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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 29.07.1906
- Erscheinungsdatum
- 1906-07-29
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190607290
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19060729
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19060729
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1906
-
Monat
1906-07
- Tag 1906-07-29
-
Monat
1906-07
-
Jahr
1906
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 29.07.1906
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DWeik-GWckr TWU Amtsblatt. Nr. 173. Sonntag, den 2S. Juli 1906. 1. Beilage waS der HanS, „und das lassen? A „IS freili recht kamod, aber i denk, a bissel hätt'n wir zwei schon zum dischkurieren?" „Red zu, wenn'S Dir a Freud macht!" „Hm! A Freud macht's mir grad net, aber i „Ja, siehst Du, sie ist vom Balkon gefallen. Ich hatte sie gebadet, und da ist die rote Farbe von ihren Backen abgegangen, und sie sah ganz blaß aus — drum hab ich sie auf den Balkon getragen und zwischen MamaS Blumentöpfe gesetzt, damit sie frische Luft schöpfen sollte; und Mama hat sich geärgert — und hat sie hinuntergestoßen — und ich habe eine Ohrfeige bekommen. Das schadet nichts, das hat mir gar nicht weh getan — ich habe bloß geweint, weil Leonore ihren Kopf entzwei gebrochen hatte — sie war ganz tot — und habe ich sie hier im Garten begraben." „Ach so!" Gr lächelte nicht. Er blickte gerührt auf die Kleine, die wieder schluchzte, als ob ihr das größte Leid der Welt zugestoßen wäre. „Ja Trude, das ist wirklich recht traurig, und eS tut mir sehr leid um die blonde Leonore. Aber weißt Du, ein Grab muß so angelegt werden, daß es sicher und unversehrt bleibt. Was meinst Du, wenn wir sie herausnähmen und sie anderwärts bestatteten?" „Ja — ach ja!" Trude lag schon auf den Knien und wühlte ihr Händchen in den weichen Boden hinein. Der junge Mann hattte von dem Werk zeug der Gärtner einen Spaten erfaßt und mit ein paar Stößen das Loch aufgeworfen. Da lag die zerbrochene Puppe in durchnäßtem, schmutzigem Kleidchen frei vor ihnen; der Kopf war gespalten, Erde klebte an ihrem Haar und an ihren Gelenken. Er hob sie behutsam auf dem Spaten heraus. Trude blickte neugierig durch Tränen hin. „Das ist kein schöner Anblick," sagte Viktor; „)a, so werden wir alle einmal aussehen! Aber nimm hier mein Taschentuch, wir wollen ihr das seidene Kleid und den Spitzenbesatz abtrocknen. Das Fräulein hat sich fein gemacht für die Würmer! Und dann möchte ich einen Sarg für sie haben — weißt Du, vielleicht die Bonbonniere, die ich Dir neulich mitbrachte, mit den gemalten Engeln darauf. Sie ist doch gewiß schon leer gegessen?" Naturmenschen erhaben, für moralische Finessen hatten sie keinen Sinn; wenn Mutter und Kind nicht der Gemeinde zur Last fielen, dann fanden sie sich mit der ethischen Seite der Ereignisse ohne weitere Skrupel ab. So hielten sie es, wenn die Geschichte sie selbst nichts anging; sobald die eigene Tochter oder Schwester in Frage kam, da kehrte man freilich die „moralische Seite" heraus und forderte oft sehr handgreiflich die Wiederherstellung der beschädigten Hausehre. Während also der „Schleckerlkramer" in der brodelnd heißen WirtSstube schwitzte und der Keil- Hofer Hans