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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 24.01.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-01-24
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190801247
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19080124
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19080124
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-01
- Tag 1908-01-24
-
Monat
1908-01
-
Jahr
1908
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 24.01.1908
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k Amtsblatt für SW. Rktsßmiht uni i>en Ltaitrat zu Huhtnfttin-ßniWal. H. Anzeiger für Hohenstein Ernstthal, Oberlungwitz, Gersdorf, Hermsdorf, Bernsdorf. Meinsdorf, Langenberg Falken, Reichenbach, Callenberg, Langenchursdorf, Grumbach TOM' heim, Kuhschnappel, Wüstenbrand, Grüna, Mittelbach, Ursprung, Kirchberg, Luguu, Eni..eh, Plcißa, Rußdorf, St. Egidien, Hiittengrund u. s. w. Erscheint jeden Wochentag abends für den folgenden Tag und kostet durch die Austräger das Vierteljahr Mk. 1.55, durch die Post bezogen Mk. 1.92 frei ins Haus. Fernsprecher Nr. 11. Inserate nehmen außer der Geschäftsstelle auch die Austräger auf dem Lande entgehn, auch befördern die Annoncen-Expeditionen solche zu Originalpreisen Ar. W »chntstraß, »r. »1. Zreitaz, den rq. Januar WS. SS. Jahrg. Das Wichtigste. * ) Der Reichstag füllte seine ganze gestrige, bis zum Abend ausgedehnte Sitzung mit der ve- sprechung der sozialdemokratischen Inter pellation über die Gestaltung des preußischen Wahlrechts aus. * Der erste Offizier des aufgelaufenen Kreuzers „Scharnhorst", Korvettenkapitän von Levetzow, wurde seiner Stellung enthoben. * * ) In Braunschweig wurden gestern sozialdemokratische Wahlrechtsdemon strationen veranstaltet. * * ) Im Kölner PeterS-Prozeß wurde gestern das Urteil gesprochen: von Bennigsen erhielt 100 Mark Geldstrafe oder 20 Tage Haft, Brügge mann wurde freigesprochen. * Das Divisionsgericht in Insterburg ver urteilte den Feldwebel Mielke vom 4. Grenadier- Regiment wegen Soldatenmißhandlung in 280 Fällen zu 9 Monaten Gefängnis. * In Petersburg ging gestern das Gerückt, auf das Zarenpaar sei ein Attentat verübt worden. In ZarSkoje Sselo wurden mehrere Hof bedienstete verhaftet. * General Kuropatkin soll im Stössel- Prozeß wissentlich falsche Aussagen gemacht haben und deshalb ebenfalls dem Kriegsgericht übergeben werden. * Die englische Regierung üeschloß, in diesem Jahre hauptsächlich Kreuzer und Tor pedobootzerstörer zu bauen, den Bau von Schlachtschiffen aber auf nächstes Jahr zu verschieben. * Die Eisenbahnkatastrophe in Aqua- b «lla bei Mailand, bei der drei Züge zusammen- stießen, wird darauf zurückgeführt, daß die beiden Kabinenbeamten betrunken waren. Von den 40 Verletzten liegen 4 im Sterben. * * ) Der D a m p f e r „A m st e r d a m" der Linie Harwich—Hoek van Holland, ein Schwester- schiff der „Berlin", stieß gestern vormittag bet Nieuwe Waterweg mit dem Dampfer „Axminster" zusammen und erhielt ein Leck. Die Passagiere wurden größten teils gelandet. * Der bulgarische Ministerpräsident Gudow überreichte dem Fürsten die Demission des Kabinetts. Der Fürst betraute bis zur Lösung der Krise das gegenwärtige Ministerum mit der Fortführung der Geschäfte. * *) Der Gouverneur von New-Uork, Mr. Hughes, hat seine Präsidentschaftskandidatur an gekündigt. *) Näheres an andere' Stelle Sächsischer Landtag. Erste Kammer. 