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WsleiMiWler WlilM Amtsblatt. Nr. 78. Sonntag, den 4. April 1909. I. Beilage. c Des Palmtags heil'ger Frieden. «»<»» Oyorir tvenn Dir ein Karfreitag kommt, Mut und Gottoertrau'n erschlaffe». stark des Glaubens Schild; fest nur in den Händen, daß Dein Gokt nicht mehr. Es deckt Dich Hältst Du ihn So fühlst Du, Daß, Nicht Wie friedlich ruht die ganze Welt, Und „Hosianna" rusis hernieder Von jeder Kanzel — „Davids Sohn, O Heiland, kehr' uns heute wieder!" Das alte, wundersame Bild Ersteht aus längst vergang'nen Tagen: Im Geiste seh'n den Herrn der Welt Vom schlichten Lasttier wir getragen; Ein Festtag ists fürs deutsche Heim, Wenn des Palmsonntags Glocken schatten Und frommbewegt zum Gotteshaus Die jungen Christen freudig wallen; Sie fühlen still: Es naht der Herr, Palmzweige liegen aus den Wegen, Und wie einst nach Jerusalem, So kommt er heute noch zum Segen. Gedenke dessen, junger Christ! Auch Dir wird uach des Palmtags Frieden Im wilden Kampf und Drang der Welt, Wie jedem noch, Dein Kreuz beschieden; Und daß Du mutig tragen magst, Empfange Rüstung heut und Waffen, Als Du an Leid erträgst, will senden; Noch keiner, der auf ihn vertraut, Ward wie ein schwaches Rohr zerbrochen, Es kam noch stet« ein Osterfest Auch nach den bangsten Leidenswochen. ) -Xr? So schreite hin bei Orgelschall, Nimm von des Herren Hochaltars Den Segen in die Welt hinaus, Daß er Dich führe, stärke, wahre! Und tobt das Leben um Dich Her, Dir bleibt, wen Du nur willst, beschieden In Deiner Seele tiefstem Grund - h - Die Menge jauchzet um ihn her, Die Kinderhände streu'n ihm Palmen, Es preist des Volkes Ruf ihn laut In hundcrtstimmigen Jubelpsalmen — Doch bald verklang das Festgeiön, Und unsre Seelen saßt ein Schauer: Hoch ragt das Kreuz auf Golgatha, Und Tage kamen tiefer Trauer. rinnen Helle, heiße Tränen der Freude und des gehen als Begleiter gute Geister. Sie kennen die Schwä- daß sie diese sich zu Helden wählen. Er weist Mutterhand, die zitternd und bebend, segnend und ihre Kinder aufgezogen. schirmend auf dem Haupte lag. Palmensonntags- chen und Fehler derselben, aber auch die guten ihnen die zdeale, die sich als die Jungbrunnen Feier Zugend aber ohne Treue ist Er ist Gott und Menschen Leben zeigt mit seinen Aufgaben seits aber sitzen die Eltern, und Frühling, wandeln der ein träume. Aber er ist auch ein Tag des Trostes und der Freude, dieser Sonntag. Und nicht in letzter Linie ist der Palmsonntag eilt Tag der Treu«, die unsre Konfirmanden an ihm geloben sollen gegen wie das Jahr ohne Frühling, öde und kalt, früh reif und frühalt. O, daß unser Volk und unser werdendes Geschlecht genese und erstarke im Lenz borne lebendiger Palmeusonnkagstreue! DaS ist der aufrichtige Wunsch, der heilte unsrer Kousirmandenjugend überall entgegenhallt und sie begleitet! Und wie bisher die Bewohner unseres Landes sich durch Treue in Charakter und Han deln auszeichneien, so mag auch der Nachwuchs es den Eltern nachtun und am Tage der Konfirma- mation ans's neue geloben: Alt sächsische Treue gegen Gott u nd Me n scheu Seiten. Heute sind die Kinder den Ihren wie eine einzige lachende Au, ein sprossender Früh ling! lichster Liebe, begeistert für alles Große und Reif aus dem Haupte liegt, suchen