllung gegangen. Ovid durfte der Koriphäen der Literatur weit größere anfer- von sich sagen, daß er in der ganzen Welt gelesen tigten, zumal die besten Bücher ihnen am meisten Werke, und der Geschichtsschreiber Livius endlich Martial kostete sein erstes Buch (Uber 700 Verse) in elegantester Ausstattung, „mit Bimsstein ge glättet und mit Purpur geziert," 5 Denare gleich 4,35 Mark; in toohlfeiler, wie der Dichter einem Plagiarius, „dem habgierigen Räuber seiner Bü cher," zürnst, nur 6—10 Sesterzen gleich 1,30 bis 2,17 Mark. Ein anderes Buch desselben Dich ters, „die Leinen" (274 Verse unter 127 Titeln) verlauste der Buchhändler Tryphon für 4 Sester zen gleich 87 Pfennige, obgleich, wie Martial ver sichert, der Preis von 2 Sesterzen gleich 44 Pfen nige genügt hätte, um dock noch einen Gewinn zu erzielen. Unwillkürlich drängt sich bei diesen Berechnun- rischer Ankündigungen erfüllte vollkommen ihren Zweck, da die Buchladen die Vercinigungsorte aller derer bildeten, die teils selbst schriststcllerisch tätig waren, teils als Freunde der Literatur Un terhaltung juchten oder sich die neuen Bücher an sahen. seiner Frau den Auftrag voll angeführt zu haben. In der Apotheke bekam er sogleich die eingewickelte Flasche. Auf dem Rückwege fiel ihm in der Aus lage des Buchhändlers Müller eine Broschüre aus über das Maiglöckchen als Winter-Zimmerblume. Gerade Las Maiglöckchen war seine Lieblingsblume. Wenn er deren im Winter zum Blühen bringen könnte? Er mußte das Merkchen haben. Sonst kaufte er zwar seine Bücher bei Schulze, dessen Ge- viel gefeierten und seiner lustigen Sa- machten. Dennoch literarische Beschäs- sieht, ist das Resultat dessen, was man aus Fach schulen leistet und gibt absolut leinen Maßstab für Lie diesbezüglichen Leistungen der finnischen Frauen im allgemeinen. Ihre Erziehung ist eben nicht auf, die schönen UebeiMffigkeiten des Daseins, sondern auf dessen Ernst gerichtet. Vst- greise Dickten unct seins lockten Graf Leo Tolstoi, der große russische Wcnerhin findet nm.. .5 geradezu unbegreiflich, daß Martial, der von niederer Gesinnung war und Lem es seiner eigenen Angabe nack stets an GelL gebrach, ohne Men Vorteil hätte zusehen sollen, Die vergessene Flasche Humoreske von E. Thiele. Die Massenproduktion blieb natürlich aus den! ßen, weil er Geld brauche, und an verschiedenen Preis Ler antiken Bücher nicht ohne Einfluß. Mit Zandern Stellen alle diejenigen, welche von ihm Rücksicht auf die oftmals glänzende Ausstattung seine Epigramme geschenkt oder geliehen haben wol- Allrömischer Knchhavdel. Bon Paul Heintze. Der Buchhändler des Altertums betrieb sein Geschüst nach rein kaufmännischen Prinzipien. Sel ten schrieb er die Bücher selbst ab. Gewöhnlich hielt er lstch je nach Lem Umfange seines Geschäfts und Lew augenblicklichen Begehr dieser oder jener literarischen Neuheit eine mehr oder minder große Anzahl Sklaven, Lie gleichzeitig nach einem Dik tate schrieben. So unvollkommen diese Art der Vervielfältigung auch unserm inodernen Druckver fahren. gegenüber auf Len ersten Blick erscheint, vermöge ihrer durch jahrelange Uebung gewonne nen Fertigkeit leisteten die Kopisten immerhin Er kleckliches. Außerdem setzte die Sklavenarbeit den Bücherhandel in den Stand, dem Büchermärkte die neuesten Erzeugnisse der Literatur schnell und in großen Massen zuzuführen. Freilich geschah die Förderung der Arbeit auf Kosten der genauen Wiedergabe der Manuskripte. Die Inkorrektheit! war der Hauptfehler der antiken Bücher, ganz zu! schweigen von der nicht seltenen Unleserlichkeit der I gen die Frage auf, in welchem Verhältnisse die Schriftsteller des Altertums zu den Buchhändlern/gewöhnlich, um ohne großen Zeitverlust den Tri umph genießen zu können, entgegen der Erwartung Fräulein Chef. Von Hanna Aschenbach. 