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feiner Sprühregen vervollkommnete das peinliche der Situation. „laß uns den Vmnibu» nehmen, Else," bat Lotte, etwas weniger energisch im Ton als vorher; sie kannte die entschiedene Abneigung der Kleinen vor diesem verachteten Vehikel. Jene nickte nur — die blauen Kinderaugen standen dick voll Wasser. willig stieg sie die Stufen hinauf und drückte krampfhaft den Arm der Schwester, die sie befremdet ««sah. „Else — was ist denn? — Du, nimm Dich zusammen, so schlimm ist's doch gar nicht im Vm- nibus." „Nein — nein" — ächzte die Kleine halblaut und lehnte sich in die Ecke des wagens — „es gibt wohl Schlimmeres." Dann schwiegen beide still. Sie waren müde und abgespannt. Mit einem scharfen Ruck hielt plötz lich der wagen still, viele Gäste waren schon ge kommen und wieder gegangen. „Else," rief Lotte jetzt der Schwester zu — „wir müssen aussteigen!" Aber die Kleine war anscheinend in tiefem Schlaf und reagierte nicht. Die energische Lotte raffte schnell «Ue Pakete zusammen, einen Augenblick sah sie sich hilflos um, da fiel ihr am Eingang des Wagens ein bekanntes Gesicht auf — artig grüßend faßte der Herr an seinen Hut: „Darf ich Ihnen helfen, mein gnädiges Fräulein?" Es blieb ihr gar keine Wahl — mit einem Griff reichte sie ihm sämtliche Pakete hin, die er willig nahm — faßte dann die Schwester unter den Armen und zog das halb ohnmächtige Mädchen empor. Der Schaffner half ihr, und nun standen sie auf dem Damm, Lotte, die Schwester im Arm, die wie ein schweres Bündel auf ihr lastete - Menschen sammelten sich an — Lotte erglühte unter den Blicken und den Reden der Neugier, die um sie herum fluteten — da hörte sie plötzlich eine feste Stimme neben sich: „Bitte, Gnädigste, nehmen Sie." Er reichte ihr mit einem Arm die Päckchen, nahm mit dem andern die willenlose Else und trug sie energisch über den Damm. Lotte schritt neben ihm. „Dort — dort hinauf!" „wie hoch?" „Drei Treppen — aber ich will —" „Nicht doch, nicht doch — machen Sie keinen Lärm!" wie bestimmt er war — wie sicher! Lotte sah ihn von der Seite an — dick schwollen ihm die Adern auf der geröteten hohen Stirn von der Anstrengung des Tragens. Sie waren oben. „Nun gehen Sie voraus —bitte," kommandierte er — „ich bringe Fräulein Else nach." Lotte war ganz paff — aber sie gehorchte, und ihr fragender Blick verwandelte sich in einen dank baren. Dann lag Else auf einem Diwan, schlug die blauen Augen verwundert aus und rief nach Lotte. „Nein, nein, Sie müssen bleiben!" hörte sie die Schwester bitten, bitten, wie sie nie geglaubt, daß Lotte bitten könnte — dieses herbe, trotzige, feste Geschöpf. „Heute nicht mehr, Fräulein — Fräulein Lotte — darf ich so sagen?" Sie nickte stumm und glücklich. „Und wann darf ich wiederkommen um nach Ihrem Befinden zu fragen und nach Fräulein Else?" Zagend faßte er nach ihrer Hand — sie zog sie nicht zurück, und ihre tiefen Augen voll zu seinem heißfragenden Blick ausschlagend, erwiderte sie leise, aber fest und sicher: „Am heiligen Abend!" „Lotte!" Dann war er verschwunden. Frau Wesendonk kannte ihre Aelteste genau; wenn die sagte, das kommt, oder das geschieht, so wußte sie, es war was dahinter, was vernünftiges — darum wunderte sie sich auch nicht, als ihr eines Tages ein Brief ins Haus flog, in dem sich ein junger Or. mecl. Kurt Hartwig al« Lhristkindchen ansagte zum heiligen Abend. Der Abend kam, selig erwartet und freudig be grüßt, wenn auch mit brennenden Augen und schmer zendem Rücken -— das war vergessen! Auf Lottens Platz stand ein kleine«, winziges Postpaket mit der Aufschrift: „Allein zu öffnen!" Ihr pochendes Herz sagte ihr, was darin war. Und Else — sie schnürte an einem mächtigen Paket herum, das auch al« geheimnisvoller Iulklapp zu ihr geflogen war — -— ein Taxameter ein richtiger Taxameter mit Pferd und Kutscher und angefüllt mit Pralines — die Schwestern sahen ein ander an da klingelte es draußen. Hans öffnete und brachte den Tast herein — das Christ kind — wie er sich melden ließ. Frau Wesendonk sah ihre Lotte an, die verlegen und rot am Lhristbaum nestelte. „Du, Lotte," rief Else halbl«ut, „das ist /a der au, dem Fahrstuhl!" Es klingelte! „Um Dotteswillen, da kommt am Ende meiner auch noch — dieses" aber sie vollendete nicht. Starr sah sie nach der Tür, wo das Dienstmädchen ebe« stand und eine Depesche brachte — an Frau wesen- donk: „Wenn Sie einverstanden sind, gnädige Frau» mir ist's recht. Fest und energisch, sagt mei« Sohn von Ihrer Lotte — da« kann ein Mann gebrauchen heutzutage, und besonders ein Arzt. Das junge Brautpaar soll leben — hoch — hoch — hoch!" Zn einer Ecke saß Lotte ganz still — sie hatte ihr Päckchen geöffnet und zog einen goldenen Reif heraus — dann eilte sie zur Mutter, kniete zu ihren Füßen und legte den Kops leise in ihren Schoß. — „Demütig ist sie auch," dachte Kurt und zog beglückt das schöne Mädchen an seine Brust. „Sie haben mir den Taxameter geschenkt?!" „Du — Else — das bitte ich mir aus," rief Kurt der Kleinen zu über den gedeckten Tisch „Prosit — Else! — Auf das erste Rezept de« Schwagers — hoffentlich kommst Du noch einmal zu einem wirklichen Taxameter — bis dahin lebe die Elektrische!" „Und derDmnibus!" ergänzte Lotte und drückte fest und zuversichtlich die Hand ihres Verlobten. Vas WerhncrehtSgefLhenk. Humoreske von E. Thiele. (Nachdruck verboten). Lie saßen im Erfrischungsraum des Warenhauses. „Das hast Du fesch gemacht," meinte er lustig, seinen Stuhl nahe zu dem ihren rückend. „Leicht wars auch nicht," nickte sie und wippte zufrieden auf ihrem Sitz. „Tante habe ich glücklich in die Kostümabteilung hineinbugsiert, wo sie für die erste Viertelstunde unschädlich gemacht ist. — Wie lange wartest Du denn schon?" „So etwa drei halbe Stunden, eine kleine Ewig keit," gab er zur Antwort. „Doch das macht nichts ; Hauptsache, daß Du gekommen bist und nun vor mir sitzest. Meine Patienten sind viel weniger zuver lässig, da kann ich matten, bis ich schwarz werde," schloß er mit einem Seufzer. Sogleich war auch von ihrem Gesichtchen das Lächeln weggeblasen. „Ists immer noch nicht besser geworden?" „Eher noch schlechter," antwortete er mißmutig. „Entweder ist die Königstraße eine zu gesunde Straße oder aber man traut dem jungen Doktor noch nicht." „Das ist schlimm. Da haben mir herzlich wenig Aussicht, die Tante umzustimmen. Sie ist rein ver narrt in den Bankbeamten und setzt mir fast jeden Tag zu, ihn doch zu nehmen. Weihnachten sollen wir uns verloben!" Aber ich habe ja keine Bange. Du wirst Dich schon nicht unterkriegen lassen, wenn es anders wäre und wir beide " „Za, wenn. — Hast Du denn noch gar keinen plan, keine Idee, was wir tun könnten?" Hugo Hanstein schüttelte den Kopf. „Auch nicht die Spur, was habe ich mir schon i« d« leeren Stunden, da ich auf Patienten harrte, ben Kopf zergrübelt, hundert Pläne ent- und ver worfen, ein passabler war nicht dabei. — wäre sie vielleicht mit einem Weihnachtsgeschenk zu bestechen ?" „Was willst Du ihr denn schenken?" frug sie, wobei sie wider Witten lächeln mußte. „Mit Althoff kannst Du da doch nicht konkurrieren. Du weißt doch, wie gut der bei Kasse ist, und Du? —" „Leider, leider, aber dennoch. Was hat sie denn für besondere Wünsche?" „Du weißt doch, daß sie nur für Kostbarkeiten empfänglich ist — doch halt, einen sprechenden Papagei möchte sie gern haben. Der wäre ja wohl zu beschaffen. Aber es würde dennoch nutzlos sein." „Immerhin," meinte nachdenklich der Doktor, „man kann nie wissen. Mein Studienfreund hat da einen prächtigen grünen Papagei, der kann sprechen