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WeWn-LrWckl TUM Amtsblatt. Nr. 14«. Sonntag, den 27. Juni 1909. 1. Beilage. Der „Star' des Ktnrmatographeu. Welchen Gefahren die von Kinematographen- Gesellschaften für ihre Aufnahmen engagierten Per sonen beim „Stellen" selbst der lustigsten lebenden Bilder sich aussehen, werden Uneingeweihte kaum ahnen. Ein Beispiel dafür, wie lebensgefährlich diese Art Schauspielerei ist, lieferte dieser Tage jener tragische Vorfall bei Meudon, wo der Akro bat Othreb — so wurde hier aus Paris berichtet — bei der Probe einer komischen Wasserszene er trank. Dem gleichen Geschick entging unlängst eine transatlantische Kincmatographen-Attrtce nur mit knapper Not. Miß Florence Turner ist das ein zige weibliche Mitglied einer 13köpsigen Schau- stellertrnppe, deren Dienste ständig von der Vita- graph-Compagny in Amerika zur Aufnahme leben der Bilder in Anspruch genommen sind. Es besteht jedenfalls ein gewaltiger Unter schied zwischen der „Arbeit" einer Heroine des wirk lichen Theaters und der, die nie in eigener Per son vor das Publikum tritt, dafür aber durch ihr lebenswahres „bewegtes" Bild an zahlreichen Orten zugleicb eine schaulustige Menge ergötzt oder in spannende Aufregung versetzt. Auf den weltbedeutende» Brettern ist alles Illusion. Wenn die Heldin eines Dramas im äußersten Hintergrund der Bühne anscheinend aus dem dritten Stock eines Hauses oder von einer Klippe stürzt, läßt sie sich in Wahrheit kaum einen Meter tief, womöglich auf ein weiches Kissen sa len. Entschwindet sie nach einem künstlichen Schis bruch, an eine Plante geklammert, unserem Blic so wissen wir, daß sie auf den gemalten Wogen eines Leinwandozeans dahintreibt oder vielmehr auf ihrer auf Rollen gleitenden Planke hinter die Kulissen gezogen wird, ohne auch nur mit einem Tropfen Wasser in Berührung gekommen zu sein. Der tinematographische Apparat aber weiß mit ge malter Szenerie nichts anzufangen. Er fordert un eingeschränkten Realismus. Vorgänge auf und im Wasser müssen sich ini wirklichen nassen Element abgespielt haben, wenn sie als naturgetreue lebende Bilder ihren Zweck erfüllen sollen. Solche Auf nahmen werden vom See-, Fluß- oder Meeresufer aus „geknipst". Eine Serie, in deren Verlauf die Heldin den Sprung aus dem obersten Stockwerk eines brennenden Hauses wagt, wird in der Regel an einem unbewohnten, altersschwachen Land- oder Stadtgebäude oder einem kurz vor der Vollendung stehenden Neubau inszeniert. In einem oberen Raum des Bauwerks wird ein an sich ungefähr licher Brand entfacht. Während man es so ein richtet, daß Flammen aus dem einen Fenster schla gen, erscheint die junge Frauensperson, von dich ten Rauchschwaden umgeben, im Nahmen des Nc- benfensters, aus dem sie sich nach einigen vergeb lichen Hilferufen hinabsallen läßt; daß unten ein Sprungtuch bereitgehalten wird, schaltet keineswegs jede Gefahr aus. Der geniale Bühnenregisseur bringt mit seinen Requisiten manche Illusion zu stande, die das Auge des anspruchsvollsten Zu schauers befriedigt; der Kinematograph jedoch läßt sich nicht dazu herbei, eine Täuschung sür Wirk lichkeit zu nehmen. Er braucht durchaus reale Sze nerie, um real wirkende Bilder zu schaffen. Und so kommen die Star-Schausteller einer Kmemaio- graphen-Gesellschast Wohl des öftere» dazu, ihr Le ben aufs Spiel zu setze». Miß Turner, eine schlanke, sehr hübsche Brü nette von kau»! 