mit der Seele i m merdar und allesort ! Wie draußen in der Well jetzt trotz alle» noch ziemlich winterlichen Treibens der Frühling das Recht auf die Zukunft hat, so mahnt uns der heutige Tag auch an diejenigen Mitglieder der Menschheit, denen ebenfalls das Recht auf die Zu kunft gebührt, die gewissermassen den sprossenden Mcnschenfrühling verkörpern! Das ist unsere Ju gend und vornehmlich jene, die am heutigen Tage ins Gotteshaus tritt, um die Weihe der Konfirma tion zu erhalten. Fürwahr, so lieblich auch immer die Frühlingskinder in Garten und Flur sein mö gen, Schneeglöckchen im frostigen Weißen Kleid, Himmelsschlüssel ini leuchtenden Gold, Veilchen in ihrer Demut, Vergißmeinnicht in ihrer Armut — die Knospe eines Menschenlebens können sie allzu- mal nicht übertreffen. In ihr schlummern tausend schönste Kräfte, ein ganzer Himmel, eine ganze Ewigkeit. Und wie ein sprossender Frühling zieht diese neue Jugend jetzt ein in die altehrwürdige Kirche, gegrüßt von Orgelschall und von der Er wartung der Gemeinde. Hell klingt überall der Ge sang der jugendlichen Stimmen. Und auf den Wangen erblühen die Rosen, in den Augen ent zünden sich die Lichter, wie der Geistliche mit sei nem Wort aus lichte Höhen führt nnd das weite und Zielen. Ab- Schöne sah. Wohl ihm, wenn geistcsmächtigc Leh- Wieder, Ivas sie einst daheim gelassen: das Hei- aus ihren Augen rer über sein Herz Gewalt gewannen! Mit ihm matskirchlein. in dem sie sonnenglanzumflutel vor . Der Geistliche dem Altäre bekennend und gelobend standen, — für die Menschheit erwiesen haben. Den Stolzes. Sie gedenken an all ihre Mühen, Arbei- am Altar ringt in großer Stunde noch einmal um den Vatermund, der beim Scheiden mit tränener- ten, Sorgen und Opfer, mit und unter denen sie die Seelen. Er zeigt ihnen die Größten der Erde, stickter Stimme das letzte Mahnwort sprach, — di« der sich vor ihm niedergelassen, will er zu unvergänglichem Frühling. Aber auch sie wird, wie den Frühling iu der! Und kein Tag ist gut geeigneter zur Natur, der Nachtfrost befallen! Die Versuchungen »onfirmation als der Palmsonntag. des Lebens werde» über sie kommen nnd wohl Tag der Träume, — sehender und sinnender, ah- ihncn, wen» sie gerüstet sind nnd gefeit gegen dienender nnd gemahnender Träume. Schon des wie- Lockungen der Sünde. Es ist die furchtbare An- Versehrenden Lenzes scheues, verhaltenes Wehen und klage gegen unsere Zeit: sie trage die schlaffen, ab-/Weben führt die Seele in das Knospeilland der gelebten Züge der Greisenhaftigkeit. Es ist das! Träume; und die zitternde» Klänge der Einseg-! Gräßlichste, was über die Jugend gesagt werden nnngsglocken zaubern vor die nach inne» gerich- kann: sie sei vielfach nicht frisch und froh, sondern tetc» Auge» seltsame, schleierumwobene Bilder, blasiert nnd welk und übeZättigt. Wohl einem'Die jungen Seelen, die jetzt flügge nnd heimflüch- Kind, dem das Ettenihaus mit seinem täglichen Zig werden, dichte», träumen nnd fabulieren von Lebe» nur das beste Bild und Vorbild bot! Wohl dem güldenen Lande jenseits der heimischen Gc-I ihm, wenn's Eltern und Geschwister nur treu und'markung, von den leuchtenden Hallen des Glückes, fleißig, gewissenhaft und redlich, verbunden in Herz-'die sich ihnen jetzt öffnen. Die Alten aber, denen; Kätzchen. Eine