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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 09.10.1908
- Erscheinungsdatum
- 1908-10-09
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190810099
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19081009
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19081009
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1908
-
Monat
1908-10
- Tag 1908-10-09
-
Monat
1908-10
-
Jahr
1908
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 09.10.1908
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diplomatischen Situation sei der Erlaß einer Note an die Signatar Mächte des Berliner Ver- trages durch die russische Regierung, in welcher die Einberufung einer Konferenz zur Beratung der neugeschasfenen Lage vorgeschlagen wird. Es könne als sicher angesehen werden, daß die Mächte, bevor der russische Vorschlag angenom men werde, die Ausdehnung der Diskussion und das Programm, welchem man dort zu solgen haben werde, genau festsetzen werden In diesem Falle werde man keine Ueberraschung zu besorgen haben, die sich aus einer Konferenz plötzlich ergeben könnte. In Londoner offiziellen Kreisen wird versichert, daß der Erlaß einer Note unmittelbar bevorstehe, ihr Grundtenor sei der britischen Regierung be reits bekannt. Es wird vorgeschlagen, die Dis kussion auf der Konferenz peinlich auf die Fragen zu beschränken, welche sich aus der neuerlichen Ak tion Oesterreich-Ungarns und Bulgariens ergeben haben. Konstantinopel, 8. Ott. Hier ist das Gerücht verbreitet, Bulgarien verlangte die Anerkennung durch die Türkei dringend. — Hier fanden antiösterreichische Stratzendemon- strationen und Huldigungen für England statt. Der Sultan hielt eine Ansprache an die Demonstranten. Die Annexion Hosviens. Es wird vielfach auffallend gefunden, daß Kaiser Franz Josef gewissermaßen unter Umgehung seines kaiserlichen Bundesgenossen zuerst an den Präsidenten FalliereS sich gewendet hat, um diesem seine Absichten bezüglich Bosniens und der Herzegowina mitzuteilen. ES wäre aber falsch, daraus zu schließen, daß die maßgebenden deutschen Stellen von diesem Plane später unter- richtet worden seien als die französische Regierung. Man braucht sich ja nur daran zu erinnern, daß der ästerreichisch-ungarische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand, dem man wohl mit Recht eine hervorragende Rolle bet diesen Schritten Oester- reich-UngarnS zugeschrieben hat, erst vor kurzem, anläßlich der Kaisermanöver in Elsaß-Lothringen, mehrere Tage im intimsten Verkehr mit dem Kaiser stand und gewiß die Gelegenheit benutzt hat, mit ihm über diese Pläne zu sprechen. ES ist daher an zunehmen, daß Kaiser Wilhelm und Fürst von Bülow lange vor dem Präsidenten FalliöreS und dem Premierminister Clemenceau davon Kennt- niS erhalten hatten, ohne daß man sie durch eine offizielle Mitteilung von Wien aus in die un- angenehme Zwangslage versetzt hätte, zu diesen Plänen Stellung zu nehmen. Der Freund dürfte einfach den Freund von seiner Absicht vertraulich benachrichtigt haben, und der Freund hat diese Mitteilung ohne jede Meinungsäußerung seinerseits zur Kenntnis genommen. Die Lage in Bosnien. Die Proklamation Kaiser Franz Josephs an die Bevölkerung wurde durch die Behörden, die OrtSältesten und öffentlichen Ausrufer in ganz Bosnien zugleich bekanntgegeben, den Truppen durch die Chefs der Abteilung mitgeteilt. Besonders offi zielle Festlichkeiten finden nicht statt. Die Land bevölkerung nimmt das Ereignis mit Ruhe und Würde entgegen. Kundgebungen haben sich nicht ereignet. Weiter wird auS Serajewo gemeldet: DaS ganze Land ist ruhig. Die Führer der bosnischen unzufriedenen Mohamedancr unter Ali Firduo Beg und 72 großserbische Führer reisen nach Budapest, da jede Zusammenkunft hier verboten ist. Mehreren mohamedanischen Begfamilien