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Wechm-LlMckr TUW Amtsblatt. b d it :t a- i Nr. 170. Sonntag, den 25. Juli 1909. 2. Beilage. tttt. auch, freilich »auf dem Fuße- und schon zum «kvß?AT«T . ksTA? giößten Teile besetzt, aber schließlich gelingt eS unS Flüchtige Skizzen auS dem Süden. regel: „Reißt die Spinn' ihr Netz entzwei, kommt ein Regen bald herbei." Ziemlich zuverlässig ist die Kastanie. Bei schönem Wetter, das andauernd werden will, spreizt sie nämlich ihre fünf Blätter nachtet hätten. Jetzt seien sie auf dem Abstiege nach Waidbruck, um sich nach Salegg zu begeben. Und wirklich! Nach etwa einer Viertelstunde hörten wir Stimmen oben im Walde und bald traten, voran ein Führer, die Prinzen auf den Wiesenplan, hinter ihnen der König in Hemdsärmeln, die er bis zum Ellenbogen aufgestreift hatte, in bloßem Kopf, mit grünen Wadenstrümpfen und Bergstock. Mit un« hatten noch zwei Leipziger Damen und Herren, die gleichfalls al« Sommergäste in Brtol weilten, an einer Bank am Hause Aufstellung genommen, und groß war unsere Freude, hoch oben in den Tiroler Bergen unseren Landcsherrn begrüßen zu können. In leutseligster Weise sprach der König un« an, erzählte un«, daß er am frühen Morgen vom Rittnerhorn eine prächtige Aussicht auf die Dolomiten gehabt habe, so schön, wie noch nie in seinem Leben, und nahm dann aus den Händen der liebenswürdigen Schaffnerin unsere« HeimS, de« Fräulein« Marie, ein Glas italienischen Muskator entgegen, von dem auch die Prinzen und General leutnant v. Müller tranken. Nach etwa viertel stündigem Verweilen empfahlen sich die hohen Herr schaften, der König wünschte un« noch gute Erholung und schöne« Wetter, und unten am Berge, wo der König und die Prinzen photographische Aufnahmen machten, winkte Se. Majestät auf unser freudiges Juhu nochmals mit der Hand und dem Taschen tuchs, bi« ihn der Hochwald aufnahm. Wir aber begossen nach alter guter deutscher Sitte mittag« den denkwürdigen Tag mit einem edlen Tropfen I sie fragen nur kurz, ob ich etwas tabakartiges bei mir führe, und auf mein Verneinen kleben sie jcm gelben Zettel auf, welche dem Gcpäck die Pforten nach Tirol öffnen. Ich bilde mir ein, daß lediglich mein ehrliches Gesicht und mein reines Gewissen — denn ich hatte tatsächlich keine Zigarren bei mir, da ich auf der Reise das Rauchkcaut entbehren kann — mich so leichtlich über die zöllnerischen Formalitäten htnwegbrachte, denn einem Nachbar nebenan, der vielleicht etwas scheu dreinschaute, durchwühlten sie den Koffer bis auf den Boden. Allerdings, ohne etwas zu finden, denn er hatte seine Zigarren in Kaffeesäckchen in allen möglichen Leibektaschen ver- borgen. Kommt man verhältnismäßig leicht nach Kufstein hinein, so um viele« schwerer heraus. Kurz vor 11 Uhr vormittags soll der Schnellzug nach dem Brenner abgehen. Aber schon lange vorher häufen sich die Mengen an den Zugängen zu den Bahnsteigen in so bedenklichem Umfange, daß Neun zehntel unter allen klar ist, daß sie mit diesem Zuge ihr Fortkommen nicht finden werden. Und mit fahrplanmäßiger halbstündiger Verspätung dampft ! dar Zügle denn auch ohne un« gen Innsbruck. Ge- > duldtg warten wir auf einen zweiten Schnellzug, i der dem ersten auf dem Fuße folgen soll. Ec kommt i auch die Spinne, ihrem Reh, so ist gutes Wetter an- die alte Baucrn- Bergen südlich von Bozen schweift der trunkene Blick Uber den Latemar, Schlern, Langkofel, die Sella- grup;e, die Fermeda- und die GeiSlerspitzen, den Peitlerkofel, die Plose bis zu den Höhen der Tauern und des ZchertaleS über eine schier unbegrenzte Fläche, Hunderte von Dörfern, Kirchen und einzel nen Gehöften grüßen herüber, tief unten wälzt der Eisack seine grünen Fluten an Waidbruck, Klausen und dem hochragenden Kloster Säben vorüber. Wahr