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Nr. 68 PAPIER-ZEITUNG 2559 Waarenhaus-Gesangbücher Vor der 6. Strafkammer des Landgerichts I zu Berlin als Berufungs instanz fand im Frühjahr eine Verhandlung statt gegen den bei dem Waarenhause Jandorf als Abtheilungs-Chef angestellten Kaufmann Schlesinger, der am 28. Dezember v. Js. von der Beschuldigung des unlauteren Wettbewerbs freigesprochen war. Die Buchbinder-Innung trat als Nebenklägerin auf. Dem angeklagten Schlesinger wurde zur Last gelegt, in einer im »Berliner Lokalanzeiger« vom 14. August erschienenen Sammelanzeige des Kaufmanns Jandorf Gesangbücher zur bevorstehenden Einsegnung als solche mit gutem Ledereinband für den Preis von 1 M. 10 Pf. angepriesen zu haben, obwohl er hätte überzeugt sein müssen, dass der Einband nur aus Papier bestand. Schlesinger gab an, nicht gewusst zu haben, dass die Gesangbücher nur einen papiernen und keinen ledernen Einband hatten. Der Zeuge Obermeister Papajewsky hat sich auf die Anzeige vom 14. August v. Js. am 8. September nach dem Jandorfsehen Kaufhause am Spittelmarkt begeben, um dort ein solches Buch für 1 M. 10 Pf. zu kaufen. Auf die Frage, ob der Einband auch von Leder sei, ist ihm dies von mehreren Verkäuferinnen bejaht worden und auch der mittlerweile herbeigerufene Lager-Chef hat dies bestätigt. Erst auf die Aeusserung Papajewsky’s, dass der Einband ja von Papier, aber nicht von Leder sei, und wenn er als Leder verkauft würde, so sei dies Betrug, habe der Lager-Chef klein beigegeben und nach einem vergeblichen Ver such, sich mit Ausverkauf der Gesangbücher zu entschuldigen, die Verkäuferinnen angewiesen, die Bücher von nun an nicht mehr als mit Leder-Einband versehen zu verkaufen. Es wurden aber gleich wohl, wie die Beweisaufnahme in der Berufungsinstanz ergeben hat, noch am 10. und 12. September Käufern in den Jandorf sehen Bazaren in der Bellealliancestrasse wie am Spittelmarkt Bücher als mit Leder- Einbänden versehen verkauft. Am 18. September erschien darauf ein Artikel in einem Berliner Blatt, der den Vorfall zum Gegenstand hatte. An demselben Tage erschienen Jandorf und Schlesinger bei Papajewsky mit der Bitte, jedwede Anzeige zu unterlassen, und boten Papajewsky 400 M. Schweigegeld, später sogar 1000 M. Selbstverständlich wurde die Sache doch zur Anzeige gebracht. In der Verhandlung vor der Strafkammer führte der Rechtsanwalt Ullrich als Vertreter der Berliner Buchbinder-Innung aus, dass Schlesinger als Sach- und Fach kenner auf den ersten Blick gesehen haben müsse, um was es sich handle. Er sei sich des täuschenden Charakters der Anzeige wohl bewusst gewesen und habe die Täuschung zwecks Schädigung der Konkurrenz auch gewollt. Bei der Straf - Zumessung wolle das Gericht erwägen, wie schwer der ehrliche Wettbewerb des kleinen Gewerbetreibenden durch solche betrügerischen Manipulationen ge schädigt werde, denn der urtheilslose Theil des kaufenden Publikums renne natürlich auf solche Anzeigen in die Waarenhäuser und meide den reell bedienenden, aber natürlich auch theureren kleinen Gewerbe treibenden. Der Gerichtshof verurtheilte Schlesinger wegen Vergehens gegen das Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs zu 60 M. Geldstrafe. Aus der Urtheils-Begründung ging hervor, dass das Gericht keinen Augenblick im Zweifel darüber war, dass der Angeklagte von vornherein auf Täuschung des Publikums und Schädigung der Konkurrenz ausgegangen sei. g. Schulbücher und Rechtschreibung Im »Börsenbi. f. d. Deutsch. Buchh.