wird ihr alter boS- nischer Adel durch den Kaiser erneuert. Auch sonstige Nobilttierungen stehen bevor. Dies gilt als Zeichen dafür, daß O sterreich-Ungarn sich auf das mohame- dänische BolkSelement stützen wird. Wie verlautet, ist zum Oberstlandmarschall des bosnisch-herzegowi nischen Landtages ein Mohamedaner, Mehmed Beg Kulowitsch, der derzeitige hiesige Bürgermeister, au§- ersehen. Die Stimmung in Konstantinopel. Trotzdem man die Uebcrreichung brr österreichisch- ungarischen Note oorauSgesehen halte, machte dar Erscheinen de« üfterreichisch-unganschen Botschafter- Markgrafen Pallavicini aus die P s o r t e sicht lichen Eindruck. Der Hauptinhalt und der türkenfreundliche Ton der Note wurde in den Kreisen der Minister bald bekannt und lebhaft besprochen. Bald daraus fand eine KommisstonSberatung statt. Den erschienenen türkischen Redakteuren wurde die Bekanntgabe der Inhalt« der Note verweigert und ihnen mitgeteilt, daß vorläufig nichts beschlossen sei. DaS jungtllrkische Komitee erklärte, daß eS sich gegenwärtig nicht mit der bosnischen Frage, sondern ausschließlich mit den bulgarischen Proklamationen und mit Mazedonien befasse. Auch die Letter der türkischen Presse befürchten ein« Rückwirkung au! den KorpSbereich von Saloniki. Nachmittag« fand eine große Versammlung in der Sofienmoschee statt Ein Ulema hielt eine Rede über die allgemeine Lage, in der er aurführte, man müsse dafür sorgen, daß die Parlamentswahlen rasch und ordnungsmäßig stattfinden, weil die politischen Verhältnisse kritische, seien. Telegraphisch wird noch gemeldet: Sarajewo, 8. Okt. Der Gemeinde- r a 1 hielt gestern eine F e st s i tz u n g ab, welche feierlich verlief und von der eine Huldigungsde pesche an Kaiser Franz Joseph abgesandt wurde. Der Ziviladlatus empfing den Gemeinderat, der für die Annektion dankte und ihm seiner Loyali tät versicherte. Abends wurden 101 Kanonen schüsse abgefeuert und ein Illumination veranstal tet. In den Straßen herrscht lebhaftes Treiben. Aus allen Landesteilen gehen Huldtgungstele- gramme von Gemeinden und Korporationen an Kaiser Franz Joseph und den gemeinsamen Fi- nanzmtnister ab. Im ganzen Lande herrscht Ruhe. Cettnje, 8. Oktober. Die Regierung hat an die Vertreter der Berliner Signatarmächte eine Note gerichtet, in der die Beifügung betnffend Bosnien als Verletzung deS Berliner Vertrages be zeichnet wird. In der Note wird hinzugefütt, so- weit die Mächte diese Tatsache anerkennen würden, halte sich Montenegro von allen Verpflichtungen auS dem Vertrage, namentlich soweit sie sich auf Artikel 29 beziehen, für entbunden. Belgrad, 8. Oktober. Die serbische Re gierung hat bei den Großmächten energischen Protest gegen die Annexion eingelegt. — Der König kehrte nachmittags au§ dem Manöver- gelände zurück. Die Juden in Belgrad be- schlossen, der serbischen Regierung im Kriegsfälle eine Million Dinar zur Verfügung zu stellen, desgleichen versprachen viele Millionäre große Summen. Durch die Straßen ziehen Tag und Nacht große Massen von Manifestanten, welche von der serbischen Regierung den Krieg gegen Oesterreich energisch fordern. Belgrad, 8. Ott. Der F U r st von Montenegro telegraphiert: Wenn die serbische Armee zu den Ufern der Drina marschiert, werde ich mein Heer gegen die Herzegowina vorschicken. London, 8. Okt. Das „Reuter'schc Bu reau" erfährt, daß die Mitteilung, durch die der britischen Regierung die Veränderung, welche die österreichisch-ungarische Regierung bezüglich Bos niens und der Herzegowina eintreten zu lassen beabsichtigt, offiziell notifiziert worden sind, heute seitens des österreichisch-ungarischen Ge schäftsträgers erfolgt sei. Es verlautet, daß, be vor diese Mitteilung in Empfang genommen wurde, die Aufmerksamkeit des österreichisch-ungarischen Mi nisters des Aeutzern seitens der britischen Regie rung bereits auf