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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 12.10.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190210126
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19021012
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19021012
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- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Bemerkung
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- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-10
- Tag 1902-10-12
-
Monat
1902-10
-
Jahr
1902
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 12.10.1902
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Diese Kennzeichnung des „Flcischnoth".Geschreies au- freisinnigen Kreisen, in einem freisinnigen Blatte veröffent licht, verdie t weite Verbreitung, Weise gegen Beamte und Privatpersonen vorgegangcn Er wolle zugeber, daß in der Untersuchung mancher Fehler b gangen worden sei, insbesondere das Vor- zeh-n gegen den Schlächtermeister Hoffmann betreffend, aber Jrrthümer kämen überall vor. Der Staatsan walt geht sodann auf die einzelnen Vorwürfe ein, welche gegen die Beamten erhoben wurden. Für dic- ,elben habe sich keinerlei Berechtigung ergeben. Auch An demselben Tage, wo in der deutschen Reichs- Hauptstadt sich der Empsang der Burengenerale ab- spielen wird, tritt in Oesterreich der ReichSrath zu sammen, der diesmal manche harte Nuß zu knacken hat. Die stürmischen Wetterzeichen, unter denen sich am Mittwoch der Zusammentritt des ungarischen Reichstags vollzogen hat, lassen einige Schlüsse daraus zu, wie sich in den beiden ReichShälsten die parlamen tarischen Sessionen gestalten werden. Die Ausgleichs- frage, die bis zum Ende dieses Jahres gelöst werden muß, wenn nicht das gemeinsame Zoll- und Handels- bündniß einen unheilbaren Riß bekommen soll, hat sich derart kritisch zugespitzt, daß die Politiker in Cis- wie in TranSle thanien mit ernster Sorge erfüllt sind. In ernster Sorge sind auch die Regierungen der Bereinigten Staaten von Amerika und Frankreich durch die bedrohlichen und gewaltig anschwellenden Streik bewegungen in deo beiden Ländern versetzt worden. In Amerika hat der Streik der Kohlenarbeiter eine ungeheure Kohlenuoth heroorgerufen, welche sich immer mehr zu einer ernsten nationalen Gefahr entwickelt. Und wenn der Kohlenarbeiterstreik in Frankreich auch noch nicht die riesenhaften Dimensionen erreicht hat wie in Amerika, so sind doch hier wie dort die Aus- sichten auf eine Beilegung des Streiks zur Zeit noch recht gering. Der französische Ministerpräsident Combes, der sich dabei noch immer befleißigen muß, durch über schwängliche Friedensreden die Kriegsdrommetenstöße seiner kriegerischen Ministerkollegen zu übertönen, hat wenigstens einen Trost im Leide gesunden, nämlich in dem glücklichen Abschluß eines Vertrages mit Siam, durch welchen Frankreich zwei siamesische Provinzen abgetreten werden. Wenn die politisch-wirthschaftliche Bedeutung dieses Vertrages auch nicht bis ins Un- gemessene überschätzt zu werden braucht, so hat doch Frankreich damit seinem siamesischen Rivalen England gegenüber einen solchen Vorsprung erlangt, daß daL siamesische Rennen als für England verloren bezeichnet werden kann. Eine interessante Zurückweisung des „Fleischnoth^Geschreieo. Das „Deutsche Reichsblatt", das Organ des frei' sinnigen „Bauernbund" ist genöthigt, folgende Aus- ührungcn des Vorsitzenden eines — jedenfalls doch reisinnigen — landwirthschastlichen Vereins zu veröffent lichen: „Ohne Zweifel befinden sich die Fleiichpreise, d. h. die Preise für genußfertiges Fleisch, namentlich der Schweine, zur Zeit aus einer Höhe, welche mit der Leistungsfähigkeit der konsumirenden Bevölkerung, insbe sondere des Arbeiter-, Kleinbürger- und Beamtcnstandes, in einem sehr schiefen Verhältniß steht. In einer Zeil, wie der gegenwärtigen, mit wirthschastlichem Tiefstände oder doch kaum merklich beginnender Besserung wird dies unglückliche Verhältniß naturgemäß um so lebhafter em- wunden. Verschafft wird dies Gefühl einer ungerechten Bedrückung nicht unwesentlich dadurch, daß >n erster Linie und als allein'ge Ursache der Theuerung die Sperrung der Reichsgrcnze gegen Einfuhr lebenden und geschlachteten Viehes, richtiger der Schweins und des Schweinefleisches nnt stärkster Betonung hervorgehoben wird. Gerade hier durch Kat sich bei den Konsumenten eine geradezu ge hässige Besprechung der Sachlage herausgcbildet, welche den klaren Blick zu trüben gar zu sehr geeignet ist. Die meisten Landwirthc auch die liberalen — soweit sie über haupt oder nicht nur nach der Schablone denken — ver- stehen dos übermäßig große Geschrei gewiß nicht und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die Preiserhöhungen für lebendes Vieh nicht im Verhältniß stehen zu den Preiserhöhungen, welche das verkaussfähige Fleisch na mentlich in den Großstädten erfahren hat. Die Preis- besserung für lebende Schweine an der Abnahmestclle des Produzenten beträgt zur Zeit etwa 16 Prozent gegen das Vorjahr; nur düse Differenz kommt dem Landmann zu gute, wogegen alle weiteren Steigerungen eine allerdings natürliche Folge der Ausnutzung der augenblicklichen Knappheit an mastfertiger Waare seitens der Händler und Großschlächter sind. Würde diese Knappheil am Markte anhalten — es ist dies ausgeschlossen — so wäre eine empfindliche Preissteigerung die nothwendige Folge, denn es wäre doch ein schlechtes Zeugniß sür den fortgeschritte nen Geschäftssinn des denkenden Schweinemästers, w-nu er für sein Theil die aussteigende Konjunktur nicht nach Kräften dadurch ausnutzen wollte, daß er sein V eh so lange wie möglich zurückhäli. Es ist dies ein unzweisel tzastcs Recht. Steht es doch jedem gewerblichen Arbeiter kraft Gesetz frei, zur Erlangung besserer Lebensbediagungcn selbst bei den dringendsten, im öffentlichen Jateresse aus zuführenden Arbeiten — und gerade, wenn es dräng! geschieht es doch — die Arbeiten gemeinsam niederzu iegen! Man denke auch an alle möglichen Syadikate Kartelle und Trusts, in welchen sich doch hauptsächlich das Bestreben nach höherein Gewinn konzentriert. Di. Knappheit in Schweinen an und lür sich muß ja natür lich den Preis auch ohne künstliche Machenschaften beein flossen, dürste aber sehr bald überwunden sein; sie wäre sicherlich nicht oder doch nicht im gegenwärtigen Maße emgcurete», wenn alle wohlmeinenden Organe die Presse, Vereine und Vc'-iaminluns.en früh;ciii i genug und an dauernd aus die-der Grenzsperre voraussichtlich sollende Konjunktur aufmerksam gemach! hätten, statt immer und immer wieder nicht nur nicht nutzlos, sondern indirekt