14. öffentliche Sitzung vom 22. Januar. Oberbürgermeister Beutler verliest die stän dische Schrift über das Königl. Dekret Nr. 1b, die Errichtung eines Amtsgerichts i« Kötzfchen- brsda, die einstimmig genehmigt wird. StaatSminister a. D. p. Metzsch berichtet über das Königl. Dekret Nr. 9, den Entwurf eines Ge setze«, das Kirchengesetz über die Verbindung aus- wärtiger Kirchgemeinden und Geistlicher mit der evangelisch-lutherischen Landeskirche des Königreichs Sachsen betr. Die kirchliche Versorgung der aus wärtigen Kirchgemeinden und Geistlichen sei ein dauernde- Bedürfnis. Die Deputation schließt sich in allen Punkten der Deputation der Zweiten Kammer an und empfiehlt, den Entwurf anzu- nehmen. Nach warmen befürworteten Worten deS Obec- hofpredigerS v. Ackerman« und Geh. Kirchenrat Ö. Pa«k nimmt die Kammer den Gesetzentwurf einstimmig an. Frhr. v. Koenneritz berichtet über die Pe tition deS BergdirektorS a. D. Fedor Röder in Belgershain um Gewährung einer Entschädigung für angeblich erlittene Wasserschäden auS dem Jahre 1897, und beantragt, die Petition auf sich be ruhen zu lassen, waS die Kammer einstimmig be schließt. Zum Schluß zeigt Kammerherr v. Sch-nherg an, daß die Petition Aug. MeierS in Nieder- zwönitz für unzulässig zu erklären sei, waS ebenfalls geschieht. Nächste Sitzung Mittwoch, den 29. Januar: Etatkapitel auS dem Eisenbahnwesen, Petitionen. Zweite Kammer. 50. öffentliche Sitzung vom 22. Januar. Auf der Tagesordnung steht die Interpella tion der Abgeordneten Hähnel und Genossen, die Auszahlung der erhöhten WohnungSgeld- zuschüsse betr Abg. Hähnel (kons) begründet die Interpella tion. Er sei der Regierung dankbar, daß sie die Interpellation heute beantworten wolle, obgleich sie sich zum Teil erledigt habe. Bei ihrer Einbringung aber habe die Erledigung noch nicht allenthalben stattgefunden. Bei der ganzen Angelegenheit habe eS sich um eine außergewöhnliche gesetzgeberische Maßregel gehandelt, die dringlich und zu beschleu- nigen war. Das Gepräge der Dringlichkeit und Beschleunigung sei aus allen Phasen der Erledigung der Angelegenheit in beiden Ständekammern hervor- gegangen. In beiden Kammern sei der Wunsch ausgesprochen worden, daß den Beamten und Diä- taren eine Weihnachlsfreude damit bereitet werden sollte, daß die bewilligten Gelder noch vor Weih- nachten 1907 oder tunlichst noch vor JahreSschluß ausgezahlt würden. Trotz dieser Wünsche und trotz der Zusage der Regierung, daß eine möglichst baldige Erledigung der Sache von der Regierung selbst ge wünscht werde, habe sich die Auszahlung doch ver zögert. Allerdings sei sie nun wohl erfolgt. Gleichwohl glaube er, daß, wie die Sachen liegen, eine Erklärung der Regierung auch jetzt noch er wünscht sei. StaatSminister Dr. p. Rüger beantwortet die Interpellation dahin: Der Hr. Vorredner habe mit Recht darauf hinaewiesen, daß in beiden Kammern, besonders in der Zweiten Kammer der Wunsch aus gesprochen worden sei, da;: die Auszahlung der be willigten Beträge noch vor JahreSschluß, vielleicht vor Weihnachten 1907 statlfinde. Es sei aber da mals schon von der Regierung mit aller Deutlich keit darauf hingewiesen morden, daß in der Sache selbst noch sehr