das Protokoll vom 17. Januar 1871 gelenkt worden sei, welches dem Londoner Vertrage von 1877 angefllgt ist, und welchem Oesterreich sich angeschlossen hat. In diesem Pro tokoll war die Bestimmung festgelegt, daß keine Macht die im Vertrage eingegangenen Verpflichtun gen brechen oder die näheren Bestimmungen dar über notifizieren könne ohne zuvor in ein freund schaftliches Uebereintommcn mit den vertragschlie ßenden Teilen eingetreten zu sein und ihre Zu stimmung erlangt zu haben. Es verlautet ferner, der österreichisch-ungarischen Regierung sei darge legt worden, daß die britische Regierung außer Stande sei, irgend einen Bruch des Berliner Ver trages zu sanktionieren oder irgend einer Abände rung desselben zuzustimmen, ohne vorher mit den andern Mächten und in diesem Falle speziell mit der Türket darüber Beratung gepflogen zu haben. Der britische Botschafter in Wien habe diese Ge- sichtspunkte der österreich-ungarischen Regierung vorgestellt, und bet ihr auf die Notwendigkeit ge drungen, ihre Entscheidungen in dieser Angelegen heit einer nochmaligen Erwägung zu unterziehen. Nreta au Griechenland „angegliedert." Bulgarien ist Königreich, Bosnien und Herze gowina sind entgültig zu Oesterreich Ungarn ge schlagen. Jetzt geht die Sache weiter. Auch andere Überreife Früchte fallen vom Stamme ab. Dienur nominell noch türkischen Provinzen und Länder zeigen plötzlich eine zentrifugale Tendenz Zunächst ist K r e t a an der Reihe. Die Insel wurde nach dem siegreichen Kriege gegen Griechenland von den Türken geräumt. Aber sie wurde auch nicht griechisch. Sie trat in jenen Zwischenzustand der „Souzeränität" zur Pforte, in dem sich auch Ostrumelten, in dem sich Eypern und schließlich Egypten befinden. Nominell selbständig, wurde die Insel von internationalen Truppenkontingenten besetzt. Englische, französische, italienische und russische Garnisonen trafen in den KUstenstädten, zumal in der Sudubai ein und nur das seltene Erscheinen von Kriegsschiffen, dir die Ablösungen für die kleinen Truppmabtetlungen an Bord hatten, brachte zuweilen etwas Abwechselnng in dieses beschauliche Stillleben. Der Oberkommissar der Insel, der sie im Auftrage der vier Mächte ver wallete, war jahrelang der zweite Sohn deS Königs von Griechenland, und jahrelang hat Prinz Georgios kostspielige Rundreisen an den europäischen Höfen unternommen, um deren Erlaubnis zur entgilltgen Annexion der Insel zu erreichen. Als aber alle Versuche fehlschlugen, zog er sich grollend zurück und der ehemalige griechische Abgeordnete Zaimis wurde Oberkommifsar der Insel. Jetzt hat Griechenland den günstigen Moment benutzt, um sich den Besitz der Insel zu sichern. Gestern sind überall in den kretischen Städten P roklamationen erfolgt, welche dieAngltederungKretaS anGrie- chenland verkünden. Natürlich sind die Kreter nur vorgeschoben worden, um den alten Wunsch Griechenlands durch eine Inszenierung des „VolkSwillenS" auszuführen. Tatsächlich wird die Sache von Athen auS dirigiert. Auch diesem Akte dürfte die Türkei ruhig zusehen. Ist doch auch Kreta ein längst verlorener Besitz, der nur noch im .Gothaischen Hofkalender" unter den Ländern deS Sultans figuriert. Ans dem Reiche. DaS Zentrum und der Reichskanzler. Die offiziöse „Neue Politische Korrespondenz" streckt in einer „zuverlässigen" Mitteilung über die parlamentarische Lage die Fühler nach dem Zentrum auS. Die einflußreichen Persönlichkeiten dieser Partei seien von der Gefahr der fortgesetzten Isolierung des Zentrums überzeugt und deshalb be reit, bei der R e i ch S ft n a n z r ef o r m reale Poli tik zu treiben. Alle Schroffheiten seien deshalb aus der Taktik auszuschalten. Man weiß nicht recht, woher diese FriedenStöne kommen. Daß die Reichs- regierung an der Mitarbeit de« Zentrums bei der ReichSfinanzrrform keinen Anstoß nehmen würde, ist