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: DWein-WW WM Amtsblatt. s Rr. 11. Somüag, den 13. Januar 1907. S. Beilage. Giusturzkatastrophe beim Da« der Huusrückbalsu. Bei dem Bau der HunSrückbahn Boppard—Kastellane hat sich zwischen Leiningen und Lam scheid ein schweres Unglück ereignet, dem leider eine größere Anzahl von Menschenleben zum Opfer fielen. 40 Arbeiter wurden verschüttet, von denen 13 Tote und 18 Schwerverwundete sofort geborgen werden konnten. Unter den Toten befanden sich ein 18jähriges Mädchen und drei Kinder. DaS UngUick kam daher, daß zuerst zwei Arbeiter verschüttet wurden, denen eine Kolonne zu Hilfe geschickt wurde. Ein Nachsturz verschüttete auch diese. Die Aufregung, die in der ganzen Umgegend herrscht, ist eine geradezu entsetzliche. Unter UM. Eisbahn-Typen von Zok. (Nachdruck verboten.) Bunte Fähnchen flatterten im Winde. Ein rote« Plakat mit Riesenlettern: »Die Eisbahn ist eröffnet I- Wer'S glaubt, gehe dort hinaus, wo Berlin und Schöneberg sich höflich »Guten Tag!" sagen, und bewundere die spiegelglatte Bahn, die schnell improvisierten Erfrischungshallen, den mit Tannen- grün bekränzten Musikpavillon. - Die beiden Pächter — in sibirische Zottelpelze gehüllt — geben sich angenehmen Berechnungen hin. Bald raffelt eS lustig die Straße empor. Der erste Chef kassiert, der andere knipst. „Ergebenster Diener, meine Herrschaften, famoses Wetteri Drei Grad unter Null! — Nee, det bißchen Sonne wird uns den Spaß nicht verderben. Tendenz fest!" Der Geishawalzer. Wie das flitzt, sich biegt und schwebt I Frische Backfische mit flatternden Schleifen, ältere Jahrgänge, die noch ein bißchen Anschluß suchen — — blaffe Herrchens, deren Witze stark nach Sekunda schmecken EiSlöwen, die sonst im Leben keine Rolle spielen. Die Einen leicht und flott, die andern schwer- fällig, daß eS unter ihnen knackt. Dieser ein Fürst auf dem Eise wie auf dem Parquett jener ängstlich schwenkend, wenn daS OffizierscarrL wie Lützows wilde Jagd vorübersaust. In rasendem Tempo nehmen sie alle Höcker und Pfützen, im Schnurrbart jenes Mars Imperator- Lächeln, mit dem sie schon manchem schönen Kinde daS Herz gespaltet. Aber wie die weiblichen Blicke auch um Liebe werben, daS Carrä trennt sich nicht. Flitzt wie ein Pfeil dahin oder wiegt sich im kühnen Holländer Bogen. „Pardon . . ." Große Karambolage. Ein Jüngling im grauen Sportdreß ist unter die Räder des CarrLS gekommen. Einen Augenblick will eS scheinen, als sei es dort zu einem Scharmützel gekommen. Dann dreht sich blitzartig alles um sich selbst; der Jüngling macht einen Luftsprung und steht wieder inmitten seiner Kreise. Diese Kreise sind seine Welt. Unablässig übt er hier seine Figuren, beugt sich, hebt sich, schnellt auf dem Absatz zurück, wirbelt wie eine Balleteuse und entzückt die Damen, um die er sich nicht kümmert, durch die leichte Grazie seines WalzertrittS. Manch' übermütige Kleine schwirrt strahlenden Blicks an ihm vorüber — wenn eS ihr gelänge, den Kunstläufer zu erobern I Der aber, in der Nähe be trachtet ein nüchterner Alltagsmensch, hebt schwer mütig den Blick, als wolle er wie jener weise Grieche bitten: „ . . . bloß zerstöre meine Kreise nicht . ." Fanfaren-Marsch. Mitten im schneidigsten Tempo bremst daS OsfizierS-CarrL, vier weiß behandschuhte Rechte legen sich grüßend an den Mützenrand: „Gnädiges Fräulein . . ." Und wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt . . . gruppiert sich daS Kriegsherr um ein hellblondes Komteßchcn, daS mit allerliebster Un geniertheit dem