schädigend darüber zu lamentiren. Es wäre dann gewiß, ebenso wie in den Bezirken des Schreibers dieser Zeilen, eine ganz bedeutend verstärkte Schweinemast auch im g-- sammtcn Reiche zu konstatieren und ein großer Theil der heute seitens der Konsumenten erhobenen Beschwerden und Klagen wäre vermieden worden. In hiesiger Gegend hat sich die Anzahl der in Mast befindlichen Schweine gegen das Varjahr nach vorgenommenen Stichproben um mindestes 20 Prozent gehoben, eine Folge wr Einwirkung des eigenen, gesunden Menschenverstandes der La-rdleuw uns der in wirthichajtlichem Aufschwung befi wlichen Ge gend. Auf der Hand liegt es aber auch, daß eine plötz liche Vergrößerung der Mast nicht in allen Betrieben möglich ist, cs gehört eben Zeit zur Errichtung größerer Stallungen, das Hauptfuttcrmittel, die Kartoffel, muß konserviert statt verkauft werden und dergleichen Vor bereitungen mehr. Alle diese Arbeiten können aber dann gemacht werden, wenn es einigermaßen wahrscheinlich ist, daß die aufgewandten Kosten durch die Möglichkeit er träglichcr Preise belohnt werden. Jeder einsichtige Land mann wird nun gewiß weit davon entfernt sein, die zeiti gen hohen Viehpreise für normale in Anspruch zu nehmen — ein Preis von 40 Mk. sür den C-ntner Lebendgewicht wird für alle Fälle ausreichend sein —, ebenso gewiß wird er jedoch auch nicht derjenige sein wollen, der dem Konsumenten, recht gesagt dem Großhändler und — Schlächter, auf Gnade und Ungnade in die Hände ge geben ist. Noch eins wolle inan bedenken: Die Mast und nicht zum geringsten die der Schweine, liegt mit in ocn Händen der kleinsten Landwirthe, der Einwohner, Häusler, Büdner, natürlich auch bei den bäuerlichen Wirthen bezw. deren Frauen. Diese, besonders die ersteren, beziehen aus der Schweinemast eine nicht u wesentliche Jahreseinnahme, welche in vielen Bezirken alle anderen Baareinnahmen übertrifft. Eine plötzliche Oeffnung der Grenze würde einerseits zwar eine Entlastung des kon- umirenden Publikums, andererseits aber auch eine nicht unerhebliche Schädigung des sogenannten kleinen Mannes auf dem Lande bedeuten. Die Belastung des Käufers >st auf alle Fälle nur eine vorüberg-hende, auch sind die Konsumenten namentlich der arbeitenden Klaffen zur Auf besserung ihrer Einkünfte durch die Koalitionsfreiheit sehr ersten Spatenstiche ein Schuß und das Geschoß drang dem Bedauerns«erthen in das Auge. Der zu Rathe gezogene Arzt stellte ein^ schwere Verletzung fest und ordnete die sofortige Ueverweffung nach einer Halleschen Heilanstalt an. Man vermachet, daß eine verloren gegangene Pa trone durch den Svaten getroffen wurde und dadurch d-r Schuß losging, da jeder andere Anhalt fehlt. * Karlsruhe, 6. Oktober. Der Prozeß Arnold- de« psychologischen Moments. Es ist einfach undenk bar, daß die Sache sich so abgespielt haben konnte, wie der Kriminalinspektor Braun sie konstruirt hat. Auch die Thatsache, daß die Familie des Schulinspektors Rhode verdächtigt worden ist, ist tiestraurig und nur aus die Erregung zurückzusühren, die in der Be völkerung bestand. Als ich die Akten las, war cs mir unbegreiflich, wie man auf einen Verdacht in dieser Richtung kommen konnte. Bezüglich der Akten stellt der Erste Staatsanwalt fest, daß diese sich in einem Zustande größter Unordnung befunden haben. Auch der schwierigen Frage des