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UeOm-AMckl UM Amtsblatt. 285. Sonntag, den S. Dezember 1SÜ6. 2. Beilage. Zur Kolonialdebatte Kolonlaldlr. Deuiburg Bxlvw twu Tl^irMli.r'vgcntorsf Bebel <Gozdcm.) Ledebour (Lozdem.) Semler (natl.) Arendt (Reich*)'.) «blas, (Fr. «».) Kopich (,^r. Bp) Erzberger (Zenlr.) EchSdler (gentr.) Roeren (Zenlr.) Zu den Kolouialdebattrn i« Deutschen Reichstaa. Schauspiels waren eingeladen, dem feierlichen schützen Lehmann nur einen schon mehrere Winter Das war nicht recht! Nun kann ich armer wie und nach Beendigung der Borstellung beizuwohnen. „Nun wollen wir noch zuvor die letzte Amputa- vornehmen", meinte der Tenorbuffo, und da ergriff er den alten FlauSrock, um ihn mit einem Fürst be- ge- h - zu zu betritt; er hat genau zur rechten Zeit alles zu sorgen, was — zur Handlung auf der Bühne hörig — hinter den Kulliflen geschehen soll, d. er hat zu donnern, zu blitzen, wütende Stürme wörtlich dafür, daß in dem ganzen Bühnenraum die peinlichste Ordnung herrscht, er ist verpflichtet, so fort das Zeichen zum Herablassen des Vorhanges zu geben, sobald sich irgend e n Zwischenfall ereignet, der auf die Fortsetzung der Vorstellung störend ein wirken könnte. Ihm liegt eS ob, zu verhindern, daß Vorkommnisse unmöglich sind, wie etwa der nach- tehend erzählte. Es war vor etwa einem halben Jahrhundert in einer großen Stadt Norddeutschlands. Dort gastierte in dem Stadttheater der berühmte Dresdener Schauspieler Emil Devrient als Hamlet. Während Laltmann (wlltsch. vgg.) anzuzünden, dann Paläste, Häuser, Brücken usw. zum Einsturz zu bringen, Revolten hinter der Kulisse anzustiften, Explosionen in die Luft zu schmettern, und was dergleichen recht ge fährliche Dinge noch mehr sind. Er ist verant- des großen Monologs „Sein oder Nichtsein" erschien plötzlich aus einer Kulisse der mächtige HauSkater des Theaters auf der Szene, machte in der Mitte Front gegen das Publikum und ließ ein überaus klägliches „Miau" ertönen. Man kann sich denken, welche ungeheuere Heiterkeit sich ob dieses fatalen Intermezzos in dem Auditorium ouslöste — der Vorhang mußte fallen, und mit der Vorstellung war eS aus, denn der nervöse Künstler weigerte sich, noch einmal diese Bühne zu betreten. Die unmittel bare Folge dieser Affäre aber war: der arme Jn- üzient wurde Knall und Fall von dem wütenden )irektor entlassen. Zudem ist eS für die Qualifikation des so oiel ach verantwortlichen Postens eine Hauptbedingung, >aß der Inhaber nicht nur eine genügende Theater ¬ sein Dienst ein sehr schwerer. Man höre nur, welche mannigfaltigen Funktionen einem Opern- Jnspizienten obliegen. In erster Linie ist der Inspizient der Adjutant des gestrengen Herrn Regisseurs, und wehe ihm wenn bei der Aufführung oder den Proben nicht alles klappt — di« Schuld fällt — mag eS sein, wie eS will — immer auf den H rrn Inspizienten, denn der Herr Regisseur ist ja unfehlbar. In der Tat: die Stellung des Inspizienten ist stets eine sehr verantwortungsvolle, und zwar bei der Oper noch bedeutend mehr als bei dem Schau spiel. Er hat mit peinlichster Gewissenhaftigkeit darauf zu achten, daß — ehe noch der Vorhang hoch geht — alles richtig zur Stelle ist; wehe ihm, wenn auf der Szene ein Stuhl nicht genau so steht, wie eS der Herr Regisseur auf der General- probe angeordnet hat! Wehe ihm, wenn die Re quisiten nicht bis auf die kleinste Kleinigkeit und in unanfechtbarster Beschaffenheit vorhanden sind! Dazu bedenke man, wie kapriziös zumeist das ge samte Sängervolk ist. Wenn beispielsweise dem Herrn Heldentenor der Pilgerstab, den er