mit finsterer Miene Glas auf Glos hinunter stürzte, saß die mutterlose einzige Tochter deS ersteren in der verdunkelten Wohnstube und schaukelte die Wiege, in der ein vierzehn Tage altes Büblein schlief. Sie sah noch etwas blaß aus, die Stasi Kohl- moser, seelisches Leid hatte die Rosen ihrer Wangen gebleicht, und Tränen den Glanz der schwarzen Augen getrübt. Der kleine Wurm da in der Wiege hatte keine Schuld daran, denn Stasi freute sich ihres KindeS, aber sie hing auch an seinem Vater mit der ganzen Leidenschaft einer ungebrochenen Natur, und der HanS hatte sich in der Heiratsfrage äußerst widerspenstig gezeigt Stasi wußte nur zu gut, wo sie den Grund zu suchen hatte — seit die Bürger- meisterStochter vor einem halben Jahre wieder im Orte war, nachdem sie sich in der Stadt ein Jahr lang „höhere Bildung" als Küchenmagd in einem Hotel angeeignet hatte, ohne Einbuße ihrer Drall- heil, war der Hans kühler und kühler geworden und hatte vom Heiraten immer weniger wissen wollen. Ob eS ihm die „höhere Bildung," das BlaSengelge- stcht, oder die Moneten des Bürgermeisters angetan, diesmal mit stoischer Ruhe; „i verkauf mein ganzen Krempl und kauf mir dahinten in Afrika oder Australien a Farm und da bau ich mir ein HauS )in, so groß wie a Kasernen; aber bauen tu ich, raS sag i Dir, baut wird l" „Und wo nimmst nachher 'S Geld dazu her?" darüber gingen die Meinungen auseinander, jeden falls spielte der Mammon keine unwichtige Rolle; der HanS war ein fleißiger, geschickter Mensch, ver diente mit seiner Schreinerei mehr, als er für sich brauchte und besaß ein kleines HauS mit einem hübschen Obstgarten dabei. Aber — eS ließ ihm keine Ruhe! Seit sein Nachbar, der Greineder, in einem stattlichen Neubau wohnte und im Som mer mit Vermieten gute Geschäfte machte, war auch in ihm das Bausteber ausgebrochen und wurde schließlich zur fixen Idee. Bauen! Tag und Nacht ließ ihn dieser Ge danke keine Ruhe. Bauen! Dem „Schleckerlkramer" durfte man aber mit dem Projekt nicht kommen, denn seit er mit seinem Neubau arg hineingefallen und von einem wälschen Baumeister gehörig übers Ohr gehauen worden, hatte er hoch und heilig versichert, daß von ihm kein Pfennig mehr für Bauzwecke zu haben sei. Da war der Bürgermeister, Jakob Entleitner, ein anderer! der ließ schon eher etwas springen, damit seine modische Cenzl mit ihrem strohblonden Kopf aus den Fenstern eines noblen Hauses schauen konnte, das mit aufgepappten Zieraten und einem Balkon die Würde der Bewohner regensen tierte und damit stiegen Cenzl'S Aktien. Immer auffälliger verschwendete HanS seine derben Liebens würdigkeiten an den drallen Goldfisch, er zimmerte ihr sogar ein allerliebstes Gartenhäuschen, benagelte eS mit Borken, daß es wie eine Kapelle auSsah, stattete eS mit Tisch und Bänken aus, aber, leider — sie ging nicht in die Laube, wenigstens nicht mit dem ^anS und als er eS einmal mit dem „Kammer- Tisch hinein, daß alle Gläser wackelten. „So?" brauste der Kohlmoser auf, Madl mitsamt dem Kind willst sitzen netter Kerl bist, dös muß wahr sein?" „AuSwandern tu ich!" wiederholt „Sag der Mama, ich wäre in großer Eile, iä könnte sie nicht mehr besuchen, ehe ich abreise; aber ich lasse sie bitten, den Hund bis zu meiner Rück kehr hier zu behalten. Jedenfalls schreibe ich ihr