Ritualmordes sei er, Zeuge, näher getreten. Medizinalrath Müller habe zuerst gutachtlich sich dahin geäußert, daß der Tod Winter's durch Verblutung erfolgt sei, er habe später dies eingeschränkt und auch Erstickungserscheinungen zugegeben, letztere seien auch nach dem Gutachten von Dr. Störmer und Dr. Mittenzweig vorhanden ge- wesen. Er habe sich nun gefügt: Wenn ein Ritual mord vorliegen sollte, so könne er nur von Juden des allergrößten Aberglaubens und größter Rückständigkeit begangen sein. Wenn solche Juden koschere? Blut gebrauchten, würden sie natürlich nur Blut von leben den Wesen, die koscher geschlachtet sind, erstreben, d. h. bei denen eine Erstickung nicht vorliegt. Auf der anderen Seite mutzte ein so kräftig gebauter Mensch wie Winter von vornherein als ein ganz ungeeignetes Objekt für ein solches Ritualverbrechen erscheinen, denn der persönliche Muth sei nicht gerade ein besonderer Vorzug der Juden. Außerdem frage es sich, ob der Lewy'sche Keller, der in einer belebten Straße liege, ein geeigneter Ort zur Begehung des Verbrechens ge wesen sei. Im weiteren Verlaufe der Sitzung wurde das Gutachten der Medizinalbehörde verlesen, das u.a. besagt: „Der Tod ist durch Erstickung eingetreten. Der Halsschnitt ist nicht zu Lebzeiten gemacht worden. Kurz vor dem Tode hat Winter geschlechtlichen Um gang gehabt." Hierauf folgte die Vernehmung von Sachverständigen. Medizinalrath Dr. Müller erklärte nach dem Bericht der Staatsbürger-Zeitung, daß der Tod durch Verblutung (also nicht durch Erstickung) entstanden sei. Nach derselben Quelle traten Medizinal, rath Dr. Mittenzweig und Dr. Störmer diesem Gut achten bei. In einem anderen Bericht heißt cs, daß Dr. Störmer ausführte: „Nach meiner Ueberzeuguvg ist Winter durch eine Kombination von Erstickung und Verblutung gestorben. Es liegt kein Schächtschnitt vor. Ich bin vollständig der Ansicht des ersten Staatsanwalts Schweigger, daß das Blut Winter's nach der Art, wie cr gestorben ist, keineswegs koscher gewesen wäre, wenn man den Ausdruck gebrauchen will." Oberstaatsanwalt Wulff kommt nochmals darauf zurück, daß der Erste Staatsanwalt Settegast viel zu viel dem Verdacht gegen die Juden nach gegangen sei, in seinem Eiser sei er soweit gegangen, ganz allein in Judenhäuser zu gehen und Haus suchungen vorzunehmen, ohne die richterliche Ein- , willigung abzuwarten. Was das Verfahren gegen , Hoffmann betreffe, so habe er sofort dem Kriminal- inspektor Braun gesagt: Sie werden keinen Staats> anwalt und keinen Richter finden, der einen Hastbesehl gegen Hoffmann erläßt. Kriminalinspektor Brau, glaubt, den ihm von Schweigger gemachten Vorwur wegen der Sistkunz Hoffmann'S zurückweisen zu sollen. „Wer meinen Bericht liest, kann mir nicht den Vor- wurf machen, daß ich die psychologischen Momente bei Seite gelassen habe, ich habe im Gegentheil —" . . . Vorsitzender: Ja, jo, überlassen Sie uns nur die Be- urchcilung darüber. Die Vertheidigung sprach sodann namens dcS An« geklagten Dr. Böttcher das Bedauern über di- Ver öffentlichung eines der zur Anklage stehenden Artikels aus. Die in diesem Artikel enthaltene Vermuthung. daß das preußische StaatSminut-rinm, namentlich da» Justizministerium und das Ministerium S.S Jar erv aus staatlichen Rücksichten eiu besonders vorsichtiges Vorgehen gegen dre Juden angeordnet