erheblich- Schwierigkeiten beständen, so daß eS ihr bei dem besten Willen nicht möglich fern würde, die Beträge noch zur gewünschten Zeit, überhaupt vor Feststellung deS NachtragetatL aul zuzahlen. Diese Schwierigkeiten habe dar hohe HauS selbst anerkannt. Auch die Finanzdeputation habe in ihrem Berichte der Erwartung Ausdruck gegeben, daß der Nachtragetati- noch im Januar 1908 vor- gelegt würde. Daraus erhelle, daß man in der Kammer darüber einig gewesen sei, daß eine Mög- lichkeil der Auszahlung vor Genehmigung deS Nach- tragSetalS streng genommen nicht vorhanden sei. Dieser Nachtragetat habe noch nicht fertiggesteüt werden können, wegen der Schwierigkeit der Materie, doch werde er der Kamnier demnächst zugehen. Er belaufe sich auf 1 116 000 Mark. Die Regierung hätte die Gelder nicht zahlen können, wenn sie nicht vertraut hätte, daß die Kammer den Nachtragetat bewilligen würde. Bis jetzt habe er die Summe auf sein eigenes Risiko ausgezahlt. Die Regierung habe alles Mögliche getan, um die Auszahlung zu beschleunigen. In der Lat seien jetzt alle Beträge auSgezahlt, auch die erhöhten Wvhnungsgelder sür Januar 1908. Früher, als eS gesckeheu sei, habe nicht gezahlt werden können. Der Minister schildert ausführlich, wie das Finanzministerium sofort, als Ich die Aussicht auf Bewilligung der WohnungSgelo- zuschüfse gezeigt habe, die nötigen Vorbereitungen getroffen habe, welche Schwierigkeiten dabei in ein zelnen ReffortS zutage getreten und zu überwinden gewesen seien. Dadurch sei eS möglich gewesen, einer Anzahl »on VermaltungSzweigcn noch im alten Jahre, den übrigen in der ersten Hälfte des Januar alle Beträge uuSzuzahlen. Welche Arbeit die« erfordert habe, sei daraus zu ersehen, daß es sich um 30 000 Beamte und StaalSdiener und 3500D:ätare gehandelt habe. Das alles habe in der Zeit von zwei Wochen geschehen müssen. Die Regierung sei ihren Beamten für die Bewältigung dieser Arbeit zu allem Danke verpflichtet, denn eS sei mit fieberhaftem Eifer stellen- weise Tag und Nacht gearbeitet worden. Um so mehr sei eS zu bedauern, daß sich Beamte bemüßigt gesehen haben, in der Presse ungünstige Urteile über die Regierung auSzusprechen, zumal sich diese Be- amten ohne weitere« bei den Behörden über den wahren Sachverhalt hätten unterrichten können. Die Regierung werde trotz der Verfehlungen einzelner Beamten nicht müde werden, in ihrem Bemühen, die GehaltSverhältnifse sobald als möglich angemessen zu regeln, fortzufahren. (Bravo!) Hierauf trat die Kammer auf Antrag deS Vizepräsidenten Opitz (kons.) in die Be sprechung der Interpellation ein. Vizepräsident Op'tz führte ganz kurz auS, die Interpellation habe sich bu ch die Darlegung des Herrn Mi nisters erledigt WaS die Beschleunigung der An- gelegenhcit betreffe, so habe er leider und mancher Mit ihm den Eindruck gewonnen, daß doch nicht in allen Fällen gleiche Grundsätze angeweudet worden seien, daher wohl auch die Beschwerden der Beamten, die Redner vor dem Vorwurfe des Hrn. Ministers bewahrt wissen wolle. Damit ist die Besprechung der Interpellation beendet. ES folgt hierauf die Petition der Gemeinde räte von Niederlößnitz, Kötzschenbroda und Genoffen um Aushebung oder Abänderung der Dorffeuer ordnung oom Jahre 1775. Die Petenten fühlen sich durch die Vorschriften, daß in jedem Hause eine bestimmte Anzahl Löschgeräte, wie