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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 08.08.1909
- Erscheinungsdatum
- 1909-08-08
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190908088
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19090808
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19090808
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1909
-
Monat
1909-08
- Tag 1909-08-08
-
Monat
1909-08
-
Jahr
1909
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 08.08.1909
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merdiener und der Verwalter. Haden Sie gesehen, -aß er blaue Hosen anhatle, von demselben Blau, wie es an der Distel hing? Kin Alibi Haden beide nicht und beide haßten den Herrn Warkas wegen —" „Sie haben eine ganz tolle Phantasie," lachte der Untersuchungsrichter spöttisch. „Wird mal so gedacht und so gedacht, schwupp ist der Mörder gefangen." „Sie werden sehen, daß ich recht habe," fuhr Doylewsky unbeirrt fort: „Es fehlt nur noch der -ritte Täter. Der Kammerdiener und der Verwal ter hielten Waffijew, während der Dritte ihn mit dem Kissen erstickte." Der junge Mann dachte an gestrengt nach. Plötzlich schlug er sich vor den Kopf: „Ich Habs, ich Habs! Der Dritte oder besser die Dritte ist," leise flüsterte er den Namen, „Was- stjews Schwester." Der Untersuchungsrichter blieb stehen und sal- feinen Gehilfen groß an. Dann klopfte er ihm auf die Schulter: „Gehn Sie nachhause, lieber Freund. Die Ge schichte hat Sie zu sehr aufgeregt." „Aber nicht doch. Die Sache liegt ganz klar auf der Hand. Sie wißen, daß Waffijew ein biß chen liederlich war, gerne trank und liebte, wäh rend seine Schwester eine fromme Altgläubige ist. Um der Religion willen hat sie ihn gemordet. Ver laßen Sie sich darauf. Ich werde weiter recher chieren. Den Kammerdiener und den Verwalter würde ich verhaften lassen." Das leuchtete dem Untersuchungsrichter ein. Wenn er auch von ihrer Schuld lange nicht so überzeug! war, wie Dohlewsky, so konnte dieser vielleicht doch Recht haben. Und dann wars besser, wenn die beiden im Gefängnis waren. So ordnete er denn die Verhaftung an. Aber die beiden Gefangenen wollten nichts ge stehen. Sie gaben an, sie wüßten von nichts. Und wenn Dovlowsky-ihnen auch noch so klar schilderte, wie sich alles ereignet hatte, immer schüttelten sie den Kops oder widersprachen. Auch Wassijews Leiche fand sich nicht. Der Garten und ein angrenzender Teich wurden genau durchsucht, sie fand sich nicht. Das Rätsel des Mordes wurde immer ver worrener, bis eines Morgens Waffijew Wohl und munter in einem Wagen angefahren kam. Ein ehemaliger Kamerad hatte sich in der frag lichen Nacht, als Waffijew in seinem Zimmer sich austleidele, um einen guten Rausch auszuschlafen, in den Garten geschlichen, hatte das Fenster offen- gefunden und daran geklopft. Waffijew glaubte einen Geist zu sehen und wars entschlossen seinen Stiefel nach dem Kopse. Aber dann erkannte er Len Freund. Sie begrüßten sich und Waffijew ließ sich bewegen, sogleich mit seinem Besucher zu dessen Gute zu fahren. Ohne Schuhe und Mantel. Dort hatten sie dann derartig lustig gezecht, daß Was- stjew gar nicht recht zur Besinnung kam und ganz seines Hauses vergaß. So kam es, daß er ver schwunden blieb. Wenn Dohlewsky dem Untersuchungsrichter noch einmal mit scharfsinnigen Schlußfolgerungen kom men sollte, ist ihm die Entlassung sicher. Er ver zichtet daher auf allen Detektivruhm und schreibt ruhig die Protokolle. Der weiße