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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 05.10.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-10-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190210055
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19021005
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19021005
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-10
- Tag 1902-10-05
-
Monat
1902-10
-
Jahr
1902
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 05.10.1902
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MMm-ssliiAWkr TuBllitt. Amtsblatt. Sonntag, den 5. Oktober 1902. 2. Vellage. Nr. 232. Die Schlacht von Sedau. Militär-Humoreske von Freiherr vou Schlicht. (Nachdruck verboten.) Der Oberst von Bothmer, der Kommandeur der Infanterie - Regiments Rr. 7, hatte den JnstruktionS- rappel, das war eine traurige Thatsache, an der sich leider nichts ändern ließ. Im Gegensatz zu feinem Vor gänger legte er viel mehr Werth auf die geistige als auf die körperliche Entwickelung feiner Mannschaften — einen schlechten Parademarsch, einen schlechten Ge- wehraugrlff verzieh er einem Untergebenen, aber Gnade Gott dem, der in der Instruktion nicht Bescheid wußte — mit dem Sünder fuhr der Kommandeur ab, daß dem die Augen übergingen. Unter dem früheren Oberst war in der Woche nur zweimal Instruktion durch die Herren Leutnants gewesen, jetzt mußten sie täglich unterrichten, und darüber schalten sie nicht schlecht, denn die geistige Gehirnrcpetition, wie die Instruktion von jeher in der Armee heißt, hat sich noch nie großer Beliebtheit erfreut — der Leutnant exerziert lieber drei Stunden, als daß er eine Stunde instruiert. Aber leider geht es beim Militär ja nicht nach den Wünschen der Untergebenen, sondern nach den Befehlen der Vor gesetzten, und so wurde darauf los instruiert, aller dings ohne daß cs gelang, den Beifall und die Aner kennung bcs Herrn Oberst zu finden: Der verlangte denn doch viel, viel mehr als ihm in den Unterrichts stunden, denen er beiwohnte, vorgcsührt wurde. Was er aber zu hö>-en bekam, war nach seiner Ansicht nichts absolut gar nichts — die Leute hatten keine Ahnung und sie sollten über ein großes Wissen verfügen. Als der Herr Oberst sich in diesem Sinne seinen Leutnants gegenüber aussprach, waren diese der Verzweiflung nahe und einige Pessimisten trugen sich mit Selbstmordge danken: sie sahen keine Möglichkeit, es dem Herrn Oberst recht zu machen Und vielleicht wäre ihnen dies auch nie g lungen, wenn ein Zufall ihnen nicht zur Hille gekommen wäre, em Zufall, der allen Leutnants plötzlich die Augen darüber öffnete, daß der Herr Oberst nicht nur einen Jnstruktionsrappel hatte, sondern daß er bei dem Unter richt auch sein Steckenpferd ritt. Und dieses Stecken Pferd hieß die Kapitulation von Sedan. Das wurZe allen klar, als der Herr Oberst eines Tages in einer Unterrichtsstui.de erfahren mußte, daß kein Musketier etwas über dieses bedeutsame Ereigniß im letzten F:ld zuge zu erzählen wußte „Meine Herren," sagte er zu de» Offizieren, die um ihn herum versamm.lt waren, „meine Herren — über den zweiten September des Jahres 70 müssen die Leute auf das Genaueste orientirt sein. Wenn sic auch nichts wissen, das müssen sie wissen, das verlange ich unbedingt, ganz unbedingt" Zuerst war es niemandem so recht tlar, warum die Leute gerade über diese Periode des letzten Feld zuges so gut unterrichtet sein sollten, dann erfuhr man aber, daß der Herr Oberst damals noch junger Ober leutnant, durch eine Verwickelung von Umständen nur an den Kämpfen vor Sedan theilgeuommen hatte. Er mußte sich dort sehr tapfer gezeigt haben, denn das eiserne Kreuz war ihm zu theil geworden, weil er, ob gleich schwer verwundet, sich nicht zum Verbandsplatz hatte tragen lassen, sondern in seiner Stellung aus harrte, bis er vor Blutverlust ohnmächtig zusammen brach. Daher die