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»ie bei Schwindsüchtige«, die Brust hebt sich raffelnd bei jedem Atemzug. .Sie haben recht! — Ich habe nicht ge arbeitet — habe alles für Putz verschwendet, — ein elendes, verächtliches Leben liegt hinter mir; und ich sterbe daran, — aber die Schuld, die trage nicht ich, die Schuld hat ein anderer!" Ihre Stimme bricht. „Die Schuld hat allein ein frischer junger Bursch, — Verein armes Mädchen geliebt und betört hat! — Und als sie an ihm hing mit ganzer Seele — da stieß er sie hohnlachend von sich, inS Elend hinein. Und er ging hin und freite eine Reiche. Und als sie ihn zum ersten Male sah — mit seinem Weibe — dem buckligen, häßlichen, — mit dem bösen, geizigen Gesichte, ihn, den frischen, jungen Burschen, der sich schamlos verkauft hatte, — und den sie immer noch liebte, den sie nicht oer- gefseu konnte, trotz alledem, — da lachte das arme Mädchen, und ein furchtbarer Ekel packte sie, vor ihm, vor der ganzen Welt. Und sie ging davon, und eS ging bergab mit ihr — immer schneller, — immer rasender berg ab. — Und doch konnte sie den frischen, jungen Burschen niemals vergessen — der sie einst so heiß geliebt, und verraren — um schmutziges Geld!" Tätlich erschöpft hielt sie inn:. Herr Martin Müller stand reglos. „Und nun liegt sie in einer Dachkammer — elend, verachtet, und freut sich auf den Tod!" „Und er? — Er ist ein reicher Mann gewvr- de«. Ein tadelloser Mensch, vor dem alle den Hut ziehen. — Einer, der nichts zu bereuen hat in seinem Leben, — der sich nichts, gar nichts ooczuwerfen hat! Sie lacht heiser aus; es klingt entsetzlich; ein Blick namenloser Verachtung trifft sein erblaßtes, feistes Gesicht. „So, Martin Müller, nun setze mich auf die Straße — damit ich im Straßengraben verende, — »o ich hingehöre!" Er gurgelt dumpf und macht eine hilflose Be wegung mit der fleischigen Rechten. Ec will ans Bett treten, doch sie wendet sich nach der Wand, ihr Röcheln klingt immer leiser. Mit schweren Schritten verläßt er das dumpfige Gelaß. Mühsam keucht er die steilen Stufen herab, das Asthma schnürt ihm die Kehle zu; er fühlt sich plötzlich alt und und müde. Der kalte Schwei perlt ihm aus allen Poren, sein Gesicht steht gan; gelb und talgig aus; die Unterlippe hängt herab Er geht schwankend, wobei ihm da? Medaillon au der Weste hin und her tanzt. Die alte Wirtschafterin hat schon für ihn ge deckt, einladend schaut ihm der Tisch entgegen. Mit einer Gebärde des Ekels will er vorüber gehen, doch er besinnt sich anders, und läßt sich schwerfällig nieder. Bei Tische wird ihm besser; wie einem doch die scheußliche Luft in den Armeleutewohnung auf die Nerven fällt! Um neun Uhr sitzt er bereits wieder an seinem Stammtisch und wieder hören ihm alle andächtig schweigend zu, als er mit seiner öligen Stimme sagt: „Arm wird jeder nur durch seine eigne Schuld!" Um der Küter willen. Von Käte Lubowski. ^Da» Giraffeubaby des Kerliner Zoologische« Garten«. Im Berliner Zoologischen Garten ist kürzlich eine junge Giraffe angekommen. Die Geburt ging glücklich vonstatten, und die Mutter nahm sich des Kleinen unmittelbar nach der Geburt liebevoll an. Eine halbe Stunde, nachdem die junge Giraffe das Licht der Welt erblickt hatte, glückte eS ihm bereits auf den Beinen zu stehen und Gehversuche zu unternehmen. Bei der Geburt maß daS Gir affenbaby bereits 1.75 m. Hoffentlich bleibt die neueste Errungenschaft des Berliner Zoologischen Gartens am Leben. Nachdruck verboten. „Eijentlich ganz kolossale Anmaßung", meinte der lange Oberleutnant Frisch an nüchternen Alltagen der beliebte Spaßmacher des 4ö. Artillerie- Regiments zu Brielfeld — — zuseinem Kameraden Georg von Brinkmann, „sich einfach denselben Je- burtStag wie unser allergnädigster Kaiser auszu suchen." „Muß man ihr mal in aller Hochachtung klar machen", schlug ein blutjunger Leutnant