Volltext Seite (XML)
3396 PAPIER-ZEITUNG Nr. 9t Londoner Briefpapier-Neuheiten Eigenbericht Seitdem in England die Ansicht Platz gegriffen hat, dass es gegen den guten Geschmack verstosse, sich solcher Dinge zu bedienen, die durch Farbenpracht oder sonstige besondere Eigenschaften auffallen, oder wie man sagt, schreien, fanden die Fabrikanten von Briefpapier das Gebiet, auf dem sie ehe dem ihrer Erfindungsgabe freien Spielraum lassen konnten, wesentlich beschränkt. Gleichzeitig verschwanden aber auch die sogenannten verblüffenden Neuheiten oder »startling novelties«, die durch ihre Absonderlichkeit oft dem guten Ge schmack hohnsprachen, und an ihre Stelle traten minder an maassende, aber gefälligere Muster. Freilich wird es für die Herausgeber von Neuheiten immer schwerer, dem Verlangen der Käufer nach »Niedagewesenem« zu entsprechen, und ihr Erfolg hängt jetzt mehr oder minder von der Geschicklichkeit ab, mit der sie bereits bekannte Muster theils durch geringe Aenderungen, theils unter neuem Namen als Neuheiten einzu führen verstehen. So kam z. B. in jüngster Zeit wieder Ge webe nachahmendes Briefpapier stark in Aufnahme. Eine der beliebtesten Aufmachungen ist eine flache viereckige Schachtel mit weissem Glanzpapier bezogen, auf dem sich die geprägte Gestalt eines Hochländers und die Sinnbilder Schottlands, Disteln und Haidekrant, in Farbendruck abheben. Das Innere der Kassette ist mit Briefblättern, Umschlägen und Karten ge füllt, die aus blasskarrirtem Flanell zu bestehen scheinen und trotz ihrer glatten Oberfläche rauhes, wolliges Aussehen haben. Eine erikafarbige Seidenschnur vervollständigt die Ausstattung des »Highland for ever« benannten Briefbehälters. Ein weiteres Muster dieser Gattung, das Anspruch auf theil weise Neuheit erhebt, bildet himbeerfarbiges Papier, eine Nach ahmung der jetzt so beliebten irischen »Homespuns«. Das Format der Briefblätter ist 20 cm im Geviert, während die dazu gehörigen Umschläge ebenso breit, halb so hoch und mit weit übergreifenden Klappen versehen sind. Ein Ereigniss, unter dessen Einfluss wir noch immer ein wenig stehen, war das Ableben der Königin Viktoria. Die damit verbundene Landestrauer legte seiner Zeit nicht nur das Geschäft in farbigem Briefpapier fast völlig lahm, sondern hat auch eine so ausgesprochene Einwirkung auf die Geschmacks richtung ausgeübt, dass eine grosse Zahl neuer, für die kommende Saison bestimmter Muster dementsprechend ge halten wurde. Es handelt sich dabei natürlich keinesfalls um eigentliche Trauerpapiere sondern um solche, die diesen in Bezug auf Tönung oder Ausschmückung ähneln. Zu diesen ge hört ein hellfliederfarbiges Papier, das von einem 3 mm breiten, dunkelvioletten Rande umzogen wird, der erhaben er scheint und die Schreibfläche rahmenartig umgiebt. Zur weiteren Verzierung dient ein hochgeprägtes, wappenförmiges Schild in der linken oberen Ecke des oberen Briefblattes, das auf dunklem Grunde in feiner Goldpressung die verschlungenen Namenszüge des Absenders aufweist, während sich in der gegenüberliegenden Ecke nähere Angaben des Wohnortes in der bekannten stufenweisen Anordnung befinden. In Bezug auf diese letztere scheint eine wesentliche Umwälzung nicht möglich zu sein, denn nachdem man eine zeitlang die Adresse in der Mitte des Briefkopfes oder in der linken Ecke anzu bringen versuchte, ist man wieder in die von jeher für diesen Zweck bestimmt gewesene obere rechte Ecke zurückgekehrt. Rein weisses Papier findet gegenwärtig nur beschränkten Absatz, meist nur, wenn es aus starkem, scheinbar handge schöpftem Stoff besteht. Dagegen sind gelbliche und graue Töne sowie alle zarten Schattirungen der sogenannten Liberty- Farben die Lieblingskinder des Geschmackes. Obgleich Eng land sich in Bezug auf Modeangelegenheiten gern an das Aus land hält, und namentlich Paris einen grossen Einfluss ausübt, konnte sich die daselbst bereits seit Langem heimische neue Kunstrichtung (art nouveau) hier anfänglich nur wenige An hänger verschaffen. Erst in jüngster Zeit gelangt dieselbe mehr und mehr in Aufnahme, aber es handelt sich dabei zu meist um Entwürfe der gemässigteren Art, wenn man sich so ausdrücken darf, d. h. die Ausschweifungen der Einbildungs kraft, denen wir bei so vielen französischen Gegenständen im neuzeitlichen Stile begegnen, finden nach wie vor bei den am Althergebrachten hängenden Briten wenig Beifall. Dagegen sind Muster, die sich von argen Uebertreibungen fern halten, beliebt. Dies gilt z. B. von einem azurblauen Brief papier, dessen Grund von einer Zeichnung