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den Bergen und tiesschwarzen Tälern! — Ge mach wird» wieder still. In Dämmer und Dunkel versinkt allmählich der ganze wunder same Zauber — in Traum versinken auch die weißen Wasserrosen und der Halmwald de» Schilfes. Suchen wir Stimmung anderer Art, dann begeben wir uns im Hochsommer auf den un serer Stadt im Norden vorgelagerten Höhenzug, der eia Zielpunkt vieler Fremden geworden ist. Der herrliche, weite Ausblick auf den größten Teil unseres Erzgebirges zwingt unS, bei nahen dem Gewitter in eine Stimm««-, die gött- ltche Majestät und die Erhabenheit der Natur ereignisse trefflich ahnen läßt. Er hat gedunkelt. Dck.- Schwüle umgibt uns. Da leuchtet- am Horizont auf. Im Schwarz der Nacht werden die Lichter der Minen vermehrt durch zuckende Blitze. Wie von glühender Lava übergossen liegen die Kohlendörfer sekundenlang erhellt vor unseren Augen da. Immer schwärzer hängen die Wolken über den südlichen Höhenzügen und vom Westen her beginnt eine tolle Jagd gelb- lichen Gewölks mit leicht zuckenden Strahlen. Im Osten noch liegt daS Land in TodeSstille. Warme Wtuöstötz» fegen zwischen den Bäumen neben uns her und rauschen im Buschwerk der kleinen Föhren. In der Ferne beginnt eS dumpf zu rolleu. Die oberen Lüste kämpfen. Es zuckt immer lebhafter und feuriger. Noch liegt auf den Fluren allüberall drückende Schwüle. Einzelne schwere Tropfen fallen schräg herab Da flammt aus der nächsten lichten Wolke wie eine feurige Schlange der schwefelgelbe Blitz uns in die Augen. Mu Heller Auall schmettert nach. Die Donuerschläge überstürze« sich, der Himmel dröhnt Ju Helle« Strichen rauscht der Regen nieder. — Und wir eilen spornstreichs unserer friedlichen Wohnung zu. Wer imstande ist, mit Liebt solche Schön- heilen in sich aufzunehmen, wer ihnen ein füh lende- Auge entgegeuzubringen vermag, der ist reicher als ein Millionär, dessen Herz nur dem Mammon gehört. ES hat glücklicherweise zu allen Zeilen Menschen gegeben, die auf solche und ähnliche Stimmungen der Natur lauschten. Ja. eS gab einmal eine Zeit (18. Jhrhdt.). wo man allen Ernstes behauptet hat, daß die Wur zeln der menschlichen Sprache, insonderheit auch der deutschen Sprache nur eine Nachahmung von Natarlauteu sein, die man dem Grollen des Donner«, dem Brausen de« Meeres, dem Säuseln des Laubes, dem Singen der Vögel usw. abgelauscht hätte. Wenn auch nachweislich einige Wörter, wie üchzeu, flüstern, säuseln, plätschern, zische« u. a. auf Nachahmung beruhen, so ist heute wissenschaftlich festgelegt, daß die Ent- stehung der Sprache auf ganz anderen Vor gängen beruht. Trotzdem dürfen wir nicht verkennen, daß die Natur eS war, die unsere Sprache durch eine große Anzahl bildlicher AvSdrücke aud Re» devsartea bereichert hat. Bspl.: einen Stein im Brette haben, —- einen Bock schießen, — Kastanien au« dem Feuer holen, — Grütz- Haben, — Kinkerlitzchen machen, — vom Zaune kr-chen. usw. Die Natur hat unserer Sprache zu Sprich wörter« verhalfen, z. B. Zett bricht Rosen, — Not bricht Eisen, — ein schlafender Fuchs usw. — keine Rose ohne Dornen, — wie der Acker so da» Getreide, wie die Wiese so die Weide, wie der Herr so der Knecht, wie der Krieger so'S Gefecht — oder: der Wein ist ihm in den Kopf gestiegen, — er hat große Rosinen im Kopfe, — daS Fell über die Ohren ziehen, — was nutzt der Kuh Muskat? Die