vor. Der Oberleutnant von Brinkmann hatte sich erhoben und sah mit stillem Lächeln auf die erhitzten Gesichter der Kameraden herab, die sich vor der langen offiziellen Festtafel noch ein wenig stärkten. „Fräulein von Haubrinken ist so herzensgut und selbstlos, daß sie daraufhin imstande wäre, ihn zu verlegen" wehrte er energisch ab. „Also Unter lasten Sie es lieber. Und mich entschuldigen Sie jetzt auf ein Stündchen. Ich bin pünktlich wieder zurück." Die anderen sahen ihm kopfschüttelnd nach. „Kolossale Anhänglichkeit!" meinte Frisch. Jemand trällerte zwei Strophen aus einem lustigen Liede: „Die Alte verehrt er, wie uns das so scheint, Die Junge dagegen, die hat er . . . jemeint . . ." „I wo," sagte Frisch, „keine Ahnung. Die schöne Gesellschafterin der alten Haubrinken, d-e Herta Rewitt, meinen Sie mit ihrem Singsang? Die iS kalt wie ne Hundeschnauze und arm wie ne Kirchenmaus." „Was hat das mit der Liebe zu schaffen, Frisch?" „Bei Ihnen und mir . . . vielleicht nischt. Aber den Brinkmann kennen Sie eben noch nicht Na, kommen wir auf ein anderes Thema. Orrrrrrdonanz . . . Stoff her." Georg von Brinkmann stand in dem gemüt lichen Wohnzimmer seiner alten Freundin und brachte seine Glückwünsche dar. — Die alte Dame sah ihn forschend an. „Ich danke Ihnen sehr, lieber Georg. Diese herrlichen Veilchen. Nein, nein ... sie sind wirk lich viel zu schön für mich. So . . . nun machen Sie sich's aber recht gemütlich . . . Wissen Sie, daß Sie mir heute -in bischen fremd erscheinen. So ernst.. ja beinahe sorgenvoll." „DaS macht der Dienst" sagte er ausweichend, „und eine Menge schriftlicher Arbeiten dazu." „Nein," lächelte sie, „das ist eS nicht. Hierin den Augen steht es." Eine Weile war es still zwischen ihnen. Leise brachte das Mädchen die silberne Kaffee maschine herein. „Sie müssen heute genug Alkohol zu sich neh men. Der Kaffce ist das einzige Mittel, die- un gestraft zu tun. Die Zigarren stehen rechts neben Ihnen, lieber Georg. So und jetzt erst werde ich Sie bedienen. Fräulein Rewitt ist nämlich fort." Seine Hand zuckte auf. Tein Gesicht bekam einen fahlen Schein. „Fort . . . wiederholte er mechanisch . . ; „fort?" „Nur für ein Stündchen" tröstete sie bedeu tungsvoll. Er riß sich zusammen. Eie verfolgte aufmerksam den feinen schwarzen Strahl, der sich in da« duichsichtige Porzellan der Taffe ergoß und versorgte ihn mit Sahne und Zucker. ES war augenscheinlich, sie wollte ihm Zett zur Fassung gönnen. „Misten Sie eigentlich, was den Grundstein zu unserer Freundschaft gelegt hat, Georg?" „Mein Unfall als Fahnenjunker direkt zu Ihren Füßen. Sie waren schon vorher immer so freundlich zu mir gewesen. Wenn wir einander auf der Treppe begegneten, vergaßen sie nie ein gutes Wort. Darum wollte ich Ihnen Platz machen . ." „Und fielen dabei und taten sich elend weh" vollendete sie. „Ganz richtig. Aber daS ist eS doch nicht." „Sonst ist mir noch bewußt, daß ich ständig seither von Ihnen Liebes und Schönes entgegen- genommen habe, Tante Haubrinken." „Wir wollen jetzt nicht untersuchen, wer mehr annahm, Georg. Dazu ist ihre Zeit viel zu kurz. Sie sollen aus dem nämlichen Grunde auch nicht lange raten . . . Ihr Vater war es, Georgi" „Er war doch aber schon tot, als wir uns kennen lernten." „DaS wohl. Aber bevor Sie waren, gab eS doch auch schon eine Zeit. Wir — Ihr Vater und ich, begegneten uns in dieser, als ich dem Vater un seres jetzigen Kaisers bei seinem Besuch in unserer Stadt die WillkommenSrosen überreichte. Als Tochter deS Bürgermeisters kam mir das zu." „Daß Sie mir nie zuvor davon gesprochen haben, Tante Haubrinken." „Mit Vorsatz nicht. Die Vergangenheit sollte Sie nicht in Ihrer Anhänglichkeit bestärken. Ich wollte zuvor gewiß sein, ob Sie aus Ihrem eigenen Gefühl entspränge. Nun lasten Sie mich weiter er zählen. Es war ein Tag in meinem Leben, den ich niemals