19 Jahren, gehörte schon einige Zeit der wirklichen Bühne an, ehe sie als un schätzbare Kraft für die Kinematographen-Schau- stclluug „entdeckt" wurde. Im Herbst 1907 machte ihr die Gesellschaft ei» so verlockendes Angebot, daß sie sich bewege» ließ, ihren ehrgeizigen Träumen Von einer glänzenden Theaterlaufbahn zu entsagen. Heute gilt das junge Mädchen in Fachkreisen als die beste Mimiken» dieser besonderen Spezies in ganz Amerika. Mehr als einmal war die unerschrockene Schau spielerin nahe daran, zwar ungewollt, durch ein besonders kühnes Wagnis ins Jenseits zu gelan gen, wie jetzt ihr unglücklicher französischer Kollege. Geprobt werden die kineinatographischen „Freilicht- Dramen" und Komödien mit gemalter Szenerie und regulären Bühnenrcquisiten. Doch sobald die Auf nahme erfolgen soll, heißt cs hinaus ins Freie, um den wirklichen Hintergrund, die Naturstaffage, zu erhalten. Und da setzt die Gefahr ein! Zum Beispiel wurde im letzten Frühjahr, als Luft und Wasser noch lange nicht die Temperatur erreicht hatten, die ein Ozeanbad zu einer ange nehmen. Erfrischung macht, die Aufnahme zu einem Drama aus dem Küstenleben vorgcnomme». Ein junges Weib mit einem Kindchen im Arm wird nach einer Sturmnacht, aus ein paar Bootstrüm mern sestgebunden, an den Stand getrieben. Junge Fischer retten die vor Hunger nnd Kälte völlig Erschöpfte und stellen an Land Wiederbelebungs versuche an, die schließlich von Erfolg gekrönt sind. Eines trüben, granen Vormittags zog die ganze Gesellschaft in zwei vollbepackten Kremsern zum Strand des nahen Brighton. Miß Turner in zer fetzter, ärmlicher Gewandung legte sich mit einem Die Katserbegcgnung in den finnischen Schä ren sollte die unerschütterten guten Beziehungen der deutschen und deS russischen Reiches kundgeben; ste war also, so herzlich das Beisammensein der beiden Mo narchen sich gestaltete, keine bloß vertrauliche Zusam menkunft der beiden kaiserlichen Freunde, sondern ein fftzieller Staatsakt. DaS Programm dieser festlichen rageumfaßtedaher etreReihe zeremoniellerjLesucheund roßer Diners. Die beiden Monarchen besuchten Baby aus der Requisitenkammer auf das improvi sierte Floß, wurde lose angebunden und in die ziemlich starte Brandung hinausgezogen. Jedes der vier im Wasser verborgenen, von dem Floß ausgehenden Taue wurde von zwei Mann in einem Boot gehalten. Die 4 Boote mußten natür lich außerhalb der Bildgrenze bleiben. Tapfer kämpften die in dem Bilde mitwirkende» Männer in Fischertracht gegen die brandende See an, um die Schiffbrüchigen zu retten. Alles schien gut zu gehen, da sprang plötzlich einer von den zwei Männer» ei»es Bootes in den Gischt und suchte das Floß zu erreichen. Wütend rief ihm der Di rektor zu, er solle nicht die Aufnahme verderben. „Das Tarr habe ich verloren!" hallte es gellend zurück. Da kam mit er-taunlichcr Plötzlichkeit Leben und Bewegung in die vorgeblich bewußtlose Frauen gestalt. Das „Kind" herzlos beiseite werfend, stürzte sie sich in die Brandung, uni zu schwimmen. Doch der Schreck, die Kälte des Wassers und die das Wvgengebrause übertönenden Rufe der Männer mochten das junge Mädchen verwirrt habe». Der schlanke Körper versank, tauchte auf und ver- ank wieder. „Um Gott! Männer, die Boole!" schrie der Leiter des Unternehmens und rannte händeringend bis an die Knie in den schäumenden Gischt. Noch einmal erschien das bewußtlose Mädchen an der Oberfläche und zum drittenmale drohte es zu ver- inken. Da schoben sich zwölf starke Arme zugleich unter die leblose Gestalt, und ein halbes Dutzend Männer brachte sie an den Strand, wo man sie o lange hin- und herrollte, bis eine matte Stimme ragte: „Müssen wir nun alles noch einmal machen?" „Nun heute schon nicht," brummte der Di rektor, und das klang merkwürdig unsicher und be legt. Dann wurde die Gerettete in Pelze gewickelt, zu dem Apparat in den geschlossenen Wagen ge- mckt, und fort ging es zur Stadt. Miß Turner icstand daraus, sich in ihrer Ateliergardcrobe um zukleiden und auszuruhen, damit ihre Mutter nichts von dem Unfall zu erfahren brauchte. Wenige Tage später erklärte sich die beherzte Bilder-Ac- trice bereit, die Ausnahme zu der Schifsbruchs- episode wollenden zu lassen. Ihrem Chef Machte ie scherzend den Vorwurf, daß er neulich doch jätte größere Geistesgegenwart besitzen und den Apparat ruhig Weiterarbeiten lassen sollen. Die Wiederbelebungsszene wäre dann doch wirklich »a- turwahr herausgekonmum. Aber diese Szene, wie auch alles