noch. Und du" er hob mit beiden Händen den schwarzhaarigen Kopf des Mädchens in die Höhe und küßte sie auf die Stirn; sie blickte mit vergöt ternder Liebe zu ihm auf, und während sie lächelte, erschien in ihrem runden Kinn dasselbe Grübchen, daS ihn vorher bei der Mutter bezaubert hatte — „du wachse mir kräftig und gesund heran und bleibe immer so lieb und gut, wie du jetzt bist. Wenn ich wiederkomme, bist du vielleicht schon ein Fräu- lein — vergiß bis dahin den alten Onkel nicht." .. Ein paar Minuten später saß der junge Mann zu Pferde und trabte zur Hoftür hinaus, an dem Gartengitter vorüber. Sein rascher Blick streifte das efeuumrankte Fenster, daß jetzt leer war. Vor ihm lag die offene Landstraße. Aber er wandte sich noch einmal rückwärts, und seine Augen suchten die erhöhte Stelle deS Gartens, wo die Fliedersträucher am dichtesten standen und wo unter dem Flieder eine kleine Gelenkpuppe und eine große Liebe begraben lagen. fensterln" versuchte und herzbeweglich um Einlaß bat, La erhielt er einen Guß eiskalten Wassers über Kopf und Rücken, io daß er wie ein nasser Pudel den Schauplatz verlaffen mußte. Wiederholte An näherungsversuche verliefen gleichfalls resultatloS, trotz dem hängte sich der HanS mit Zähigkeit an daS Schürzenband der Cenzi — das HauS, das verflixte HauS! Da kam der Valentin Heidinger nach glücklich absolvierter Militärpflicht wieder ins Dorf zurück und jetzt wurde dein HanS die Situation plötzlich und fürchterli y klar; aber auch dem Bürgermeister gingen die Augen auf, warum seine Cenzi so be harrlich den Tanzboden mied und sich allen Bur schen gegenüber als Blümchen Rührmichnichtan auf spielte. Die Cenzi und der Valentin hatten die heimatlichen Beziehungen auch in der Stadt liebe voll fortgesetzt und der Bürgermeister begriff, daß er wohl oder Übel das Aufgebot schleunigst bestellen müßte, wenn er nicht vor der Hochzeit noch taufen lassen wollte. Der Stasi fiel ein Zentnerstein vom Herzen, sic schöpfte wieder Hoffnung und Vater Kohlmoser konstatierte mit Befriedigung, daß sein Herzkäserl langsam wieder das Lachen lernte. Freilich waren ihre Aussichten immer noch trüb genug, denn der HanS ging herum wie ein grollendes Ungewitter und machte nach wie vor einen großen Bogen um das Schleckerlkramerhaus. Indessen die Stasi daheim in der holzgetäfelten, dunklen Stube saß, die Fliegen von dem schlafge- röteten Gesicht ihres Buben scheuchte und mit stillem Lächeln vor sich hinträumte, saß der HanS noch immer an der Hochzeitstafel, auf der es durchaus nicht mehr festlich aussah und brütete vor sich hin. Die Sonne war allmählich hinter dem Walde verschwunden, Türen und Fenster standen weit auf, mit köstlich kühlem Hauche zog die Abendluft in die räucherige Wirtsstube und jagte Bier-, Wein- und Menschen dunst hinaus. Das Hochzeitspaar und die Gäste hatten sich teils unter den dichten Kastanienbäumen des Gartens, teils auf dem Tanzboden verteilt, von dem herüber Lachen und Kreischen zwischen Brumbaß und Fiedel klang, nur der Hans und der Schleckerlkramer saßen noch am Tisch neben einander und schwiegen sich gegenseitig an. Endlich nahm der Kohlmoser die kurze, qualmende Stummelpfeife aus dem Mund, tat einen herzhaften Schluck, stieß den Burschen freundschaftlich aufmunternd mit dem Ellbogen in die Seite und sagte: „No, red' halt a Mörtel!" „Mei Ruh' will i haben!