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erhoben hatten. Nach langem Sträuben und erst al« der ihn verbannende Volkibeschluß in aller Form zurückgenommen war, kehrte Calvin am 13. September 1541 in die Mitte der reu mütig seiner harrenden Stadt zurück, um sie von jetzt an nicht mehr zu verlassen. »Durch sein Wirken bis 1564 hat er ihr religiös und po litisch das Siegel seiner gewaltigen Geistes so tief eingedrückt, daß Jahrhunderte nicht vermocht haben, die Spuren zu verwischen". Sin Bußtag eröffnete seine erneute Wirksamkeit und sogleich traf er die ihm nötig erscheinenden Veranstal- tungen zur Organisation der Gemeinde. Da«, was Talwn« Seele erfüllte, war eine Theokratie (GotteSherrschafl) im evangelischen Geiste; das ganze öffentliche Leben soll im Dienst Gotte« sein. Alle weltlichen Beschäftigungen sind, soweit nicht die Notdurft des Lebens sie fordert, aus geschlossen, ausgeschlossen alle weltlichen Ver gnügungen. Alles, waS der Mensch tut, soll zur Ehre und Verherrlichung GotteS dienen. Der Mittelpunkt deS Ktrchenwesen«, ja deS ganzen öffentlichen Lebens, ist die Reinhaltung der Altars, daß daS heilige Abendmahl von wirklich Gchetltgten gefeiert werde. Dazu dient die strengste Kirchenzucht, die durch die Zucht deS Staat« unterstützt wird. Staat und Kirche haben nur einen Zweck: da« Reich Gotte« in einer heiligen Gemeinde zu verwirklichen zur Shre Gorte«. Wer nicht zu dieser Gemeinde der Hei- ltgen gehört, hat auch kein politische« Recht. Gotte«läfterung wird mit dem Tode bestraft, ebenso den Eltern fluchen oder sie schlagen. Diebstahl wird mit Verlust der Freiheit geahndet, Unzucht aber sehr hart und Ehebruch mit dem Tode gebüßt. Die oberste kirchliche Behörde, da« Konsistorium, bildete ein au« 6 Geistlichen und 12 Aeltesten, bejahrten und achtbaren Männern, die jährlich gewählt wurden, zusammengesetzte Kirchenrat, dessen Präsident Talvin war. Für die «rmen- und Krankenpflege sorgten neben den Geistlichen, besonder« Diakons al« Gemeinde- beamten. — Auch dem Schulwesen wendete Talvin sein Interesse zu. Er gründete bald nach seiner Rückkehr eine Hochschule, an der er seit 1541 öffentliche Vorlesungen hielt, au« denen die meisten seiner berühmten Erklärungen der heiligen Schrift hervorgegangen sind. Uebrigen« ist die schriftstellerische Tätigkeit Calvin« so um fangreich, daß man meinen könnte, sie hätte allein ein lange« Leben in der Studierstube auS- gefüllt. Und doch scheint er sein ruhige« Stünd chen gehabt zu haben, wenn man seiner rast- losen, endlosen, verschiedenartigften Arbeiten gedenkt, die ihn hinaus in den öffentlichen Wirkungskreis zogen; die Leitung de« Konsisto riums, da« Sittengericht, die Predigerversamm lungen, die Seelsorge in Genf und in weiten Kreisen, sein Gutachten in Angelegenheiten de« Staate- und andere Städte und Kirchen, die theologischen Vorlesungen, die sonntäglichen und Wochenpredigten, dazu der ausgedehnte Brief- wechsel und der rege persönliche Verkehr mit den in Genf zusammenströmenden Fremden usw. — Man wird der fast übermäßigen Schaffenskraft dieser eisernen Manne« seine Bewunderung nicht versagen können, zumal wenn man bedenkt, daß dieser große Geist in einem gar zarten und zer brechlichen Körper wohnte. Seit 1562 steigerte sich sein körperliche« Leiden fast in'« Unerträg liche; seine Füße waren gelähmt durch die Gicht, Kolik und Steinleiden plagten ihn unablässig. Aber von den geistlichen Arbeiten ließ er nicht ab. Am 6. Februar 1564 hielt er seine letzte Predigt. In die Versammlung ließ er sich am 31. März zuletzt tragen. Am 24. März hatte er vom Konsistorium und am 