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Amtsblatt. Sonntag, den 27. Oktober 1907. Rr. 252. 2. Beilage. Die allegorische» Gruppen der Carolabrücke in Dresden, die vor kurzem enthüllt wurden, stellen die zerstörende und die befruchtende Tätigkeit der Wasserfluten dar. Die eine Figur zeigt einen auf einem Hippokampen (Tiere von Roßgestalt mit Fischschwänzen) sitzenden Mann. Der Oberkörper ist entblößt, da? Gewand an den Hüften in reiche Falten gelegt. In den hocherhobenen Händen hält er die Keule, mit der er, der Zerstörer, zum vernichtenden Schlage ausholt. Die Pendantgruppe zeigt eine liebliche weibliche Figur mit einem Füllhorn, aus dem sich der Segen der befruchtenden Flut ergießt. Die auf mächtigen Sockeln aus gelbem Sandstein ruhenden Kunstwerke sind 3'/, m hoch; sie sind Schöpfungen des Dresdener Bildhauers Offermann. Christentum «ad Kirche. „Man mag das Christentum betrachten, von welcher Seite man will, man mag seinen dogmati schen oder seinen sittlichen Wert ins Auge fassen, immer enthält eS die höchsten und tiefsten, die reinsten und edelsten Gedanken, Gebote und Lehren, die je mals auf Erden verkündigt worden sind. Und das hat seinen guten Grund. Menschenweisheit hat daS Christentum nicht geschaffen, es ist als ein Geschenk von oben gegeben worden. ES ist göttliche Weis- heit und Wahrheit, den Menschen zuliebe in mensch liche Form gebracht und durch einen Gnadenakt GotteS den Menschen geoffenbart. . . DaS höchste Ideal der Christen i'st unser Herr und Heiland Jesus Christus. Bom Himmel war er gekommen, gen Himmel ist er aufgefahren, zum Himmel will er die Menschen sich nachziehen. Dies ist ein Hinweis darauf, daß wir uns über die sündige Erde und die vergängliche, niederziehende Materie erheben und dem, waS göttlich, was ewig ist, nachtrachten sollen. Mit der Aufforderung deS Apostels Paulus, das zu suchen, war droben ist, wo Christus zur Rechten Golles sitzt wird der höchste Idealismus gepredigt. Christus hat viel für uns getan, er hat sich für uns geopfert; aber je mehr er gibt, desto mehr fordert er; er verlangt nicht nur Glauben, sondern Bewährung des Glaubens in der Liebe, ein neues Herz, einen neuen gewissen Geist und einen Wandel nach dem Willen GotteS und seiner heiligen Lehre. Und diese Lehre greift unend lich tiefer als die besten Moralsätze alter und neuer Philosophie. Sie straft schon die böse Lust, den bösen Gedanken, nicht bloS das Wort und die Tat; auch hier gilt der Satz „Gott stehet das Herz an". Darum hat die Sittlichkeit im Christentum eine Tiefe und eine Höhe göttlicher Erhabenheit angenommen, gegen welche die aller andern Religionen als oberflächlich und haltlos erscheint. Eine Predigt von solch ethischer Kraft und Tiefe, wie sie die Bergpredigt Christi enthält, ein hohes Lied der Liebe, wie es Paulus im 13. Kap. des 1. Briefes an die Korinther anstimml, findet sich bei keinem Buddah, keinem Sophokles, keinem Plato. Das ist das Höchste, was an ethischem Wirken und Handeln gefordert werden kann. Da wir Menschen aber in unsrer Schwachheit nicht im stande find, unser Kreuz auf uns zu nehmen und dem Gottmenschen nachzufolgen, so gibt er Stärkung auf dem Pilgerwege durch Wort und Sakrament, durch die Kraft des heiligen Geistes und die köstlichen Verheißungen über das Leben im Jenseits." Diese schönen Worte sind den im Berlage von R. Mühl mann in Halle bereits in 4. Auflage erschienenen trefflichen Buche: C hr. Muff, Idealismus, (6 Mk., in Geschenkband 7 Mk.) entnommen. Der Verfasser, Rektor der LandeSschule Pforta, ist ein zuverlässiger und geschickter Führer auf den manuig' faltigen Gebieten geistigen Schaffens. Religion, Wissenschaft, Kunst, Leben — er ist darin bewandert von den ältesten Tagen an bis in die jüngste Gegen wart. Immer aber wird er -um begeisterten An walt des Idealismus gegenüber allem Naturalis mus und