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Die ersten Jahre von Brockhaus' Ehe waren eine Zeit des! reinsten und ungetrübtesten Glückes, gegründet auf die ausgezeich- neten Herzens- und Gcisteseigenschaften der jungen Gattin und auf! eine gedeihliche Entwickelung der ganzen bürgerlichen und geschäft lichen Stellung. Leider sollte dieses Glück nicht lauge dauern. Die Veranlassung zu seinem Umschlag gab der frühere Geschäftstheil- haber Hiltrop. Aus einer geschäftlichen Angelegenheit entspannen sich bald Verhältnisse der unangenehmsten Art, die zunächst auf Brockhaus' äußeres Leben entscheidenden Einfluß übten. Sie wur den die Ursache, daß er Dortmund verließ und nach Holland zog, ja selbst daß er sich dort später dem Buchhandel widmete, dem er sich, in Dortmund verblieben, schwerlich zugewendet haben würde. Brock haus wurde nebst seinem Geschäftstheilhaber Mallinckrodr von Hiltrop gegen Ende 1799 in einen Prozeß verwickele, der unter den Fehden und Anfechtungen, an denen Brockhaus' Leben so reich war, eine der hervorragendsten Stellen einnimmt und ihn bis an sein Lebensende verfolgte. Obgleich der Prozeß aufs engste mit Brockhaus' materiellen Lebcnsschicksalen verknüpft ist, so müssen wir bei dessen verwickelter Beschaffenheit und dessen unend lich langer Dauer (der Prozeß wurde erst fünf Jahre nach Brock haus' Tode von dessen Erben 1828 durch cincnVerglcich mit.Hiltrop beendigt) doch auf eine auch noch so kurze Geschichte seiner verschie denen Phasen und Wendungen verzichten und uns damit begnügen, den Leser auf die höchst klare Darlegung desselben in dem Werke des Or. E. Brockhaus zu verweisen, die nicht nur für den Juristen von Fach, sondern fast noch mehr für Jeden, der an der staatlichen Entwickelung Deutschlands Antheil nimmt, von höchstem Interesse sein muß, da er hier so recht anschaulich, thatsächlich ein schlagendes Bild von dem Nechtsgange in der „guten alten Zeit" unter der Glückseligkeit des Rheinbundes und selbst noch unter des Deutschen Bnndes „schützenden Privilegien" erhält, mit allen den Rabuliste reien, Winkelzügen, Vcrschlcppnngcn, wie sic aus der Vcrschieden- artigkcit des Rechts und dem Wechsel der Staatsangehörigkeit — beide die unvermeidlichen Resultate des damaligen politischen Zu standes Deutschlands — entsprangen. Fast noch angelegentlicher müssen wir den Leser ersuchen, das „Ein Rückblick" übcrschriebenc letzte Capitel der „Anfänge" zu lesen, welches den Anfang einer von Brockhaus in den Jahren 1818 oder 20 niedcrgeschriebenen — leider nicht vollendeten — Selbst biographie enthält. Dieses Bruchstück ist in seiner prägnanten Kürze, in der Unmittelbarkeit der Darstellung der eigenen Persön lichkeit des Schreibers und der anschaulichen Motivirung seiner Handlungsweise, in der Kunst, mit wenigen Strichen eine drastische Schilderung zu geben, in der Geradheit und dem gesunden Urtheile, die sich überall darin aussprechen, eine wahre Perle unter den schriftlichen Mittheilungen, welche uns in dem vorliegenden Buche zu Theil geworden sind, besser geeignet uns eine zutreffende Charak teristik F. A. Brockhaus' zu geben, als die feinsten analytischen Charakteristiken, da es auch dem besten Nachlebenden Historiker un möglich wäre, so anschaulich eine Individualität uns wieder vor- zuführen, wie es nur diese selbst kann, vorausgesetzt nämlich, daß sie dieselben Eigenschaften hat, wie der verewigte Brockhaus: einen Charakter, der eben ein Charakter genannt zu werden verdient, dann die Gabe der Natur, diesem Charakter in allen Lagen und Thätigkeiten die entschiedenste Ausprägung zu geben. Denn Brock haus war mit einem Wort — dies ergibt sich schon aus diesem Bruchstück, wie es aus allem von ihm und über ihn in der Biographie Mitgctheilten hervorgeht — das, was die Franzosen einen bomme «ntisr nennen, ein Charakter, der nie hinter dem Zaun hält, der sich überall in seiner unmittelbaren Ursprünglichkeit, niemals in kritischer Selbstrefleclirung gibt, der immer mit seiner Person zahlt und nie mals sich versteckt, der