27. März vom Senat im Sitzungszimmer de« Rathauses bewegt Abschied genommen. Am 2. April, am Oster- tage, empfing er auS SilzaS Hand noch einmal im GotteShause das heilige Abendmahl und stimmte beim Schlußgesang, obgleich mit zittern- der Stimme, in da« Lied der Gemeinde ein: »Herr, nun läflest du deinen Diener in Frieden fahren". Nachdem er am 28. April die Prediger der Stadt und am 30. April den Rat um sein Sterbelager versammelt und den Regenten und Lehrern der Gemeinde für alle empfangene Liebe gedankt und sie in tiefer Demut um Vergebung wegen seiner »oftmals ungezügelten Heftigkeit" gebeten hatte, waren seine letzten Lebenslage fast ununterbrochenes Gebet, leise Seufzer in Worten der Schrift lösten sich von seinen Lippen; seine Augen waren beständig zum Himmel gerichtet. Am 27. Mai abends 8 Uhr entschlief er, bis zum letzten Augenblick klaren Geistes, sanft und ruhig, in einem Alter von 54 Jahren 10 Mo- naten 19 Tagen. Lie christliche Lehre vom Anstand nach dem Tode. 4) Göttliche Wahrheiten leuchten dem Menschen nur soweit ein, als er sich ihnen in seinem Wandel und Leben hingibt und ihnen das innerste Herz öffnet. Sie wollen nicht bloß gelernt, sie wollen erfahren sein, um erkannt zu werden. Je mehr du der Ewigkeit in dir Raum gibst, je mehr du für die Ewigkeit lebst, desto tiefer und fester dringt sie in dich ein und bezeugt sich dir in unmittelbarster Berührung mit deinem Herzen. Aber ein Mensch, der von der Ewigkeit nichts Gute« zu hoffen hat, für dessen irdischen Sinn sie keinen Reiz, für dessen gottloser Herz sie nur Schrecken hat, war kann er anders tun, als sie leugnen? Ihm Helsen auch alle Gründe deS Verstandes, alle noch so scharffinnigen Be weise nicht. In geistlichen Dingen gelten dem Menschen alle Beweise nur soviel, alr er sie gelten lassen will. Ist er dir ungewiß, ob er einen Gott gibt, der Gebete erhört, fange an zu beten, wie Gott e« will, und du sollst er erfahren. Schwankst du, ob ein lebendiger Christus, der auS dem Grabe auferstand, zur Rechten deS himmlischen VaterS sitzt, wende dich zu Ihm mühselig und beladen, und du sollst eS bald aur eigenstem Erleben bezeugen können, daß Er lebt und Macht hat, Leben zu geben. Kannst du zu keiner festen Ueberzeugung über dar ewige Leben gelangen, laß die Ewigkeit, die Gott in dein Herz gesenkr hat, zur Herrschaft kommen; erlaube eS dem Geiste GotteS, daß Er dich bekehre und dem edlen Sklaven, der in dir ist, die Freiheit schenke; erfahre die Kräfte de« ewigen Lebens in Buße und Glaube, in Wiedergeburt und Heiligung, lebe in der Gemeinschaft mit dem heiligen Gott durch Jesum Christum, liebe, lobe, heilige Seinen Namen durch Wort und Wandel: und e« ist undenkbar, daß deine Ungewißheit nicht der seligsten Gewißheit, deine Zweifel nicht der festesten Hoffnung weichen sollten. Ein Kind kann e« fassen: Eine Gemein schaft so inniger Art, wie sie Gott mit dem Menschen durch Christum eingeht, kann unmög lich auf wenige Jahre berechnet sein. Er ver leiht Seinen Kindern Seinen Frieden; Er ver- kehrt mit ihnen wie ein Vater; Er sorgt für sie in großen wie in kleinen Dingen; Er steht mit Die Unsterblichkeit de» Mensche«, ihnen in einem Bund der Treue und Liebe, zärtlicher, umfassender, denn irgend eine Freund schaft auf Erden gefunden wird. Ist eS da nicht geradezu widersinnig, zu meinen, daS alles gelte für höchstens siebzig, achtzig Jahre, und danach verlösche der Mensch wie ein Licht, der selbe Mensch, der Gott so nahestand, und dem Gott selber so nahestand? WaS wäre daS für eine Liebe, die solch ein inniges Band der Herzen zerreißen ließe, wenn sie doch Macht hat, eS