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Nr. 101 PAPIER-ZEITUNG 3751 »Kommissionär« dem Publikum gegenüber, das der eigentliche Verbraucher der Schrift, d. h. der Drucksachen ist. Ein tüchtiger Kommissionär muss stets Herr der Situation bleiben; r hat die Waare zu verkaufen, die er besitzt oder vertritt. In unserem Falle also hat der Buchdrucker seine Schriften als zu treffend und gut für jeden Bedarf zu bezeichnen, durch zudrücken und dem Kunden gegenüber anzuwenden. Statt dessen liegen häufig die Verhältnisse umgekehrt: der Kunde — oft ohne die durch ihn verursachten Umstände zu ahnen — verlangt seine Drucksache in dieser oder jener Schrift; der Buchdrucker eilt, sie sich zu verschaffen, und der Giesser hält ein endloses Lager, oft nur um eine Schrulle zu befriedigen! Denn will es der Zufall, dass die gesuchte Schrift wirklich nicht aufzutreiben ist — so nimmt der Kunde ja doch vorlieb mit einer anderen, und immer zu seinem Vortheil. Solche Kunden ähneln Leuten, die sich gern altmodisch kleiden, weil sie aus Bequemlichkeit oder Gewohnheit glauben, nur das käme ihnen zu! Sind diese altmodischen Leute durch einen Zufall gezwungen, doch einmal einen anderen Rock anzu ziehen, so sind sie in der Regel überrascht, dass ihnen derselbe ebenfalls gut steht. Die Giessereien unterstützen solche altmodischen Leute durch ihre umfangreichen Gesammtproben, die oft Schriften enthalten, deren Entstehung zwei Menschenalter zurückliegt. Wenn der Kunde dann in solcher Schriftprobe blättert und die gesuchte altfränkische Schrift findet, muss sie der Buch drucker auch kaufen. Es wäre leicht, mein Thema noch auf andere Gebiete zu erweitern, so auf die vielleicht übermässig grosse Neuheiten- Erzeugung und ihre Schattenseiten hinzuweisen. Aber ich wollte heute nur von dem Alltäglichen reden. Es dürfte zum Nachdenken anregen — ob meine Mahnungen auch helfen werden, steht freilich auf einem anderen Blatte. Typographische Gesellschaft München Schon vor längerer Zeit richtete der Ausschuss des Bayer. Kunst- Gewerbevereins an die Gesellschaft das Ersuchen, eine Vortragssitzung in ihren Räumen abzuhalten. Nach mehrmaligen Verzögerungen wurde am 8. Dezember, abends 8 Uhr, ein Vortrag im Saale des Kunst gewerbehauses, Pfandhausstrasse 7, gehalten, zu welchem unsere Mit glieder eingeladen wurden. Der Redner, Herr R. Bammes, leitete seinen Vortrag mit einem Rückblick auf die Erfindung des Buch drucks, seiner ersten technischen Hilfsmittel usw. ein. Zum besseren Ver- ständniss für die überwiegend aus Nicht-Druckern bestehende Zuhörer schaft hatte Redner äusser vielen Druckmustern fast das gesammte Handwerkszeug des Buchdruckers ausgestellt, als Handgiessmaschine, Stempel, verschiedene Werkzeuge hierzu, Stereotyp-Platten, Galvanos, ausgebundenen Satz, Setzkasten, Winkelhaken, Schiffe usw. An Hand dieser Geräthe gab Vortragender ein anschauliches Bild der schwarzen Kunst. Dem Kapitel »Korrekturen« widmete er besondere Sorgfalt. Der Vortrag fand allseitigen Beifall, und der Vorsitzende des Bayer. Kunstgewerbe-Vereins dankte der Typographischen Gesell schaft in herzlichster Weise. B Am Tage hierauf, Mittwoch, 4. Dezember, hielt die Gesellschaft ihre Monatsversammlung im Vereinslokale »Orpheum« ab. Auf der Tages ordnung stand 1. Vortrag über Galvanoplastik und 2. Vorführung eines Logotypenkastens. Nach Erledigung von Vereinsmittheilungen ertheilte der Vorsitzende Herrn Fr. Lechner zu einem Referate über Erfindung und Wesen der Galvanoplastik das Wort. An Hand der in Nr. 81 d. Js. beschriebenen Broschüre schilderte Redner einige