hätten, sei schlechthin falsch. Im Prozeß gegen die „Staatsbürgerzcituug" be gannen am Donnerstag die PlaidoyerS. Staatsan walt Kauzow führte aus, daß in diesem Prozeß die wüste Phantasie in erheblicher Weise Orgien gefeiert habe. Man könnte sich beinahe in die Zeit der Hexen- prozrsse versetzt wähnen. Ein vollständiges Judenver- folgungSfieber hatte Platz ergriffen. In ganz West- preußen sei zu j°ner Zeit eigentlich kein Jude unver dächtigt geblieben, wenn er sein Alibi für den 11. März nicht klar nachweisen konnte. Der Staatsanwalt stehe auf dem Standpunkt, daß Erstickungstod vorliege und von einem Ritualmord keine Rede sein könne. Ich stelle mich bei der Beurtheilung der Thatfachen auf den Standpmkt der wissenschaftlichen Deputation. Wo eia Virchow, ein Bergmann und andere Capaci- täten gesprochen haben, kann doch ein Zweifel nicht vor kommen. Rach diefim Gutachten, das mit der Ansicht des G-richtSarzteS Dr. Puppe übereinstimmt, kann von einem Schächtschnitt keine Rede sein, schon nach dem objektiven Befund, bezüglich dessen alle Sachverständigen übereinstimmender Meinung sind Auf der anderen Seite ist klar erwiesen, daß Ernst Winter einen mit stimm Alter und seiner Stellung als Gymnasiast unvereinbaren unsittlichen Lebenswandel geführt hat Die Angeklagten hätten keine sachgemäße Kritik geübt, andern seien in äußerst leichtfertiger, gewissenloser MM da ÄM Raid m Berlin, 4. Oktbr. Zu dem Prozesse gegen die Berliner „Staatsb. Ztg.", durch den der Könitzer Mord wieder in den Vordergrund der Erörterung gezogen wird, bemerkt die „Deutsche Tageszeitung" : „Wir sink weit entfernt, schon jetzt, währeud die Ver handlungen noch andauern, irgend ein Urtheil zu fällen; wohl aber darf schon heute auf einen Punkt hinge wiesen werden, der unseres Erachtens sehr bedeutsam und bedenklich ist. Unsere Leser wissen, daß wir uns früher nicht an der Kritik der Polizeibeamten betheiligt haben, die in Konitz thälig waren. Die Zeugenaus sagen des Kriminalkommissars Braun lassen aber doch die Frage aufwerfin, ob ein derartiger Mann für seinen Beruf geeignet sci. Ein Polizeibeamter, dem eine solche Mission übertragen wird, muß sich pein lichst davor hüten, den Verdacht zu erwecken, als ob er seine Thätigkcit nur nach einer Richtung hin kor- zentriie. Diesen Verdacht hat Herr Braun nicht ver mieden, sondern hervorgerusen. Wenn er an die Mög lichkeit eines Ritualmordes nicht glaubt, so ist das reine Such-. Wir glauben auch nicht an sogenannt, Rirualmordr. Daß cs aber Blittinorde, die aus dem Motive des Aberglaubens heraus begangen werden, geben kann, ist nicht von der Hand zu weisen. Wenn ein Polizeibeamter von vornherein darauf verzichtet, eine solche Möglichkeit anzunehwcn, so handelt er nicht seiner Aufgabe gemäß. Er muß alle Möglichkeiten, selbst die ihm unwahrscheinlich erscheinenden, berück sichtigen und alle Spuren verfolgen. Ein Polizei beamter muß ferner in solchen Fällen ungemein vor sichtig in seinem Umgänge sein. Diese Vorsicht har Braun nicht bewiesen. Er hat im Gegentheil mit eineni Manne, der in den Kämpfen durchaus Partei war, Skat gespielt und konnte dadurch Zweifel an »einer Unparteilichkeit Hervorrufen. Endlich muß ein Polizcibcamter, der so heikle Dinge zu behandeln hat, in seinen Worten und Ausdrücken überaus sorgsam und peinlich sein. Herr Braun hat sich