* brummte der und rührte sich nicht. hab nur dös anzige Deandl und iatzt, wos Buaberl auch da iS, meinet i halt schon, daß wir zwei ebbeS mitnander z'reden hätten? Was hast denn iatz eigentli im Sinn?" „Auswandern tu i, daß d' es weißt!" schrie der Hans furioso und schlug mit der Faust in den „Leonore? Wer ist das?" „Ach, Onkel, frag nicht so — Du weiß doch: Leonore — das ist ja meine Gelenkpuppe, die kleine, süße, in dem rosaseidenen Kleide, die du mir zum Geburtstag geschenkt hast. Sie hatte so natürliches blondes Haar und blaue Augen mit richtigen Wim pern dran. Und sie konnte sitzen und stehen und alle Glieder bewegen." Sie schwieg und starrte vor sich hin ins Leere, mit großen, nassen Kinderaugen, die immer größer wurden, als blickten sie in ein Traumland, wo winzige Geschöpfe mit Porzellangesichtern umher wandeln, in Häusern aus Bauklötzchen wohnten und von PralineS lebten. Von dort her stammt auch Leonore. Viktor blieb völlig ernsthaft. „Woran ist sie denn gestorben?" Schlaumeter. Von Caroline Eichler-Häusser. (Nachdruck verboten.) DaS Schleckerlkramer-Anwesen lag mitten im Dorfe in sonntäglicher Ruhe, die heiße Augustsonne brannte erbarmungslos auf HauS und Gehöft, über dem neuen knallroten Ziegeldach flimmerte die heiße Luft, daß eS auSsah, als ob dünne Rauchschwaden auf und nieder geweht würden. Türen und Fensterläden waren fest geschloffen, in der Regentonne hinter dem Hause badeten die Spatzen das sonnendurchglühte Gefieder, die Hühner hockten mit offenen Schnäbeln in einem geschützten Winkel, und TyraS, der zottige Wächter, lag auSge- streckt mit lechzender Zunge und fliegenden Flanken im spärlichen Schatten seiner Hütte. Die Gassen waren wie ausgestorben, kein Laut unterbrach die lastende Stille, kein Lufthauch milderte die sengende Glut, die lähmend über dem stattlichen Dorfe brütete. Der „Schleckerlkramer", so benannt, weil er neben seiner Landwirtschaft einen Kramladen hielt, in dem er neben Kaffee und Zucker, Schnitt- und Töpferwaren, Rosenkränzen und Holzpantoffeln, Schweizerkäse und Schnupftabak und anderen nütz lichen Gingen auch einen schwunghaften Handel mit „Schleckerln" betrieb; Gerstenschleim (Gerstenzucker) und Lakritzen, im Volksmund naiv „Bärendreck" ge nannt. Dieser „Schleckerlkramer", Vinzenz Kohlmoscr, befand sich unter den Gästen, welche zur Hochzeit des Dorfschmiedes Valentin Heidinger mit der Tochter deS Bürgermeisters geladen waren; hemdärmlich wie sämtliche männliche Anwesende, den Bräutigam nicht ausgenommen, saß er neben dem Keilhofer HanS und warf von Zeit zu Zeit forschende Blicke auf den stattlichen Burschen, der mit aufgestützten Ellenbogen vor sich hingrübelte. Selbst den abgehärteten Bauern lag die Hitze in den Gliedern. Stolz blickte der frischgebackene Ehemann im Kreise umher, mit vergnügtem Augenzwinkern diesem und jenem zunickend und die junge Schmiedin schien es gar nicht betrüblich zu finden, daß kein jung fräulicher Myrtenkranz ihren ölgetränkten Scheitel krönte. Ueber Vorurteile waren diese urwüchsigen Heonorens Grab. Von Marianne Perl. (Nachdruck verboten). „Müssen Sie wirklich schon fortreiten, Herr von Kielegg? ES ist so früh, und ihr BoreaS steht gut in unserm Stall. Schenken