Palmsonntagsgeschichte von Annette von Bülow (Nachdruck verboten.) Die Einsegnungsfeier war zu Ende. Die Kirchtüren taien sich auf, und eine Schar Kon firmandinnen zog in würdiger Prozession ins Freie. Atte waren sie geschmückt; aber die Gesich ter blieben ernst. Ergriffen von der weihevollen Feier, aber mehr noch, weil es für die meisten jetzt galt, Abschied zu nehmen von, Elternhaus«, nm dann in' Dienst zu gehen. Denn Georgenhain ist ein armes Dorf. Keine Großbauern wohnen dort, nur kleine Häusler. Die Schar teilte sich in Gruppen. Nur Hed wig Becker sonderte sich ab von den Gespielinnen und eilte einen von der Straße abgehenden Feld weg hinan. Sie mutzte ihre Patin besuchen, die krank lag und doch ihr Patenkind an seinem Eh rentage sehen wollte. Als Hedwig in das kleine Stübchen trat, lench- teicn die müden Augen der Greisin hell auf. „DaS ist recht, mein Töchterchen, datz Du gleich zu mir gekommen bist. Wie hübsch Du bist in dem schwarzen Kleid." Und ihre abgezehrt gelbe Hand fuhr liebko send über das volle, blonde Haar des Mädchens. Da ging die Tür auf und herein trat der Enkelsohn der alten Frau, Es war ein toilder trotziger Bursche, der seiner Großmutter viele Sor gen machte. Klug und geschickt, war er infolge der fehlenden straffen Erziehung — beide Eltern waren gestorben — eigensinnig und etwas boshaft geworden. Hedwig halte er ins Herz geschloffen, obschon diese von ihm nichts wissen wollte. Ihrem sanfte,' Sinn widerstrebte der wilde Knabe, der Vogel nester ausnahm und Käfer und Frösche quälte. Gustavs Gesicht strahlte, als er Hedwig er blickte. In den Händen hielt er einen Buschen von Weidenkätzchen, die silbern von den graugrünen Zweige» schimmerten. Er hielt si« ihr hin. „Da, die schenk ich Dir." Aber Hedwig wollte nicht. „Von Dir nehme ich keine Blumen oder Pal- menkützchen. Erst gestern hast Du den alte» Peter in, Teich ertränkt. Wenn ich da an meine beiden süßen Kätzchen denke, datz deiien auch vielleicht «in böier Mensch was zu Leide tun könnte." „Also ich bin böse?" „Ja." Gustav lachte verächtlich, schob die Hände in die Hosentasche» und ging pfeifend hinaus. Die Kätzchen Ivars er in de» Kohlcnkasteu. „Es ist ein Kreuz mit dem Jungen", sagte die alte Frau. „Bis der einmal verständig wird." — Von der Patt» aus ging Hedwig nach Hause und dann, nachdem das Mittagmahl beendet war, ziun Pfarrer, der nach alter Sitte am Palmsonn tag-Nachmitlag die Mädchen bei sich vereinigte. Es wurde Kaffee getrunken und dann ein Spaziergang durch die frühlingsfrohe Natur gemacht. Als Hedwig am frühen Abend wieder nach Hause kam, tnig sie euren großen Strauß selbst- gcpflllckter Palmkätzchen. Ihr erster Gang war zu ihren beiden Lieblingen, ihnen die Abcndmilch zu bringen. Doch sie waren nicht zu finden. Wie Hedwig auch rief und lockte — sie blieben ver schwunden Doch auf einmal war eS ihr, als hörte sie die alte Katze jämmerlich miauen. Das kam aus dem Schuppen »eben den, Hause. Schnell ergriff Hed wig ein Licht und eilte hinein. An der wetßge- kalkten Wand hingen an zwei Haken die beiden kleinen Kätzchen. Tot. Und unten schrie die Mutter, „ Hedwig überkam ein Schwtndelgefühl. Der ganze Schuppe» dichte sich rund um sie. Mit eine» schrillen Schrei brach sie zusammen. So fand sic der Vater. Ani