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Amtsblatt Nr. 218. Sonntag, den 19. September L909. 2. Vellage. Geheimnisse ans dem Heriiner Sprachschatz. DaS R ist der vernachlässigst? Laut im Munde deS Berliners. Wenn man einem waschechten Spree-Athener rwrwirft, er könne kein N auSsprechrn, so antwortet er entrüstet: „Wat? Det könnten w:a Bealina «ich ? Det kennen wia seha scheene I" . . . und er fühlt keineswegs, daß er mit diesen Worten gerade üaL Gegenteil von dem beweist, was er beweisen möchte. Vorwegmußkonstatiertwerden, daß der„Bcallna" daS R in einem Falle immer korrekt ausspricht: nämlich wenn eS — allein oder mit einem anderen Konsonanten zusammen — am Anfang einer Silbe steht. In allen anderen Fällen aber sucht des Ber liners Mundfaulheit sich von diesem schwierigen Buchstaben mit einem riesigen Aufgebot von Schläue zu drücken. Ich besitz: eine kleine Vogelpfcife, mit deren Hilfe ich meinem H:rrn Kanarienvogel gewisse Flötentöne bcibringe, deren Erlernung ihm auf auto didaktischem Wege noch nicht geglückt ist. Die Vogelpfcife besteht aus einem winzigen Vlechwhr mit einer beweglichen Füllung. Um die Höhe oder Tiefe des ToneS zu erzeugen, erhöht oder erniedrig! man das Niveau der Füllung, das sanfte „Rollen des Tone? aber erzeugt man, indem man beim Ein bläser, der Luft ein lauggezogencs „R" in die Blech- röhre hineinhaucht. So oder so ähnlich erklärte mii mein Vogklhändler die Technik der Vogelpfiife, al« ich das kleine Instrument bei ihm erstand. Nu, fügte er gleich hinzu: „Die meisten Leute könnten da? nicht fertlgbringen . . . ." Und in der Tat überzeugte ich mich später davon, daß e§ zahlreichen Berlinern unmöglich ist, ein solches Dauer-R über- Haupt zustande zu bringen. Wenn sie „R" sagen wollen, ohne Vokale mitzusprechen, dann ertönt nui jenes guttmale „CH", etwa wie eS in dem Wort; „acht" gesprochen wird. Und auf dieses „CH" reagiert die Vogelpfeifs nicht, die auf diese Weise den Ber- liner deutlich darüber belehren kann, wie schwer ihm dis Aussprache eines richtigen „R" fällt. Bewunderungswürdig ist das Niffinement, mit den, der „Bealina" sich von der Wiedergabe dieses bauen Buchstabens zu drücken weiß. Der Vornamc Arthur würde, wenn man ihn so schriebe, wie er in Berlin gesprochen wird, nicht anders aussehen als so: „Achtua". Ich kenne einen jungen Mann, der bei der öffentlichen Schnlprüfung in der zweiten Kiess: einer Knalenvoischule beim D.ktat das Wort „Uhr" an die Tafel schreiben sollte, und zum Gau dium der versammelten „Angehörigen" an da! schwarze Brett nur die beiden Buchstaben „Ua" schrieb. Mit verblüffender Deutlichkeit war dadurch bewiesen, daß der junge Mann out zu hören, aber sein Lehrer schlecht zu sprechen verstand. Und ich erinnere mich sthr genau, wie ein anderer sechsjäh riger Junge, dessen Bruder den Vornamen „Caesar" führt, absolut nicht glauben wollte, daß der letzte Buchstabe deS brüderiichcn Vornamens ein N sei. Ec hielt alle diesbezüglichen Versicherungen seiner Angehörigen für schlechte Scherze und meinte steif und fest, das Wort müßte „Zsa" geschrieben werden. Von seinem Standpunkt aus hatte er durchaus recht — denn ganz sicher hatte er in Len sechs Jahren sei nes L bcaS noch niemanden dos „R" in „Caesar" richtig au-spreche« hören, trotzdcm daS Wort im Kreise der Familie gewiß täglich Dutzende von Malen gesprochen und gerufen wurde. Bei genauem Zuhören verwandelt sich das R im Muade dcs Berliners in höchst amüsanter Weise — sofern es nicht, wie bei „Caesar", überhaupt gänzlich von der Bildfläche verschwindet. Der Ber- liner kennt keinen „Aerger" — ec spricht nur von „Aeaja", wenn „a" sich „jeäajat" hat. Der