und singen. Wenn Loco uns zusammenbrächte. Elli, wäre das schön!" „Du bist ein Phantast, Hugo. So leicht ist meine Wenigkeit nicht zu erringen. Das wäre so ein Geschäft: für einen plappernden Papagei mich reiche Erbin." „Ich wollte, Dein Geld wäre beim Teufel." „Sieh mal an, ich wollte das aber nicht. — Um aber auf Deinen Vogel, oder sagen wir lieber, Papagei zurückzukommen, was spricht und singt er denn eigentlich?" „Alles mögliche," antwortete Hanstein, „zum Beispiel singt er: „Raus mit der Alten an die Früh lingsluft" und „Du bist verrückt mein Kind" und . . . Elli lachte laut aus, sodaß die an den Neben tischen Sitzenden erstaunt zu ihr herüberblickten. „Und den wolltest Dn der Tante schenken ? Du bist wirklich gottvoll." „Aber erlaube mal." „Meinst Du tatsächlich, daß solcherlei Lieder meiner Tante, die doch schon reichlich mit Iahren gesegnet ist und der alle Gassenhauer ein Greuel sind, gefallen könnten?" „Du hast recht, es war eine Dummheit. — was wird Althoff ihr denn zum Präsent machen?" „Ich habe keine Ahnung," antwortete die junge Dame. „Warum meinst Du?" „Vb man ihn nicht dazu bringen könnte, sich durch ein unpassendes Geschenk Deiner Tante Gunst zn verscherzen?" „Er könnte ja Deinen Papagei schenken," lachte Elli belustigt. „Und warum nicht? Das ist eine Idee. — Wenn Althoff Sonntag kommt, stichst Du mal ins Gespräch ein, daß Tante gerne einen Papagei möchte, einen grünen, wie der Händler Sembach einen zum verkauf habe." „Du willst den Deines Freundes? — Ich ver stehe. — Wenns nur gut geht. — — Und nun ent schwinde schleunigst, ich sehe Tante kvmmen." „Wann sehe ich Dich wieder?" „Montag. Adieu!" „Adieu!" Doktor Hanstein verschwand links die Treppe hinunter, während rechts die verwitwete Krau Kanzlei rat emporkeuchte. — — — — — — — Die Witwe des Kanzleirats Tänzler betrachtete mit Wohlgefallen den Weihnachtsbaum, der unter der Fülle der Glaskugeln und anderem Behang schier .usammenbrach. Hier und da warf sie noch ein ,aar Watteflocken und einige Strähnen Engelshaar n die Zweige. Dann war der Baum gut. „Bertha," ries sie das Mädchen, „rücken Sie den Tisch mehr nach rechts und bauen Sie die Tom- >ola auf." „Elli!" „Ja, Tantchen," antwortete diese aus dem Nebenzimmer, „was solls?" „Bist Du noch nicht fertig?" „Einen Augenblick noch, Tantchen, in einer halben Minute komme ich." Als sie hereintrat, stand selbst die Tante einen Moment betroffen. Das blasse, mattgrüne Kostüm kleidete Elli vortrefflich. Wie eine Nixe schön und verführerisch stellte sie sich vor den Baum. „Wie hübsch der geworden ist," meinte Elli bewundernd. „Die schönsten Weihnachtsbäume habe ich immer bei Dir gefunden." Draußen klingelte es. Bertha eilte hinaus und kam mit einem großen Vogelkäfig wieder, in welchem ein großer grüner Papagei unruhig auf seiner Stange Herumturnle. Neugierig griff die Kanzleiratswitwe nach dem Kärtchen, das an der Käfigtür baumelte. „Walter Althoff" stand darauf. „Siehst Du nun," wandte sich die Tante an Elli, „wie aufmerksam Herr Althoff ist? Meinen Lieblingswunsch hat er gleich erraten. — Tb er wohl sprechen kann?" was meinst Du!" „Ich kanns doch auch nicht wissen. Aber sicher lich spricht er, das tun diese Papageien alle." Der grüne Vogel saß nun angstvoll auf der Stange und schielte abwechselnd zu Tante, Nichte und dem Weihnachtsbaum hinüber. Er hatte offen bar Angst in der fremden Umgebung. „Bertha, entzünden Sie die Lichter," befahl die Witwe, die unterdes versuchte, dem sprachkundigen Vogel seine Weisheit ;u entlocken. Doch vergebens. Er sagte keinen Ton; aber er schlug, als die alte Dame, um ein Stückchen Biskuit hineinzureichen, ihren Finger an den Stäben durchsteckte, ordentlich mit seinem krummen Schnabel zu, sodaß Tante Emma einen lauten Schrei ausstieß. Die Freude über den