als Tann- Häuser gebraucht, nicht ganz gefällt, wenn in dem dritten Akt von „Robert der Teufel" nach der An sicht der Primadonna Alice duS Kruzifix nur um einen Zentimeter zu weit nach rechts oder nach links ausgestellt ist — dann fahren dem Inspizienten sofort zehntausend Donnerwetter auf den KopA er ist und bleibt stets der Sündenbock, dessen einzige Abwehr heißt: Schweigen! Der Operninspizient ist ferner verpflichtet, dafür zu sorgen, daß jeder Sänge, oder jede Sängerin genau auf das gefallene Stich wort, bzw. auf die musikalische Phrase die Szene entfesseln, den Mond am Horizont aufleuchten lassen, Feuer auf der Bühne und hinter der Bühne Der Tffeateriuspifient. Von H. Zornow. Nachdruck verboten. Nur wenige Theaterbesucher haben wohl eine Ahnung davon, wie eS hinter den Kulissen eines großen Theater- zugeht. Noch viel seltener aber wird man einen Theaterbesucher finden, der Auf schluß darüber geben könnte, wa» so ein Theater- inspizient ist, welche Pflichten, welche Rechte und welche Verantwortung ihm obliegen. Und doch ist der Theaterinspizient in dem Betriebe eines gut geleiteten Thespiskarrens einer der Hauptfaktoren. US dürste daher wohl interessieren, etwas aus dem Leben einer Theaterinspizienten zu erfahren. ES mögen etwa 40 Jahre her sein, da traf jch jp einer großen Fabrikftadt Oesterreichs einen Landsmann und ehemaligen Universität-freund, der an dem dortigen Stadttheater die bescheidene Stel- lung als Theaterinspizient bekleidete. Ich will ihn, damit er doch einen Namen hat, hier Lehmann nennen. Er war der Sohn eines LandpfarrerS in Ostpreußen, der zwar reich an Kindern, doch nicht an irdischen Gütern war. Trotzdem hatte er seinen Sohn Jura studieren lassen. Aber Lehmann junior mußte sein Studium aufgeben, als der Vater starb und die Familie mittellos zurückblieb. Jetzt mußte der junge Mann sich selber helfen. Er hatte eine hübsche Baritonstimme und viel musikalische Be- gabung, aber für die Bühne reichte eS nicht, da die Stimme so schwach war, daß sie über die ersten Parkettreihen hinaus nicht vernehmlich gewesen wäre. So blieb ihm nichts anderes übrig, als auf den Solistenruhm zu verzichten und Chorist zu werden. Bei seiner großen musikalischen Begabung und guten Figur wurde er von einem besseren Stadttheater sehr gern akzeptiert, und schon nach kurzer Zeit hatte sich Lehmann die vollste Zufriedenheit deS Kapell meisters wie deS Direktors und deS Regisseurs er worben. Als Lehmann sich dann einige Zeit darauf mit einer sehr hübschen Choristin, die eS ihm angetan, verheiratete, erhielt er außer recht hübschen Hoch- zeitSgeschenken für seinen neuen Haushalt vom Herrn Direktor eine kleine Gehaltsaufbesserung und einen mehrjährigen festen Kontrakt. Bald darauf vernahm Lehmann, daß an dem vorhin bezeichneten Stadttheater die Stelle des Theaterinspizienten der Oper vakant geworden sei. Gestützt auf eine sehr warme Empfehlung seines bisherigen Direktors, bewarb sich Lehmann sofort um die fragliche Vakanz und erhielt unter mehr als fünfzig Bewerbern den Zuschlag. DaS war für Lehmann freilich eine schätzens- werte Aufbesserung seiner Verhältnisse, immerhin war jedoch das Engagement so karg bemessen, daß eS der äußersten Sparsamkeit bedurfte, um jeder mann gerecht zu werden. ES hatte sich auch seine hoffnungsvolle Nachkommenschaft auf sieben Köpfe vermehrt. Seine wenigen freien Stunden mußte Lehmann noch benutzen, um durch Rollen- und Notenschreiben etwas zu verdienen. Dabet war stände sein, aus der Partitur oder dem KlavierauS- mann noch einige Verrichtungen auf der Bühne er- zug alles