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Englische Weihnachtsneuheiten aus Papier Eigenbericht aus London. Nachdruck verboten. Obgleich man von allen Seiten nichts als Klagen über schlechte Zeiten und die durch den südafrikanischen Krieg verursachten erhöhten Abgaben vernimmt, haben sich die eng lischen Erzeuger von Neuheiten papierner Ziergegenstände für Haus und Tafelschmuck nicht abhalten lassen, ihre Leistungs fähigkeit wieder aufs Aeusserste anzustrengen. Sie wissen aber auch, dass sie für ihre Erzeugnisse auf dem Londoner Markt trotz allgemein ungünstiger Verhältnisse auf Absatz rechnen dürfen, wenn es ihnen gelingt, den Geschmack der Käufer zu treffen. Die Weihnacht bringt ihnen stets reiche Ernte, da es nach englischen Begriffen zur regelrechten Festesfeier gehört, das Innere des Hauses möglichst farbenprächtig zu schmücken. Auf dem Lande, wo das Anschaffen von frischem Grün keine Schwierigkeiten macht, dient solches in ausgedehntem Um fange zum Ausputz der Räume, während in den Städten künstliche papierne Blumen und Blätterranken um Weihnachten zu den gangbarsten Gegenständen gehören. Man zeigt da solche, die aus paarweise angeordneten, tiefgrünen, wachsartig glänzenden Blättern bestehen, deren Ränder gelbliche Zeich nung aufweisen, und die bestimmt sind, die Stechpalme nach zuahmen. Letztere spielt bei dem englischen Christfeste be kanntlich eine ebenso wesentliche Rolle, wie in Deutschland die Tanne oder Fichte. Äusser der einfachen Ausführung giebt es sehr hübsch gezeichnete Blattgewinde, deren dunkles Grün, hier und da mit Glimmer belebt, zu den dazwischen ver streuten hochrothen Beeren einen gefälligen Gegensatz bildet. Neben derartigen, nach der Elle gemessenen Ranken sind künstliche Stechpalm-, Mistel- und Efeublätter auch einzeln erhältlich, damit man sie nach Gutdünken zum Ausputz von Kerzen oder als Tafelschmuck zusammenstellen kann. Für den gleichen Zweck erfreuen sich auch Blumen aus Papier grosser Beliebtheit, und zwar werden vornehmlich Kamelien, Rosen und mit Glimmer bestreute Schneeglöckchen verwendet. Eine bedeutende Rolle spielen unter den Gegenständen für Weihnachtsausstattungen Fahnen aller Grössen und Farben. Die Auswahl in solchen ist besonders reich, da nicht nur die Flaggen der verschiedenen Länder als Vorbilder dienen, sondern auch die Erfindungsgabe der Musterzeichner immer neue Blüthen treibt. Die einfacheren Fahnen bestehen aus farbigem Papier und feinen Drahtstäben, für die theureren werden Gelatine und Metallfranzen verwendet. Knallbonbons, die während der übrigen Zeit des Jahres fast völlig vernachlässigt sind, werden zur Weihnachtszeit so flott begehrt, dass sich mit ihrem Verkauf vier verschiedene Berufs klassen beschäftigen, nämlich Papier-, Süssigkeits-, Kolonial- waarenhändler und sogar Ausstattungsgeschäfte. Knallbonbons fehlen kaum bei irgend einer in der Christwoche veranstalteten festlichen Gelegenheit und dienen infolge ihrer meist farben prächtigen Aufmachung und ihres oft kostspieligen Inhaltes als beliebter Tafelschmuck und gleichzeitig zur Belustigung der Gesellschaft. Verschiedene Londoner Häuser leisten auf diesem Gebiete Hervorragendes, und jahraus jahrein gelangen Neuheiten auf den Markt, die alles vorher Gezeigte übertreffen. Unter den jüngsten Erscheinungen ist ein Muster besonders zeitgemäss, das sich »Krönungs-Knallbonbon« nennt. Dasselbe besteht aus einer Pappschachtel, deren Deckel mit den Bildnissen der bisherigen sieben englischen Könige namens Edward ge schmückt ist. Im Innern befinden sich zwölf Knallbonbons, deren Umkleidung aus purpurner Gelatine über Goldpapier be steht, während der Inhalt sauber in Farbendruck ausgeführte Bilder der königlichen Familie aufweist. Höchst eigenartig ist eine andere Schachtel mit Knallbonbons, die sich namentlich für litterarisch-gesellige Zusammenkünfte eignen dürfte. Ihr Inhalt setzt sich nämlich aus Miniatur-Ausgaben der be kanntesten englischen Zeitschriften zusammen, auf denen geist reiche Liebesverse oder scherzhafte Inschriften gedruckt sind. Eine besonders ansprechende Sammlung ist unter der Be zeichnung »Wedgwood Art Series« erschienen. Wie sich er- rathen lasst, ist die Ausstattung derselben im Geschmack der berühmten Thonwaaren gleichen Namens gehalten, und zwar hat man sich bei der Nachbildung streng an die ursprünglichen Entwürfe gehalten. Als Hülle der Bonbons dient Gelatine in zarten Modetönen, wie porzellanblau, salbeigrün usw., und die Füllung besteht aus Kopfbedeckungen von Krepppapier in ent sprechenden