Zopf. Humoreske von A u g u st Blanche. Es war noch in der Zeit, da die Räte und Minister bei Hose Zöpfe trugen. Da starb eines Tages einer der Minister. Da die Haare seines Zopfes silberweiß erglänzten, warb die Haupt zierde dem Toten genommen, um an die Ver wandten verteilt zu werden. Der Hofjuwelier erhielt den Auftrag, vierzehn schwere Medaillons anzufertigen und das Haar darinnen zu verteilen. Der Juwelier legte den schimmernden Zopf in einen Kasten des Laden tisches, der weitere Kostbarkeiten barg und begab sich dann an die Arbeit. Ms die Medaillons fertig waren, öffnete der Goldschmied die Schublade, um den Zopf hervor zunehmen — aber der Zopf war verschwunden. Frau, Kind und Magd wurden herbeigevufen, und das strengste Verhör hob an. Endlich be kannte des Goldschmieds sechsjähriger Sohn, daß er eines Tages den Zopf aus dem Kasten genom men, damit gespielt, bei diesem Spiel zufällig die Hauskatze zum Kameraden gehabt, daß beide den Haarzopf je an einem Ende festgehalten hätten, daß die Katze endlich Siegerin geblieben, mit der Beute entsprungen sei und dieselbe irgendwo ver borgen habe. Das war alles, was man ans Tageslicht brachte. Die Strafe folgte dem Bekenntnis auf dem Fuße, die Katze bekam einen Fußtritt und der Knabe eine Tracht Prügel, so daß nach dieser Seite hin alles Erforderliche geschah, nur kam da durch der Haarzopf nicht wieder zur Stelle. Dein Meister war diese Verlegenheit höchst peinlich. Sein guter Name und Rus hing an dem Haar. Im Geiste sah er schon einen Kunden nach dem andern sich verlieren, sah sich am Rande des Verderbens; denn was sollte die Welt von einem Juwelier denken, der anvertraute Wertgegenstände nicht besser verwahrte, als daß Kind und Katze mit dem Einzigen ihr Spiel treiben konnten, was von Einem unter den Großen der Erde übrigge blieben und bestimmt gewesen war, als Reliquie Von Generation zu Generation in einem glänzenden Geschlecht fortzuerben? Ein kühner Entschluß mußte gefaßt werden, und ratlos war unser Juwelier fürs Erste nicht. Alles konnte noch gut ablaufen, wenn sich nur ein ähnliches Haar finden ließ; ein solches mutzte ge funden werden. Er stürzte durch die Straßen der Stadt und beobachtete genau das Haar eines jeden Menschen, der ihm begegnete, aber umsonst. Er besuchte alle Armenhäuser der Hauptstadt, denn es konnte ja nicht fehlen, daß in diesen Freistätten der Armut sich jener einzige Schatz finden mußte, den Reich und Arm gemeinsam besitzen, das Silberhaar des Alters. Er fand mehr oder minder graue Köpfe, doch keinen so schneeig weiß, wie jenen des Mi nisters. Trostlos kehrte der Juwelier nach Hause zu rück. Er wußte sich bei Leib und Leben keinen Rat mehr. „Wie lange Du bleibst!" rief ihm seine Frau zu. „Das Boot, welches wir bestellt haben, war tet schon seit einer Stunde. Der Speisekorb ist längst hinabgetragen worden, und ich habe ein prächtiges Mittagmahl bereitet," fuhr sie fort, in der Hoff nung, daß diese lockende Aussicht die Furchen aus ihres Mannes Stirn glätten könne. Man hatte nämlich am Tage bevor die un selige Entdeckung stattgesunden, die Bestimmung ge troffen, eine Erholungsfahrt auf den See zu unter nehmen mid dänn einige Stunden im Grünen zu zubringen. „Boot! Mittagmahl!" wiederholte der Familien vater mit dumpfer Stimme. „Ich befinde mich eher in der Laune, in den See selbst, als in das Boot zu springen, eher mich selbst von den Aalen auf essen zu lassen, als sie zu verzehren." Die Bootfahrt konnte trotzdem nicht abbestellt werden, und die