stets unbefangen sich in jeder Lage des Lebens gibt, wie er ist, ohne sich zu schminken oder zu verkleistern, in seinen Affecten, wie in seinen Bestrebungen, in seinen Ansichten wie in seinen Gefühlen. Obwohl durchweg einer höhern geistigen Auffassung des Lebens zugewendet, allem Aufstreben des Geistes in jeder Be ziehung ein Förderer, ist er doch »ic „von des Gedankens Blässe an gekränkelt" gewesen. In Folge der Anfeindungen und materiellen Geschäftshinde rungen aller Art, welche ihm der Prozeß mit Hiltrop zu Dortmund zugezogen hatte, verlegte dann Brockhaus im Winter 1801 auf 1802 zuerst das Geschäft nach Arnheim, wo es in Folge der Erschütterung, welche eine so gewaltsame Proccdur natürlich im Geschäftsgänge Hervorrufen mußte, auch zu Differenzen mit dem andern zeitherigen Geschäftstheilhaber Mallinckrodt kam, die schließlich zu einer güt lichen Separation und alleinigen Uebernahme durch Brockhaus führten, der nun mit demselben im Winter von 1802 nach Amster dam übersicdelte, um es hier auf günstigerem Boden fortzusetzen. Damit aber beginnt der zweite „In Amsterdam" überschriebene Ab schnitt. Brockhaus hatte in Folge der Creditserschütterung, welche eine natürliche Folge des Wechsels war, denen sein Geschäft ausgc- setzt gewesen, natürlich in seinem neuen Aufenthaltsort einen schwe ren Stand; die frische Zuversicht jedoch, mit der er unternehmend und geschickt ans Werk ging, brachte ihn indeß bald über die ersten Schwierigkeiten hinweg und bewirkte sogar einen vielversprechenden Aufschwung, der Brockhaus zu Unternehmungen verleitete, die in ruhigen Zeiten zwar den größten Erfolg gewährt hätten, unter den damals plötzlich cintretcndcn Verhältnissen aber nur zu ungünstigen Ergebnissen führen mußten. Es war nämlich die Zeit der von Bona- parte begonnenen Coutinentalsperre, die derselbe gerade damals auch der Batavischen Republik aufzudrängen verstand. Dies war natürlich ein tödtlicher Schlag für den Manufacturwaarenhandel Brockhaus', der zwar nicht den Muth verlor, allein um der ungünstigen Con- junctur die Spitze zu bieten sein Geschäft wesentlich einschränken mußte. Diese Einschränkung in enge Verhältnisse konnte aber seinem regen, strebenden Geiste nicht genügen; und da er theils wegen der fortdauernden Contincutalsperre, theils nach den kaum überstan- dcncn Bedrängnissen daran festhielt, sein Geschäft in englischen Maaren nicht weiter auszudehnen, so mochte für ihn der Gedanke nahe liegen, neben demselben ein andres Geschäft zu betreiben, das seinem Geiste bessere Nahrung versprach, und von dem er doch auch materielle Erfolge erwarten konnte. So griff denn Brockhaus zu dcrJdcc zurück, die ihn seit seinem Aufenthalt in Leipzig oft lebhaft beschäftigt haben mochte, sich dein Buchhandel zu widmen, als einem Berufe, in dem er seine kaufmän nischen Kenntnisse verwcrthcu und doch zugleich seiner Lieblings neigung, der Beschäftigung mit der Literatur, leben konnte. Im Sommer 1805 ging er an die Ausführung des neuen Planes, der formell den >5.October 1805 zurAusführung kam, denn von diesem Tage datirt sein erstes buchhändlerischcs Circular, mit der Unter schrift „Rohlvff L Co.", welches die Gründung des „Kunst- und Jndustriecomptoirs" in Amsterdam anzeigte. Als Ausländer konnte Brockbaus nämlich nicht Mitglied der damaligen Amsterdamer Buch händlergilde werden, mußte also einen Vertreter haben, zu dem sich der Buchdrucker Rohloff hergab. Doch schon nach zwei Jahren war diese Vertretung nicht mehr nöthig, und Brockhaus firmirte einzig unter der schon hergebrachten Bezeichnung: „Kunst- und Judustrie- comptoir" ohne Hinzufügung des Namens. Obgleich Brockhaus anfänglich sein „eigentliches" kaufmän nisches Geschäft immer als die Hauptsache, und das neue buchhänd- lerische daneben nur, um bei der bösen Zeit auch eine andere Carriere sich offen zu halten, als Nebenbeschäftigung betrachtete, so kehrte sich dieses Verhältuiß doch bald um, um so leichter, als Brockhaus von verschiedenen einflußreichen, maßgebenden Seiten her in Amsterdam 238*