Punkte aus dem Leben Moriz Hermann von Jakobis. Hieran schloss sich nun die praktische Vorführung des erwähnten Gegenstandes, deren sich Herr Eichler in sachgemässer Weise entledigte. Es würde zu weit führen, den ganzen Vortrag wiederzugeben, und es sei nur erwähnt, dass Redner das Aufspannen des Kupferniederschlages nach sorgfältigem Reinigen von dem anhaftenden Wachs oder Guttapercha auf Holz rahmen, die mit flüssiger Kreide ausgestrichen sind, dem sogenannten »Schwemmsystem«, vorzieht, da die Platte bei letzterem Blasen zieht und Unebenheiten bekommt, die dann wieder ausgeklopft werden müssen. Bei dem beschriebenen Verfahren sei ein derartiger Miss stand ausgeschlossen. Redner hatte alle einschlägigen Geräthe aus gestellt und machte seinen Vortrag dadurch äusserst lehrreich. Nach einer hierauf folgenden lebhaften Aussprache nahm dann der Vorsitzende, Herr Fr.Leven, das Wort zur Vorführung des Logotypen- (d. h. Wortzeichen-) Kastens. Redner bemerkte, dass die Logo typen nichts Neues seien, es handle sich in der Hauptsache um ihre prak tische Verwerthung. Schon vor mehreren Jahren befassten sich ver schiedene Erfinder mit der Sache. Sie gingen jedoch in der Zahl der Häufigkeitssilben zu weit. Einer derselben habe nicht weniger als zwölfhundert Typen angewandt, welche drei Setzkästen in Anspruch nehmen, ein Anderer siebzig, die Schriftgiesserei Rost & Comp. vierzig und ein Züricher Kollege fünfunddreissig. Alle Vorschläge scheitelten aber daran, dass die grosse Zahl der Typen die Uebersichtlichkeit beim Setzen erschwert. Ein Münchener Fachmann scheine neuer dings den Vogel abgeschossen zu haben. Derselbe stellt nur zwanzig Häufigkeitszeichen auf, die im Kasten für den Setzer sehr günstig liegen. Auch kann man jeden halbwegs guten Kasten durch Einfügen von einigen Fächern in einen Logotypenkasten um wandeln. Einzelne Probesätze, die der Erfinder zusammen gestellt batte, wiesen gegenüber dem gewöhnlichen Typensatze eine Zeitersparniss von 25 pCt. auf; diese könne aber bei weiterem Ver trautsein mit dem Kasten noch erhöht werden. Letzterer lag zur Ansicht auf, und die meisten Redner der anschliessenden Debatte sprachen sich günstig über denselben aus. Der zweite Vorsitzende dankte dem Redner für seine Ausführungen. Nach einigen technischen Mittheilungen und Beantwortung einiger Fragen schloss die gut besuchte Versammlung um 12 Uhr nachts, y. Ankündigungs-Verbot für Geheimmittel Im Reichsgesundheitsamte macht sich seit Jahren eine Bewegung geltend, die darauf hinzielt, die sogenannten Geheimmittel zu unter drücken. Die Mitglieder des Reichsgesundheitsamtes gehen dabei von der Erwägung aus, dass sich unter der Zahl dieser Volksmittel manche befinden, die einer wissenschaftlichen Kritik nicht standhalten können, da sie werthlos oder gar schädlich sind. Das Reichsgesund heitsamt hat Recht, wenn es aus der grossen Zahl von Hausmitteln und Spezialitäten diejenigen herausgreift, auf eine Liste setzt und verbietet, durch deren Ankauf das Publikum keine Vortheile, hin und wieder sogar Nachtheile hat. Wie geht nun das Gesundheitsamt, d. h. seine mit dieser Arbeit betraute Kommission, bei der Auslese der schwindelhaften Mittel vor? Im Publikum und in der Presse bestehen Zweifel darüber, ob die Kommission den richtigen Weg einschlägt. Naturgemäss wäre es, wenn die Kommission die einzelnen Spezialitäten und Hausmittel auf ihren Werth untersuchte, die Art der Ankündigung und Empfehlung be- urtheilte und demgemäss die Mittel in einwandfreie und schwindel hafte eintheilte. Bei einem derartigen Verfahren müsste der Fabrikant