selbstverständlich. Vorläufig geht die Stellung der Blockparteien zu dem Stcuerplan Sydows nach so verschiedenen Seiten auseinander, daß auch die Mög lichkeit einer Kombination, in der das Zentrum mit» spricht, von der Regierung sicher nicht von vornhe rein und untcr ollen Umständen verworfen wird. Hat doch auch Staatssekretär Sydow bei seinen par- lamentarischcn Konferenzen die Z mtrum-häuptlinge, wie man weiß, nicht übergangen. Ob aber die Re- gierung jetzt schon soweit geht, dem Zentrum die Bruderhand so offenkundig entgegenzustrecken, wie e« in der oben erwähnten Notiz geschieht, ist noch sehr zweifelhaft. Noch unwahrscheinlicher ist e«, daß da« Zentrum wirklich die entschiedene Wendung zur realen, von taktischen Schroffheiten freien Politik vollzogen hat. Man lese nur, wenn man in diesim Punkte klar sehen will, den Artikel, den die „Köln, VolkSztg." in ihrer DienStognummer dem Verhältnis de« Reichskanzlers zum Evangelischen Bunde widmet. Dessen Tagung in Braunschweig gibt kem führenden ZentrumSblatt Gelegenheit, auf eine Aeußerung zucückzukommen, die Fürst Bülow einem hervorragenden Mitglied deS Evangelischen Bundes gegenüber getan haben soll: „Sorgt nur dafür, daß Euer Bund Macht wird, dann soll sr schon berücksichtigt werden." Diese Aeußerung be- meist der „Köln. VolkSztg.", daß Bülow mit seinem plötzlichen Frontwechsel gegen da« Zentrum im Fahr wasser de« Evangelischen Bunde« segelte, und sie enthüllt ihre ungestillte Wut über die angebliche Hinterlist deS Reichskanzlers in folgenden Worten: „Während seine rechte Hand treuherzig auf der Schulter des Zentrums lag, gab er mit der Linken dem Evangelischen Bunde einen warmen Händedruck. Aber... der Krug des Ueberlistens und „EmseifenS" geht auch so lange zum Wasser, bis er bricht, und Für st Bülow würde sich sehr täuschen, wenn er sich dem naiven Glauben hmgeben sollte, es könnte ihm gelingen, das Zentrum noch ein zweites Mal zu täuschen." DaS ist die unverfälschte Sprache deS ultramon- tänen Herzens. Sie wird dem Reichskanzler keinen Zweifel darüSsr lassen, welch loyalen Mitarbeiter er bet der Reichsfinanzreform an dem Zentrum ge winnen könnte. Einmal und nicht wieder — da« klingt überzeugender, als die Versicherung, das Zen trum wolle sich bekehren. Bom unlautere« Wettbewerb. Wie eine Berliner Korrespondenz erfährt, soll in den nächsten Tagen die endgültige Entscheidung darüber fallen, ob das Gesetz über den unlaute ren Wettbewerb den Reichstag auch in dieser Session beschäftigen soll. An dem im November vorigen JahreS veröffentlichten vorläufigen Entwurf soll keinerlei Veränderung vorgenommen werden. Man ist aber maßgebenden Orts der Ansicht, daß den Reichstag in der nächsten Session derart wichtige und unaufschiebbare Gesetzesvorlagen beschäftigen werden, daß man eine Weiterbelastung des Hause« mit anderen wesentlichen Vorlagen vermeiden will. Eine endgültige Entscheidung darüber wird aber der ReichSkanzltr persönlich füllen. Der brastNantsche Krteg-minifter über de« Kaiser u«d das deutsche Heer In einer Unterredung, die ein Vertreter de« „Hamburger Fremdenblatter" mit dem brasilianischen Kriegsminister Fonseca hatte, erklärte dieser, der einzige Zweck seiner Reise nach Europa sei gewesen, der überaus freundlichen Einladung deS Kai- serS Folge zu leisten. Er habe selbstverständlich seine Anwesenheit in Deutschland dazu benutzt, Be- Ziehungen anzvknüpfen und Erfahrungen, die für ihn und sein Land wertvoll sein könnten, zu sam meln. Sodann gab der Marschall eine Charakteristik der Persönlichkeit deS Kaisers, dessen Erscheinung al« oberster Kriegsherr der Armee ihn al« Soldaten be- sonders gefesselt habe. Seine Liebenswürdigkeit, seine Frische, seine Klarheit und seine Kenntnis der verschiedensten Dinge sei bemerkenswert. Er habe stets zu den Bewunderern deS deutschen Kaisers gehört, ohne ihn