unbe queme „Schornsteinfeger" verwandelt sich in „Schosch- tenfeja", der steife Herr „Sekretär" wird zum sym- pathischen „Seckateea" und ein Mädchen, das eigent lich „charmant" ist, wird sich immer damit begnügen müssen, daß eS als „chamant" bezeichnet wird. Statt eines „Guten Morgens" wünschen wir uns schon lange bloß noch einen „Mojen", falls wii cs nicht vorztehen, einen „Mooan" zu wünschen („Mojm" mehr in den billigen Stadtgegenden: „Mooan", mit etwas nasalem Ziehen, mehr im feu- dalnen Berliner Westen oder wenn mau sonst recht vornehm tun will) Die Vorsilbe „vsr" heißt einflirallemal „va". „Varcjnet", „vaj.ss-n", „valobt". Die Vorsilbe „vor" wird ausgesprochen: „voou". „Vooaziechlich", „vooajestan" (vorgestern), „vooanrhm". Wie unter schiedlich daS N am Anfang ued daS R am End, einer SÜb: auSgeimoche w.-rdcu, kann man zum Bkispiel au dem Wort „Vorrede" prachtvoll sehen B.i „R-de" wird daS „R" so wunderschön korrrk, ausgesprochen, als eS beim besten W.llen eben nm möglich ist. Umso stiefmütterlicher wird das vor angehende, bedauernswürdige „R" der ersten Silbr behandelt, sodoß das ganze Wort schließlich „Boom rede" lautet. Seltsame Dinge sind eS, die d:r Berliner mit dem armen, wehrlosen R treibt. Der wackere, gut deutsche Buchstabe wird fast noch schlimmer ver- gewaltigt, als sein etwas „exotischer" Kollege, da? „X", dem eS gleichfalls in Berlin von jeher recht schlecht ergangen ist. Auch das X nimmt in Berlin eine recht bemitleidenswerte Position im Reiche der Buch staben ein. Nicht nur, daß eS sich in der Verbindung „X-Bcene" dazu hergeben muß, eine unschöne Ge staltung der unteren menschlichen Extremitäten zu bezeichnen, muß eS auch noch dazu herhalten, in Gemeinschaft mit dem Worte „beliebig" den deutschrn Sprachschatz um die wegwerfende Nüaace „x-beliebig" zu bereichern. DaS „X" wird einigermaßen für all diese Un bill dadurch entschädigt, daß die Berliner Schul kinder ihm eine doppelte Stellung im A phabet ein räumen; sie schließen das Alphabet mit —,x, xlom, 2" . . . wobei daS unbekannte „x" also ge wissermaßen ein zweites Dasein führt und zwar an der Stelle des noch unbekannteren Upsilon. Aber hinwiederum Übel mltgespielt wird dem armen „X" bet einem echt Berlinischen Schuljungen-RcbuS: „Lceccocc mir nich, xxxxxxxx ooch nich." Zu deutsch: „Ächt' se mir nich, acht' ick se ooch nich." So etwas ist entschieden nur in Berlin mög lich, in Kalav würde man daS schon gar nicht mehr riskieren .... kl. Das steinerne Kranlpaar. Zwei Briefe und ein Telegramm. Bon Anette b. Bülo w. Verehrte Gnädige Frauf Sie haben meinem Baler nahegestanben. Ich weiß cs und ich bitte Sie nm Verzeihung, daß ich cs wage, Sie daran zu erinnern. Mich zwingt meine Liebe. Vielleicht kennen Sie den Plan meines Va ters, mich mit dein Sohn eines Gutsfreundes zu vermählen, trotzdem mein Herz einem Anderen gehört. Keinem Unwürdigen, gnädige Frau. Das erkennt mein Vater auch an. Aber es ist eben der Herzenswunsch der beiden Väter, daß der einzige Sohn und die einzige Tochter ein Paar werden. Sic haben es einander schon vor Jahren versprochen. Aber ich kann nicht Wider meine Liebe tun. Sie werden mich verstehen, verehrte Frau. Sie waren in Berlin, zu mir, der Mutterlosen, so lieb und mütterlich, das; cs mir leicht ist, Ihnen als Bittende zu nahen, lieben Sie Ihren Ein fluß, Ihren starken Einfluß dahin ans, daß mein Vater mir den läßt, an dem mein Herz hängt. Ich denke es mir furchtbar, und es muß furchtbar sein, einem ungeliebten Manne Ge fährtin fürs Leben zu werden. Lieber möchte ich sterben. Und doch ist das Leben so schön. Wenn ich in die Augen Alfreds blicke, wenn ich ihn nur