Vogel hatte die erste Trübung erfahren. Inzwischen kamen die Gäste. Außer Herrn Althoff und Dr. Hanstein waren noch mehrere Herren und Damen geladen, die Heiligabend bei der Kanzlei ratswitwe zu verbringen pflegten. Geschenke wurden gegeben und genommen. Es herrschte eine vergnügte, frohe Stimmung, rechte Festesfreude. Elli mußte einige Weihnachtslieder fingen, zu denen sie Hanstein begleitete. Althoff scharwenzelte derweilen um die Frau Kanzleirat herum, die sich in herzlichster Weise für den Papagei bedankte. Sie sagte, es würde ihr eine Freude sein, wenn sie sich noch heute abend revanchieren könnte, und warf dabei einen verständ lichen Blick zu ihrer Nichte hinüber. Der Bankbeamte küßte der gnädigen Frau die Hand und versicherte, es sei ihm eine hohe Ehre und ein ganz besonderes Vergnügen, Heiligabend in so angenehmer Gesellschaft verleben zu dürfen. Für ihn könne es kein größeres Glück geben, als in engere Verbindung zu der Kamtlie zu treten. Die alte Dame strahlte. Das war der rechte Mann für Elli. Zehnmal besser wie der Habenicht», der junge Doktor. Ihr Blick fiel auf den Papagei, der sich mißtrauisch in eine Ecke seiner offenen Be hausung zurückgezogen hatte und von dort aufmerk sam alle Besucher beobachtete. „Er hat so ein kluges Auge," wandte sich die Witwe an Althoff, „was spricht er denn eigentlich?" „Ich weiß auch nicht, gnädige Frau! Hat er denn noch nicht gesprochen?" „Nein, er " „Du bist verrückt, mein Kind," begann plötzlich der Papagei zu schrillen, indem er wie toll auf der Stange schaukelte, und dann: „So leben wir, so leben wir, so leben wir alle Tage." „Aber Herr Althoff?" sagte pikiert die ver witwete Frau Kanzleirat, während die Gäste belustigt bald den Vogel, bald den verwirrten Spender ansahen. Der Papagei aber schien es daraus abgesehen zu haben, seine ganze volkstümliche Kunst an den Mann zu bringen. „Raus mit der Alten an die Frühlings» tust", kreischte er mit boshaft funkelnden Augen. Das war der alten Dame zu viel. „Bertha, bringen Lie den Vogel hinaus in den Korridor." Also geschahs. Althoff sah an dem erzürnten Gesicht der Gast geberin, daß seine Aktien rasend schnell gesunken waren. Er tat das Beste, was er tun konnte, er empfahl sich. Kaum hatte der Nebenbuhler das Feld geräumt^ )a trat Hanstein auf die alte Dame zu und schmie- >ete das Eisen, solange es warm war. „Seien Sie unser Weihnachtsengel, gnädige zrau, und segnen Sie unseren Bund," endete er einen Redefluß. Die Schmeichelei, der Aerger über Althoff und überdies auch die Weihnachtsstimmung wirkten zu sammen, sodaß Tante Emma nach kurzem seelischen Ringen sagte: „In Gottes Namen denn, Kinder, liebt und heiratet Euch!" Und ungeachtet der Tatsache, daß die Beiden nicht allein waren, fielen sich Hugo und Elli in die Arme. Dann warf sich Elli der Tante an die Brust. „Du liebes, bestes Tantchen Du. Ich bin ja so glücklich." Von dem Lichterbaum her aber tönte ein leise» Singen und Klingen und Summen durch das Zimmer. Weihnachtsstimmung. Freshs den Menschen. Eine Weihnachtsgeschichte von Annette v, Bülow. (Nachdruck verboten). „vergnügte Feiertage, Herr Krahlik", sagte der Lhef mit einem wohlwollenden Lächeln, als er an dem Pulte des Buchhalters vorbeiging. „Seien Sie nicht gar zu fleißig. Es ist heiliger Abend". „vergnügte Feiertage!" riefen die Kollegen ihm zu, da sie der Reihe nach das Kontor verließen. Danke, danke, desgleichen", antwortete er ernst. „vergnügte Feiertage, Herr Krahlik", sagte auch der Lehrling etwas verlegen und nahm mit danken den Augen das Dreimarkstück entgegen, das der Buchhalter ihm hinschob. Dann war Krahlik allein. „vergnügte Feiertage!" sprach er bitter vor sich hin. „Ihr habt alle gut wünschen, was sollen mir die Worte; mir, dem einsamen und verlassenen. Vergnügte Feiertage' Für