verpesten habe. Die gleichsam verklärte Schönheit des schon damals dem Tode geweihten Kaisers Friedrich . . . sein gütiger Blick . . . sein warmer Händedruck und nachher das Zusammensein beim Festbankett mit Ihrem Vater. — Aber Sie trinken ja gar nicht, Georg!" „Nun, wir Haubrinkens ivaren damals noch arm, angewiesen auf des VaterS schmales Gehalt. Etwa so arm, wie eS die Herta Rewitt ist. — Spä ter, im Herbst meines Lebens, änderte sich daS ja durch reiche, unerwartete Erbschaften. — In der Zeit der Jugend, die jenem ersten Sehen folgte, be gegneten wir uns dann noch oft. Auf den Kastno bällen, bei den Gesellschaften der Leute, welche die Saison machten. — Plötzlich ließ sich Ihr Vater versetzen. Er hatte nie vergessen, daß ich so mittel los war, wie er selber. Es hatte absolut keinen Roman zwischen uns gegeben. Nur einen langen Händedruck beim Abschied und ein paar Tränen. Darum war auch in mir keine Bitterkeit, kein Kla gen gegen die Härte der gemeinsamen Schicksals, sondern nur Helle Bewunderung, wie er es unS bei den erträglich zu machen verstand. Um dieses Va ters willen gewann ich Sie zuerst lieb. Schon da mals, als ich hörte, daß er nicht mehr unter den Lebenden weile. Sie sind wie er. Sie wollen jetzt auch gehen." Der junge Offizier schrak zusam men. „Ich habe noch niemanden in meine Pläne eingeweiht, Tante Haubrinken. Wie ist es möglich . ." „Mein Herz fühlte sie. Sie tun es um Herta." „Ja," sagte er dumpf. „Darum. Meine Mutter ist allerdings wohlhabend, aber der Zuschuß an die vier Schwestern und ihr eigener Unterhalt verschlingt alles. Für mich bleibt nichts übrig. — — Ich wollte nach Eüd-West-Afrika geh«m." „Ein bischen weit, lieber Georg ... Und an mich denken Sie dabei gar nicht?" „Nein" sagte er ehrlich; „ich denke nur, daß ich anständig bleiben muß." Sie nickte ihm herzlich zu. Fröhlicher Stolz, daß sie sich nicht in ihm ge täuscht hatte, füllte ihr Herz. „Also . . . nach Afrika" wunderte sie sich. „Ihr Modernen seid sa viel gründlicher, wie wir damals." Dann träumte sie ein wenig vor sich hin. „Sie sind auch nicht der Stärkste, Georg", „Dich und mich? — Sie hielt mich also viel leicht für deinen Mitschuldigen, Hanna?" „Ich weiß es nicht. Und wenn es so sein sollte, wird es dir ja ohne große Mühe gelingen, sie von der Grundlosigkeit ihres Verdacht« zu über zeugen. Auf eine Schonung meiner Person brauchst du dabei nicht im mindesten bedacht zu sein. Ich entbinde dich ausdrücklich von jeder derartigen brüderlichen Verpflichtung. Nachdem mein Bemühen, dir zu einem bescheidenen Glück zu verhelfen, so kläglich mißlungen ist, bin ich ja für euch alle ohne Zweifel zu einem Gegenstand deS AbscheueL gewor- den, und werde gut tun, euch so schnell als möglich von meinem widerwärtigen Anblick zu befreien. Bernhard hörte vielleicht kaum noch, was sie sprach. Mit zerwühltem Haar und totenbleichem, verstörtem Gesicht, das innerhalb dieser einzigen Mertelstunde um ein Jahrzehnt gealtert schien, saß er vor seinem Schreibtisch, ein völlig gebrochener Mann. „WaS soll nun werden ?" stöhnte er. „Gott im Himmel, waS soll nun werden?" Hanna trat auf ihn zu, und etwas gering schätzig Mitleidiger war in der Art, wie sie sich über ihn herabneigte. „Wenn du eS nicht weißt, so will ich eS dir sagen. Auf die Hälfte von WedekingS Millionen werdet ihr euch allerdings keine Hoffnung mchr machen dürfen. Ganz umsonst aber wird mein Be- mühen immerhin nicht gewesen sein. Der Regie- rungS-Affessor wird dir ja irgend einen Vergleichs- Vorschlag machen, und damit, daß du Restorp und Harro bestimmst, ihn unbedenklich anzunehmen, kannst du ihnen wenigstens noch etwa« retten. Dein Schwiegervater wird zwar keine fürstliche Wohnung am Rande dek Tiergartens davon bezahlen können, aber er wird doch auch nicht länger wie ein Bettler und Jndustrientter zu leben brauchen." Sie wollte noch