Natur hat der Sprache auch besondere Bilder geliehen, wobei man statt des Ganzen einen Teil setzt: Dach für Haue, Herbst für Herbsttage. wobei man die Wirkung für die Ursache setzt Tränen für Kummer, — daS Werkzeug für die Tätigkeit: Pflug für Ackerbau, wobei man leblosen Dingen Tätigkeiten oder Eigenschaften zulegt: dar Atmen der West- windet, — die Augen und dar Blut der Wein- stockeS, — der Schlund der Hölle, — die Erz adern unserS Gebirger. Die Natur hat uns manche Sprachfi-urt« gegeben, die rrir z. B. als Uebertreibung be zeichnen: in Tränen gebadet sein, — Knochen haben wie ein Gaul, — heulen wie ein Ketten hund, — brüllen wie ein Löwe, — essen wie ein Scheunendrescher. Sie hat endlich unsere Sprache geschmückt durch verschwisterte Wortpaare, wie Leib und Leben, Berg und Tal, — über Stock und Stein, — durch lick und dünn gehen, — mit Haut und Haar. Mit all diesen Sprachreichtum arbeiten wir Durchschnittsmenschen tagtäglich, ohne unS seines Ursprungs b wußt zu werden. Welche Formen- und Gedankenfülle gibt die Natur im Gegensätze hierzu der Sprache der Dichter, welche gleichsam in die sich ihnen öff nende Natur hineinwachsen und eins werden mit der leuchtenden Umwelt, wenn sie Berg und Tal, Strom uud See, Winter- und Frühlings- zeit besingen! Ein braver DurchschnittS-Mensch würde beispielsweise vom Mai etwa sagen: Draußen istS jetzt ichön. Die Sonne scheint wärmer und darum entwickeln sich Blätter und Blüten. Auch die Vögel singen wieder ihre Lieder und ich freue mich darüber. — Der Dichter hat für diese Tatsache ein fühlendereS Auge. Er besingt den Mat wie folgt: Wie herrlich leuchtet — mir die Natur, Wie glänzt die Sonne — wie lacht die Flur! ES dringen Blüten — und 1000 Stimmen Au» jedem Zweig — aus dem Gesträuch. Und Freud und Wonne — au« jeder Brust! O Erd, o Wonne — o Glück, o Lust! (Goethe.' Oder: Der AlltagSmensch würde oom Früh, ling erzählen: Die Luft ist mild und manchma bewegt ein lindes Lüftchen Baum uud Strauch — Der Dichter versteht dieser Rauschen in vie innigerer Weise. Da» zarte Wtndersäuseln wird ihm Veranlassung zu einem der lieblichsten Lied chen. E» lautet: Leise zieht durch mein Gemüt lieblicher Geläut, Klinge kleine» FrühlingSlied kling hinaus in» (Weite I Kling hinau» bi» an da» Hau», wo die Blumen (sprießen, Wenn du eine Rose schaust, sag, ich laß sie (grüßen. (Heine.) Oder: Der neuzeitliche Dichter Ar«o Hol; war einst t« den Wald gegangen und hatte sich träumend hingelegt. Da fing der Wi«d an zu säuseln und ein feiner Regt« träufelte her nieder. Die hierdurch in seiner Seele erzeugte Stimmung gab er wieder in seinem Gedicht: Jüngst sah ich den Wind. p. 255 Ueberfl 265. Ein nüchterner Biedermaier würde von einer Hellen Mondnacht zu berichten wissen, daß die Straßen de» Städtchen» ziemlich hell erleuchtet waren, daß darum die Gasanstalt und auch der Laternen Wächter sich Vorteil versprechen konnten. — Otto Jal. Bierbaum, auch ein Moderner, läßt dabei seine Gedanken rückwärts in die Tage seiner Kindheit schweifen und singt: Oft in der stillen Nacht —. Wenn» draußen herbflelt, dann behauptet die Zuckerrübe da» Feld und der Neuwein füllt die Fässer. Dann besingt derselbe Dichter den Herbst wi- folgt: Herbstlted. Olto Ernst, eia Neuzeitlicher, von Hau» au» Lehrer, ist einst in den Wald gegangen und hat dem plätschernde« Bächleia zugeschaut. Uud nun