Familie begab sich demgemäß hin aus auf den See, aber selten wohl war eine so trübselige Lustfahrt auf den klaren Wellen unter nommen worden. Endlich legte man an einer grünen, schattenreichen Stelle des Ufers an, brei tete die mitgenommene Mahlzeit im Grase aus, und die Frau tat alles, was in ihren Kräften stand, um ihren lieben Mann während des Mittagessens zu unterhalten und seine Unruhe und Sorge zu zerstreuen. Nach dem Essen nahm die Frau das Kind und ging in die nächste Bauernhütte, um da den Knffee zu kochen. Der Mann suchte den Schatten eines Baumes, legte seinen neuen Strohhut neben sich, sich seibst ins Gras und schlief, was Wohl auch jedenfalls das Beste war, was er in diesem Falle vornehmen konnte. Nach einem vierstündigen Schlummer kmrde er von einem knisternden Geräusch dicht neben sich geweckt. Er schlug seine Augen auf und bemerkte einen Ziegenbock, der in schönster Ruhe seine Mit- tagSmahlzeit hielt und zwar sich, wie der Gold schmied zu seinem Staunen bemerkte, dessen neuen Strohhut zum Mahle erkoren und auch bereits zur Hälfte verzehrt hatte. Voll gerechten Zornes erfaßte der Mann des Bockes Weißen Bart, doch das mutige Tier kämpfte mit aller Macht gegen seinen Angreifer. Mitten in diesem Zweikampf schlug sich der Mann vor die Stim und stieß einen Schrei au», der den Wald durchdröhnte. Er hatte eine Idee. Seinem Gegner augen blicklich den Rücken kehrend, lief er nach der Bauernhütte, von dem wütenden Bocke verfolgt, so daß er fast kopfüber in die Stube gestürzt kam. „Wem gehört der Ziegenbock draußen?" keuchte er in atemloser Hast. „Beim Kreuz! das ist Wohl der unsere!" ant wortete die Bauersfrau. „Was soll der Bock kosten? Ich will den Bock kaufen," fuhr der Goldschmied mit demselben Eiser fort. „Oder besser noch, ich brauche nur seinen Bart und gebe vierundzwanzig Schillinge dafür!" Das Resultat der Unterhandlung in der Hütte war, daß die Bauerfrau und der Goldschmied ge meinsame Jagd auf den Ziegenbock mit dem schnee weißen Bart anstellten. Kaum hatten sie das Tier gefangen, als auch schon der schöne Bart desselben sich in des Goldschmieds Tasche befand. Die Rückfahrt nach der Stadt, wenngleich ohne Hut, war fröhlicher, als die Hinausfahrt. Nach dem er nach Haufe gekommen, nahm der Gold schmied die vierzehn Medaillons, schloß sich mit denselben ein und am folgenden Tage trug er die Kleinodien selbst zu demjenigen, der sie bestellt hatte. Er erhielt sein volles Geld, und niemand ahnte, daß die silbernen Haarstreifen in den Schmuck stücken aus dem Barte eines Bockes stammten. Held oder Marr? Skizze von Fritz T h e h s s e n. „ Mitleid ist Schwachheit, sich auf opfern Torheit, zielbewutzt und ruhig den vorge zeichneten Weg gehen ohne andere zu zertreten, aber auch ohne anderen zu Weichen — das macht den ganzen Mann, Mitleidsuchende, Mitleid macht Bettler. Nicht hartherzig ist der Egoist, er ist klug, und glücklicher würden die Menschen sein, wenn ie egoistischer wären. Eine merkwürdigere Schlußfolgerung? Aber sie ist richtig. Jeder an seinem Glücke arbeitend, jeder für sich sorgend, wird er den Mitmenschen entbehren lernen und sich ihm entbehrlich machen." Das Auge des Lesenden erhob sich vom Buche und sinnend erwog Franz Lindau das in den Wor ten ausgesprochene. Der Schreiber des Buches hatte recht: „Mitleid ist Schwachheit." Daß er zu mitleidig gewesen, hatte il-m schon manchen Schaden gebracht, nicht nur daß es ihm schon ein schönes Stück Geld gekostet hatte, manche trübe Stunde war ihm schon