58j Nachdruck verboten.) Falk schlägt ihm lachend auf die Schulter. „Verstehe, Doktor, verstehe. Der bekannte Zaunspfahl tut seine Schuldigkeit." „Schön, schön, enipfehle mich Ew. huldreichen Majestät. Bitte aber ganz still zu liegen, bis ich wiederkomme." Doktor Angermann verschwindet schmunzelnd hinter der Portiere zum Nebenzimmer. Die Ver lobten blicken ihm belustigt nach. „Ein drolliger Kauz," meint Falk, „und ein guter Mensch," fügt Eva warm hinzu. „Hast recht, Liebchen, aber nun leb' wohl." „Mutz es sein?" „Es mutz sein, Kind. Ich habe auch wirklich dringend zu tun." „Aber ich denke, Du hast Feierabend ge geben?" „Den Leuten ja, Närrchen, aber der stellver tretende Chef —" Sie unterbricht ihn ernst. „Der Chef selbst, Fritz." „Noch nicht, Lieb —" „Doch, Fritz!" Er beugt sich plötzlich ttef zu ihr nieder. „Du fragst nie nach dem Geschäft, Eva, sorgst Du Dich etwa ini geheimen?" Sie blickt ihm voll in die Augen. „Nein, Fritz," sagt sie einfach, „denn Dn bist ja da." Sekundenlang ist alles still zwischen den bei den. Dann klingt es in feierlichem Ernste von des Mannes Lippen: „Für dieses Wort, Eva, danke ich Dir mehr, als ich sagen kann. Von dieser Stunde ab kenne ich keinen Unterschied mehr zwischen Dein und Mein." 23. Kapitel. Lisa Bergmann hat sich während ihres Auf enthalts in Villa Daheim zu einem emsigen, kleinen Hausgeist entwickelt. Ihre in Zweifeln und Sor gen gebleichten Wangen zeigen wieder Farbe, das viele Treppauf und Treppab bekommt ihr im Gegensatz zu Ler früheren sitzenden Lebensweise ausgezeichnet. Auch das Gleichgewicht der Seele scheint sich — dem heiteren Lachen nach, das sich, seit die Krisis in Evas Krankheit überwunden, erst hie und da und dann immer öfter von ihren Lip pen stiehlt — allgemach wieder einznstellen. Sie denkt des Ungetreuen und des Jahres, da sie ihm in Gedanken angehörte, immer seltener, ja cs gibt Stunden, da ihr der kurze Liebesivahn nur noch wie ein ferner, banger Traum erscheint. Sie ist io jung, kaum achtzehnjährig, und das Leben liegt noch so blüten- und hoffnungsreich vor ihr. Wenn sie blotz nicht wieder in das alte Bureau zmrück- müßie! Daß man dort auf dumme Gedanken kam, war einem wirklich nicht zu verübeln. Aber wer weiß, ob ihr nicht besseres beschieden war. Sie hatte doch Augen im Kops, und daß da mit Fräu lein Lena und dem Doktor etwas los war, das sah ja ein Blinder. Das war aber auch ein Mann dem man gut sein mußte. So hübsch und stattlich und so — natürlich. Keine Bügelfalte in den Ho sen, und der Schnurrbart auch nicht ein bißchen „erreicht". Lisa häKe Welten mögen, daß sein Schei tel jeden Tag wo anders saß, sind wie mit dem Lineal gezogen, schaute er auch nicht aus. Das war eben ein echter, rechter Mann, der wenig Zeit für den Spiegel und gar keine für Modeuarrheiten hatte. Vor Herrchen aber mit Plü und Chic em pfand das kleine Fräulein neuerdings einen höl lischen Abscheu. Die batten — das stand bei ihr bombenfest — allemal einen schlechten Charakter. Ja, so eilten Mann wie den Doktor, den mußie man verehren. Freilich, der