herauszulesen, was Librettist und Kompo- ledigte, war in der Solistengarderobe alles für den nist in szenischer Beziehung vorgeschrieben haben, feierlichen Akt hergerichtkt. Es erschienen auch die Fürwahr, der Posten eines Operninspizienten ist Mitglieder des Schauspiels und die geladenen Damen, kein leichter! Aber Lehmann fand sich in seinem Alle in festlichem Gewände. neuen Amte überraschend schnell zurecht, und — Nun betrat auch Freund Lehman., die Garderobe dank seiner Pflichttreue, Gewissenhaftigkeit, und lie- Nur einen Augenblick stand er ob des Anblicks der benSwürdigen Bescheidenheit — erwarb er sich nicht festlich gekleideten zahlreichen Versammlung verdutzt nur die vollste Zufriedenheit seiner Vorgesetzten, son- da; dann trat er an die bewußte Ecke, um seinen dein auch eine große Beliebtheit bei allen Mitglie- gnen FlauSrock hervorzuholen. Als er die schäbige dern des Opernpersonals. Jacke in den Händen hielt, verfinsterte sich seinGe- Nun kam die Weihnachtszeit heran. Der Win- sicht. Tränen traten in seine Augen, und mit ter setzte mit schneidender Kälte ein, gegen die sich zu halb erstickter Stimme flüsterte er: alten, fast bis an die Knöchel reichenden FlauSrock Mann den ganzen Winter in bloßen Flankerl herum besaß, dessen äußere, einstmals sehr dichte Behaa- laufen. DaS war nicht recht!" rung längst völlig abgescheuert war. Lehmanns Weiter kam er mit seiner berechtigten Klage Portemonnaie war bei der chronischen Ebbe nicht nicht, denn nun trat der würdige Opernregisseur an fähig, die Kosten für einen so notwendigen neuen jh„ heran, legte ihm die Hand auf die Schulter und Ueberzieher herzugeben. begann mit sonorer, vor Rührung leicht zitternder Lehmann pflegte, wenn er des Abends in das Stimme: Theater kam, um seinen Dienst anzutreten, seinen „Trösten Sie sich, lieber Lehmann! Der Schaden rotfuchsigen FlauS in einer Ecke der Solistengarde- wird gleich behoben sein." Auf einen Wink trat nun robe auszuhängen. Lines Abends, noch vor dem der Obergarder, hier heran und überreichte- dem Beginn der Vorstellung, machte der erste serieuse Herrn Operninspizienten den prachlvollen neuen Baß und Regisseur den folgenden Vorschlag: Winterüberzieher. „Wirhaben unS", fuhr derOpern- Wollen wir nicht dem braven Lehmann zum regisseur fort, „erlaubt, Ihnen in Anerkennung Ihrer routine, sondern auch eine bessere Allgemeinbildung Weihnachtsfeste einen neuen Winterrock stiften? Ich steten Pflichttreue und G wissenhafligkeit, Ihrer be- besitzt, zu der bei dem Herrn Operninspizienten na- stelle mich als ältester Kollege mit 10 Gulden au währten Liebenswürdigkeit und Gefälligkeit als ürlich noch ganz tüchtige musikalische Kenntnisse ge- die Spitze der Sammelliste!" „Ich folge mit LOjkleineS WeihnachtS-Angebinde den Winterüberzieher Vchrader (steif. Bgg.) Gulden," antwortete sofort der erste Heldentenor. „Na, da« können Sie sich bet Ihrer Gage leisten," replizierte der keck« Tenorbuffo, aber 5 Gulden habe ich auch für meinen Freund Lehmann übrig." So ging es fort, kein einziger Solist schloß sich von der Sammlung au-, und in wenigen Minuten waren mit Hilfe der Damen 600 Gulden aufgebracht, mehr als genug, um die ursprünglich geplante Verwendung zugunsten der gesamten Familie Lehmann auSzu- dehnen. In erster Linie aber wurde sofort der Obergarderobier beauftragt, rechtzeitig für die An- fertigung eine- hocheleganten und recht warmen Winterüberzieher- zu sorgen. Der Herr Obergarderobier entledigte sich seines Auftragk- auf sehr schlaue Weise Er begab sich zu dem ersten ruchfabrikanten der Stadt, einem