emen die blitzenden „Minervas" reicht. „Aber recht fest, Kurt! Neulich saßen sie nicht." Leichtfüßig stellt sich Komteßchen an die Spitze des ZugeS; gleich einer Viktoria, von den Wolken ihres weißen Pelzes umflattert, führt sie den Sieges- wagen! Braucht kaum ein Füßchen zu heben — — junge LeutnantSarme tragen sie wie auf Flügeln deS Gesanges. Manch neidooller Blick folgt der Gruppe. Auch jene dort hinten im altmodischen Barett seufzt ein bißchen. Hat auch mal einen Siegeswagen gelenkt — freilich, lang' ist's her — als der Vater noch seine reichen Besitzungen hatte. DaS G-ück wandte sich. Viel verdient sie ja nicht mit den Klavier- stunden, und daS Eirbahnabonnement für sechs Mark ist fast der einzige Luxus, den sie sich jÄ>en Winter leistet. Auch hier einsam wie im Leben. Aber der engen Wirklichkeit entrückt, träumr man von Schlöff rn, die im Monde liegen . . . „Beene weg!" Lachend fliehen sie vor der Schneeschaufel des „ollen Kunze". Wer kennt ihn nicht, der niemals nüchtern und doch stets besonnen — der immer schwankt, doch niemals fällt! „Vater Kunze" ist eins von den Originalen, die im Aus- sterben sind. Sein blaurotes Gesicht schwankt zwischen mürrisch und gutmütig, und während die jüngeren Arbeiter sich einer höflichen AuSdruckSweise be fleißigen: „Gestatten die Herrschaften, oaß hier ge- fegt wird!" — schreit Vater Kunze einfach: „Berne weg!" Wollte man sich darob beim Pächter be schweren, so erhielt man schwerlich recht, denn eS geht die Sage, daß der Alte stiller Sozius sei. „Vater Kunze," näselt ein junger Porträt- maler, „ich möchte Sie als Nestor, den greisen Zecher, malen, der drei Menschenalter sah ...würden Sie mir sitzen?" »Sitzen? Neel Nich mal mit de Rumpulle neben. Ick muß in pendelnde Bewejung bleiben. Wenn Se mir aber als Nestor mit de Schneeschaufel malen wollen . . Beene weg!" Potpourri. „Ist es denn wahr?" fragt eine heisere Stimme über den Bretterzaun, „daß sie dem Schulze gestern die Nase blau geschlagen haben?" „Es war um ein Mädel, das sie ihm nicht gönnen wollten. Sie hakten von hinten in seine Schrauben, sodaß er zu .Fall kam. Da gabS im dustern Dreieck eine tadellose Paukerei. Wenn Schulze auch 'ne blaue Nase jekriegl hat, er hat feudal abgeschnitten, indem er den andern kämpf- unfähig machte." „Leichtsinniges Volk!" moquiert sich der Zaun- gast, der dicht vor'm Abiturium steht und „scheuß lich ochsen" muß, „Wen hast Du Dir denn heut aufgeladcn? Die Meier? Nich mein Jeschmack! Ich halt's mit TacituS, der bekanntlich den blau äugigen Genre bevorzugt. Wie kommst Du'n über- Haupt zu der Meier? Die hat doch den Cohn..?" „Cohn hat geschwollene Mandeln." „Wir halten treu und fest zusammen," pfeift der jenseits des Zauns, „hoch lebe der Reserve mann l" Neben ihm geht eS auf gut Berlinisch: „Mensch, Du lMfst ja wie'n Klapperstorch, der's eilig hat!" Große Heiterkeit seitS der Zaungäste. Pst ein Briefchen! Alles blicktauf den blaubemützten Realgymrasiasten, der seinen ersten Liebesbrief schüchtern durch Gitter geworfen hat. „Du — wo ist denn Deine Schwester?" „Die mußte abschnallen. Hat'n Hacken ver loren I Was zieht sie auch die neuen Lackschuhe an I Na, die Backpfeifen, wenn st« nach Hause kommt!" Dem Blaubemützten steigt ZorneSröte inS Ge sicht, daß man seine Göttin lästert. Doch als ganzer Mann macht er eine Faust in der Tasche. „Hier sind fünfundzwanzig Pfennige Schweigegeld — wirst Du den Brief auch auShändigen? Ehrenwort..?" Die elektrische Sonne geht auf. Alles drängt zum Musik-Pavillon, wo eS am hellsten ist. Und die