stand bock, hoch über ihr. Das Ivar nichts für eine arme Korrespondentin. Dock der Fräulein Lena, der hätte sie ihn gegönnt. Die ivar aber auch so un sagbar schön und fein. Bloß die Augen, so tief blau und klar und das Haar! Wie lauter Gold und Seide schimmerte es. Wenn sie ihren Pudel topf dagegen bedachte! Ordentlich häßlich kam sie sich vor. Schließlich tonnte man es dem Otto Börner — Nein! Das kleine Persönchen stößt zor nig mi? dem Füßchen in den dicken Teppich, nein, der hatte schlecht an ihr gehandelt, der war nicht zn entschuldigen. Aber sic mußte doch mal sehen, dort der große Spiegel. Ans den Zehenspitzen schleicht sie durch das Zimmer und mustert mit an- gchaltenem Atem und großen, neugierigen Kinder-! äugen das eigene Konterfei. Sie Hütte zufrieden sein können. Solch nettes, rundliches Figürchen und solch allerliebstes Stumpfnäschen hatte auch nicht jede aufzuweisen, trotzdem verzieht sich oer kirschrote Mund schmollend. Konnte sie denn dec Lena auch nicht ein ganz klein wenig ähnlich sehen! Mit einem halb unterdrückten Ausschrei fliegt die kleine Eitelkeit plötzlich weit vom Spiegel zu- rück. Seine, des Doktors Stimme — und da tritt er schon hinicr Lena ins Zimmer. Ec bietet ihr wie stets mit einem Scherzwort die Hand. Sie legt kaum die Fingerspitzen hinein und fliegt dann wie ein verfolgtes Reh aus der Tür. „Was das Kind im Erröten leistet," konstatiert der Poktvr harmlos, ohne Lenas unruhigem Blick Beachtung zu schenken. Er tritt an die Portiere zum Krankenzimmer und lugt aufmerksam hinein. „Sie schläft — uud wie gut! Das Glück leuchtet förmlich ans ihren Mienen." Der Sprecher räu spert sich, es muß ihm etwas in die Kehle gekom men sein. „Ist cs nickt 'was Herrliches um solche Liebe?" fragt er dann warm. „Meinen Sie nickt auch, Fräulein Walcher?" Lena hebt die Lider, senkt sie aber sofort wieder auf Lie Handarbeit, welche sie vorgenommen hat. „Ja," versetzt sie leise, und ihre Stimme bebt. Sein Auge ruht auch gar so eigen auf ihr. — Sie weiß es ach schon längst, wie gut sie dem präch tigen Menschen geworden in all den bangen Ta gen und Nächten, die sie miteinander durchwachten. Aber sie gibt sich keinen Hoffnungen hin. Sie weist gewaltsam jeden lockenden Gedanken von sich. Die Enttäuschung wäre ja doch unausbleiblich. Und er selbst schien ja auch völlig unbefangen. Er scherzte mit ihr genau so harmlos wie mit Lisa, mit dieser vielleicht noch etwas kameradschaftlicher. Er war besorgt mu sic, bedacht, daß sie sich nicht überan strengte und konnte oft richtig bös werden, bis er feinen diesbezüglichen Willen durchgesetzt hatte. Aber das alles galt auch von der Kleinen. Und wenn sie, Lena, wohl hie und da gemeint, sein Blick ruhe in besonderer Wärme aus ihr, so konnte das auch Täuschung sein: die Brillengläser blende ten so eigentümlich. Lena arbeitet mit glühenden! Eifer, Stich um Stich; der Blick verschwimmt ihr, sie sieht gar nickt mehr, wohin sie sticht. Wenn sic nur wüßte sicherlich schaut er längst weg, trotzdem wagt sic nicht, das Ange zu erheben. Er bemerkt ihre sicht liche Verwirrnng mit Herzklopfen. Dies junge, be gnadete Geschöts, dessen unvergleichlicher Liebreiz sich ihm beim ersten Sehen wie eine Offenbarung in die Seele gebrannt dem er seitdem — zwei Jahre sind darüber vergangen als einem unerreichbaren Ideal weiblicher Schönheit und Anmut den stillen Kultus seines bescheidenen Herzens geweiht, cs war