mehr sagen, doch eine unge stüm abwehrende Bewegung des BruderS hieß sie schweigen. „Genug! Quäle mich nicht länger! Und treibe mich nicht dazu, eS auszusprechen, wie ich über dich und deine Handlungsweise denke. WaS ich in dieser Prozeßangelegenheit zu tun habe, weiß ich auch ohne deinen Rat. Geh fitzt, und laß mich allein." Sie trat zurück, und ein spöttisches Lächeln zuckte um ihre Mundwinkel. „Genau so habe ich nur den Dank vorgestellt, den ich im Fall deS Mißlingens ernten würde," sagte sie. „Und ich werde mich weislich hüten, mich zum zweitenmal für einen Schwächling zu opfern." Sie ging, ohne daß Bernhard ihr sein Gesicht zugewendet hätte, und eS war nicht die leiseste Spur Uner Erregung in ihren schönen Zügen, als sie sich in ihrem Zimmer an den Schreibtisch setzte, um mit raschen Federstrichen auf ein Papierblättchen zu chreiben: „Alles ist geordnet. Aber ich muß dich notwendig sprechen. Erwarte mich morgen früh in deinem Hotelzimmer. Hanna." AIS sie die Feder sortwarf, glänzten ihre Augen wie in stolzer Siegesfreude, und auf ihrem herr lichen Antlitz war kein Schatten der Sorge oder der nagenden GewistenSqual. Siebzehnte» Kapitel. Die alte Frau Bading war eS, die Bernhard auf sein Klingeln öffnete. Sie war heute weder mit ihrer fürchterlichen StaatShaube, noch mit einer blütenweißen Schürze angetan, wie an jedem Abend, da man seiner Schwester einen so feierlichen Empfang bereitet hatte und nicht der Abglanz deS festlichen Herdf.uns, sondern eine tiefe Taurigkeit war au ihrem derbknochigen, ehrlichen Gesicht. „Wie gut, daß Sie endlich kommen, Herr Rechtsanwalt! Ich glaube, eS ist niemals so nötig gewesen wie heute." Er wollte eine Frage an sie richten; aber da stand schon Georg von Restorp in der geöffneten Tür deS Wohnzimmers und lud mit einer stummen Handbewegung den Ankömmling zu sich inS Ge mach. Wohl trug er auch heute seine Hellen Gamaschen und seine schimmernde weiße Weste, auf die das Monocle am breiten schwarzen Bande herniederhtng, aber seine alten Freunde würden trotzdem Mühe gehabt haben ihn zu erkennen, so jämmerlich ge knickt war seine hohe Gestalt, so wirr und zerzaust der graue Backenbart, so greisenhaft und zerfallen sein Gesicht. „Ich habe Dich erwartet, mein Sohn," sagte er, ohne wohl selbst zu bemerken, daß er den Ver lobten seiner Tochter zum erstenmal mit „Du" an redete, „denn ich wußte ja, daß Du kommen würdest, obwohl sie mir verboten hat nach Dir zu schicken. Du konntest uns nicht verlaffen in unserm furcht- baren Mißgeschick." „Wo ist Inge?" fragte Bernhard, da er sich im Zimmer vergebens nach ihr umgesehen hatte. „Sie vor allem muß ich sprechen." Georg von Restorp deutete auf eine der beiden Türen. „Da drinnen — mit ihrer Mutter. Aber Du darfst nicht hinein, ehe ich sie auf Dein Komme« vorbereitet habe. Und Du mußt sanft und gütig zu ihr sprechen. Denn sie ist schwer krank." „Krank? — Mein Gott sie ist doch nicht in Gefahr?" Der Freiherr fuhr sich mit der Hand über die Augen, und es war ganz und gar nichts Theatra lisches in dieser Gebärde. „Der Arzt ging eben fort. Er meint, e« ließe sich noch nicht recht erkennen. Aber er — er hofft, sie werde nicht daran sterben." Bernhard wollte trotz der bittenden Mahnung zur Tür; aber Georg von Restorp erfaßte seinen Arm. „Ein Wort erst mein Sohn I Du sollst uns nicht für schlechter halten, als wir sind! Niemand soll durch uns geschädi t und hintergangen werden — niemand! Der Brief ist schon unterwegs, der dem Assessor Wedeking mittetlt, daß ich auf jeden Anspruch verzichte. Und dann — sie hat er doch auch ganz aus freien Stücken gestanden." „Wer hat etwas gestanden ?" fragte der Rechts anwalt, der seinem Atem stocken fühlte. „Doch nicht Inge? War, um des Himmelswillen, hatte ie zugestehen?" „Daß sie — den Brief — ja, ich glaube doch, daß Du eS schon wüßtest." (Fortsetzung folgt.)