Materialismus, der nm Marke unseres Volkes zehrt. Wenige Bücher dürften Gebildete so zum Nachdenken über die höchsten Güter des Lebens anregen wie dieses I Der Gesamtoerein der Gustav Adolf- Stiftung. Der Gustav-Adolfoerein ist jetzt gerade 75 Jahre alt. Am 6. November 1832 wurde un bewußt der erste Stein zu ihm gelegt. ES war zu Lützen am Schwedenstein, wo man den 200. Todes ¬ tag des Heldenkönigs Gustav Adolf feierte. Anfangs klein und nur aus Sachsen beschränkt, wuchs der Verein unter GotteS Segen rasch empor, so daß er heute fast die ganze evangelische Welt umspannt. Er gliedert sich in 45 Hauptvereine, unter denen 2021 Zweig- und 665 Frauenoereine stehen Von den Hauptvereinen leistet am meisten der rheinische mit 129116 Mk., dannn kommt der württembergische mit 124 640 Mk., der Berliner mit 123 870 Mk., der Dresdner mit 123 502 Mk., der Leipziger mit 112 862 Mark; Sachsen also bewahrt noch immer seinen alten Ruhm, eine Hochburg des Protestantis mus zu sein. Doch ist die Leistungsfähigkeit unsers SachsenlandeS für Gustav Adolf-Zwecke noch immer einer Steigerung fähig. Die Zahl der bis heute vom Gesamtoerein unterstützten Gemeinden ist 5669. Kirchen und Bethäuser wurden erbaut 2426, Schul häuser 899, Pfarrhäuser 929, Lehrer und Schulen wurden unterstützt 1882, Konfirmandenanstalten 755. Ein wesentliches Stück der Sorge ist also für den Gustav-Adolfverein auch die Schule und die Jugend gewesen. Die Gesamtsumme seiner Einnahmen be trug im Jahre 1906: 1809881 Mk., im Laufe von 75 Jahren: 50 Millionen, eine stattliche Summe, die jedoch im Vergleich zu den Anstrengungen der römisch-katholischen Welt für ihre Bestrebungen noch niedrig zu nennen ist. Bei den großen Aufgaben, die dem deutschen Plo,estantiSmuS in Deutschland selbst, namentlich Posen, Oberschlesien und den Reichs- lauden und im Auslande, in Oesterreich-Ungarn, itt Südamerika und sonst gestellt sind, müssen wir alle Kräfte anspannen, um das evangelische Leben gegen den Ansturm der Wogen zu schützen. Wir können es, denn wir sind durch GotteS Hand eine wohl habende Nation, und Gott will es so. Wer ein guter evangelischer Christ sein will und sich einen Sohn, eine Tochter Martin Luthers nennt und seine Kirche und seinen Heiland lieb hat, der werde ein Helfer und Förderer des Gustav-AdolfwerkS; und am Reformationsfeste ist sonderlich Gelegen- heit gegeben, einmal nicht nur ein Scherflein zu spenden, sondern ein Opfer, ein Dankopfer für das Licht des Evangeliums, das wir haben und Andern erhalten sollen. Sächs. G.-A.-Bote). Sächsischer Landtag. Zweite Kammer. 6. öffentliche Sitzung am 25. Oktober. Am Regierungstische: Kultusminister von Schlieben und zwei Kommissare. Auf der Tagesordnung steht als einziger Punkt die allgemeine Vorberatung über den Entwurf eines Gesetzes, das Ktrchengesetz über die Verbindung auswärtiger Gemeinden und Geistlicher mit der evangelisch-lutherischen Landeskirche betreffend. Es handelt sich hierbei um die staatSgesetzliche Sanktion des von den in Lvav^elicis beauftragten StaatS- ministern der letzten evangelisch-lutherischen Landes synode vorgelegten und von dieser auch angenom- menen Kirchengesetzes. Durch dieses soll lediglich' eine Rechtsgrundlage geschaffen werden für die Wechselbeziehungen zwischen der evangelisch-lutheri schen Landeskirche und außerdeutschen Gemeinden oder sächsischen Geistlichen in solchen Gemeinden. Die durch die staatSgesetzliche Sanktion wirksam werdenden staatlichen Verpflichtungen gehen über die Bedeutung mittelbarer finanzieller Unterstützung nicht hinaus. Sekretär Dr. Seetzen-Wurzen (kons.) als Berichterstatter weist darauf hin, daß das Gesetz mehr ein kirchliches als ein staatliches sei, daß aber sein Erlaß notwendig geworden sei, um dem säch sischen Kirchenrecht die erforderliche Ergänzung zu schaffen. Wünsche danach seien vielfach laut ge