fantastischer Blumen ranken in etwas dunklerer Schattirung fast völlig verdeckt wird. Die Zusammenstellung der verschiedenen Farbentöne ist recht wirkungsvoll, wenngleich die angeblichen Blumen in der Natur ihres Gleichen kaum finden und vermuthlich nur in der Erfindungsgabe des Musterzeichners Wurzeln treiben konnten. Ein anderer Entwurf dieser Art führt ein mattrosa Papier vor, dessen Briefblätter sich höchst eigenartig aus nehmen. Sie sind breiter als hoch und in scheinbar absichts loser Weise mit sehr frei gezeichneten Mohnblumen bestreut. An den vier Ecken des vorderen Blattes weisen die Blüthen eine ziemlich ausgesprochene Färbung auf, während sie nach der Mitte zu, ebenso wie auf den drei übrigen Seiten, sehr matt und fast nur in Umrissen erscheinen. Man zeigt dieses Muster in hochrothen Glanzpapierschachteln, die mit geprägten Mohnblüthen in Schwarz geschmückt sind, was in den Fenstern der Papiergeschäfte, namentlich bei grösserer Anhäufung der artiger Kassetten, stark ins Auge fällt. Einige der neuen Briefpapiere sind mit sogenannten »All over« Zeichnungen, d. h. mit solchen bedeckt, die fast nichts von dem Grunde zum Vorschein kommen lassen. Solange die einzelnen Figuren, Blumen oder was es sonst sein mag, nicht übermässig gross gehalten sind, kann man derartigen Mustern eine gewissen eigenartigen Reiz nicht absprechen, sehr häufig passt jedoch die Kühnheit der Auffassung nicht in die Grenzen des zur Verfügung stehenden Raumes, und die Folge davon ist, dass sich die Briefpapiere wie Musterausschnitte aus einer Tapetensammlung ausnehmen. Zwei ansprechende Neuheiten, die flotten Absatz zu finden versprechen, erschienen unter den Namen »Hermelin« und »Edelweiss«. Erstere ähnelt, wie die Bezeichnung andeutet, der Pelzart gleichen Namens, und zwar wird die Nachahmung durch geschickte Wiedergabe der feinen schwarzen Haartupfen, mit denen der weisse Grund gesprenkelt ist, recht täuschend bewirkt. Zur Ausschmückung des Her- melinpapieres dient ein goldgepresstes Wappenschild am Kopfe des ersten Blattes, in dem sich ein rothgedruckter Namenszug befindet. Die dazu gehörigen Umschläge haben glatte weisse Vorderseite, die Rückseite ist in beschriebener Weise gemustert. Vermuthlich soll durch diese Einrichtung der Erschwerung des Postversands vorgebeugt werden, die leicht eintreten könnte, wenn die schwarzen Tupfen die Deut lichkeit der Aufschrift beeinträchtigten. Auch das zweite der erwähnten Muster wird bereits durch den Namen gekennzeichnet. Der Grund des milchweissen Papiers wird nämlich fast voll ständig von sahnenfarbigen Blüthen der beliebten Alpenblume bedeckt, die in verschiedenen Grössen und ohne alle Regel mässigkeit aufgestreut erscheinen. Die Umschläge tragen an der Spitze der Klappe ein gepresstes Edelweiss, das beim Verschluss derselben zur Hälfte auf dem unteren Theil der Hülle liegt und den Eindruck erweckt, als wäre es einzeln aufgeklebt. Recht zeitgemäss sind einige Papier-Neuheiten sportlicher Natur, unter denen eine besondere Aufmerksamkeit verdient, deren vorderes Blatt mit farbigen Abbildungen zweier Renn yachten, der »Columbia« und der »Shamrock II« geschmückt sind. Dieses Muster spielt auf die jüngst in Amerika statt gefundene Segelwettfahrt um den Amerikapokal an, die von den sportliebenden Engländern aller Gesellschaftsklassen mit regstem Antheil verfolgt wurde. Auf den zu diesem Papier gehörigen Umschlägen ist der Sport durch einen Rettungs gürtel gekennzeichnet, der in gleicher Art wie das Edel weiss beim vorhin beschriebenen Papier so angebracht ist, dass er den Verschluss wie ein Siegel bewirkt. Eine weitere Reihe von Mustern dieser Gattung trägt auf der Vorderseite farbigen Bilderschmuck, der Frauengestalten zum Gegenstand hat, die durch ihre Trachten gewisse englische Spiele versinn bildlichen. So ist eine derselben bestimmt, das Pyramidenspiel darzustellen, und zu diesem Zweck mit einem Gewand an- gethan, das mit Dreiecken und Bällen geschmückt ist, während sie in der Hand einen Billardstock hält. Vertreterinnen des Fussball-, Cricket- und Golfspieles fehlen nicht und sind in ähnlicher Weise mit für das Spiel nöthigen Geräthen aus gestattet. Chinesisches Papiergeld. Vor längerer Zeit wurde bekannt, dass der chinesische Vizekönig Tschang-Tschi-Tung die Her stellung von Papiergeld bei der japanischen Reichsdruckerei in Tokio in Auftrag gegeben hat. Jetzt hat auch der Vizekönig von Schantung Yuan-Schi-Kai durch den japanischen Konsul in Tientsin bei der japanischen Reichsdruckerei die Anfertigung von Papiergeld bestellt. R.