eine Mahnuu des Präsidenten zugezogen, weil er ein ärztliches Gun achten als „erbenmlich" bezeichnen zu dürfen glaubt?. Es fällt uns nicht ein, Herrn Braun voi werfen zu wollen, daß er irgendwie nicht pflichtgemäß verfahren je», im Gegentheil, wir sind geneigt, anzunehmen, daß . er durchaus pflichtgemäß zu handeln geglaubt hat. Aber aus der jetzigen Verhandlung geh: denn doch unzweifelhaft hervor, daß er die Eigenschaften, die gerade für feinen Berat dringend nothwendig sind, vielfach hat vermissen lassen. Daraus müßten die Konsequenzen gezogen werden." — Der Prozeß hm übrigens bis jetzt keine besonderen allgemein interessanten Vorfälle bei der Beweiserhebung zu Tage gefördert. Zu einer großen Sensation ist es im Zuhörerraum nur am dritten Berhandlungstage gekommen, in An- schluß an die Bekundungen des Ersten Staatsanwalts Settegast und des Oberstaatsanwalts Wulff, also der beiden höchsten sür Konitz zuständigen Vertreter der Anklagebehörden. Erster Staatsanwalt Settsgast erklärte: „Der Oberstaatsanwalt Wulff fand, als er zum ersten Male am 23 März nach Konitz kam, daß ich etwas zu viel gegen die Juden gethan hätte, es seien zu viel jüdische Schlächter vernommen worden, die am Mord- tage in Konitz anwesend gewesen sein wollen. Der Oberstaatsanwalt hielt diese Ermittelungen gegen die Juden deshalb für zu weitgehend, weil sie seiner An sicht nach doch zwecklos seien und nur böses Blut machten. Der Oberstaatsanwalt hielt mich antise mitischer Gesinnung verdächtig und meinte, ich sei doch allzu weit gegen die Juden vorgegangrn. Nicht iangc darauf erschienen zwei Herren aus dem Justizministe rium in Konitz und ertheilten Weisungen. Di- Weisungen gingen dahin, daß ich mit vollem Eifer und voller Unparteilichkeit allen Spuren nachgehen sollte, daß ich insbesondere auch dem Verdacht, der gegen Juden gräußert würde, nachgehen sollte." Diese Bekundungen des Ersten Staatsanwalt, die im Gerichts Male einen schwer wiederzugebenden Eindruck machten, sanden vollinhaltliche Bestätigung durch den Ober- staatsanwalt Wulff. Herr Wulff erklärte zu dieser Angelegenheit wörtlich: „Ich habe darauf aufmerksam suchuv- nur auSzusetzen gehabt, daß die Sektion nicht! fosort erfolgt war, daß der Kreisphysikus aus derf Synagoge ein Fläschchen Hühnerblut entnommen habe, was zu einer Hetze gegen die Juden Veran- lassung gab." Aus den weiteren Gerichtsverhandlungen über den Könitzer Mord sind folgende Einzelheiten hervor zuheben: Auf eine Zwifchensraqe des Rechtsanwalts Dr. Hahn bemerkt Erster Staatsanwalt Schweigger: Das Vorgehen gegen (den christlichen Schlächter) Hoff mann sei ein bedauerlicher Mißgriff seitens der Kriminal- Polizei. Wenn ich in Konitz gewesen wäre, ich hätte einen Verdacht gegen Hoffmann nicht aufkommen lassen. Es fehlt bei diesem Vorgehen die Würdigung Berlin, 7. Oktober. Die Berliner Handels kammer hat beschlossen, den Handelsmiuister zu ersuchen, er möge doch seinerseits neben der vom Landwirth- fchastSminister veranlaßten Enquete eine Untersuchung über die Gründe der Flcischtheueruug durch Befragung der preußischen Handelskammern und der diesen gleich gestellten Korporationen in die Wege leiten. Die amtliche Nachfrage in Sachen der Fleifchtheuerung in Preußen umfaßt folgende Fragen: Wie hat sich die Erzeugung von Schlacht vieh in letzter Zeit