Feuerhaken, Lei tern, Lrternen, sogenannte Löschbesen, Feuereimer und dergleichen vorhanden sein müssen, und ferner dadurch erschwert, daß diese Geräte jährlich zwei- bis viermal durch den Geweindevorstand revidier: weiden müssen. Die Petition wird der Regierung zur Kennt nisnahme überwiesen. Den letzten Punkt der Tagesordnung bildet die Petition Adolf Krauses in Leipzig-Plugwitz um Gewährung der Mittel zum Wiederaufbau seines Lurch Feuer und Explosion zerstören Wohn hauses. DaS Wohnhaus Krauses war bekannlluü am 29. Oktober 1907, alS eine Gasleitung eingelegt wurde, durch Ansammlung von Gas in einer vir- schlossenen Wohnung gelegentlich deS AnzündenS der Treppenlampen infolge einer Explosion in Brand geraten und vollständig zeistört worden. Dadurch kam Krause um sein ganzes Hab und Gut und stand mit F.au und Kind ohne Heim da. Ec bittet nun, ihm auS Mitteln der B:andversicherung8kammer da? Geld zum Wiederaufbau deS Hauses zu ge währen. Die Regierung hat mit Rücksicht auf die nachgcwiesene Bedürftigkeit dem Abgebrannten 9600 Mark bewilligt und sich bereit erklärt, ihm noch den Rest zu gewähren unter den Bedingungen, unter denen Brandschädenoergütungen bewilligt werden können, nachdem Petent seine Ansprüche an die Thüringer Gasgesellschaft zu Leipzig an die Regie rung abgetreten hat. Die Deputation hat sich durch diese Maßnahmen für befriedigt erklärt und be antragt: die Petition infolge der von der Königlichen SlaatSregierung in der DeputationSsitzung abgegebe- neu Erklärung für erledigt zu erklären. Die Kamme: stimmt diesem Anträge ohne Debatte em- stimmig zu. Nächste Sitzung Freitag: Petitionen privater Natur: Berichte der RechenschaftSdeputation; P üjung der Waht deS Abg. Dr. Rühlmann-Döbeln. Deutscher (Reichstag 36. Sitzung vom 22. Januar. Auf der Tagesordnung steht die Interpellation All-recht (Svz.) und Genossen: l. Aus welchen Gründen der Reichskanzler am 10. Januar im Abgcordnctenhause die Uebertragung des Neichstagswahlrechts auf einen Bundesstaat als dem Staatswohl nicht entsprechend be- zeichnete, und 2. ob der Reichskanzler billige, daß aus Anlaß der sozialdemokratischen Volksversammlungen am 12. Januar Militär in den Kasernen zum Zwecke etwaigen Eingreifens konsigniert war ? Auf die übliche Frage des Präsidenten antwortet. Reichskanzler Fürst Külow: Ich habe folgendes zu erklären : Zu Punkt 1 der Interpellation - Ich lehne eSab, auf die Verhandlungen über die Gestaltung des Landtagswahlrechts in Preußen einzugehen (Bravo rechts), da dieser Gegenstand eine zur Zuständigkeit der gesetz gebenden Organe Preußens gehörende innere Angelegen heit des preußischen Staates darstellt. (Sehr richtig! rechts.) Zu Punkt 2 der Interpellation: Auf Gruud landesrechtlicher Befugnisse sind voll der Berliner Polizei diejenigen Maßregeln ergriffen worden, die erforderlich waren, um Ausschreitungen auf der Straße abzuwehren. Soweit Truppenteile in den Kasernen zusammcngehalten worven sind, ist dies in Ausübung der militärischen Kom mandogewalt geschehen, um jeder Anforderung zum Schutze der gesetzlichen Ordnung ohne Verzug genügen zu können. (Bravo! rechts.) Ich muß hiernach die Beant wortung der Interpellation ablehnen. Meine Herren! Es ist hier gestern zu neuen Zu sammenstößen zwischen einer demonstrierenden Menge und der Polizei gekommen. Dabei