näher zu kennen. Sodann gab der Minister seine Eindrücke über die deutsche Armee wieder, die seine hochgespannten Erwartungen weit übertroffen haben. Die deutsche Armee sei wohl die biste der Welt, und die Nation dürfe stolz darauf sein. Auch die brasilianischen Truppen, denen stets das deutsche Vorbild vorgeschwebt habe, ständen zurzeit auf einer Höhe der Aurbildung, die man in Europa kaum vermute. Die letzte« U«r«he« t« D««tsch Ostafrika scheinen doch ernsterer Natur gewesen zu sein, als da« Gouvernement ursprünglich zugrben wollte. Wie die „Deutsch ostafrikamsche Zeitung" «fährt, hat sich das Gouvernement dazu entschlossen, mitten in den AufstandSherd einen selbständigen Osfizierposten zu setzen. ES soll demnächst ein Oberleutnant der Regina. Roman von I. I o b st. l4. Fortsetzung. «Nachdruck verboten.) Hin und wieder flog ein großer, dunkler Vo gel durch die verzauberte Welt, oder es huschten Fasanen über den Weg, die sich in ihrem bunten Federkletd wunderlich genug in der Weißen Schnee- Welt ausnahmen. Sie kamen an künstlich offen ge haltenen Wasserlöchern vorbei, an denen die wil den Eirten saßen, die, durch die reichliche Fütte rung verlockt, den Winter über hier bleiben. Auch die Drosseln verließen ihre Heimat nicht, sie fan den genug Nahrung an den wilden Beeren der Gesträuche, die hier sorglich für ihren Unterhalt gepflanzt worden waren. Regina kam überall hin, in jeden noch so versteckten Winkel von Groß-El- lern und den beiden Nebengütern guckte sie hin ein. Sie nannte diese Fahrten scherzend ihre Ent deckungsreisen und hatte abends immer Wunderba res zu berichten, wenn Wilhelm in der Stimmung war, ihrer wohlklingenden Stimme zu lauschen. Und trieb ihn die Arbeit noch zu später Stunde von ihr fort, so blieb ihr der Vater, der sich im mer finden ließ. Sogar Sibylle stellte sich oft zu diesen gemütlichen Plauderstunden ein. Das Zimmer der Schloßfrau war aber auch wunderbar anheimelnd. Regina hatte es wirklich durchgesetzt, die Einrichtung der Großmutter zu ih rer eigenen zu machen. Nur entfernte sie alles Dunkle; sie war darin ein echtes Kind ihrer Zeit, das Lichte, Sonnenumstrahlte gehörte zu ihrem Dasein. So bildeten die kostbaren Schnitzereien des schwarz gebeizten Birnbaumholzes die wirk samste Folie für den Hellen Gobelinstoff, den sie zum Ueberzug der Polster gewählt hatte. An den Wänden zog sich eine Stoffbespannung bis zu zwei Dritteln der Höhe des Zimmers hi. Der übrige Raum war von Künstlerhänden mit einem Fries bemalt worden, der den einfarbigen Grund nach der ebenso getönten Decke zu abschloß. Auch diese trug einige Ornamente in den Ecken und in der Mitte, von der der alte Kronleuchter aus vene zianischem Glas hinabhing. Man hatte ihm statt der Kerzen zahlreiche Glühlümpchen aufgesetzt, was von feenhafter Wirkung war. An der einen Wand seite füllte der mächtige Kamin von grünem Mar mor einen großen Raum aus. Vor ihm saß man mit Vorliebe in den bequemen Sesseln und vergrub seine Füße in dem dicken Pelz eines mächtigen Eisbären. Zwei Kandelaber aus Schmiedeeisen, deren jeder zwölf Arme besaß, die an der Spitze eine elektrische Flamme trugen, standen zu beiden Seiten. An den ebenso hohen wie breiten Fen stern hingen zarte Tüllvorhänge mit einem schma len Behang Mr Heller Seide, so daß selbst an Wintertagen Mht und Sonne hineinfluten durfte, soviel hinein wollte. Doch am Abend wurden die Stores aus matt glänzendem Gewebe vorgezogen, die jedem Neugierigen, der etwa die Terrasse be trat, den Einblick wehrten. Auch heute verhüllten sie in dichten Falten die Glasscheiben, und Regina wußte sich allein. Vater war in den alten Bau gegangen, um sein abend liches Spielchen mit Sibylle zu machen, und Wil helm sollte erst heute abend von Berlin eintreffen, er konnte vor zehn Uhr nicht zu Hause sein. Der jungen Frau war es lieber, einsam am