viel- fachen Millionär und großen Theaterfreund, um den nötigen Stoff einzukaufen. Dabei erzählte er natürlich, zu welchem Zweck der Stoff dienen sollte. DaS hatte einen ausgezeichneten Erfolg, denn der ?err Fabrikant erklärte ohne Besinnen: „Dann kostet der Stoff überhaupt nichts. Gehen Sie gleich in mein Lagerhaus und suchen Sie sich auS, was Ihnen am besten gefällt. Nehmen Sie aber nicht zu wenig Stoff, damit auch für Lehmanns Jungen etwas übrig bleibt. Die Bengels werden auch neue Winterröcke gebrauchen können." Der Ober- garderobter ließ sich das nicht zweimal sagen und entnahm dem Lager ein ganzes Stück von mehr als vierzig Ellen. Ein paar Abende vor dem WeihnachtSfeste war der Ueberzieher fertig und in einem Schrank der Solistengarderobe aufbewahrt. ES war in der Tat ein Prachtexemplar. Da machte der übermütige, zu allen Schalkstreichen stets geneigte Tenorbuffo den Vorschlag, sich vor der Uebergabe deS neuen Ueberziehers an Lehmann, mit dem alten schäbigen FlauSrock einen kleinen Scherz zu erlauben. an ließ den Tenorbuffo gewähren, und dieser bemäch tigte sich sofort deS Objekts, daS wie immer während der Vorstellung in einer Ecke der Solistengarderobe hing, ergriff eine große Schneiderschere und schnitt von dem FlauSrock, dessen Futter längst nicht mehr existierte, gut eine Hand breit von unten ab. Nach der Vorstellung war alles gespannt, war Lebmann beim Anziehen des verstümmelten Winter kleides wohl sagen würde. DaS war an diesem Abend nicht besonders bemerkenswert. Lehmann schaute das Kleid, als er eS wieder angelegt hatte, mit einem wehmütigen Blicke an und meinte in fast weinerlichem Ton: „Mir scheint, der alte „Gott fried" ist von dem letzten Platzregen ein wenig ein- gelaufen. Na, diesen Winter mußt du uoch auS- halten:" Am nächsten Opernabend wiederholte sich die Amputation des alten FlauSrockeS in noch etwa» verstärktem Maße. Diesmal aber enthielt sich Leh mann beim Anziehen jeder Aiußerung. Nur einen villsagenden Blick, der andeutete, daß er den Zu sammenhang so ungefähr ahne, und ein Achselzucken oerrieten, daß er auch dieses zweite Attentat bimerkt habe. Am 23. Dezember gab eS die letzte Opernvor stellung vor dem Feste, und da am Heiligen Abend Die Verhältnisse in unseren afrikanischen Kolonien haben Debatten im Reichstage nötig gemacht, Theater geschlossen blieb so war beschlossen, die sie bisher in der Geschichte des deutschen Parlaments unerhört waren. Die höchsten Reichsbeamten ^"Erreichung des neuen UeberzleherS an Lehmann die Führer aller Parteien waren an diesen Debatten beteiligt, die hoffentlich dazu beitragen, daß ft.?"" diesem Abend zu vollziehen. Alle be, die Mißstände, die sich herausgestellt haben, endgültig beseitigt werden. Die erste Rede in der ganzen dieser Opernvorstillung nicht beschäftigten Sänger Angelegenheit hielt Reichskanzler Fürst von Bü ow, dem sich der Kolonialdirektor Dernburg und StaatS- ft"!? ^"^^'""en ""d auch die ersten Mitglieder sekretär von Tschirschky und Bögendorff anschlossen. Vom Zentrum traten ganz besonders hervor die ft?? Abgg. Dr. Schädler, Erzberger und Roeren, von den Sozialdemokraten die Abgg. Ledebour und Bebel, von den Nationalliberalen Dr. Semler, von der Reichspartei Dr. Arendt, von ver Wirtschaftlichen . Bereinigung Abg. Lattmann, von der Freisinnigen Vereinigung Abg. Schrader und von der Freisinnigen """ Volkspartei die Abgg. Ablaß und Kopsch. . . , ., Schnitt in eine kurze Jacke zu verwandeln, die er dann wieder auf ihren Platz hing, hören; denn der Operninspizient muß unbedingt im- Die Vorstellung war beendet. Während Leh-