Sie mir noch ein Stündchen I" „Wissen Sie nicht, Hermine, daß ich immer hier bleibe, bis ans Ende meines Lebens, wenn Sie daS wirklich und ernsthaft wollten?" Er blickt zärtlich und hingebend in daS hübsche Gesicht der jungen Frau, die ihm kokett zulächelt; dabei erscheint ein Grübchen in ihrem Kinn, da- ihn jedesmal ganz toll macht. Wie gut sie sich zu frisieren weiß! Wie reizend sie in dem hellgrauen Sommerkleide mit dem breiten Spitzenkragen und dem Goldgürtel aussteht! Sie standen dicht neben einander am offenen Fenster, zu dem Efeu emporkletterte. Der Früh- lingSwind wehte ihr die braunen Haarringel auS der Stirn, und die zitternden Aste der hohen Schnee ballsträucher rührten an ihre Schulter. Draußen im Garten gruben zwei Gärtnerburschen den Rasen um und streuten GraSsamen in die Furchen. Ein scharfer, würziger Erdgeruch stieg auf. „Sehen Sie, Hermine, wie mein Hund sich's unter Ihrem Fenster bequem macht! Er liegt und starrt Sie an. Offenbar gefällt es ihm nirgends in der Welt so gut wie hier. Gelt, Nero, wir haben den gleichen Geschmack?" Sie lächelt wieder, sodaß ihre weißen Zähne zwischen den etwas zu roten Lippen hervorschim- mern, und ohne den Kopf zu wenden, steht sie ihn an, verstohlen prüfend von der Seite her, mit einem jener raschen, schrägen Blicke, die wie langgeschwänzte Teufelchen aus den Augenwinkeln fahren. „Wir werden Zeit haben, darüber zu sprechen", sagte sie; „vorläufig gibt es noch viel zu bedenken — ich bin frei — das Kind ist eine große Last! Sie kennen nicht seine Unarten, sein störrisches, widerspenstiges Wesen. Es hat den ganzen, tief eingewurzelten Eigensinn ihres Vaters geerbt." „Gerade darum brauchen Sie eine Stütze, holde Frau! Und für meine Freundin Trude stehe ich ein — die soll keine Sorge machen. Geben Sie mir ein Wort der Hoffnung mit, Hermine!" „Viktor" . . . Er legt den Arm um ihre ein bißchen zu lang geschnürte Taille und zieht sie an sich. Seine Lippen streiften flüchtig die Spitzen ihres duftenden, licht braunen Haares. In ihren Augen blitzte es trium phierend. Da tönt plötzlich wildes Zetergeschrei auS dem Garten herauf, untermischt von Hundegebell und vom Gelächter und Gejohle der Gärtnerburschen. Die Züge der jungen Frau verändern sich jäh. Ein Ausdruck heftigen, mühsam zurllckgehaltenen Zornes tritt in ihre Augen. „O, sehen Sie nur — dort — e§ ist schrecklich!' Zwischen den Baumreihen der Kastanienalleen konnte man durchblicken bis zu einem Plätzchen in Ler äußersten Gartenecke, wo mächtige Tannen eine Bank überschatten. Die Gärtner waren mit ihrer Arbeit bis dahin gekommen und wollten eben ihre Spaten dort in den Grund stoßen. Vor ihnen aber stand ein Mädchen, das mit gespreizten Beinen und weit ausgebreiteten Armen, kirschrot im Gesicht und mit wütendem Geschrei, den Platz verteidigte. Jetzt , hatte es einen großen Tannenzweig von der Erde aufgehoben und schlug mit aller Kraft auf die vor- ' dringenden Männer los, daß ihnen die spitzen Nadeln ins Gesicht fuhren und in die Haut drangen ' „Hexe!" schrien sie. „Trude — Trude, wirst Du hören! Auf der Stelle gehst Du zu Mademoiselle! Du bekommst eine exemplarische Strafe! schrie jetzt auch die Mut- ter in Heller Wut. Der junge Mann hatte nach dem Hut gegriffen und pfiff seinem Hunde. „Auf Wiedersehen, teure