Farben, kleinen Thongegenständen im Wedgwood geschmack und dergl. mehr. Ein neuer Entwurf für Knall bonbons folgte dem Zeitgeist, der hier das Automobil-Fuhrwesen zu seinem jüngsten Steckenpferd erwählt hat. Anstelle der üblichen, bildgeschmüokten Pappschachtel, die zur Aufnahme der einzelnen Bonbons zu dienen pflegt, sehen wir in diesem Falle ein Motorgefährt, das sich auf vier Rädern bewegt und mit zwölf Knallbonbons beladen ist. Letztere enthalten in ihrem Innern sogenannte Vexirbilder, die auf die »Motor Craze« Bezug haben. Die Auswahl an kriegerischen Knallbonbons, deren Füllung sich aus Soldatenhelmen, Waffen, Fotografien bekannter Feldherren und Andenken an den südafrikanischen Krieg in Gestalt von Patronen usw. zusammensetzt, ist ausser ordentlich reich, die neuesten unter ihnen zeichnen sich durch ihre Grösse aus. So zeigt man z. B. ein »Long Tom« be nanntes Muster von 191/2 Zoll engl. Länge, das sich sechsmal abfeuern lässt und einen ganzen Berg militärischer Gegen stände enthält. Der Grosshandels-Preis dieses Geschützes ist etwa 2 M. das Stück. Ein eigenartiger Geschmack offenbart sich in dem sogenannten »arktischen« Entwurf. Die Schachtel ist mit Darstellungen der glühend-farbigen Mitternachtssonne und der Eisberge geschmückt, während der Inhalt aus Bären masken und »seltenen Gegenständen« aus dem Lande der Mitternachtssonne besteht, die angeblich von Nansens und Andrees Nordpolfahrt herrühren. Aeusserste Heiterkeit dürfte die Füllung einer Schachtel erregen, die das Aussehen eines mit Mixed Pickles gefüllten Glases hat. Im Innern befinden sich Knallbonbons, in denen kleine Behälter aus Papiermasse in Gestalt von Gurken, Mohrrüben, Zwiebeln usw. enthalten sind, die sich öffnen lassen und kleine Bilder bergen. Letztere stellen die Leiden und Freuden des ehelichen Lebens, von passenden Versen begleitet, dar. So zeigt eins derselben den Pater familias, wie er in der Nacht mit einem schreienden Säugling herumläuft und diesem die Flasche aufzudrängen sucht, und dergl. mehr. Bei den bisher beschriebenen Mustern handelt es sich vor nehmlich um solche, die für gesellschaftliche Zusammenkünfte Erwachsener geeignet sind. Die Hauptmenge der Neuheiten besteht indess aus solchen, die in erster Linie zur Belustigung von Kindern dienen. Unter diesen verdient z. B. eine Schachtel Beachtung, deren Knallbonbons äusser den üblichen Seiden papiermützen je vier echte ausländische Briefmarken enthalten. Ein neuer Gedanke kommt in folgendem Muster zum Ausdruck: eine 12 Zoll lange und 6 Zoll breite Pappschachtel enthält zwölf Knallbonbons und eine unangekleidete Wachspuppe. Im Innern der Bonbons sind die zur Bekleidung der Puppe nöthigen Gegenstände anzutreffen. Einem doppelten Zweck dient eine Reihe von Knallbonbons, die zum Aufstellen auf die Speisetafel eingerichtet und als Speise- und Tischkartenhalter zu benutzen sind. An deren Vorder seite sieht man Ballettänzerinnen mit Krepppapiergewändern, deren Beine und Arme beweglich sind. Wenn man letztere über den Kopf der Püppchen hebt, so können sie in Gemein schaft mit dem dahinter befindlichen Knallbonbon eine da zwischengesteckte Karte halten. Einen eigenartigen Tafel schmuck bilden ferner sogenannte Balldamen, ebenfalls an gekleidete Seidenpapiergestalten, aber in grösserer Ausführung und im Ballanzuge. Diese tragen in der Hand einen kleinen, mit nachgeahmten Schmucksachen gefüllten Knallbonbon und sind mittels unsichtbarer Stützen zum Aufstellen eingerichtet. Aeusserst spasshaft wirkt eine Aufmachung von Knallbonbons, die eine Reihe 7 Zoll hoher Säuglngsfiguren in papiernen Nachtkleidern vorführt, unter denen die zum Abfeuern dienenden Pappstreifen verborgen sind. Der Inhalt der Bonbons wird von kleinen Milchflaschen gebildet, in denen sich scherzhafte Verse befinden. Nur Deutsch! Es freut uns sehr, aus dem in Nr. 98 erschienenen Brief zu ersehen, dass B. N., der jenen Brief unterschreibt, unsere Ansichten über die Vermeidung von Fremdwörtern theilt. Wir können aber nicht zugeben, dass B. N. recht habe, wenn er meint, wir sollten »Papiervertreter« statt »Papieragent« sagen. Papier kann nicht ver treten werden, wohl aber Papierfabriken, somit ist das Wort »Papier- Agent« eher deutsch als »Papiervertreter«. Wir hoffen, dass B. N., dem wir als Verfechter des Deutschthums alles Glück wünschen, uns dies nicht übel nehmen wird. Londoner Vertreter deutscher Papierfabriken Im Wald und auf den Ruheplätzen Kannst Du friedlich Dich ergötzen; Lab’ Dich am Imbiss mit Vergnügen, Doch die Papiere — lass nicht liegen! y.