« macht der Vorstand des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler Folgendes bekannt: »Zur Deutschen Rechtschreibung. Verschiedene Anfragen aus den Kreisen des Verlagsbuchhandels über den Zeitpunkt, wann die neue Recht schreibung veröffentlicht und in die Schule eingeführt werden wird, veranlassen uns zu der Mittheilung, dass nach unserer Kenntniss hier über Bestimmtes noch nicht gesagt werden kann. Das Ergebniss der Orthografie-Konferenz«, an welcher seitens des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler die Herren Ernst Vollert, i. Fa. Weidmannsche Buchhandlung in Berlin, und Dr. Alfred Giesecke, i. Fa. B. G. Teubner in Leipzig, theilgenommen haben, ist jetzt zunächst protokollarisch festgestellt, und es handelt sich nun darum, dass die betheiligten Deutschen Regierungen ihre Zustimmung zu den gefassten Be schlüssen ertheilen. Sobald diese erfolgt ist, wird das neue »Rogel buch« veröffentlicht werden. Sollte dies bis etwa i. Oktober nicht möglich sein, so wird, wie wir glauben, die Königlich Preussische Regierung nicht verlangen, dass zu Ostern nächsten Jahres schon Schulbücher mit der Rechtschreibung vorliegen. In jedem Falle muss also den Verlegern von Schulbüchern gerathen werden, mit dem Druck neuer Auflagen nicht vor dem Herbst zu beginnen. Bis dahin hoffen wir, schon bestimmte Auskunft über die Lage der Sache geben zu können.« Ein theurer Austritt. Der Faktor einer Mainzer Buchdruckerei war angeblich wegen Unwohlseins vom Geschäfte weggeblieben, hatte aber in dieser Zeit sich in einem Nachbarorte eine Druckerei mit Zeitungsverlag gekauft. Ohne seine Kündigungsfrist einzuhalten, blieb er auch für die Folgezeit seiner Stellung fern, zeichnete dagegen in seiner neu erworbenen Zeitung als Redakteur und Verleger. Der Mainzer Buchdruckereibesitzer verklagte seinen neuen Kollegen beim Gewerbegericht auf 600 M. Entschädigung, weil derselbe ohne Kün digung seine Faktorstelle verlassen habe. Bei der mündlichen Ver handlung vor dem Gewerbegericht kam ein Vergleich zwischen den Parteien zustande. Der frühere Faktor und jetzige Buchdruckerei besitzer zahlt an den Kläger eine Entschädigung von 200 M. CI. Neue Schriftprobe der Eckmann Die rührige Rudhard’sche Giesserei in Offenbach a. M. ist fort während bemüht, ihrer schönen »Eckmann« neue Freunde zuzuführen. Dies rein geschäftliche Bestreben wird auf so künstlerische und ge schmackvolle Art verfolgt, dass dem Freunde der Weiterentwicklung im Buchdruck die Drucksachen der Firma stets Anregung bester Art bieten. Der zum Jahresanfang erschienene Kalender mit den pracht vollen Kalenderbildern von Robert Engels wurde seinerzeit auch in der Papier-Zeitung gewürdigt und zum Theil abgebildet, nun ist ein ausschliesslich der »Eckmann« gewidmetes Quartheft erschienen, welches seinen Zweck in bester Form erfüllt. Zum Umschlag wurde graues, stark gekörntes Umschlagpapier mit Schöpfrand verwandt. Auf diesem steht als einzige Bezeichnung am oberen Rande nach dem Falz zu das Wort Eckmann mit einer aus kräftigen Verzierungen ge setzten Unterstreichung. Die Anordnung sieht gut aus, und wo die Beschränkung auf ein Wort angängig ist, dürfte sie sich für Buch- Umschläge zur Nachahmung empfehlen. Allerdings lässt die Aufschrift Zweifel zu, ob sich das Buch mit dem Professor Eckmann beschäftigt, ob er der Verfasser ist oder ob es eins seiner künstlerischen Erzeug nisse enthält oder schildert. Aber solche Zweifel zu lösen ist der Innentitel bestimmt. Der Inhalt besteht aus 12 Blättern des gelb lichen, kräftig rauhen Papiers mit Schöpfrand, welches schon zum Druck des Kalenders verwendet wurde. Sie sind mit Anwendungen der Schrift »Eckmann« bedruckt, zu denen der Urheber selbst eine kurze Einleitung schrieb. Er sagt darin u. A.: »In leserlicher Schrift haben Verschnörkelungen am allerwenigsten Berechtigung. Meine Schrift sucht daher nur im Rahmen der be währten Praxis künstlerische Gedanken zum Ausdruck zu bringen, die sich auf die Komposition der einzelnen Buchstaben und deren Ge- sammtcharakter beschränken. Es tritt natürlich bei solchem Vorhaben zunächst die Frage auf, inwieweit gut oder verfehlt gearbeitet wurde. Das Beste der Produktion in