mußte wieder von der Waffe Gebrauch gemacht werden. (Rufe von den Sozial demokraten: „Mußte!" Lebhafte Zustimmung rechts.) Gegen diese habe ich das Bedürfnis, von dieser Stelle aus. unabhängig von der vorliegenden Interpellation, al« Reichskanzler rin Wort ernster Mahnung in da« Land hinaus zu senden. (Unruhe bei den Sozialdemo kraten.) Es ist nicht deutsche Art, die Politik auf die Straße zu tragen. (Lebhaftes Bravo I rechts.) Die Par teien bedürfen nicht der Straßentumulte, um ihre Stim men vernehmen zu lassen. (Sehr richtig I) Die Straße gehört dem freien Verkehr. Das Gesetz der öffentlichen Ordnung als das höhere Gesetz anzuerkennen und zu achten, ist jeder Bürger verpflichtet, und dem Gesetze Achtung zu verschaffen, und wenn es sein muß, zu erzwingen, ist, wie die Befugnis so auch die Pflicht der Behörden. Jeder Versuch, die öffentliche Ordnung zu stören, muß und wird zurückgewiesen werden. (Lebhaftes Bravo rechts.) Wir werden nicht dulden, daß Agitatoren einen Anspruch aus die Herrschaft über die Straße erheben. Es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, zu glauben, daß Demonstrationen einer irregeleiteten Masse einer pflichtbewußten Regierung irgend etwas abtrotzen könnten. (Bravo ! Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Das wird in Deutschland nie und nirgends der Fall sein. Ich habe die Zuversicht, daß alle bürgerlichen Parteien einmütig sein werden in der Ver urteilung und Zurückweisung dieses gefährlichen Unfugs. (Lebhafter Beifall.) Die sozialdemokratische Partei hat mit den Demonstrationen vom 12. Januar eine abschüssige Bahn betreten. (Sehr richtig!) Ich warne sie, diese Bahn weiter zu verfolgen, und ich richte namentlich an die Ar- beiterbevölkcrung die ernste und aus einem wohlmeinenden Herzen kommende Mahnung (Unruhe und Zurufe bei den Sozialdemokraten); jawohl, einem Herzen, das es sehr viel bester meint mit den Arbeitern, als Sie, sich nicht vom Wege des Gesetzes und der Orduung abbringen zu lassen, und nicht für Parteifanatiker und Hetzer die eigene Haut zu Markte zu tragen. (Lebhafter Beifall, große Unruhe bei den Sozialdemokraten.) Die Verantwortung für die Folgen würde nicht die Regierung, würde nicht die Behörden treffen, sondern die Anstifter und die Ver führer. (Stürmischer Beifall, große Unruhe bei den Sozialdemokraten. Fürst Bülow verläßt mit seiner Beglei tung den Saal, so daß die Tische des Bundesrats völlig leer bleiben. Abg. Singer (Soz.) beantragt Besprechung der Interpellation, welcher Antrag mit Hilse von Zentrum, Polen und Freisinnigen zur Annahme gelangt. Abg. Fischer (Soz.) begründet die Interpellation. Er wendet sich zunächst iu scharfer Weise gegen die Ablehnung der Beantwortung der Interpellation seitens des Reichs kanzlers. Wo sei denn die „öffentliche Ordnung", die Rücksichtnahme auf den Verkehr am 25. Januar und am 19. Februar vorigen Jahres gewesen ? Hätten nicht auch damals parteipolitische Demonstrationen auf der Straße stattgesunden, ohne daß man gegen sie eingeschritten sei? Da sollte Fürst Bülow eS doch lieber unterlassen, jetzt den Sozialdemokraten Moral zu predigen. Es sei daS die reine Heuchelei. (Präsident Vraf Stolberg: Herr Ab geordneter, Sie dürfen dem Reichskanzler nicht Heuchelei vorwerfen.) Ra, es ist doch aber Heuchelei. (Prästdent: Ich rufe Sie zur