Musik spielt mit hinreißender Verve den alten Zigeunerbaron: „Wer unS getraut — ich sag' eS laut — der Dompfaff ist's . . ." Je später die Zeit, je schöner die Leut'! Jetzt kommen die „Verhältnisse", wie der Berliner schlank- weg alles bezeichnet, waS sich ohne reelle Absichten liebt. Herr Schmidt von der Firma Lei und Lo, der sich heut um 7 Uhr „gedrückt" hat und morgen einen kräftigen Anschnauzer bekommen wird. Doch waS tut man nicht alles solchem niedlichen Mädel zu Liebe, dem die Mutter partout den Hausschlüssel verweigert . . .! Gelbstern in Persianer. Zu blond, um echt zu sein. Läßt sich graziös auf die Bank sinken und reicht dem vor ihr knieenden Kavalier daS Füßchen, wobei eine Zone des schottischen Strumpfes sichtbar wird. Seidene Volants umrascheln ihn verhängnis voll, und da er ein Neuling . . . klopft ihm das Herz unter der dicken Joppe. Lächelnd hängt sich die Circe an seinen Arm und bringt ihm bei „den feinen Ton aus der Konfektion." Noch ein Pärchen. Kein Flirt, kein Kokettieren Liebe! Wie in eins verschmolzen fliegen sie über die Bahn, während ihre Seelen rythmisch zu sammenklingen. Eigentlich haben sie es nicht nötig, so verliebt zu sein, denn sie „gehen" schon drei Jahre miteinander und hätten sich zu Neujahr offiziell verlobt, wenn ihm der Zuschuß bewilligt worden wäre. Da sie ruhige, ernsthafte Leute . . . und ans Warten gewöhnt find . . . „Ringel, ringel, Rosenkranz — ich tanz' mit meiner Fcau!" Der Druck der kleinen Hand im Bibermuff entflammt ihn mit neuem Hoffen — und dicht an seine Schulter geschmiegt, von seinem Arm umschlungen — fühlt sie alle Wonnen der Liebe. „Die Welt ist da draußen wo . . ." „Bautz! Hopplo — — hopp — ich lasse Dich nicht fallen, Liebste, aber wie kommt denn der verdammte Balken ins Eis?" E l f U h r. Die Lampen erlöschen und die Musikanten klettern steifbeinig vom Podium herab. „Vater Kunze." der einen extra Kräftigen hinter die Binde gegossen hat, ehe er die Nacht arbeit beginnt, blickt befremdet auf daS Liebespärchen, daS sich noch immer auf dem blinkenden Stahl wiegt. Glühend und glücklich bei einer Temperatur „minus sechs". „Ihr denkt woll, det jeht hier bis früh um Fünfe?" brummt der olle Kunze in seinen EiSbart, und mit einer Lebendigkeit, die man sonst an ihm nicht gewohnt ist, schiebt er die Schneeschaufel hinter den Fliehenden her: „Beene weg!" Ein Wiedersehen. Skizze von H. Heinrich. (Nachdruck verboten) „Adieu, Ihr Kinder, adieu, adieu!" Jeder Einzelnen der kleinen Schar gab di« junge Lehrerin die Hand, und jeder Einzelnen nickte sie noch einmal freundlich zu. Und die Kinder sahen mit Augen voller Liebe und Verehrung zu ihr auf. Heute hatten sie ihr Fräulein noch ganz besonders lieb, heute war eS noch viel, viel reizender al« sonst gewesen. Ein kleine« schwärmerische« Ding drückte verstohlen sein Mündchen auf die schmale Hand der geliebten Lehrerin. »Du, Du I" sagte diese gerührt, »da« mußt Du nicht tun, kleine Annemarie!" Und liebevoll streichelte sie dem errötenden Kinde die Wange. — Und nun war die Klasse leer, und Fräulein Held konnte sich auch auf den Heimweg machen. Sie hätte laufen mögen wie ein Kind, um nur recht schnell zu Hause zu sein, und sie hätte singen mögen — ihr Herz war so voll. „Mit all' meiner Freud', — wa« fang' ich nur an?" — ging e« ihr durch den Sinn. Die Sonne brannte, wie sie nur um di« Mittagszeit in der Großstadt brennen kann — un barmherzig, glühend. Erika Held störte eS nicht. In ihrem frohen Herzen empfand sie auch daS al« etwa? Angenehmes. „Wenn's nun heute