von weitem sehen kann und jetzt gar, wenn ich nur ein paar Zeilen von seiner lieben Hand vor mir habe, dann schlägt mein junges Herz so froh und schnell, so selig. Es mag dummes Zeug sein, was ich Ihnen schreibe, Verehrteste Frau. Halten Sie es mir jungem Ding zugute. Das eine ist sicher. Ich liebe den Einen so wahr und innig, wie mir der Andere glcichgiltig ist. Helsen Sic Mir! Zer stören Sic das Vertrauen nicht, das ich in Sie setze und schützen Sie meine, unsere Liebe. Hel fen Sie uns, gnädige Frau! In Verehrung und Dankbarkeit Agnes v. Hartegg. Frau Ellin hatte den Brief zu Ende gelesen. Regungslos starrte sie auf die Schriftzüge, die in ihrem wirren Durcheinander von dem Seelenzu stande des Mädchens zeugten. Es durste nicht sein. Mußten denn wiederund immer wieder zarte Träume der Liebe unter har ter Haud ersterben. Es durfte nicht sein. Agnes sollte glücklich werden. Frau Ellin atmete tief auf. Dann glitt ihr Blick hinaus durchs Fenster auf die blühende Heide, deren bunter Mantel im Son- nenghauz erglühte. O, sie wußte ein Mittel, dem liebenden Kinde zu Helsen. Wenn sie vor den Vater hinträte und sagen würde: „Hier bin ich; aber eine Bedingung muß ich stellen," dann käme als Antwort: „Tau send Bedingungen erfülle ich, wenn Du mein sein willst." Frau Ellin trat ans Fenster und öffnete es. Dicht vor dem Hause schüttelte eine Kastanie ihre mächtige Krone und von ihr schaukelten abwärts müde, welke Blätter. Herbst. Eine bittere Falte grub sich um den kleinen Mund. Frau Ellin lächelte wehmütig. Wohin hatten sich ihre Gedanken verstiegen. War denn das alte Hoffen noch nicht erstorben in ihrem Herzen. Es mußte tot sein. Sie durfte nicht hin- fahren, nur schreiben. Sie schloß das Fenster wieder, setzte sich an den Schreibtisch und schrieb: Lieber Freund! So darf ich Sie wohl noch nennen, trotz dem Jahre vergangen sind, daß wir von ein ander hörten. Sic zürncn der Schwachen nicht mehr, die gegen des Vaters Willen nicht zü trotzen wagte, die um der Eltern Willen sich verkaufte. Sie zünien nicht mehr, aber Sie scheinen auch vergessen zu haben, welche Fülle von Kummer und Schmerz in jener erzwungenen Entsagung lagen. Ich habe es kennen gelernt, was es heißt, einem Menschen anzugehören, ohne ihn zu lieben. Ich habe den Ekel empfinden müssen, einem Manne, dessen Seele mir fremd oder gar ab stoßend blieb, zu willen sein zu müssen. Sie wollen ihrem Kinde das gleiche Schicksal bereiten. Sie brauchen gar nicht an den Mann zu denken, der denselben Schmerz empfinden muß, den Sie erfuhren; denken Sie an Ihr Kind. Vergiften Sie nicht mutwillig ein junges Leben. Nicht alle Blütcnträume müssen reifen; aber mit roher Hand den reinen Liebestraum zu zerstören, dessen können Sie nicht fähig sein. Lieber Freund. Für mein Leben ist's Herbst geworden. Gerne hätte ich bas Martyrium meiner Ehe vergessen mögen in einem späten Glück. Aber es ist zu spät. Meine Hoffnungen liegen hinter mir. Verwelkt und erstorben. Be reiten Sie Ihrem Kinde nicht ein gleiches Schick sal. Ich habe mich und mein Leid in die Heide vergraben. In die stille, einsame Heide. Und wenn ich Trost brauche für meine Seele, dann wandere ich hinaus zu dem Visbeker Brautpaar. Das zeigt mir, wie sich das Schicksal wieder holt. Bei den Steinen, die mir eine beredte Sprache sprechen, ist mein Lieblingsplatz. Bei jenen Steinen, von denen die Sage erzählt: In einen, Dorfe bei Visbek ward ein Mäd chen vom Vater gezwungen, einen ungeliebten Mann zu ehelichen. Neber die Heide führte der Brautzug gen Visbek, wo die Glocken klangen zum Hochzeitssest. Von Visbek aus kam der Bräutigam mit seinem Geleite gezogen. Als die beiden Gruppen