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Berliner Briefe. VI. (V siehe Nr. 114.) Ist die Bibliothek des Schriftstellers pfändbar? -- Aus der Schriftstellerwelt. — Kunst und Wissenschaft. — Bibliotheks wesen. — Vom Buchhandel. Durch ein Urteil des Charlottenburger Amtsgerichts ist ausgesprochen, daß die Bibliothek des Schriftstellers der Pfändbarkeit unterliegt, »da die Bücherei eines Schriftstellers zur persönlichen Fortsetzung seiner Erwerbstätigkeit sehr wohl entbehrt werden könne« (vgl. Bbl. Nr. 127 u. 135). Die Presse hat diesen Standpunkt im allgemeinen als zu engherzig gemitz- billigt. Meines Erachtens mutz man zunächst fragen, ob eine Fach- oder allgemeine Bibliothek in Betracht kommt. Es ist an sich natürlich durchaus denkbar, datz eine moderne belle tristische Bibliothek — um eine solche handelte es sich in vor liegender Sache — als Handwerkszeug im speziellen Falle auzusehen ist. Ist das aber nicht der Fall, so wird man dem Amtsrichter rechtgeben müssen. Gewiß ist es bitter, eine Bibliothek, die einen persönlichen Charakter zu tragen Pflegt, hergeben zu müssen, aber die Argumentation der Zeitungen, daß auch solche Bibliotheken dem Schriftsteller zur Er frischung seines Geistes nötig seien, scheint mir an einer Halbheit zu leiden. Gerade der Künstler, so schrieb man, lebt »nicht von Brot allein«, ihm ist eine gewisse Kultur über das Lebensminimum hinaus Notwendigkeit zur künstlerischen Arbeit — nur ganz starke Naturen werden ohne das schaffen können. Gäbe es eine Möglichkeit, diesen individuellen Bedürfnissen im Gesetz Rechnung zu tragen, so wäre es nur mit Freuden zu begrtttzen. Eine solche Ausnahme existiert nicht und kann nicht existieren, das Gesetz wird immer nur entsprechend seinem Charakter, sich dem Durchschnitt anzupassen, leibliche Bedürfnisse als unbedingt notwendig anerkennen. Unter diesem Gesichts punkt wird man schweren Herzens auch der Entscheidung des Charlottenburger Amtsgerichts zubilligen: »Von Rechts wegen«. Im Berliner Tageblatt wies der bekannte Schriftsteller Frhr. v. Schlicht auf die dauernde Benachteiligung jener Art von Schriftstellern hin, deren Werke sich besonders zum Vortrag eignen, ohne datz sie die Möglichkeit haben, von dem Reingewinn der Vortragsabende irgend etwas zu profitieren. Er warnt auch — meines Erachtens mit Recht — vor einer Überschätzung des Einflusses derartiger Vorträge auf den Absatz der Bücher des betreffenden Dichters. Eine Autographcnsteuer — wie sie Wohl schon bei den Schauspielern zugunsten ihrer Pensionskasse besteht — hat jetzt auch »der Schutzverband deutscher Schriftsteller« ins Leben gerufen. Künftighin werden die Mitglieder des Ver bandes Autographen nur mit der Bemerkung aus der Hand geben, datz an die Kasse des Verbandes eine Zahlung von etwa einer Mark an aufwärts als Gegenwert zu leisten ist. Über die Eingänge wird in dem Verbandsorgan öffentlich Rechnung abgelegt. Der gleiche Verein hat kürzlich zur Frage der »Kien- töppe« Stellung genommen. Im Gegensatz zu den mancher lei offiziellen und privaten Äußerungen der letzten Zeit, die das Kinematographentheater in Grund und Boden verdammen, steht der obige Verein auf einem freundlicheren Standpunkt. Er empfiehlt seinen Mitgliedern, durch praktische Mitarbeit dafür zu sorgen, datz die Darstellungen dieser Art allmählich ein höheres künstlerisches Gepräge erreichen. Eine neue »V e r s u ch s b ü h n e« in Gestalt eines Ver eins unterm Vorsitz des Schriftstellers Hans Land hat sich ge bildet. Ihr Ziel ist, Werke