lich ein Fleckchen Erde, so recht zum AuSruhen, zum beschaulichen Erholen geschaffen, eine weltentrückte Einkehr, die wunschlos in süßem Nichtstun die Tage vergehen läßt. Und dazu eine Verpflegung, die auch dem verwöhntesten Gaumen gerecht wird und dic vergessen macht, daß wir uns eigentlich hoch über aller Kultur in wilder Bergeinsamkeit befinden. tur. Einer der zuverlässigsten ist Arbeitet sie morgens fleißig au für den größten Teil des Tages ziinehiiien, dagegen lehrt schon In der Herrgottsfrühe des zweiten Tage-, des vergangenen Sonnabends, stieg ich mit meinem Lohne, um zunächst die Gegend zu rekognoszieren, nach dem Rittnerhorn zu hinauf. Es hatte etwas geregnet und der steile Weg war ziemlich schlüpfrig, als unS ein Gendarm begegnete. AuS Frage und zunächst zögernder Antwort über daS WaS, Woher und Weß Grundes auf dem Berge hörten wir die uns anfänglich unmöglich dünkende Kunde, daß dem Wächter der Sicherheit König Friedrich August, die Prinzen und daS Gefolge nur wenige Hundert Schritte rückwärts folgten. Die hohen Herrschaften eien am Freitag nachmittag mit der elektrischen Bahn von Bozen nach Klobenstetn gefahren und von da auf daS RittnerhornhauS gegangen, wo sie über- i Laubfrosch, der bei Aussicht schönen Weiters vergnügt seine Leiter erklimmt. Für unbedingte Zuverlässigkeit aller dieser natürlichen Wetterpro pheten kann Gewähr natürlich nicht geleistet wer den. Auch der im Wandern routinierte Ausflügler wird manchmal einen „Husch" mitnehmcn müssen, der schließlich ja auch kein Malheur ist, weiter als bis zur Haut kanns ja bekanntlich nicht kommen, In Waidbruck herrschte auf dem Bahnhöfe gewaltiger Leben. Eine ganze Anzahl zweispännigSi Kaleschen und großer Gepäckwagen stand bereit, um die Königliche Familie und ihr Gefolge nach Hotel Salegg bet Sets zu führen. Die Kutscher sämtlich in Tracht, die Pferde mit seidenen grünweißen Schleifen geschmückt. Aber alsbald merkten wir Un- beteiligten, daß irgend etwas Unvorhergesehenes ein- getreten sein mußte. Niemand von der Königlichen Familie machte Anstalt, die Wagen zu besteigen, das Gcpäck blieb unaufgeladen auf dem Bahnsteig liegen, der Statthaltereirat Graf CeScht, der Ches der Bezirkshauptmannschaft Bozen, der in Zivil zur Begrüßung der Königlichen Familie erschienen war, konfe tute eingehend mit den Herren vom Gefolge und schließlich wurde von Mund zu Mund kolpor- Die ich sagen hatte so ttert, baß in Sei« eine ansteckende Krankheit herrschen solle, welche den Aufenthalt der Königlichen Familie in Salegq nicht geraten erscheinen ließ. Und wirk lich: nach kurzem fuhren die Wagen leer nach SeiS zurück und die Prinzen und Prinzessinnen begaben sich im Automobil, daS Gefolge 6,40 Uhr mit dem fahrplanmäßigen Schnellzuge nach Bozen, wo sie im Hotel Bristol vorläufig Wohnung nahmen. Uin das aber gleich oorauSzunehmen: die angebliche Epidemie in SeiS kann nicht schlimm sein, denn nach sorg- fälligen ärztlichen Erhebungen fuhr die Königliche Familie am Sonnabend nachmittag doch nach Salegg und kurz nach 6 Uhr verkündeten uns oben am Fuße des Rittnerhorn- Böllerschüsse, daß König Friedlich August und seine Kinder Einzug in SeiS hielten. Mein Reiseziel war diesmal der Brtoler Hof, eine Sommerfrische hoch am Ritten, 800 Meter über Waidbruck. Steil führt der Weg am rechten Ufer deS Eisack aufwärts, zunächst durch Weinberge und Kornfelder, dann durch kleine Haine, in denen uralte echte Kastanien, die gerade in vollster Blüte standen, mit ebenso alten Nußbäumen abwechselten, und schließlich hinter Barbian, daS malerisch mit seiner großen Kirche und seinen kleinen Häusern auS dem Grün der Wälder herauSlugt, durch Lärchen- und Fichtenwald nach Dreikirchen und endlich nach Briol. Frei auf einem nach Südosten oor> springenden