da» Lied, ,da» ihm au» der Seele drang' Waldidyll. — Voll Haßt und Unrast lief ich in den Wald. Die Vergänglichkeit alles Daseins der Ge- danken an liebe Tote löst Worte tief vergrabenen Schmerze« wieder au». WaS Herm. Vo« Gil« dabei empfand, sei hier wiedergegeben. So wie der Dichter hört auch der To«- küllstler aus den Anregungen der Natur Stim mungen seine» eigenen Sein» heraus. Will man seine Musik genießen, so heißt e» : Sammle dich, laß da» Alltägliche, Kleine beiseite, wa» dich sonst umdrängt, und öffne dich still nur ganz dem, war au» der Seele des Kunstwerk» zu dir reden will. Nie soll man m-treu, erstaunliche Ge- wandtheit, die ein Künstler sich angeeignet hat, und die er nun zur Schau trägt, mache seine Leistung wertvoll. Bon dem schlichten Stück kann man sehr viel haben, wenn» einem zu Her zen geht; von einer noch so schwierigen und brillanten Kunstleistung aber, die einen kalt läßt, hat man keinen Gewinn, Hauptsache ist nicht, daß -rotz- Werke, nein, viel wichtiger, daß gvte Werke aufgesührt werden, ganz nebensäch lich, ob besonder» vielt oder besonders berühmte Leute dabei mitwirken. Denken wir un» einen Tonkünstler, der seinen Beschützer verlor. (Fortsetzung folgt). Bortrag, gehalten am 3. Mai 1909 im Evangl. Arbeiter-Verein zu Hohenstein-Ernstthal. Die Nachteile für die Ehefrauen durch die HeiratsbettragSerstattuug au- ver Invalidenversicherung! Meine Freunde! DaS Jnoaliden-Vers.-Gesetz gewährt in § 42 den sich verheiratenden weiblichen Personen die Befugnis, zu verlangen, daß ihnen die Beiträge, welche sie zur Jnvalidenverstcher- ung bi» dahin geleistet haben, zurückerstattet werden. Aber nur zur Hälfte und zwar um deswillen, weil die andere Hälfte von den Ar beitgebern eingezahlt worden ist. Don der Befugnis, die Erstattung zu er langen, wird nun ein sehr auSgegehnter Ge- brauch gemacht. Ju den 12 Jahren von 1895 bi» 1906 ist e» in über ein und einer halben Million von Millen geschehen und von 1900 ab übersteigt die Zahl der Erstattungen in jedem Jahre 150 000 Mille; daraus ist zu ersehen, von F. Hübner. Lugau. daß nur eine sehr kleine Zahl von sich verheiraten- den weiblichen Personen davon absteht, die Er» stattung zu beanspruchen. ES muß diese» als ein sehr großer Miß- stand bezeichnet werden, daß noch immer eine so große Anzahl — vielleicht die Mehrheit — der weiblichen JnvalidenverstcheruugSpflichtigen bet der Verheiratung sich die eingezahlten In- validenverstcherungSbetträge zurückzahlen läßt, während doch die Wetterverstcherung nach der Verheiratung wegen der geringen Kosten und der großen Vorteile nicht warm genug empfoh len werden kann. Im Jahre 1607 — wofür die letzten Zahlen vorliegen — belief sich die Summe dieser BeitragSerstattungen aus der In validenversicherung wegen HeiratSfall» auf nicht weniger al» 5 861871 Mk. oder im Durchschnitt 38,44 Mk. Man sollte meinen, daß -in so ge- ringerDurchschnittebelragderBeitragSerstattungen wegen Heirat die weiblichen Versicherten abhal- ten sollte, zu dessen Gunsten auf ihre Verficher- ungSansprüche, welche, wie wir später sehen wer den, zu verzichten. «» ist zwar zu verstehen, warum die Zu- rück"stattung verlangt wird, denn zum Heiraten gehört Geld und immer wieder Geld, selbst auch "Kd kleiuer erwünscht sein, und diese» wird wohl gewesen sein, werhalb man die Heiratserstattung etngeführt und geglaubt hat