ander» Tage kam Gustav, um Abbitte zu leisten. Schlecht war er nicht; die Worte Hedwigs hatte» jhii z» dem schlechten Streiche gereizt. Aber mit Abscheu floh Hedwig vor ihm Die Jahre vergingen. Gustav war in die Ferne gezogen und hatte Balltechnik studiert. Als ein tüchtiger Architekt kehrte er zurück. Hedwigs Mutter war gestorben und wurde am Palm sonntag beerdigt. Am frühen Morgen kam Gustav sein Beileid auszusprccheu. Er fand Hedwig schöner den» je und die Kuabeuneigung entflammte zu heißer Liebe. Mit warmen Worten sprach er auf sie ein; aber sie hörte nicht auf ihn, Vor ihr auf dem Tische lag ein Buschen Weidenzweige mit silberweiße» Kätz chen. Und bei dem Klang seiner Stimme trat ihr der unvergeßliche Anblick vor die Augen, da sie iu dem Schuppen stand und vor ihr die beiden loten Kätzchen. Aus Hedwigs verweinten Augen rannen neue Tränen. Nur kurz und leise erwi derte sie den Abschiedsgruß Gustavs. Sie konnte nicht vergessen. Gustavs Herz lohte in Hellen Flammen. Hed wig oder keine. Ungestüm und Eigensinn waren in ihn noch ebenso lebendig wie früher. Er mußte sie erringen. Er nutzte die wenigen Tage seines Besuches in der Heimat — die Großmutter lag schon fast zwei Jahre unter kühlem Rasen — aus, uni Hed wigs Vater sich gewogen zu machen. Der war von dem Architekten und dessen gutem Einkommen ganz begeistert. Eine Heirat der beiden Paßte ihm vor trefflich, Besonders da Hedwigs Herz dem blonden Schlotzinspcktor gehülste, der aber katholisch war. Es setzte heiße Kämpfe. Doch Hedlvigs weiches Herz mit dem so festgeprägten Austoritätsgefühl kannte nicht lange Widerstand leisten gegen die Bitten und Drohungen des Vaters. Als auch der Pfarrer'noch Gustavs Partei nahm, willigte sie ei» u«d entsagte ihrer Liebe. Sie wurde Gustavs Braut. — — Wieder war es Palmsomitag geworden. In acht Tagen sollte Hochzeit sein. Hedwig saß am Fenster ihres Stübchens und blickte auf die Straße hinab. Da kamen Konfirmandinnen geschritten, gruppenweise. Gerade wie damals, als auch sie den weihevollen Tag miterlebte. Sic mußte au die Patin denken. An die gute alte Frau, deren Souncuscheiu sie gewesen. Hed wig fühlte sich getrieben, sie heute zu besuche». Es war ei» goldiger Frühlingstag. In der alten Dorflinde sang nnd jubilierte ein Völckchen gefie derter Sänger. Hedwig schlug den Weg zum Friedhos ein. Nahe beim Eingänge stand eine Weide, deren Kätz chen ihr entgegenschimmerten. Hedwig pflückte einige Zweige und trat dann hin zu dem Grabe, in dem die gute Patin den letzte» Schlaf schlief Sorgsam legte sie die Weidenkätzchen in das grü nende Gesträuch auf dem Grabe, daim sank sie auf die Knie. Ihr war so weh »ms Herz. D«r Sonnenschein ringsum war nicht für sie. Und der Vögelein Sang War ihr traunge Weise. Ihr graute vor Gustav. Wohl schalt st« sich kindisch, daß sie den Knabenstreich nicht vergab und vergast Aber sie konnte nicht. Ein heißes Gebet rang sich über ihre Lippen. „Lalssc den Kelch an mir vorübcrgehen — doch nicht mein, sondern dein Wille geschehe!" — — — Als Hedwig wieder zu Hause anlangte und in die Stube trat, stand dort der Vater. Mit irrem Lächeln starrte er auf ein Papier, das er in der Hand hielt. Beim Eintreten der Tochter wandte er den Kopf und reichte ihr die Depesche hin. — Gustav abgestürzt. Tot