Plateau, umgeben von duftenden Matten, die noch in vollem Frühlingsschmucke stehen, und alten Wäldern, die lauschigen Schatten bieten, liegt ! daS Anwesen, eine Dependence, um im Hoteljargon zu reden, von Dreikirchen, das sich mehr im Walde versteckt und leine so freie Aussicht bietet, wie dar! noch um 150 Meter höher liegende Briol. Von den mich wieder einmal gepackt. Jene Sehnsucht nach dem Süden, nach Sonne und Wärme, die seit den Kimbern und Teutonen so manchem deutschen Volks- stamm Not und Tod gebracht hat, jenes Sehnen, da« deutsche Kraft und deutsche Stücke in dem ver weichlichenden Süden zermürbte und un« Deutsche um das herrliche Kaisergeschlecht, die Hohenstaufen, brachte. Eine Nachtfahrt im Eisenbahncoups zählt ja nicht zu den erstrebenswerten Annehmlichkeiten. Man verfällt wohl manchmal in jenes Hindämmern, dar die Grenze bildet zwischen Wachen und Schlafen, aber jeder gröbere Stoß, jeder Pfiff der Lokomotive bringt unS wieder in die Gegenwart zurück und läßt uns da« Ende der Fahrt sehnlichst herbeiwünschen. Auf dem Bahnhofe in München, der ja lange nicht mehr dem großstädtischen Bedürfnisse genügt, dar bekannte Hasten und Jagen, Drängen und Schieben, jenes Durcheinander von Nagelschuhen und Berg- stücken, Pickel und Steigeisen, Koffern und Rucksäcken, die sämtlich nähere Bekanntschaft mit unseren Leiber- teilen suchen und die manchem zartbesaiteten Gemüt nicht gerade salonfähige Ausdrücke deS Mißbehagen! entlocken. Schließlich aber ist alles in den Wagen abteilen — zumeist natürlich in drangvoll fürchter licher Enge — verstaut und in raschem Laufe rollt der Zug gen Süden. In Rosenheim ein kurzer Halt, in Kufstein Gepäckrevlsion. Schon vor Rosenheim grüßen die Berge in die Wagenfenster, der wilde Kaiser zeigt unS seine trotzigen Höhen und bei der Einfahrt ins Tiroler Land winkt unS die Trutzburg Kufsteins, die alte Feste GeroldSeck, den Willkomm. Voll ausnehmender Höflichkeit lassen mich diesmal die österreichischen Zöllner mein Gepäck nicht öffnen. so weit wie möglich auseinander, steht Regen Aussicht, zieht sie sie mehr zusammen. Auch M ü ct e n t a n z am Abend soll ein Vorbote gutes Wetter am folgenden Tage sein. Der liebteste aller Wetterpropheten ist bekanntlich in der für bc- dcr l. altgermanische Wanderlust, jener — soll selige oder unselige — Erbe unsrer Ahnen, um die Sommersonnenwende herum auch doch, unseren Adam auf einem leidlichen Plätzchen unterzubringen. Vorher noch ein kleines Intermezzo. Ich laufe am Zuge entlang und da schaut aus dem . Türfenster eines vermeintlichen O-Zug-WagenS ein glattrasiertes Gesicht heraus, da» ich frage, ob in dem Wagen noch Platz sei. „Mit diesem Wagen können Sie nicht fahren", so in freundlichem Tone die Antwort. Mein Blick gleitet den Wagen entlang, der mir angeblich verschlossen sein soll, und ich ge- wahre dar sächsische Wappen: der Salonwagen unseres Königs. Jetzt kam mir die Erinnerung: in Glauchau war der Hofsonderzug, der die Königliche Familie nach Tirol bringen sollte, an uns vorüber- gefahren, in Hof war der Salonwagen in den fahr planmäßigen O-Zug etnrangiert worden und in München hatte der Wagen in gleicher Weise Anschluß an den Zug nach dem Süden gesunden. Und jetzt mußte König Friedrich August all die Freuden des FertenanfangeS mitgenießen; war eS ihm auch nicht um einen Platz bange, so hatte er doch schon in München eine Stunde Verspätung, in Kufstein und Innsbruck war gleichfalls längerer Aufenthalt als vor- gesehen und Waidbrück, daS Reiseziel der Königlichen Familie, wurde erst in der 5. Nachmittagstunde er- reicht. Ungeniert promenierte der König, der grauen Anzug, gelbe Stiefeln und die bequeme Rstsemütze trug, unter den Fahrgästen auf den Bahnsteigen, zunächst wohl nur von den Sachsen