eines einwandfreien sowohl als der eines schwindelhaften Mittels vom Ergebniss unterrichtet werden, es müsste ihm Gelegenheit gegeben werden, sich über die Mittel zu äussern, Ausstellungen der Kommission zu widerlegen oder durch Aenderungen zu beseitigen. Dies Verfahren wäre recht und billig, denn das Recht jedes Ange klagten, angehört zu werden und sich zu vertheidigen, steht doch auch einem Fabrikanten oder einer Hausindustrie zu, die sich und Tausende mit sich durch diese Fabrikate ernährt hat und sich jetzt in die Gefahr versetzt sieht, erwerbslos zu werden. Bestände ein Präparat die Untersuchung nicht, würden die Einwendungen und Alenderungsvorschläge der Erzeuger nicht als stichhaltig befunden, kurz, würde das Mittel nach Erschöpfung aller Rechtswege als schwindelhaft erkannt und verboten, so hätte die Gerechtigkeit gewaltet und entschieden. Es verschwände ein Mittel von der Bildfläche, das sich nach den jetzt geltenden wissenschaft lichen Anschauungen als schwindelhaft herausgestellt hat, und allen böswilligen Zungen, den Betroffenen nicht zum wenigsten, könnte an Hand der Verhandlungsakten nachgewiesen werden, dass ohne Willkür, ohne Bevorzugung von Nebeninteressen hier vorgegangen ist. Die Kommission freilich will anders zu Werke gehen! Sie stellt Listen auf, nach einer Prüfung ohne Zeugen, ohne dass die Betroffe nen angehört würden, ohne Angabe der Gründe, ohne jede Verantwort lichkeit, mit unbeschränkter Vollmacht. Und steht ein Mittel auf der Liste, so giebt es keine Berufung, der Beschluss dieser Körperschaft ist endgiltig, es giebt keine Instanz, durch welche er widerrufen oder geändert werden könnte. Dagegen sträubt sich das Rechtsgefühl. Angenommen, dieses diktatorische Verfahren, das an Polizeiwillkür streift, wäre gesetzlich zulässig, und eine bedeutende Industrie wäre hilflos der Vermögenskonfiskation preisgegeben, so ergiebt sich doch die Frage: Von welchen Grundsätzen will sich die Kommission leiten lassen? Schwindelhafte Mittel zu unterdrücken hat sie ein gutes Recht, aber was sind denn schwindelhafte Mittel? Ist ein schwindelhaftes Mittel nicht mehr schwindelhaft, wenn es beispielsweise in der Apotheke hergestellt wird? Will sich die Kom mission an die Zusammensetzung halten? Oder an die Verpackung, an die Art der Ankündigung? Die Kommission muss, bevor sie mit der Aufstellung der Listen beginnt, angeben, was sie als schwindelhaft bezeichnen will. Sie muss den Unterschied zwischen schwindelhaften und nicht schwindel haften Hausmitteln feststellen, sie muss deutlich machen, woran ein Mittel für Jedermann als schwindelhaft zu erkennen ist. Gesetzt, eine Kleinigkeit in der chemischen Zusammensetzung, in der Farbe, in der Verpackung, würde den Kommissionsmitgliedern das Mittel zu einem schwindelhaften machen, so muss dem Fabrikanten die Möglichkeit geboten werden, diese Kleinigkeit rechtzeitig zu ändern. • Es ist garnicht abzusehen, wie schwer sowohl die chromolitho grafischen Betriebe wie die Druckereien im Allgemeinen, sowie das Papierfach von einem derartigen Verbot betroffen würden, denn unter den Erzeugern von sogenannten Geheimmitteln befinden sich die grössten und vornehmsten Besteller für Plakate, Kalender, Etikette, Kartonnagen, Zeitungs-Anzeigen. Diese bedeutenden Aufträge, auf die man bis jetzt nahezu mit Bestimmtheit rechnen konnte, würden bei Erlass eines derartigen Verbotes für die Zukunft wegfallen; die Folge davon wäre, dass die Betriebe noch weiter eingeschränkt und Arbeiter-Entlassungen stattfinden müssten. Die jetzige Zeit ist nicht dazu angethan, dass die Industrie noch