dadurch bereitet wor den, daß ihm gute Taten, die er in mitleidigen Aufwallungen getan, mit Undank belohnt wurden. Aber fortan wollte er sie bekämpfen, die weichen Regungen in sich, er mußte jetzt an seinem Glücke arbeiten, denn in wenigen Wochen wollte er sein geliebtes Mädchen zum Altäre führen, und ein sor genloses, frohes Dasein sollte der Braut harren. Lindau zog seine Uhr. Erst zwei, da hatte er ja noch zwei Stunden Zeit, ehe er zum Büro mußte. Aus dem Bücherregal über seinem Schreibtisch wählte er ein Handbändchen „Die Braut von Mes sina", steckte es in die Tasche und griff zum Hut. Dann ging er hinaus, um auf seinem Lieblings- Plätzchen in dem unweit gelegenen Walde ein wenig zu lesen. Es war Hochsommer. Heiß brannte die hoch am Himmel stehende Julisonne vom wolkenlosen Himmel herab. Bald hatte Lindau die schattig gelegene Bank, sein Ziel, erreicht. Er ließ sich nieder und las. Franz Lindau war Architekt. Nach Beendig ung seines Studiums hatte er sich in wenigen Jahren - er zählte deren jetzt 28 — eine geach tete Position im städtischen Bauaml ermngen. Er bezog ein ansehnliches Gehalt, von dem er seine Mutter ernährte und ein erkleckliches Sümmchen erst«rt hatte. So konnte er daran denken, einen eigenen Hausstand zu gründen. Gem vertrauten »eshalb Elsriedens, seiner Jugendliebe Eltem, ihm ihr Töchterchen an und bald sollte fröhliche Hochzeit sein. Lindau hatte seine Lektüre beendet. „Das Leben ist der Güter höchstes nicht, jedoch der Lebel größtes ist die Schuld". Halblaut murmelte er diese Schlußworte des klassischen Bühnenstückes vor sich hin und starrte in die Wellen des Flüß chens, das lustig unter seinen Füßen — die Bank stand auf der Holzbrücke — vorbeiplätscherte. Ob sich die beiden Sätze mit dem Vorsatze vereinbaren ließen, den er eben gefaßt? Konnte Egoismus nicht auch Schuld sein? Wo war die Grenze? Während er so sinnierte, trottete oberhalb der Bank, dort wo sich der Weg in das Gebüsch ver lor, ein Hund hervor. Die heiseren Laute, die dieser ausstietz, ließen Lindau aufschauen. Es war ein Wolsspitz, dessen struppiges Fell von großer Verwahrlosung zeugte. Den Kops, aus dem die Zunge heraushing, tief zur Erde gerich tet, kam er gerade auf Lindau zu, der daS häß liche Tier gleichmütig beobachtete. Da scholl, stärker werdend, unten vom Wege her lautes Lachen und frohes Singen herauf. Als Lindau einen Blick dahin warf, von wo die Fröh lichkeit scholl, sah er bunte Kinderkleidchen durch das Grün der Bäume schimmern. Schulkinder aur einem Ausflug, dachte der Architekt und wandte sich wieder zurück. Plötzlich überlief ihn ein Zittern. Der inzwi schen auf etwa 50 Meter nahegekommene Hund hatte einen Augenblick den Kopf aufgerichtet, so daß Lindau die blutunterlaufenen, stieren Augen gewahrte. . , - Der Hund war toll. Da gab es keinen Zwei fel. Das heisere Geheul, die struppigen Haare und die entsetzlichen Augen bewiesen klar die schreckliche Krankheit. Lindaus Denken war einen Moment wie ge lähmt; aber dann jagten sich die Gedanken in schnellster Folge. Was sollte er tun? Ruhig sitzen bleiben und das Tier vorbeilaufen lassen in -ie Schar Kinder hinein? Oder sollte er ihm den Weg sperren? „Mitleid ist Schwachheit," murmelte er vor sich hin; doch dann wieder kam ihm der Gedanke an das Wort Schillers: „Das Leben ist der Güter höchstes nicht." Das Bild seiner - geliebten Braut und der auf ihn angewiesenen alten Mutter stieg vor ihm auf; aber das Singen und Lachen der sorglos nähertommenden Jugend verscheuchte es. Der