erkannt, bis eS ich im Zuge hcrumgesprochen hatte, welch hohe» Gast mit unS fuhr. Mit ihm stiegen überall dort, wo der Zug hielt, d'.e Prinzen und Prinzessinnen auS, erstere in grauer Reisekleidung mit kurzen Bein kleidern und schwarzen Wadenstrümpsen, letztere in weißen Blusen und blauen Röckchen, alle in frohester Laune und fröhlichster Erwartung der schönen Zett, die ihnen in den Bergen Tirols bcvorstand. Au dem Brenner nahmen die hohen Herrschaften da! Mittagessen im Speisewagen ein, und in Franzens- feste verabschiedete sich der König von den Seinen, va er nach Bruneck fuhr, um in der dortigen Gegend zunächst einige Touren zu unternehmen. Ein Bild lieblichsten Familienlebens war e», wie auf dem Bahnsteig die Prlnzeßchen den Vater umdrängten, der von seinem Kuchen, den er sich am Bahnhofs- Buffet zum Kaffee hatte geben lassen, jedem der Mädchen ein Stück abgab. Vater und Kinder winkten einander noch einmal froh zu, die Taschentücher flatterten und fort ging eS nach dem Süden. Sächsisches. — „Die Schwalben fliegen so n i e d- r i g," klagt so mancher, denn er weiß, daß dann in Kürze Regen kommen wird. Fliegen die Schwalben dagegen hoch, ist gutes Wetter zu erwarten. So ist das lustige Schwalbenvolk eigent lich der beste Barometer, zuverlässig und immer bei der Hand, denn man braucht nur einen Blick ins Freie zu tun, um Schwalben schießen zu sehen. Für den Arrsflügler, der in den jetzigen Ferien- iagcn das höchste Interesse für Wctterknnde besitzt, gibt es aber noch andere Wetterpropheten der Ra Dir letzte« Tage von Messt««. Roman von Erich Friesen. s16 (Nachdruck veiboten.) Soll sie Dr. Röder rufen? Dann müßte sie den Kranken aufs neue allein lassen. Und wer weiß, >vas inzwischen wieder passiert! . . . Oder Ber nardo Morgan» zu Dr. Röder schicken? Der alte Mann würde sich in den Straßen gar nicht zurecht finden. Was tun? . . . Zweifelnd blickt sie auf Orlando, dessen fieber hafte Unruhe von Sekunde zu Sekunde zunimmt. Jetzt ist es ihm gelungen, sich vom Bettrand zu erheben. Mit verzweifelter Anstrengung macht er einige Schritte — schwankend, zwar; aber — es geht. Voll Entsetzen beobachtet Pia, wie er ans die Tür zufchreitct. „Nicht hinaus! Es könnte Ihr Tod sein!" ruft sie, ihn am Arni packend. Orlando bleibt stehen. Ein Paar todestrau riger Augen blickt in die ihren — so voller Ver zweiflung, daß Pias weiches Herz von innigstem Mitleidcn gepackt wird. „Signorina —" sagt er matt — „ich weiß nicht, wer Sie sind! Aber — ich beschwöre Sie: Helsen Sie mir, aus diesem Hause fortzukommcn! Schas sen Sie mich irgendwo hin! Ins Hospital! In ein finsteres Loch! Was liegt daran, wenn ich sterbe! . . . Nur fort! Fort!!" Mit der den Krankenpflegerinnen eigenen ruhigen Ucbcrlegenheit sieht Pia ein, daß jeder Wi derspruch hier vergebens wäre. Sie nimmt sich also vor, dem armen jungen Menschen in seinem Un glück zu Helsen. Sie blickt hinaus. Draußen herrlichste Himmelsbläue. Warm scheint die gutgelaunte südliche Sonne herab auf die blü- lenschwere Frühlingspracht — alles mit neuem Leben erfüllend. „Stützen Sie sich auf mich, Signore!" Er wt's. „Und nun — langsam vortvärts!" „Wohin?" „Zu mir." „Wer sind Sie denn?" „Eine einsame mte Fran, die glücklich ist, wenn sie jemandem helfen kann." „Alte Frau?" Ein verwunderter Blick streift ihr zartes, in diesem Moment von dein Feuer hehrster Menschen liebe sanft gerötetes Antlitz. „Gleichviel," erwidert sie schnell. „Ich fühle mich alt. Kommen Sie!" Er fragt nichts mehr. Fest auf die zierliche kleine Frauengestalt gestützt, verläßt Orlando Pe- rini das Gartenhaus, ohne sich noch einmal umzu- blicken. Nicht gewahrt er, wie an einem der kleinen Fenster eine leise bebende Frauenhand den herab- gelasscncn Vorhang ein wenig beiseite schiebt, wie für einige Sekunden ein bleiches, von goldig glän zendem Lockengewirr umwalltes Mädchenantlitz sicht bar wird, das mit großen, tränendunklen Auge» dem seltsamen Paar nachblickc. Dann fällt der Vorhang wieder zusammen. 