noch unbekannter Autoren »zensur- !frei« zur Aufführung zu bringen. Die Berliner Polizei hat ! diesmal daraus verzichtet, durch Verbote für den Wedekind« ' zYklus, in dem der Dichter mit seiner Gattin die Hauptrollen spielt, unfreiwillig Reklame zu machen, so datz Presse und Publikum in der Lage sind, ohne zu unsachlicher Parteinahme gedrängt zu werden, diesen problematischen Künstler rein literarisch zu beurteilen. Eine interessante Erweiterung des Bereichs der Polizei ist die Konfiskation »unzüchtiger Grammophon platten«, die, wenn man überhaupt mit der Polizeizensur einverstanden ist, durchaus gerechtfertigt erscheint. Im Dllrerhause fand im Mai eine Ausstellung der »Freien Lehrcrvercinigung für Kunstpflege« statt. Unter den Ausstellungsgegenständen interessierten die kleinenZcichnungen, welche als Bilderschmuck für die »Bunten Bücher« und die »Bunten Jugendbücher« geschaffen wurden. Eine interessante Fortsetzung hat der von mir im vorigen Brief erwähnte Streit des Berliner Bürgermeisters Rcicke mit der Berliner Sezession erfahren. Reickc ist Vor sitzender der Kommission, welche jährlich aus städtischen Mit teln Ankäufe ans den Berliner Kunstausstellungen macht. Als nun die Deputation zu diesem Zwecke die Sezession betreten wollte, wurde ihr mitgeteilt, datz man ihrem Vorsitzenden den Eintritt, solange er seine Äußerungen nicht zurücknehme, nicht gestatten würde. Es schweben zurzeit Verhandlungen, um die peinliche Angelegenheit beizulegen. In der Gründung von Bibliotheken zeigt sich immer mehr der Charakter der fachlichen Spezialisierung. Eine Zcn- tralbibliothek medizinischer Werke will Herr Hans Kohn in Berlin ins Leben rufen. Er beabsichtigt zu diesem Zweck, die Bibliotheken der einzelnen Berliner medi zinischen Vereine, wie zum Beispiel der Berliner medizini schen Gesellschaft, des Vereins für innere Medizin, der Ge sellschaft für soziale Medizin usw., zu bereinigen. Eine solche Zentralisierung wäre natürlich für alle Benutzer der Biblio thek von größtem Vorteil. Eine öffentliche Kinder lesehalle und Bibliothek hat der Berliner Hand werkerverein in seinen Vereinsräumen, Sophienstratze 1s, für schulpflichtige Kinder eingerichtet. Das Lesezimmer ist ge öffnet am Dienstag, Donnerstag und Freitag von 4 bis 7. Die Benutzung ist vollkommen kostenfrei für Knaben und Mäd chen. Die besten Jugendbücher stehen zur Verfügung. Die »Jüdische Lesehalle und Bibliothek«, Oranien burger Straße 58, erfreut sich eines lebhaften Zuspruchs. In den Monaten Januar bis April d. I. betrug die Besucher zahl 9838 Personen. Das Institut ist wochentäglich von 10 Uhr morgens bis 9 Uhr abends ununterbrochen geöffnet, Sonnabend und Sonntag von II bis 2 und von 7 bis 10 Uhr abends. Der Eintritt ist frei für jedermann. Die Bibliothek umfaßt 8000 Bände, in den Leseräumen liegen ständig zirka 100 Zeitungen und Zeitschriften aus. Der Bau von reinen Geschäftshäusern macht in der»6itz-« von Berlin immer mehr Fortschritte. Die bekannte Simon Schroppfche Landkartenhandlung hat ein Grundstück in der Dorotheenstraße erworben, auf dem bis zum 1. Januar 1913 ein modernes Bureauhaus, das »S ch r o p p h a u s«, errichtet werden soll. Den dankenswerten Entschluß, während der heißen Sommermonate schon um 7 Uhr abends zu schließen, haben die Berliner Musikalienhändler gefaßt. Diesem Beschluß sind bis jetzt beigetreten die Firmen: Bote L Bock, Breitkopf L Härtel, Jonasson-Eckermann, Plothow, Riedel, Schlesinger, Siegel, Simon, Simrock, Stahl. Unter der Bezeichnung »Neuer Bühnenvertrieb