Vorangehende gelang bei der Wieder holung vortrefflich. einander wechselseitig auf ihren Jachten „Standart" und „Hohenzollern" sowie auf den Begleitschiffen. Ein glänzender Gefolge begleitete die beiden Kaiser. Doch das ganze Zeremoniell dieser höfischen und seemännischen Veranstaltungen war nur ein prunk- voller Rahmen, in dem sich der freundschaftliche Verkehr des deutschen Kaisers mit dem Zaren und seiner Familie abspielte. Komische Kinemato-Stücke werden vorher nicht so oft geprobt, wie die mehr Gefahren mit sich bringenden tragischen. Doch ereignet sich auch bei den Proben der heitersten Komödie» manches kleine Malheur. Miß Turner geht auch gouz auf in ihrem eigenartigen Beruf, und sie ist selbst ihre eigene strengste Kritikerin. Bei jeder „Neuaufführung" be findet ste sich im verdunkelten Zuschauerraum. Nicht die kleinste ungeschickte Bewegung ihres zweiten „Ich" entgeht ihrem scharfen Auge. So studiert ste beständig an sich selbst und ist ernsthaft bemüht, beim „Stellen" der nächsten Novität alle ihr aus gefallenen Unebenheiten nach Möglichkeit zu ver meiden und ihre Mimik noch wirkungsvoller aus- zugestolten. Dom Strafvollzug vor 5V Jahren. Die Klagen über „Härten deS Gesetzes" find eine stehende Rubrik in der heutigen Presse. Und doch: vor 50 Jahren hätte ein Richter kaum geglaubt, mit dem jetzigen Strafrecht überhaupt auszukommen, Treten wir einen Gang durch das „Strafgesetzbuch für daS Königreich Sachsen" an. ES ist datiert vom 11. August 1855. ES trat am 1. Oktober 1856 tu Kraft und war gegen da« vorher geltende Kri minalgesetzbuch vom Jahre 1838 bedeutend gemil dert; dennoch mutet es uns heute wie Mittelalter an. Zunächst sei nach dieser Richtung der Straf schärfungen gedacht, die gegen Rückfällige angewen det wurden. Bet rückfälligen Zuchthausgefangenen war die Strafschärfung durch hartes Lager auf 30 Tage oder Entziehung warmer Kost auf 60 Tage vorgesehen. Keine der gedachten Schärfungen durfte ununterbrochen länger als zwei Tage hintereinander vollzogen werden; er war jedoch so lange fortzu- fahren, bis wirklich 30, bezw. 60 Tage geschärfter Strafe verbüßt waren. Statt dieser Schärfungtmittel konnte aber auch löcpcrliche Züchtigung von 20 bis 60 Hieben ver- jängt werden. Die Hiebe waren mit einer am Angriffe nicht über Zoll starken Rute oder mit einer Rute von zusammengebundenen Birkenreisern entweder auf den Rücken oder auf daS Gesäß zu verabfolgen. Die körperliche Züchtigung war gleich bet der Einlieferung zu vollstrecken (im Volksmunde der sogenannte „Willkomm"). Dies« Strafschärfungen konnten bei gewissen Verbrechern, wie z. B. Verübung der Notzucht an Kindern unter 12 Jahren, auch von den Richtern ausgesprochen werden, ohne daß es der Rückfälltgkeit bedurfte. Wer nach zweimaliger Be strafung abermals zu Zuchthaus verurteilt wurde, hatte als männlicher Gefangener ein Beineisen, al« weiblicher Gefangener einen mit einer Kette am Fuße befestigten Klotz zu tragen. Dauerte die Strafe länger al« 10 Jahre, so hatte diese Schärfung sür den Rest der Strafe wegzufallen. Ein Mittelding zwischen Zuchthaus und Ge fängnis war das Arbeitshaus. Wir hierzu verur- teilt wurde, hatte bei Rückfälltgkeit ebenfalls Verschär fung durch hartes Lager und Entziehung warmer Kost zu gewärtigen. Gefängnisstrafe konnte nur durch Entziehung warmer Kost verschärft werden; doch galten zwei Tage verschärfter Gefängnisstrafe soviel wie drei Tage einfaches Gefängnis. Eine besondere Einrichtung war die Verwand lung der Gefängnisstrafe in körperliche Züchtigung. Danach konnte bei Vagabunden und Bettlern eine ihnen zuerkannte Zuchthausstrafe ganz oder teilweise in körperliche Züchtigung verwandelt werden, soweit der Gesundheitszustand solches gestattete. DaS gleiche galt für solche Gefangene, die sich einer Verletzung der Eigentumsrechte aus Eigennutz, Bosheit oder Mutwillen, oder sich der vorsätzlichen Körperverletzung oder der widernatürlichen Unzucht