12. Kapitel. In der Dachkammer ihres .Häuschens hat Pia ihren Pflegebefohlenen untergebracht, so gut es in der Eile anging. Zwar sträubte Orlando sich zuerst, die Güte der kleinen barmherzigen Samariterin anzunehmcn. Aber er fühlte sich zu schwach, um lange zu opponieren — zumal Pia ihm sagt, sie sei einei „gute Freundin" des Dr. Röder. Der brave Arzt hatte zuerst gewettert und ge schimpft über Pias eigenmächtige Handlungsweise. Schließlich gibt auch er sich zufrieden, als er sieht, mit welch unermüdlicher Geduld die kleine Dame ihren Schützling pflegt. „Weibervolk!" knnrrt er. „Man muß ihnen ihren Willen lassen; dann hat man wenigstens Ruhe!" Iw Grunde genommen ist er ganz froh über den Gang der Dinge. Je eher Orlando aus dem Bereich der Villa Miranda hcrmnskam — uni so besser. Der arme Junge dauerte ihn von Herzen, und sein» sehnlicher Wunsch ist, ihn bald wieder auf die Beine zu bringen, damit er sich in einer anderen Stadt, womöglich in einem anderen Lande, eine neue Existenz gründet. Freilich wird Orlando ganz von vorn ansan gen müssen. Denn wie all dic andern Unglücklichen, hat auch er bei jener Messina-Katastrophe alles ver loren. Und ob er je in den Besitz auch nur eines Teils der unter den Trümmern des Palazzo Pe- rint begrabenen Wertschätze gelangen wird, ist mehr als zweifelhaft, da wahrscheinlich auch die ganze Buchführung des Bankgeschäftes Morgano u. Pe- rini, alle Legttimationspapiere und Erbschaftsdo- kumcnte verloren gegangen sind. O ungeheuerliche wirtschaftliche, soziale und juristische Wirrnisse, die jene Katastrophe nach sich ziehen wird! . . . Wie viele Millionen ruhen unter den Trüm mern und Schutthaufen! Und niemand, der sie reklamieren kann, weil alle Beweise eines Anrechtes fehlen . . . Wie viele Männer, die nicht wissen, ob ihre Frauen, wie viele Frauen, die keine Ahnung haben, ob ihre Männer noch leben! . . . Wie viele Kinder, die nie erfahren werden, wie sie heißen, wann sie geboren, wer ihre Eltern sind! . . . Wie viele bittere Seufzer und Verzwciflungs klagen werden zum Himmel aufsteigen, bis die armen Ueberlebenden jener Katastrophe sich zu neuem Leben emporschwingen oder herabstnken in dumpfe Resignation! Auch Pia wird oft von solchen Gedanken ge quält. Sie, die bereits mit dem Leben abgeschlclssen, hat ein warmes Herz behalten für die Leiden ihrer Mitmenschen, und oft füllen ihre Augen sich mit Tränen, wenn sic daran denkt, was aus dem armen Jüngling dort oben in ihrem Dachstübchen und dem bleichen Mädchen im Gartenhausc der Villa Miranda werden soll! Aus diesen beiden, noch vor wenigen Monaten so jugendfrohen Menschenkindern, vor denen die Zukunft hellsonnig ausstrahlte und die durch die Messina-Tragödie gleichfalls um ihr heißersehntcs Lebensglück gebracht wurden! Orlando hat heute zum erstenmalc für einige Stunden das Bett verlassen und ruht oben in seinem Kämmerchen im Lehnstuhl. Pia bcmcht diese Zeit, um einige notwendige häusliche Arbeiten zu erledigen, die während der letzten Tage liegen geblieben waren. Voller Sonnenschein flutet durch das weitge- öffnete Fenster herein auf das über die Arbeit ge beugte feine Fraucnantlitz. Auf der Kommode steht eine Vase mit duftenden Rosen. Ein Kanarienvogel schmettert, von Stange zu Stange hüpfend, ei» frohes Lied. Ein Bild stillen, wunschloscn Friedens. Da meldet Nina, Pias kleines Dienstmädchen, mit geheimnisvoller Miene eine ganz seine Dame. Sie wolle die Signorina sprechen. Mit der ihr eigenen sanften Gelassenheit be deutet Pia dem Mädchen, die Dame in den kleinen Salon zu führen.