einander nahe kamen und die Braut den ihr bestimmten Bräutigam zu Gesicht bekam, da ward ihr doppelt Weh ums Herz. Weinend flehte sie zum Himmel: „Laß mich lieber zu Stein werden, als dem Ungeliebten angc- hörcn!" Da glitt ein eisiger Schauer über die Heide. Die Glocken schwiegen erschreckt. Braut und Bräutigam und ihr ganzes Gefolge erstarr ten zu Stein. Das, lieber Freund ist die Sage vom stei nernen Brautpaar in der Heide. Mir träum! zuweilen, wenn ich inmitten der gewaltigen Findlinge beschattet von dunklen Wachholdcr- büschcn iin blühenden Heidekraut liege, auch ich wäre zu Stein geworden als Braut. Dann sind die langen schweren Jahre meiner Ehe aus meinem Denken ausgelöscht, und ich stehe rein da in meiner Liebe. Wie jetzt Ihre Tochter. Prüfen Sie ihre Liebe; aber zerstören Sie nicht ein unwiderbringliches Glück. Ein Ver sprechen darf Sie nicht bestimmen, Ihrer Toch ter das Herz zu brechen. Bedenken Sie das alles, lieber Freund und lassen Sie mir bald Kunde werden, daß mein Schicksal wenigstens ein Gutes gebracht hat, in dem es Ihre Tochter vor einem gleichen be wahrte. Denken Sie au eine längstvergangene selige Zeit und an das steinerne Brautpaar in der Heide. Leben Sie Wohl! Mit tausend Grüßen Ellin. Sie hatte es in einem Zuge geschrieben. Ohne es noch einmal zu überlesen, konvertierte sie das Schreiben, klingelte dem Diener und ließ cs ihn forttragen. Lange saß sie dann noch sinnend am Schreib tisch. — Noch waren nicht 14 Tage vergangen, da kam der Dcpcschcnbote und brachte Frau Ellin ein Telegramm. „Herzinnigen Dank. Soeben feiern wir Ver lobung. Auf der Hochzeitsreise kommen wir nach dort, zur Stifterin unseres Bundes, mit uns der Vater. Nochmals tausend Dank aus tiefstem 'glllckcsfrohen Herzen. Agnes, Alfred." Lieber Frau Ellins Züge huschte ein warmes Lächeln. Lims Herz Ivar ihr froh und leicht, weil sie sich nicht täuschte in dem Manne, der ihrem Herzen so nahe gestanden. Und in ihr stieg leise und schüchtern die Hoffnung wieder auf. Sollte cs doch noch nicht zü spät sein? Das TanjchgejchSft. Humoreske nach dem Schwedischen von F. Weigel. Es ging Paulsen herzlich' schlecht mit seiner Schriftstellerei. Den Redaktionen und Verlegern konnte er es partout nicht beibringen, daß seine Geisteskinder besondere Beachtung verdienten. Eines Morgens aber trat ein Herr in sein ,ürft!ges Arbeitszimmer. Er habe von Paulsen als vorzüglichem Schriftsteller reden hören. Ob er ein Buch für ihn übersetzen wolle. Aus dem Italienischen. Ueber die Kunst, Feuerwerkskörper zuzubereiten. Der Fremde versprach ein gutes Ho norar, und so machte sich Paulsen denn an die Arbeit. In einem Monat war die Uebersetzung be endet. Stolz eilte Paulsen zu dem Feuerwerker hin. Dieser fand die Arbeit vorzüglich; aber er hatte „momentan augenblicklich" kein Geld. In vierzehn Tagen! Paulsen stand wieder vor dem KKnstseuer- werter. Er hatte wieder kein Geld. Aber er war gerne bereit, dem Schriftsteller Waren für den Be trag zu liefern. „Ich will die Geldsumme, die wir vereinbart haben," antwortete Paulsen ruhig. „Nun, mein Bester", erwiderte der Feuerwerker, „dann sehe ich keinen anderen Ausweg, als daß Sie Ihr Manuskript wieder mituehmen. Sehen Sie, hier ist es." Das Manuskript — — nun, das vermochte auch nicht zu sättigen. Manuskript! Als ob Paulsen nicht genug davon liegen hätte! „Mein Herr, nehmen Sie Ihr Honorar in Feuerwerkskörpern. Wenn ich Ihnen einen Nat geben soll, dann wählen Sie am vorteilhaftesten Sonnen, Wassertaucher, Raketen und Leuchtkugeln." Paulsen war wie vor den Kopf geschlagen. „Hören Sie, sagte er, „was zum Kukuk soll ich mit Feuerwerkskörpern, ich, als