Kamin zu sitzen. Sie fühlte sich ein wenig müde, ihr kräftiger Körper hatte sich doch Wohl heute zu viel zugemutet. Sie empfand es als besondere Wohltat, sich nach dem Essen zurückziehen zu dür fen. Sibylle hatte es ihr bereitwillig erlaubt und ihr geraten, sich in den bequemen Morgenrock aus weißem, dickem Wollstoff zu werfen, und ihr ernst lich mahnend ein wenig mehr Schonung ans Herz gelegt. Sie sollte sich schonen! Es würde ihr schwer fallen, aber wenn es sein mußte? — Ein wei ches, träumerisches Lächeln umspielte ihren schönen Mund, und die Augen sprachen eine ganz neue Sprache. Der Stolz war ganz verwischt, ein se liges Hoffen lag darin, ein heimlich süßes Ah nen. Es war gut, daß Wolf Dietrich nicht mehr herkam vor seiner großen Reise. Regina wollte gar nicht mehr aufgestört werden aus den Zu kunftsbildern, die sich Wie schöne Träume in ihre stillen stunden schlichen. Mochte er reisen und recht lange fortbleiben, sie hatte Besseres zu tun, als auf sein Kommen zu warten und des verlo renen Glückes zu gedenken. Sie senkte seit kurzem die Wurzeln ihres Herzens in den Grund des Bo dens, wo sie nunmehr hetmatberechtigt war, und dem sie, so Gort wollte, den Erben schenken sollte. So las sie denn ohne sonderliche Erregung den Brief, dessen Inhalt ihr mit herzlichen Wor ten Wolf Dietrichs Lebewohl übermittelte. Von Wilhelm hatte er in Berlin noch persönlich Ab schied nehmen können, da er erst heute mit dem Automobil auf einem kleinen Umweg nach Ham burg zu fahren gedachte. Dort würde er sich mor gen schon mit seinem hohen Gönner, dem Prinzen von Schwarzenfels zu einer Jagd- und Entdeck- ungsexpedttion nach Patagonien einschiffen. Die Hand, die den Brief hielt, sank schlaff herab. Die junge Frau verfolgte die Reisenden in Gedanken. Nun waren sie Wohl schon in Ham burg eintzetrosfen. Zwei Jahre würden vergehen, ehe sie Wolf Dietrich Wiedersehen sollte Die erste lange Trennung, seitdem sie sich kannten, sie würde Wohl auch in Wirklichkeit die Trennung fürs Le ben bedeuten. Und es war gut so. Er verfolgte jetzt andere Bahnen, die vielleicht hin und wieder ihren einsamen Winkel kreuzten, aber in ihrem Dasein würde er keine Rolle mehr spielen. Wolf Dietrich ihr fremd! Er, den sie geliebt hatte mjt einer Leidenschaft und zärtlichen Innig keit, mit einer ihr ganzes Ich durchleuchtenden Liebe. Und zu dem sollte sie sich nicht mehr be kennen! Sie mutzte sich genügen lassen, mit Wil helm in Alltagsgewöhnung verbunden zu sein, aus der vielleicht mit der Zeit Alltagsltebe werden würde. Eine heiße Sehnsucht erfaßte sie jählings wie eine plötzlich daherstürzende Flutwelle und begrub sie unter ihrer erstickenden Gewalt. „Wolf Dietrich, mein Trautgesell!" Zitternd verklang der Ruf im weiten Gemach, auf dessen Schwelle, von ihr noch ungesehen, der Mann stand, dem dieser galt. „Regina!" „Wolf Dietrich!" Er stand da, von ihr durch die ganze Wette des dämmernden Raumes getrennt. Und sie hatte sich erhoben und starrte zu ihm hin, als sei er ein Gespenst. Es war ihr unheimlich, als hätten ihre Gedanken ihn hergezaubert. Wolf Dietrichs Augen sogen das Bild der geliebten Frau in sich ein, es sollte ihn begleiten auf der wetten Fahrt, er nahm es mit sich als sein unverlierbares Eigentum. Nein, der Mann vergaß nicht, Regina spürte es an ihrem wild klopfenden Herzen, der blieb ihr treu. „Wo kommst Du her?" „Aus Berlin." „Und wo sind Deine Reisegefährten?" „Zum Teil schon wett von hier. Das Auto hat uns einen Streich gespielt, es versagte, und eine Reparatur, die nicht vor vier Stunden been det sein dürfte, hält mich in Kaltenbruch fest. Der Prinz ist mit dem Gepäckauto vorausgefahren, er hat in Strelitz noch Wichtiges zu erledigen, und benutzte die Wartezeit, um Dir noch persönlich Lebewohl zu sagen. (Fortsetzung folgt.)
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