Hund war nur noch wenige Schritte ent fernt. Es mutzte gehandelt werden. Entschlossen sprang Lindau mitten auf die Brücke und sperrte dem Sunde den Weg. Das Tier blieb einen Mo ment stehen, dann stürzte es sich mit einem Satze auf den Architekten, der geistesgegenwärtig seinen Hut dem zuschnappenden. Tiere entgegenhielt. Mit schnellem Griff packte dann Lindau das Tier am Halse, um es über das niedrige Geländer in den Bach zu stürzen. > Doch die Wuttrankheit gab dem Hunde dop pelte Kraft. Er riß sich los und sprang aufs neu« mit einem heiseren Schrei, der Lindau durchfchau- erte, aus diesen los. Wieder gelang es dem Archi tekten, in dessen Hand sich der Hund verbissen hatte, das Tier zu packen. Er drängt« zum Geländer hin und schon glaubte er Sieger zu sein, da brach das morsche Holzgitter. Beide stürzten hinab in den reißenden Bach. Die ersten der Kinder, um derentwillen Lin dau sich geopfert, hatten gesehen, wie jemand von der Brücke stürzte. Schnell wurde Hilfe geholt. Zu spät. Zu spät. Lindau konnte nur als Leich« den Wassern entrissen werden. Die zerbissenen Hände des Toten hatten sich krampfhaft in das Fell am Halse des Hundes eingekrallt. Ein furchtbares Ringen entsteht. Sie drückt los Mit einem unartikulierten Laut sinkt der Mar chese tödlich getroffen in den Sand. Dolores aber schleudert den Revolver weit von sich und eilt, wie von Furien gehetzt, davon. Unten das tiefe donnernde, eintönig gewaltige Brausen des Meeres — ein ewiger Ton des Welt alls. 19. Kapitel. Dunkelheit senkt sich herab auf die Trümmer- stadt. Fast willenlos hat Orlando sich von den Ca rabinieri fortführen lassen. Der Marchese tot! . . . Und er, Orlando, unter dem furchtbaren Verdacht des Mordes! . . . Barmherzigkeit! In einer kleinen düstern Baracke, die als pro visorisches Untersuchungsgefängnis dient, hat man ihn vorläufig untergebracht. Dort sitzt er in einer Ecke auf einer hölzernen Bank und überlegt. . . . Gewiß — seine Lage ist eine trübe. Aber er wird sich schon verteidigen, wird seine Unschuld be weisen. Doch Clelia! Clelta! . . . WaS wird sie sagen, wenn sie erfährt — —! Daß sie auch nur einen Augenblick an ihm zweifeln könnte, ist für ihn momentan der furcht barste Gedanke. Und was wird jetzt aus ihr? Wer nimmt sich des armen, unerfahrenen Mädchens an in dieser verzweifelten Situation? Contessa Erminta mit ihrem schwachen Charakter ist keine paffende Rat geberin. Im Gegenteil Von ihr ist für Clelia nicht Lie geringste Hülfe zu erwarten. Und wer Weitz, ob die beiden Damen mit Geld versehen sind, um die Hotelrechnung bezahlen und nach Palermo zurückrcisen zu können. Orlandos Aufregung wächst, je später es wirb. Wenn er nur Nachricht von Clelia hätte! Sein eigenes Mißgeschick würde er dann leichter tragen. Trübe flackert die kleine Tranlampe in der Ecke seiner vergitterten Barackenzelle. Drauhen Totenstille, nur hie und da unterbrochen von dem Geheul der nach Beute herumschleichenden herren losen Hunde und den, Aufknallen einer Pistole, die eines dieser hungrigen Tiere zur Strecke brachte. Ein Carabiniere bringt Orlando seinen Abend imbiß, Brot und Wasser, herein. Der Mann sicht gutmütig aus. Ein Gedanke durchblitzt Orlandos Hirn. Vislleicht könnte der Carabiniere ihm Nachricht über Clelta bringen? Vielleicht gar eine Unterredung herbeiführen? Seine dringenden Bitten beantwortet der Po lizist mit einem verwunderten Achselzucken. Ob der Signore denn nicht wisse, daß die Stgnorina Mor gana selbst polizeilich beobachte! werde und