festzuhalten für immer I Von welcher Gesinnung würde eS doch zeugen, ein so kurzlebiges Wesen, wie eS der Mensch ist, mit den tiefsten göttlichen Gedanken zu behelligen, von denen ihm doch schließlich nicht« verbleibt al« eine leere Hoff nung, die im Tode zerflattert, nachdem sie eine Reihe von Jahren ein täuschende« Spiel mit ihm getrieben hat! Al« Kolumbu«, der Entdecker Ametikas, den Küsten der gesuchten Lande« nahe war, da schwammen ihm Treibhölzer, Pflanzen und Früchte entgegen, wie sie Europa nicht aufzu weisen hatte. Er schloß daraus, daß die Ufer einer neuen Welt ihm nicht mehr ferne sein, und daß er ihnen zutreibe. Hat er sich geirrt? Nun wohl, geradeso verfährt der Christ. Wenn sich in seiner Brust Kräfte regen, die sich aus dieser Welt der Sünde und Ohnmacht nicht er klären lassen, wenn der Hauch göttlicher Er- barmung ihm die Erstlinge deS Geistes zutreibt, und r« ihn wie Himmelslust umweht, soll er dann nicht auch ein Recht haben, zu schließen, daß die Gestade seiner wahren Heimat, die er geahnt und gesucht hat, nahe sind, daß er ihnen entgegeneile auf den Wogen der Zeit, um bald zu ihnen emporzusteigen? Wird er sich irren? So wenig, als Kolumbus sich irrte bei der Ent deckung der neuen Welt. In diesem Sinne können wir uns den Ausspruch Göthes aueignen, daß »kein tüchtiger Mann je an seiner Fort dauer gezweifelt habe", nur daß wir mit dem Apostel Paulus hinzufügen: »Daß wir tüchtig sind, ist von Sott". Er hat unS tüchtig ge- macht zu dem Erbteil der Heiligen im Lichte". S. Die Auferstehung deS Leiber. Daß der Mensch sortlebt, auch wenn er stirbt, ist wichtig für ihn. Aber wie er fortlebt, ist noch wichtiger. DaS bloße Fortlebe» ist ein Trost von sehr zweifelhaftem Werte. ES kommt alles darauf an, war dar für ein Zustand sei, in den unS der Tod hinüberführt. Haben wir in ihm mehr oder weniger, als dieses irdische Dasein unS bietet? Er ist eine der tiessten und bedeutungS- vollsten Wahrheiten, welche uns aus der Heiligen Schrift entgegentrttt, daß diese, je Heller das Licht der Offenbarung in ihr scheint, desto be- stimmter nicht die Unsterblichkeit der Seele allein, sondern dis deS ganzen Menschen nach Leib und Seele lehrt. Freilich sollte sich nach GotteS Plan die Hoffnung auf ein ewiges Leben erst allmählich im alten Bunde zu größerer Wahr heit und Klarheit durchringen. Darum verharrt Israel in seiner oorprophetischen Zeit im wesent lichen bei jenen Vorstellungen vom Zustande nach dem Tode, auf die wir auch bei anderen Völkern deS Altertums wie bet Griechen und Römern stoßen. Die Seele, die im Tode ihres Leibes beraubt wird, fällt danach einem trüben, schattenhaften Dasein anheim. Aber nicht lange, und in das Dunkel dieser Anschauungen fallen trostreiche Lichtblicke hinein. Im 17. Psalm im 15. Verse erhebt sich David zu der Zuversicht: »Ich aber will schauen Dein Antlitz in Gerech- tigkeit; ich will satt werden, wenn ich erwache nach Deinem Bilde". In gleicher Weise enthält Psalm 16, 10 die Erwartung: .Du wirst meine Seele nicht in der Hölle lasten und nicht zu- geben, daß Dein Heiliger verwese". Viel bestimmter als in der oorprophetischen Zeit Israels tritt unS bei den Propheten in unzweideutigen, wenn auch nur vereinzelten Aussprüchen die Hoffnung auf eine Auferstehung de« Leibe« entgegen. Ja, der Prophet Daniel bezeugt nicht bloß die Auferstehung der From- men, sondern aller Menschen: »Und viele" »so unter der Erde schlafen liegen, werden auf- wachen; etliche zum ewigen Leben, etliche zur ewigen Schmach und Schande". In reinerer Gestalt und voller Klarheit leuchtet unS dieselbe Hoffnung au« dem Neuen