geregnet hätte!" dachte sie, „nein, nein, heute muß alle« voller Sonne sein, rings um mich, wie eS auch in mir ist." Und sie ging leicht und eilig weiter. Und von denen, die unter der Hitze stöhnend mühsam ihren Weg verfolgten, sah ihr manch einer erstaunt nach, wie sie mit leuchtenden Augen dahineilte und nicht« von der drückenden Glut zu spüren schien. Und nun stieg sie die Treppe empor zu ihrer Wohnung. An einem der Flurfenster bemerkte sie eine Spinne im Netz. Strahlend nickte sie dem Tierchen zu. „Spinne am Mittag — Glück für den ganzen Tag. Du liebe kleine Spinne!" Aufatmend stand sie dann in ihrem kühlen Zimmer. Sie nahm sich gar nicht Zeit, den Hut abzusetzen — hastig schloß sie ihren Schreibtisch auf und nahm eine Photographie heraus. „Du, Du, mein Einziges auf der Welt, mein Liebstes!" flüsterte sie heiß und drückte daS Bild an ihre Wangen und dann leidenschaftlich an die Lippen. Die Tränen traten ihr in die Augen und tropften langsam auf das Bild. Und ihr Herz sprach u dem ernsten Männerkopf, den eS darstellt«, wie chon so oft in den vergangenen einsamen Jahren. Aber heute lag ein Jubel in ihren Worten und nicht wie sonst eine qualvolle Sehnsucht. „Nun kommst Du zu mir, endlich, endlich, Franz I Ach, ich bin ja fast gestorben vor Sehnsucht nach Dir. — Drei Jahre fern von Dir! Drei lange Jahre ganz allein, denn Du mußt mir ja alles ersetzen, Vater, Mutter und Geschwister." Hastig trocknete sie sich die Augen, und nun strahlten sie auch schon wieder in Glück. Sie nahm einen Brief auS dem Schreibtischfach und las, wa» sie schon so oft gelesen: „ am Montag abend trifft daS Schiff in Hamburg ein, und am nächsten Morgen trägt mich dann die Bahn zu Dir, Du mein geliebtes Lieb! Dann bist Du nicht mehr lange einsam Sowie ich mich etwas in meiner neuen Stellung eingelebt habe, führe ich Dich heim. Mein Weib dann — Du mein Weib, endlich, endlich! Kann ein Men schenherz so viel Glück und Seligkeit soffen? Ich möchte daS Weltmeer durchschwimmen und der Welle vorauSeilen, um Dich noch eher in den Armen halten zu können. Und endlich Deine Küsse wieder zu empfangen ich bin ja fast verdurstet nach Dir! Und dann keine Trennung mehr, kein Leid und keine brennende, verzehrende Sehnsucht! Bald, bald stehe ich vor Dir und breite Dir die Arme entgegen: Ich grüße Dich, Erika, Du mein geliebtes Glück!" * * * Langsam faltete sie den Brief zusammen und preßte die Hände auf die Brust. „Kann denn ein Menschenherz so viel Glück und Seligkeit fassen?" wiederholte sie eine Stelle aus dem Briefe. — Vor Aufregung konnte st« kaum zu Mittag essen. Und darnach begann sie, sich um- zukleiden. Ein weißes Kleid, ein weißer Hut — Franz liebte diese Farbe zu ihrem bräunlichen Gesicht und dunklen Haar. Und als sie in ihrer weißen Pracht dastand, mußte sie Übel sich selbst lächeln. Daß sie die Zeit nicht abwarten konnte! Fast noch zwei Stunden lagen vor ihr, bis sie zum Bahnhof gehen konnte. Sie setzte sich aus's Sofa und träumte — zurück in die Vergangenheit und voraus in die Zu kunft. Und ihr war, als sähe sie eine Helle Straße, eingefaßt von Bäumen und Blumen, und darüber einen strahlend blauen Himmel und Sonne, so viel Sonne. „Das ist mein Lebensweg der vor mir liegt," dachte sie voll tiefer Innigkeit, „wie kann eS an Deiner Seite auch ander« sein, Du Geliebter." Wie langsam doch die Zeit verging! Jetzt fuhr im Zuge von Hamburg her ihr Glück ihr entgegen. Immer näher kam es, immer näher. — Sie streckt« die Arme au«. „Franz, mein Franz!" Und da begann in der Wohuung über ihr ein