schuldig gemacht hatten und mehrfach rückfällig waren. ES durften jedoch nicht mehr als drei Wochen Gefängnis in körperliche Züchtigung verwandelt werden. Drei Rutenhiebe waren einem Tage einfacher Gefängnis strafe gleich zu erachten. Mit dieser Bestimmung war die körperliche Züchtigung auch in die Gefäng nisse eingeführt, und es konnten, wie im Zuchthaus, bis zu 60 Rutenhiebe verabfolgt werden, nur mit dem Unterschiede, daß sie im Gefängnis gleich ver büßten drei Wochen angesehen wurden, während im Zuchthause keine „Anrechnung" stattfand. Einige merkwürdige Bestimmungen bestanden jinsichtlich der Geldstrafen. Nicht zulässig waren sie iberhaupt gegen Gemeinschuldner und unter Vor mundschaft gestellte Verschwender. Dagegen hatte der Richter in vielen Fällen, wo das Gesetz die Geldstrafe neben der Gefängnisstrafe oder statt der selben zuließ, gegen Personen, welche in öffentlichen Aemtern stehen oder in städtischen oder ländlichen Gemeinden kommunale Ehrenämter bekleideten, nur von der Geldstrafe Gebrauch zu machen. DaS würde heute — und mit Recht — als da« bitterste Unrecht empfunden werden. Alleinige Geldstrafe war übri gens in wenigen Fällen angedroht, so einfacher Wucher, Entwendung von Kleinigkeiten und leichterer Amtsmißbrauch. In allen anderen Fällen war Geldstrafe oder Gefängnisstrafe angedroht. Zu den Absonderlichkeiten gehörte eS auch, daß die Bestrafung bei Diebstahl — sowohl bei einfachem, als „ausgezeichnetem" — nach dem Werte deS ge- stohlenen Gegenstandes erfolgte, und zwar waren drei Wertklassen vorgesehen, nämlich bis zu 10 Taler, 10—50 Taler und über 50 Taler. Diebstahl zur Nachtzeit galt stets als ein solcher mit erschwerenden Umständen, bei dem verschärfte Arbeitshaus- oder Gefängnisstrafen zulässig waren. (L. T.) Christentum imd Kirche. Htrzttiche Mission. Wie notwendig eine För derung der ärztlichen Mission, besonder« für unsere deutsche Kolonie Ostafcika ist, die auf einem Flächen raum von 995 000 qkm, also auf einem Gebiet von der doppelten Ausdehnung der Deutschen Reiche«, 8 100 000 Einwohner zählt, beweist der neueste amt liche Medizinalbericht. Für den gesamten SanitätS- dienst in Ostafrika stehen nicht mehr al« 36 Sani- tätSosfiziere zur Verfügung in den Krankenanstalten, auf den Bezirklämtern, den Nebenstellen, Milttärsta- tionen und Osstzierposten. Vier von den Aerzten waren im letzten Jahre zu wissenschaftlichen Expe ditionen abkommandiert, zwei von den SanitätSun- terosfizieren im Bureaudienst beschäftigt. Neben den beamteten Aerzten wirkten vier MisstonSärzte und zwei Privatärzte. Dabei hat Deutschostafcika meh rere größ-re Städte, wie Tabora mit 73000, Dares salam mit 24000, Udjtdjt mit 14 000 Einwohnern. Außer den kleinen Stationskrankenhäusern und öffent lichen Polikliniken auf 26 Stationen gibt eS an be deutenderen Krankenanstalten nur die in Daressalam und Tanga, das Ltenhardt-Sanotorium in Wugirt und da« Sewa-Hadji-Hospital für Farbige in Dar essalam. DaS ist außerordentlich wenig b-i den ausgedehnten Territorien, um die eS sich handelt, und angesichts der verheerenden Krankheiten — Malaria, Rückfallfieber, Pocken, Wurmkrankheit, Aus satz, Schlafkrankheit —, die ganze Gebiete für die Ansiedlung ungeeignet machen. Zahlreiche Kranke bleiben daher, trotzdem der Zudrang zu den Hospi tälern und Krankenstationen ziemlich stark ist, ohne ärztliche Behandlung. Für alle diejenigen, die an Zer Besiedlung unserer Schutzgebiete und ihrer all mählichen Angliederung an da« Mutterland ein In teresse haben, muß eS daher als eine vaterländische Pflicht erscheinen, die Bestrebungen der ärztlichen Mission zu unterstützen. Am besten geschieht dies ourch Anschluß an einen mission-ärztlichen Verein. Der MissionSärztliche Verein Leipzig versendet auf Wunsch kostenlos Aufrufe und Statuten und nimmt Beitrittserklärungen an den Schriftführer, Karoltnen- straße 17, entgegen. Der Jahresbeitrag für Mitglieder beträgt 3 Mk.