gestaltet? Ist eine Zu- oder Ab nahme festzustellen? Welche Ursachen lassen sich hier für angeben? Hat Qualität und Gewicht der an den Markt gebrachten Schlachtthiere eine Veränderung er fahren ? Ist zur Zeit im Bezirke des Berichterstatters eine allgemeine Fleifchtheuerung oder für einzelne Fleischsorten in einem für die VolkSernährung bedenk lichen Maße eingetreten? Ist in der nächsten Zeit eine Steigerung des Angebotes zu erwarten? Wird die diesjährige bessere Futterernte oder die zu er- wartend« weitere Preissteigerung die Landwirthe zur Zurückh ltung von verkaufsfähigem Vieh veranlassen? Haben sich Ringbildungen von Händlern, Schlächtern re. bemerkbar gemacht? Alle Fragen, betreffend das Schlachtvieh, sind dreifach mit Bezug aus Rinder, Schweine und Schafe zu beantworten. Im Namen von 70000 Gastwirthen Hal der Vor stand des Deutschen Gastwirthsverbandes eine Eingabe an den Bundesrats; und den Reichstag in Sachen der Fleischnoih abzesandt. Neben diesem Verbände find der Bund deutscher Gastwirthe, sowie der Verband der Gast- und Schankwirthe Berlins und Umgebung, die Berliner Gastwirths-Jnnung und der Verein Berliner Hotelbesitzer daran betheiligt. Die Petenten begründen ihr Gesuch um schleunige Oeffnung der Grenzen damit, daß die Gastwirthe einen ansehnlichen Theil der Bevölkerung mit Fleischnahrung versorgen. Sie befürchten einen Ruin vieler Wirthe, wenn nicht bald Maßnahmen zur Linderung der Kalamität erfolgen. — In Sachen der Fleischnoth waren am Dienstag der Oberbürgermeister von Halle a. S. Staude und der stellvertretende Stadtverordnetenvor steher Kommerzienrath Steckner beim Landwirthschasts- minister erschienen. Wie man aus Halle meldet, überreichten sie dem Minister eine Petition der städti schen Behörden zu Halle, in der um Oeffnung der Grenzen für die Einfuhr von gesundem Schlachtvieh gebeten wird. Der Minister sagte eine wohlwollende Prüfung der Petition zu und sprach seine feste Zu versicht auf ein alsbaldiges Sinken der Fleischpreise aus; er verwies auf die Regierungserhebungen, deren Resultat entscheidend sein solle. wohl in der Lage, wogegen die Schädigung des Produ zenten eine andauernde und dadurch entmuthigende sein würde. Ich bin mit vielen Landleuten überzeugt, daß die ganze Fleischnoth, wenigstens soweit se auf Schweine Be zug hat, in vier Wochen überwunden sein wird, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil der Herbst crfuhrungs- , . and naturgemäß die Zeit ist, in welcher der größte Theil Ra'ch der vor einiger Zett vor dcm aiesigen Schöffen- der Mastschweine schlachtreif wird." 'zeucht verhandelt wurde, Hal sür den Privatlläger Hof- Bermischtes. * Berlin, 7. Oktober. („Großstadtpflanzen".) Aus der alten Liebermannschen Pfandleihe in der Karlstraße wurden, wie wir ausführlich berichteten, von Einbrechern sür 12000 Mk. Goldsachen gestohlen. Die Spitzbuben hatten am Hoffenster ein eisernes Drahtgilter weggeschnitten, die Scheibe eingedrückt und Vie eisernen Schutzstangen auSeinandergebogen. Lie Kriminalpolizei stellte fest, daß die Oeffnung zwischen zwei Släben nur 16>/z Ctm. lichte Weite hatte. Da durch einen solchen Spalt nur eine Art Schlangenmensch hindurchkommen konnte, so hielt die Kriminalpolizei in Verbrecherkrcisen Umschau. Der Einzige, der schlank genug gewesen wäre, diesen unge wöhnlichen Weg zu