worden, u. a. noch in letzter Zeit aus London. Er glaube nach der Haltung, die das Haus früher ein genommen habe, auf wohlwollende Aufnahme der Vorlage rechnen zu können. Er schlage daher vor, die Vorlage der Gesetzgebungsdeputation zu überweisen. Abg. Dr. Bogel-Dresden (natl.) weist auf die nationale Bedeutung der Vorlage hin, sowie darauf, daß die deutschen Geistlichen im AuSlande 'n hervorragendem Maße Kulturträger seien, denen ein Stützpunkt sehr wohl zu gönnen sei. Abg. Goldstein-Zwickau (soz.) hält das Gesetz für überflüssig. Abg. Günther-Plauen i. V. (freis.) bezweifelt, daß man von einer nationalen Aufgabe in dem Umfange reden könne, wie Dl. Vogel meine. Er fragt weiter, ob die Gemeinden, denen das Gesetz zugute kommen solle, auch zu den Pensionskosten beitragen. Abg. Dr. Bogel (natl.) verteidigt nochmals den nationalen Charakter der Vorlage. Nachdem Preußen in dieser Frage oorangegangen sei, dürfe Sachsen nicht zurückbleiben. Abg. Dr. Zöphel-Leipzig (natl.) tritt den Ausführungen Dr. Vogels bei und verwirft den Standpunkt, bei jedem Gesetze das finanzielle Plus und Minus herausrechnen zu wollen. Kultusminister v. Schlieben möchte die Be merkung zurückweisen, daß an dem Gesetze selbst noch Aenderungen vorgenommen werden könnten. Es handle sich einfach um die Frage: annehmen oder ablchnen. Abg. Günther-Plauen (freis.): Wozu sei die Ständeversammlung da, wenn sie nicht die finanzi ellen Wirkungen eines G setzes prüfen solle. (Sehr richtig!) Den Lehrern habe man die im AuSlande verbrachte Dienstzeit auch nicht angerechnet. AuS diesem Grunde dürfe man hier für die Geistlichen keine Au-nahme statuieren. Abg. Dr. Zöphel (natl.) erklärt, er habe die Berechtigung des Landtages zur Prüfung der finanziellen Wirkung eines Gesetzes nicht in Zweifel ziehen wollen. Aus Chauvinismus werde gewiß niemand für das Gesetz stimmen. Abg. Andrä (kons ) ist mit dem Gesetz ein verstanden. Abg. Braun-Freiberg (natl): Wenn eS sich ctzt bei dem Gesetze nur um wenige Personen handle, o hoffe er, daß die Zahl bald wachse. Die Vorlage geht hierauf an die Gesetz gebungsdeputation. Präsident Dr. Mehnert macht hierauf Mit- teilung von dem heute früh in Dresden erfolgten Ableben de§ Abg. Kluge, dessen Andenken in üb licher Weise geehrt wird. Nächste Sitzung Montag: Freis. Interpellation betr. SchiffahrtSabgaben. * * * Tie Wage Ser Gerechtigkeit. Roman von Maximilian Brytt. 35. Fortsetzung. «Nachdruck verboten.I Die abgehärmte junge Frau ivarf ihm ein n entsetzten Blick zu. „Vertagt — der Prozeß ver tagt?" rief sie ganz fassungslos. „Will inan mich zu Tode martern? Bin ich noch nicht elend, noch nicht matt und mürbe genug?" Doktor Georgi schüttelte beschwichtigend den Kopf. „Nicht Ihre Feinde haben die Vertagung durchgesetzt, Frau Kalwoda, sondern ich selbst und, wie ich hoffe, zu Ihrem Besten" „Ich habe keinen andern Wunsch mehr als den einer baldigen Beendigung dieser Wartezeit mit ihren quälenden Zweifeln. Nur ein Ende will ich, ein Ende!" „Trösten Sie sich, Frau Kalwada, es handelt sich nur um eine Verzögerung von wenigen Lagen." „Jeder Tag ist mir zu viel! Warum verur sachen Sie mir diese neue Qual ?" „Um einem Hauptzeugen Gelegenheit zu geben, der Verhandlung beizuwohnen, einem Zeugen, dessen Rückkehr nach Deutschland von allen für Ihr Schick sal interessierten Menschen mit höchster Spannung erwartet morden ist." Stefanie heftete den Blick ihrer großen Augen ängstlich auf die Lippen ihres Rechtsbeistandes. „Reden Sie, Herr Doktor, spannen Sie mich nicht auf die Folter . . Es ist Arnold? Arnold Struck?" „Ja, Frau Kalwoda. Bonziani erhielt gestern abend ein Telegramm von ihm aus Aden, und so eben ist auch eine Depesche bei der Staatsanwalt schaft einge roffen, in der Struck seine Ankunft in Berlin bestimmt für Montag, den 17. Januar an kündigt." Stefanie sank zurück „Endlich!" kam es ton los