Schriftsteller, da Sie dieselben ja selbst nicht absetzen können, obgleich das Ihr Geschäft ist." „Tas ist ja Ihre eigene Sache," antwortete der Pyrotechniker offen und ehrlich. „Entweder das Manuskript zurück, oder aber den Betrag dafür in meinen Fabrikaten." Was blieb Paulsen übrig? Er nahm eine Masse Feuerwerksstücke, die alle mit Etiketten Ver chen waren. Nach der ausgestellten Rechnung lie- crte der Fabrikant ihm 25 Prozent über seine Forderung als Rabatt. — Der Mann war ehr lich. Mit schwerem Herzen ließ Paulsen durch einen Dienstmann die Kiste mit den Feuerwerkskvrpcrn nach Hause schassen. Wie ein Verbrecher schlich er mit ihm zur Bodenkammer hinaus. Glücklicher weise begegnete ihnen niemand. Sie setzten die unglückselige Kiste in die entfernteste Ecke. Da stand sie nun unberührt, aber seine Ge danken weilten stets bei ihr. Er suchte den Blicken seiner Frau auszuwcichen, denn er glaubte, stets darin eine Frage über den Inhalt dieser ge heimnisvollen Kiste zu lesen. Er vermochte mit gutem Gewissen nicht einmal mit den Kindern zu spielen, da sie ja jeden Augenblick das Opfer einer Explosion werden konnten. Natürlicherweise würde das Teufelszeug früher oder später unbedingt ex plodieren. Es war dies nur eine Frage der Zeit. Ihm schien, als läse er bei jedem Bewohner des Haufes einen heimlichen Verdruß, und ein förm liches Beben fühlte er vor dem Wirt, diesem mit Argnsblickcn umherspähendcn Spion! Er war nahe daran, verrückt zu werden, jedesmal wenn er die Feuerwehr sich nähern hörte. Die Zeit verging und mit ihr besserte sich Zaulsens Lage. An einem schönen Sonntag wäh rend des Sommers fuhr er mit seiner Familie nach einem Vergnügungsort. Dort mieteten sie sich ein Boot und ruderten längs dcs Strandes aus dem See dahin. Um den Kindern eine Freude zu be reiten, hatte er ein paar „Wassertaucher" mitgenom men. Seine Frau ruderte, er und die Kinder saßen am Steuer. Da ergriff er heimlich einen Wasser taucher und zündete denselben unbemerkt an. Er tand dann aus und warf ihn geschickt auf das Wasser. Frau und Kinder wurden über das plötzliche Zischen so erschreckt, wie er es nur hatte wün schen können. Aber noch viel erschrockener wurde Fwu Mül er, die, umgeben von ihren Töchtern, am Strande aß und Kaffee trank. Denn der Wassertaucher fuhr gerade zwischen den Kaffeetassen dahin. Daun hüpfte er auf ihr braunseidencs Kleid und von dort — fut fut fut! — fuhr er wie ein wirklicher Teufel in die neuen Sommerkleider der Töchter hinein. Das war ein heiterer Scherz, dem Lamenta tionen, Hin- und Herrcden und Entschuldigungen, Schadenersatz-Ansprüche, Grobheiten usw. solchen. Etliche Jahre später feierte das Paulscnsche Ehepaar den 21). Hochzeitstag. Das Fest trug unleugbar das Gepräge einer gewissen Feierlichkeit. Seine Frau hatte es an nichts fehlen lassen, und auch der Hausherr dachte die Gesellschaft mit etwas Außerordentlichem zu überraschen. Zu dem Zwecke hatte er Schwärmer in jeder Hintertasche versteckt. Die Gesellschaft faß auf Gartenstühlen und trcnk Eisbowle. Paulsen besaß die eingewurzelte Gewohnheit, sich auf dem Stuhle hin und her zu schaukeln. Eins, zwei, drei! Krach! Fut! fut! fut! psi, Psi, fut, fut, fut! ertönte es. Der Schwärmer in der linken Hintertasche hatte, wer weiß wie, Feuer gefangen; er bewegte sich so heftig, daß der Rockschoß folgen mußte. Es war ein ewiges Drehen! Der Rockschoß tanzte rund wie ein Miihlcnflügel. Jetzt wurde aber auch der verteufelte Schwär mer in der rechten Hinterlasche von den Funken entzündet. Aber dieser bewegte sich nach der andern Seite; der Schwärmer in der linken Tasche hatte noch nichts von seiner Kraft verloren! Mülsen.