benutzen, war ein gewisser Schütte. Derselbe hatte wegen ähnlicher Verbrechen wiederholt un Zuchthaase gesessen. Sch., der sich auf freiem Fuße bi finden mußte, war nicht zu ermitteln. Nun stieß man in der Borsigstraße 3 auf einen „Baron von Möllendors", der eine prächtige Wohnung eingerichtet hatte und eine auffallende Aehnlichkeit mit dem ver schwundenen Schütte auswies. Der angebliche Baron, der einige kostbare Sachen versetze, stand in Verbin dung mit einem Menschen, der Oskar von Bergen sich nannte und mit seiner GZiebten Loaa Hildebrandt in der Zimmerstraße 57 in Saus und Braus lebte. In dcm Herrn von Bergen wurde valv ein mehrfach vor bestrafter Einbrecher Goldbact fesizest llt, der augen blicklich mit seinem Schwager Moritz Kasselkraut aus der Brunnenstraße verreist war. Jenes Mädchen, das er allein zurückgclasi.n hatte, wußte mitzutheilcn, daß ihr Freund nach Leipzig und Hamburg gefahren sei. Als das Mädchen in Lokalen durch die ihr von ihrem Freunde geschenkten Brillanten ausfiel, stellte man fest, daß die Edelsteine aus der Liebermannschen Pfandleihe stammten. Als dann an die Hildebrandt ein Tele gramm aus Hamburg des Inhalts kam: „Kann ich kommen oder haben sie Lampen?" fiel die Depesche der Kriminalpolizei in die Hände, die an den Absender: „Herrn von Bergen", zurücktelegraphirte: „Komm, haben keine Lampen!" Ahnungslos kam nun der Mann wieder nach Berlin, nachdem er mit seinem Schwager seinen Antheil an der Liebermannschen Beute in Leipzig und Hamburg zum größten Theil versetzt hatte. Die Kriminalpolizei gab ihm und dem Kassel- kcaut unauffällig Geleit in die Wohnungen, von wo Vie beiden Kumpane mit ihrer Freundin nach dem Polizeipräsidium abgeholt wurden. Dort war auch Herr „Baron von Möllendorf" alias Schütte bereits anwesend. Die Berbrecherbande räumte nach und nach den Diebstahl ein. Schütte hatte einen Theil seiner Beute im Thiergarten vergraben. Kriminalbeamte fuhren mit ihm hinaus und fanden die Kostbarkeiten an der bezeichneten Stelle, in einem Gesträuch in der Nähe der Elchgruppe. Die ganze Gesellschaft wurde heute dem Untersuchungseichter rugesührt. * Osmünve (Saalkc.), 6, Oktober. Auf einem hiesigen Gutshose kam ein Drescher schwer zu Schaden. Als er eine Kartoffelmiete graben wollte, krachte beim gemacht, welche Aufregung es verursachen würde, wenn der Verdacht gegen die Juden durch Maßnahmen bei B Hörden neue Nahrung erhalte." Weiter erklärt! gegen die von den Angrklagt.n verdächtigten Privat- OoerstaatSanwalt Wulff: „Ich habe an der Unter- Personen habe sich absolut nichts ergeben. Es sei eine hohe Aufgabe der Presse, Kritik za übeu, aber ihrer hohen Ausgabe stehe die Verpflichtung gegenüber, die Thatsachen vorher genau zu prüfen, ehe Kritik au ihnen geübt werde. Als erschwerend müsse der Umstand wirken, daß durch die Hetzereien großes Unglück üb:r zahlreiche Personen gekommen und eine große Erreg ung hcrvorgerufen worden sei. Bei dem Angeklagten Bruhn sei zu berücksichtigen, daß er der Spiritus rootor in der ganzen Hetze war und wegen Aufreizung ver- schiedeuer Bevölkerungsklaffen vorbestraft sei. Er be antrage gegen den Redakteur Bötticher dke Verurtheil- una in 24 Fällen und eine Gesammtstrafe von 1'/, Jahren Gefävgniß, gegen der Verleger Bruhn sechs Monate Gefängniß
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