von ihren Lippen. Als sie wieder die Augen aufschlug und — nach einigem Besinnen — in hastigen Worten zu verstehen gab, daß sie sich des Inhalts seiner Mit teilung noch wohl entsinne, fuhr er fort: „Es ist noch nicht alles, was Sie erfahren müssen, Frau Kalwoda. Sind Sie stark genug, eine neue Er schütterung durchzumachen, ohne ernstlichen Schaden zu nehmen?" „Alle? — alles ertrage ich — nur die Un gewißheit nicht!" stieß sie in steigender Erregung aus. Der Rechtsanwalt atmete tief auf. „Die Depesche, die Arnold Struck an Bonziani sandte, enthielt auch die Mitteilung von dem gestern nachmittag erfolgten Ableben Ihres Bruders Ben jamin." „Benjamin ? Mein Bruder ist — tot?" „Das Telegramm meldet das Ereignis nur in ein paar Worten; es ist danach aber kein Zweifel vorhanden, daß das Ende Ihres Bruders ein ge waltsames gewesen ist." Angstvoll wich Stefanie einen Schritt zurück. „Was — wollen Sie damit — andeuten?" fragte sie tonlos. „Benjamin endete durch Selbstmord," sagte der Rechtsanwalt nun ruhig und ernst. Kein Aufschrei erfolgte, starr und stumm nahm Stefanie diese Mitteilung entgegen. „Diese Weltflucht läßt ahnen," nahm Georgi einer Weile wieder auf, „daß ihn Furcht und Unruhe quälten, wie er's schon in jenem Briefe ausgedrückt hat. Ja, vielleicht ist damit allein schon Ihre Er lösung ausgesprochen: Ihr Bruder selbst hat die Waffe gegen seinen Schwager erhoben! Sein Selbstmord wird den Richtern jetzt vermutlich als ein vollgiltiger Beweis für sein Schnldbewußtsein gelten." Düster und sinnend starrte Stefanie vor sich nieder. „Und doch ist es mir nach wie vor ein furchtbares, unlösbares Rätsel, ivas ihn zu der un seligen Tat veranlaßt haben mag! . . . . Warum lötete er den Freund, den Beschützer, den Wohl täter? Warum?" Georgi zuckte bekümmert die Schultern. „Wenn Struck nicht die Lösung bringt, so wird diese Tat ewig ein Rätsel bleiben." * * * Ermele Bonziani war sofort nach Eingang des Telegramms aus Aden nach Brindisi ab gereist, um seinen jungen Freund dort zu em pfangen. Mit dem am 16. Januar an der italienischen Küste eintreffenden deutschen Schiff laugte Arnold Struck aber in Brindisi nicht an. Bonziani wollte schon besorgt werden, da erfuhr er, daß andern Tags ein italienischer Dampfer erwartet werde, der zur selben Zeit mit dem deutschen Schiff Aden ver lassen Hube. Pünktlich fand sich der Italiener andern Tags zur bestimmten Stunde ein. Sofort verfügte sich Bonziani an Bord, und in größer Er regung sanken die beiden Freunde einander an die Brust. „Zum letzten Male als freier Mann!" sagte Struck dabei mit einem trüben Lächeln. „Denn drüben am Festland harren sie wohl schon meiner — die klugen Herren Kriminalisten, mich gefesselt fortzuführen?" Bonziani schüttelte den grauen Kopf. „Du wirst frei und unbehelligt nach Berlin gelangen, lieber Freund." „Aber ich habe den Staatsanwalt von meinem Kommen gleichfalls benachrichtigt. Sollte man es erst an der deutschen Grenze für notwendig halten, mich gefährliches Subjekt mit allen Vorsichtsmaß regeln festzunehmen?" „Man fahndet überhaupt nicht mehr auf dich, Arnold. Schon vor mehr als Monatsfrist ward die Verfolgung deiner Person aufgegeben." Ueberrascht sah Struck den väterlichen Freund an. „Dein Antlitz weissagt mir nichts Gutes, Bon ziani. Sprich, was ist geschehen?" „Nichts, nichts. Sorge dich nicht, Arnold." „Du verschweigst mir etwas. Wie geht es Stefanie? Weiß sie bereits um den Tod ihres Bruders? Die Nachricht hat sie erschüttert, ihr ge schadet? Stefanie ist krank?" Trotz tiefster Ergriffenheit beruhigte Bonziani den aufgeregten Frager. „Du wirst sie ja selbst sehen, bald nach unsrer Ankunlt in Berlin. Ver sprich mir nur, bis dahin dich zusammenzunehmen. Du mußt ruhig werden, dich sammeln, dich beherr schen, damit das Wiedersehen mit dir ihrer Kon stitution nicht schadet. Denn du kannst dir denken;