jüngster Zeit ist Nachdruck oder eine starke Anlehnung an alte Muster. Den stark archaisirenden Schriften mangelt sehr oft die Leserlichkeit. Ausserdem macht sich in ihnen ein Prinzip geltend, welches als mittelalterlich in die Rumpelkammer wandern darf. Es wird gesagt, dass Schrift den Handschrift- Charakter der früheren Bücher haben müsse, wie sie die Zeit vor Er findung der Buchdruckerkunst uns überbrachte. Warum? Zunächst ahmte der Stempelschneider wohl die Schriftform nach. Wir haben aber jetzt viereinhalb Jahrhunderte Zeit gehabt, über die Sache nach- zudenken, und müssen zu dem Ergebniss kommen, dass eine solche Regel bei unserer heutigen Herstellung unnöthige Hemmung der künstlerischen Gestaltung einer Schrift mit sich bringt, ohne dass das Befolgen derselben irgend einen Gegenwerth bietet. Diesen Hemm schuh verlangt die Praxis keineswegs. Die Praxis erheischt Leser lichkeit und Schönheit. Leserlich ist die lateinische Schrift. Schön ist sie nur in bedingtem Maasse Ihre schönste Form nähert sich den geschriebenen italienischen Büchern des Quatrocento; mit der Schön heit mindert sich meist ein wenig ihre Leserlichkeit. Ihre hässlichste Form erscheint uns bis jetzt als die leserlichste, lediglich aus Gewohn heit, sie wird uns eben überall geboten. Künstlerischer Geschmack hat schon einmal die starre Form der lateinischen Schrift zu modeln gewusst, als wir der Blüthe unserer Kunst in der Gothik entgegen gingen. In langer Wandlung konnte damals der Schönheit viel Deut lichkeit geopfert werden, weil die Lesenden jener Zeit in ihrem ganzen Leben nicht mehr lasen, wie ein Zwanzigjähriger heute gelesen haben muss. Unserem künstlerischen Empfinden genügt die lateinische Schrift nicht so, wie sie ist. Kaum irgend ein Künstler verwendet sie freiwillig, ohne an ihr zu ändern und die gähnenden Lücken im Versal L, M, 0, unter dem P, F auf allerlei Weise zu meiden. Wie oft wird aus Verlegenheit das hässliche U durch das ebenso hässliche V ersetzt! Man hilft sich durch humoristische Ligaturen. Man pfropft ein Miniatur L in ein danebenstehendes etwas grösseres, oder man lässt ein A mit einem Schenkel einem benachbarten friedlichen L auf den Fuss steigen usw. Das Alles sind Verlegenheitsformen, die ihren Ursprung in Unschönheiten der Antiqua haben. Eine künstlerische Schrift wird hier ausgleichen. Bei solcher Komposition braucht der Künstler sich nicht an Dogmen zu binden. Unsere Lettern werden geschnitten und nicht geschrieben. Für die künstlerische Arbeit, welche als Muster dient, ist es durchaus gleichgiltig, ob sie mit Hilfe der Feder oder des Pinsels hergestellt ist. Die Schwellung eines Druckstriches oder die sorgsame Minderung einer Kurve bedürfen so eingehender Be handlung, dass von einem flotten Hinschreiben der Lettern gar keine Rede ist. Warum soll man also ohne Grund Anderen etwas vorgaukeln?« Die Anwendungen der Schrift rechtfertigen den Künstler am besten. Die grosse Vielseitigkeit zeigt sich am deutlichsten in dem Umstand, dass nur ganz einfache zur Schrift passende Verzierungen hier und da als Abschlusslinie, Einfassung und dergleichen verwandt sind. Alles Uebrige bewirkt die Schrift durch die blosse Form ihrer Buch staben, die in grösseren und kleineren Graden zusammengestellt, jede Auszeichnungsschrift entbehrlich macht. Besondere Erwähnung ver dienen die Initiale zur »Eckmann«. Sie tragen das Gepräge wuchtiger Kraft, welches die ganze Schrift zeigt, in erhöhtem Grade. Allerdings sind sie für sich allein betrachtet nicht sehr leserlich, z. B. das Initial D, aber das bedeutet keinen Mangel, da Initiale nur im Zusammen hänge mit Worten verwendet werden. In einer Anlage des Heftes sind die schönen Kalender-Vignetten der Firma, sämmtlich von Georg Engels gezeichnet, abgedruckt. Beide Drucksachen sind in ihrer Zu sammenstellung und Ausführung mustergiltig. K.