ihm plötzlich menschlich nahe gerückt. Das zarte, sylphidenbasie Mädchen, das er sich in seinen kühn sten Träumen nie als Doktorsfrau gedacht, noch dazu als Weib eines so nüchternen, hausbackenen Menschen wie er einer war, es hatte sich als tüch- ;ug's, ireusorgendcs Hausmütterchen entpuppt, es haue wockcntange Krankenpflege geleistet, ohne viel von dem Glanz der Augen, deni zarten Schmelz der Wangen cinzubüßen; cs Wax bei den wildesten Fiebcrphantasien der Kranken nicht ein einziges- mal in Ohnmacht gefallen. Trotzdem blieb es wohl Vermessenheit zu hoffen, daß eine Lena solch trockenem Gesellen je würde ihr Herz schenken wol len, noch dazu als sie täglich Falks blonde Sieg- friedserscheiuung vor Augen hatte, neben welcher sich der kleine Doktor als von der Natur ganz er bärmlich stiefmütterlich bedacht vorkam. Er würde überhaupt nie solch kühnen Gedanken Audienz ge ¬ geben haben, wie sie eben seine Brust schwellten, hätte nicht ihre zweifellose Verwirrung ihm den Sinn berauscht. Aber als praktischer Mann, der das Eisen schmiedet, solange es warm ist, zieht er sich einen Stuhl heran, ganz dicht neben das gold lockige, noch immer tief gesenkte Mädchenhaupt. „Fräulein Walther," beginnt er diplomatisch, „wissen Sie, daß ich wünschte, unsere Patientin nie gesund erklären zu müssen?" Das klingt so ungeheuerlich, daß Lena in die Falle geht nnd — endlich — ganz entsetzt zu ihm hinüberschaut. Tann versteht sie, und eine glü- bendc Röte breitet sich über das liebliche Gesicht chen bis hinab zn dem Weißen Hals, um den sich das goldige Haargelvck so entzückend bauscht. Der Doktor kann seinen Blick gar nicht losreißen da von. Ein toller GedankeLiommt ihm: das süße Geschöpf einfach in seine Arme nehmen und just auf den berückenden Nacken küssen. Es wird ihm heiß unter der Weste, und vor seinen Augen tanzen Funken, Goldsunken, die aus dem Nixenhaar zu sprühen scheinen. Er setzt sich plötzlick krampfhaft fest ans seinen Stuhl und zieht das Taschentuch, die feuchte Stirn zu trocknen. „Ahem!" sagt er und bemüht sich um den ab gerissenen Faden seiner Rede, ^in der Tat, Fräu lein Walther, ich werde gar nicht wissen, was — ahem — mit meiner Zeit ansaugen soll." Lena sitzt lote aus glühenden Kohlen. Wenn er ihr nur nicht gerade den Weg versperrte, sie liefe wahrhaftig davon. Sv abcrl müßte sic ihn erst bitten, Platz zu machen. Wenn doch jemand sie rufen käme, oder Eva erwachte, die hatte eigent lich lang genug geschlafen. Aber nichts von alle dem geschieht, nicht einmal ein kleines Erdbeben kommt ihr zu Hilse. Sie muß ansharren und — antworten. Dabei hat sie gar nicht auf seine Rede geachtet, nur ein paar Worte sind ihr ihm Ohr geblieben. „Sie schreiben ein Buch, Herr Doktor?" probiert sie aufs Geradewohl. Die Antwort muß einigermaßen passen, denn er nickt eifrig. „Ja, Fräulein Walther, das heißt, es ist nahe zu vollendet. Soviel Freude hat es mir gemacht, jetzt aber, seil ich Sie — hm, seit ich Fräulein Trcuberg behandle, habe ich kein Sitzefleisch mehr. Ich kann meine Gedanken nicht mehr zusammen bringen. Können Sie das verstehen, Fräulein Lena?" Sie uuterbrrcht ihn jäh. Er soll sich nur nicht einbilden, daß sie auf solche Abschweifungen ein- gchl. Seine fachwissenschaftliche Schrift Hst ja ge rade das neutrale Thema, das sie braucht, um ihn von dem gefährlichen Punkte abzuleiten. (Fortsetzung folgt.)
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