Freundin!" und schon war er aus dem Zimmer, die Gartentreppe hinunter und, von Nero gefolgt, - mit ein paar Schritten auf dem Kampfplatz. i „Aber so lassen Sie doch das Graben — zurück!" Die Gärtner standen sofort respektvoll in ord nungsmäßiger Haltung. „Wir sollten den ganzen Garten umgraben, hat der Meister gesagt." „ES ist gut — daS wird sich morgen finden! Machen Sie jetzt Feierabend. Trude komm her zu mir I" DaS Kind flog ihm an den Hals, zitternd, keuchend, wie von Sinnen: „Onkel Viktor!" — und brach dann in lautes Weinen aus. ! Er streichelte begütigend ihre wirren, pech- ! schwarzen Haare und führt sie ein paar Schritte weiter zu der Bank unter den Tannen, wo er sie < auf die Knie nahm. Ruhig wartete er, bis ihr ( Schluchzen leiser wurde, bis daS krampfhafte Zucken j der kleinen Gestalt nachließ. ' „WaS ist dir nur, Mädel? Warum läßt du die Leute nicht ruhig arbeiten? Haben sie Dir etwas getan?" i Trude umschlang ihn mit beiden Armen, ihr heißes Mündchen lag dicht hinter seinem Ohr. 1 „Aber Onkel" — stotterte sie, „da — da ist! ja LeonorenS Grab." i Das Kind nickte eifrig, lief fort und hatte sie schnell geholt. Nun war die Puppe in der Schachtel aufgebahrt, ein paar große Blätter von einem herabhängenden Lindenzweig verhüllten sie, dann wurde der bunte Deckel fest daraufgedrückt und wieder mit Blättern bedeckt. „Komm;" Der Trauerzug setzte sich in Bewe gung; in der Mitte Trude, die den improvisierten Sarg trug, hinter ihr Herr von Kielegg mit dem Spaten und beiden voran Nero, ernsthaft, als wisse er, um was es sich handle. Am andern Ende des Gartens, auf einer kleinen Anhöhe, unter dichtem Fliedergebüsch, machten sie Halt. „Siehst Du, hier wird kein Rasen gesät, das vertragen die Wurzeln der Sträucher nicht — hier kann auch Leonore ruhig schlafen." In das schnell geschaufelte Loch wurde die Schachtel gestellt, grüne Jliederzweige darauf gesenkt und ein winziger Hügel aufgeschüttet. Nero schritt feierlich um diesen herum. „So, hier können wir später ein Hölzchen auf- tecken, und in jedem Frühling wird es hier zuerst knospen und sprießen, und abfallende Fliederblüten werden auf das Grab herunterregnen. — Nun komm zurück, Trude!" — Er zog sie mit sich. „Ich werde dir eine neue, schönere Puppe bringen, größer und mit beweglichen Augen." „Nein, nein," das Kind schluchzte wieder heftig, „ich will nicht — ich will keine andere!" „Arme, kleine Puppenmutter! Du goldenes Herzchen ... so unverstanden und einsam und doch so stark und so treu! Glücklich, wer dich einst ge winnt. . . . Nun also, keine Puppe. Aber höre: ich muß eine lange, weite Reise machen, und ich möchte Nero nicht mitnehmen Willst du ihn be halten? Vorläufig, bis ich wiederkomme! Wenn du Lust hast, für immer." „Ach Onkel — Onkel I!" Trude stürzte sich auf den jungen Mann und drückte in wahnsinnigem Entzücken ihr Gesicht an seine Schulter; ihre Hand streckte sich hinter ihr nach Nero aus, der an ihren Fingern schnupperte. „W rd Mama eS erlauben?" „Ich denke, sie wird eS." — Er runzelte un willig die Stirn. Immer dieselbe Scheu vor der Mutter! DaS nannte Hermine wohl Erziehung? I Er verstand daS Wort besser, und besser würde er's gemacht haben, wenn dies Seelchen ihm gehörte.
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