mich ists damit vorbei." Gequält blickte der Mann auf das Kontobuch, dessen Zahlenreihen vor seinen feuchten Blicken ver- schwammen. Ein Schluchzen würgte ihn in der Kehle und er schlug beide Hände vors Gesicht. „Elfriede, Elfriede. Warum tatest Du mir das an? warum verließest Du mich?" stöhnte er auf. „Wohl beging ich ein Anrecht an Dir,Dich riß Dich aus Reichtum und Wohlstand. Aber ich hatte Dich doch so lieb, Du mein einziges Glück. Seit Du mit Annemie von mir gingst, hat es keine frohe Stunde mehr für mich gegeben. Zwei Jahre sind nun da hin. Kurz nach dem Feste, in dessen selige Stim mung hinein mir schon drohende Schatten des bevor stehenden Ruins hineinfielen, kam der Zusammen bruch. — Wie oft hattest Du mich gebeten, meine Wettleidenschaft zu besiegen, mich zu ermannen aus meiner krankhaften Gier nach mühelosem Gewinn. Ich war zu schwach. Bis das letzte dahin war, suchte ich die launische Göttin des Turfs zu bannen. — Und als das Letzte fort war, als die Gläubiger das Mobiliar und Deinen Schmuck nahmen, da gingst auch Du. Als ich den Brief fand, worin Du schriebst, daß Du mit dem leichtsinnigen Menschen, dem seine Leidenschaft über Frau und Kind gehe, nicht länger zusammenleben könntest, da fühlte ich mich wie vom Blitz getroffen, da lag die Zukunft düster und freuden leer vor mir. Nahe war ich daran, zur Pistole zu greifen; aber ich wollte Euere Erinnerung an mich nicht noch dadurch beflecken, daß ich zum Selbst mörder wurde. SühnenI wollte ich. In ehrlicher, ernster Arbeit zeigen, daß mich das Unglück von meiner Leidenschaft geheilt und zu einem nützlichen Mitgliede der menschlichen Gesellschaft gemacht hat. — So trat ich als Buchhalter ein in einem Kauf mannsgeschäft und tat Tag für Tag unverdrossen meine Arbeit, die mir nur zu Anfang schwer ward. — Briefe, die ich an Dich schrieb, blieben ohne Ant wort. Für immer hast Dn Deinen Lebensweg von meinem getrennt. Vielleicht tust Du wohl daran, wenn auch mein einsames Herz langsam verblutet. Selbst mein Töchterchen sah ich nicht wieder, hörte nichts mehr von ihm. Hat es seinen Vater ver gessen?" Krahlik schluchzte laut auf. Die Erinnerung übermannte ihn. vor sich sah er Elfriedes sanfte, treue Augen und Annemies blondes Wuschelhaar. Für ihn verloren. Für immer verloren. Wohl eine halbe Stunde saß er so, das Gesicht in beide Hände vergraben. Endlich erhob er sich. Müde und schwerfällig wie ein alter Mann. Er schloß das Kontobuch ein, wusch sich die Hände, uahm Hut und Ueberzieher und ging. „vergnügte Feiertage!" wünschte der Portier und legte die Hand respektvoll an dle Mütze. Krahlik fuhr in die Westentasche und reichte dem Grüßenden ein Geldstück hin. Dann trat er aus dem Torweg auf die Straße hinaus. Ljne zahlreiche Menschenmenge flutete über die Trottoirs, die heute, am Heiligabend, fast taghell beleuchtet waren. Fast jeder der Passanten trug ein paketchen oder einen Karton oder irgend sonst etwas, Angehörige und Bekannte damit zu beglücken. An dere machten in elfter Stunde noch ihre Einkäufe. Krahlik durchschritt trüben Auges das Gewühl. Aufs neue lebte sein Schmerz auf beim Anblick der vielen Menschen, denen Erhoffens- und Gebensfreude auf den Gesichtern geschrieben stand. Er hatte weder etwas zu erhoffen noch zu beglücken. Geschenke, die er im Vorjahre für Frau und Töchterchen abge sandt hatte, kamen in uneröffneten Paketen zurück. Der bekümmerte Mann hatte keinen Blick für die glänzenden Weihnachtsauslagen der in Lichtfülle erstrahlenden Schaufenster. Die Pracht, die von allen Seiten blitzte und funkelte, schnitt ihm in die Seele. Sie rief die Zeit in seine Erinnerung zurück, da et- alles, was ihm gefiel, in seinen Besitz bringen konnte. Herber noch war sein Schmerz darüber, daß niemand da war, den er beglücken konnte. Die e^-