Ordnung.) Weiter geht Redner dazu über, an der Erklärung, die der Reichskanzler im Abge- ordnetenhause abgegeben hat, ebenfalls scharfe Kritik zu üben. Ein Wahlrecht, wie es in Preußen bestehe, ein Wahlrecht, daS die größte Partei im Lande nicht zur Volksvertretung zulaste, beweise, daß gerade Preußen der rückständigste Staat Deutschlands lei- Die Hauptstadt Berlin zahle den 6. Teil aller StaalSsteuern, aber von den 432 Abgeordneten entsende Berlin nur 9, und da sage man noch, der Besitz müsse in dem Wahlrecht zu Worte kommen und neben dem Besitz „die Bildung". Wie verträgt eS sich damit, daß selbst der höchste Beamte 3. Klasse wählt, wenn er nicht zufällig großes Vermögen hat. In Altona beispielsweise wählt der Polizeipräsident in seinem Bezirk in der 3. Klasse, der Bordellwirt da gegen in der 2. Klasse. Wenn wir demonstrieren, so liegt die Schuld bei Ihnen, denn wir wehren uns nur gegen daS Unrecht, Sic dagegen haben nichts für sich, als die brutale Gewalt. Selbst das geheime Wahlrecht verweigern Sie uns, was sogar der bayrische Thronsolger Prinz Lud wig in öffentlicher Reichsratssitzung befürwortet hat. Und trotzdem stebt der „moderne Mensch", der Reichskanzler, aus Ihrer Seite. Der künftige König von Bayern er klärte, man könne sich glücklich schätzen, daß im Reiche ein Wahlrecht bestehe, mit dem jedermann zufrieden sein könne. Und gegenüber diesen staaatsmännischen Worten der Reichskanzler, der das Reichstagswahlrecht für mit dem Staatswohl unverträglich erklärt. Sie (nach rechts) ver urteilen unsere Demonstrationen: aber sagen Sie mir doch, welche anderen Mittel haben wir denn, um unsere Bestrebungen zu fördern ? Bei allen unseren Demon strationen, am 12. Januar, ist die Ruhe nirgends gestört worden, ivo die Polizei unter rubigen Offizieren stand; Störung erfolgte nur, wo brutale Offiziere befahlen. Das ist es eben: Unsere Polizei, an den Kasernenton gewöhnt, geht wild los, wo sie nur das Kommando hört. Wenn aus den Straßen das „Deutschland, Deutschland über alles" gesungen werden dürfe, werde cs wohl auch keine Sünde sein, wenn die Arbcitermarseillmse gesungen werde. Was müsse das Ausland denken, wenn eS sähe, daß auf die größte Partei des Landes geschossen werde, wenn sie friedlich auf den Straßen demonstriere ? Präs. Graf Stolberg ruft nachträglich den Redner zur Ordnung wegen eines von ihm gebrauchten Ausdruckes „Polizei-Infamien". Abg. Kreth (kons.): lieber das preußische Wahlrecht lassen wir uns in eine Diskussion nicht ein. Die Inter pellation ist aber weiter nichts als eine Umrahmung sür die so erbärmlich ins Wasser gefallenen Demonstrationen gewesen. So ruhig und höchst imposant sind die Demon strationen nicht gewesen! Die „Volksseele" ist sehr um sichtig von der Sozialdemokratie zum Kochen gebracht worden. Dem antisemitischen Geschmack des Herrn Fischer entspreche ich wohl, wenn ich die sozialdemokratischen Äe» sammlungsredner nenne: Genosse Herz, Hirsch, Walbeck- Manasse, Rosenfeld (Heiterkeit.) Sabor würde sagen: das läßt tief blicken! (Sehr gut!) Ein Zusammenhang mit den Schürern der russischen Revolution ist leicht durch diese Namen zu konstruieren. Muf: Krctl^ ist doch auch jüdisch! Große Heiterkeit.) Nein, Heir Singer, diesen ehrenden Zuruf muß ich in Bescheidenheit dankend ab-
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