das Hotel nicht verlassen dürfe? . . . Orlando ist wie erstarrt. Auch das noch. Auch das noch!! Und niemand da, der dem unglücklichen Mäd chen betsteht! In tödlicher Angst fleht er den Carabiniere an, wenigstens eine Depesche für ihn abzufchtcken. Der Mann zögert. Es sei gegen das Re glement. Erst auf Orlandos Versichern, er dürfe das Telegramm lesen, es enthalte nichts Unerlaubtes, erklärt er sich bereit. Die Depesche geht ab, und Orlando wird etwas ruhiger. Er hat Dr. Röder zum Schutze Clelias nach Messina gerufen. Pia Danelli sitzt mit rotgeweinten Augen in ihrem kleinen Wohnzinnner und lauscht auf jeden Schritt draußen auf der Straße. Ihr gutes Herz ist voll von Weh. Als sie vorgestern gegen Abend aus dem Santa Agata-Hospital zurückkehrte, fand sie ihr Häuschen leer. Nicht nur der schöne fremde Vogel, dem sie aus reiner Nächstenliebe Unterschlupf gewährt, ist ausgeflogen — nein, mit ihm auch Orlando, der prächtige Junge, auf dessen Charakter sie so fest baute. Vergebens versucht Dr. Röder die gute kleine Seele zu beruhigen. Es sei das beste so. Ob denn Orlando der Welt und ihren Freuden entsagen solle, bloß, weil ein unvernünftiges Mädel sein Herz verschmähte! Die fremde Dame sei gar nicht übel; freilich ein bißchen alt für ihn, aber im übrigen — Voll Entrüstung unterbricht ihn Pia, so daß der brave Arzt gar nicht zum Beenden seiner wohl gemeinten Auseinandersetzung kommt. Auch jetzt wieder ist er im schönsten Zuge. „Passen Sie auf: nächstens hören wir von den beiden! Genießen ihr Leben ein bißchen. Warum nicht?" Pia läßt die Hände mit der angefangenen Näh arbeit in den Schoß finken. Schon wieder stehen ihre Augen voll Tränen. „Doktor! Sie sind an allem schuld!" „Wieso?" „Wenn man schon früh morgens Champagner trinkt, wie die beiden auf Ihren Rat hin —" Der Arzt runzelt die Brauen. „Paperlapapp! . . . Uebrigens —Ihr Schmerz um den Jungen scheint mir ein bißchen übertrieben. Ob Sie um mich nur halb so viel Tränen ver ¬ gießen würden, wenn ich mal plötzlich mit einer hübschen Dame verschwände —" „Sie—, Doktor?" „Warum nicht? Wenn ich auch kein grüner Lasse mehr bin, wie der Dingsda mit seinem glat ten Gesicht, der Orlando — ein Herz hab' ich doch im Leibe. Und wenn eine gewisse kleine Stgnorina mich noch fernerhin zu quälen beliebt und mich nicht verstehen will und mein treues Herz mit Verach tung straft,— wer weiß, was passiert!" Pias Augen werden immer größer. Schon längst hat sie die Tränen fortgewischt. Nur Verwunderung steht jetzt in ihren Zügen geschrieben. Grenzenlose Verwunderung und etwas wie — stilles Glück. Und als jetzt der Arzt voll Wut nach Hut und Stock greift und ohne Abschied aus dem Zim mer stürmen will — da schwindet die Zurückhal tung, mit welcher sich dies stille Mädchenherz seit vielen Jahren umgab. „Doktor! Lieber, lieber Doktor!" ruft sie ihm bewegt nach. Bet dem ungewohnt innigen Klang der liebe» Stimme schleudert er Hut und Stock zu Boden und breitet die Arme aus. .Pta!" Doch nicht stürzt sie sich mit einem Jubelschret an seine Brust, wie er in seiner llüerschäumenden Freude geglaubt. Langsam, ganz langsam steht sie auf, während leichte Röte in ihre Wangen steigt und das ganze feine Gesicht mit einem jugendlichen Schimmer überhaucht. DE geht sie auf Ihn zü, faßt schüchtern sei»« Hanid und lehnt den dunklen Kopf an seine Schulter. Und er beugt sein bärtiges Gesicht herab und brückt einen Kuß auf ihre gesenkte Stim . . . (Fortsetzung folgt.)
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