Begeisterung für den 2. September. Als die Herren Leutnants hinter das Steckenpferd ihres Kommandeurs kamen, stießen sie alle ein Freuden geschrei aus, nun waren sie, wie man sagt, fein her aus; sic brachten den Leuten einige Kenntnisse über den ersten und zweiten September bei und nachdem ihnen dies, allerdings nicht ohne Mühe, gelungen war, hatten sie gewonnenes Spiel. Der Kommandeur liebte sein Steckenpferd derartig, daß er gar nicht die Absicht merkte, mit der es ihm vorgeritten w:rde, oder, wenn er es me.kte, so sagte er wenigst.ns nichts; er war froh und glücklich, stets von neuem in der Ennuer ung an seine Kriegserlebnisse schwelgen zu können. Und ebenso viel Tadel wie die Herren Leutnants frühe, geerntet hatten, ebenso viel Lob bekamen sie jetzt zu hören. Die Leute wußten über Sedan ausgezeichnet Bescheid, selbst der dümmste konnte ausführlich über diese Kämpfe erzählen. — Aber einen großen Rach theil hatte diese Wissenschaft doch, sie war mehr als einseitig, denn etwas anders als die Kapitulation von Sedan wußten die Leute überhaupt nicht. Das aber betrübte niemanden, weder die Mannschaften noch die Offiziere, noch den Herrn Oberst — alle waren glück lich und zufrieden. Da geschah es, daß Sc. Excellenz der Herr Divi sionskommandeur sich in der kleinen Stadt zur Be sichtigung ansagte; selbstverständlich fühlten sich alle durch den bevorstehenden Besuch sehr geehrt, aber sehr viel lieber wäre es allen gewesen, wenn Excellenz nicht die Absicht geäußert hätte, zu kommen — sie hätten auf die Ehre seines Besuches gern verzichtet. Man kannte Excellenz, der kam nicht nur zum Vergnügen, der be sichtigte sehr genau und viele fanden sogar: zu genau. Aber dem hohen Herrn war diese Ansicht seiner Unter gebenen über ihn anscheinend ganz gleichgültig, wenig stens ließ er sich durch das, was die andern dachten, in dem, was er that, absolut nicht beeinflussen. Als es bekannt wurde, daß Excellenz käme, fluchten eigenlich alle, denn geflucht wird beim Militär immer, aber man denkt sich nicht diel dabei: „Wenn in einer Armee die Untergebenen nicht mehr über die Vorge ¬ setzten fluchen, dann ist das für die Subordination und für die Disziplin der Truppe ein sehr schlechtes Zeichen," hat einmal --in hochstehender General gesagt und der Mann hat Recht, nicht nur, weil rr General war und als solcher, wenigstens seinen Untergebenen gegenüber stets Recht hat, sondern weil er wirklich Recht hat. Es wurde also geflucht oben fing es an, unten hört es auf. Der Herr Oberst fluchte heimlich, ge wissermaßen hinter geschlossenen Thürcn, er saß mit seinem Adjutanten im Regimentsbureau und ließ seiner Wechten Laune freien Lauf. Und d,r Adjutant fluchte auch, denn wenn der Oberst schlechter Laune ist, muß sein „Tintenspion" in erster Linie darunter leiden. Der Herr Oberst schalt mit h lblauter Stimme, der Adju tant schalt in sich hinein, und wie es auf dem Regi- mestsbureau ging, so ging es auch auf den drei Batail- lonSburcaus und in zwölf Kompagnieschreibstuben und auf den zahllose» Maunschaftsstubev; geflucht wurde überall, aber es half alles nicht: Excegeoz gab seine Absicht zu erscheinen deshalb doch nicht auf. Und eines schönen Morgens war Excellenz da, gänzlich unerwartet, schneller als man gedacht hatte: er hielt hoch zu Roß auf dem Kaserueuhof, ließ Alarm schlagen und rückte mit dem Regiment zu einer großen Felddienstübuug aus. Und als Excellenz zurück kam, machte er ein sehr, sehr ungnädiges Gesicht, er war sehr schlechter Laune, nicht weil die Untergebenen aus ihn gescholten hatten, sondern weil er auf die Untergebenen gescholten Hütte: was er da draußen im Gelände gesehen hatte, hatte absolut nicht seinen Beifall gefunden „Ein gutes Frühstück heilt so manchen Schmerz, warum nicht auch vcn Sr. Excellenz?" dachte der Herr Oberst, und er lud den hohen Vorgesetzten zu einem Frühstück in das Kasino, wo die Kasino-Kommission auf einer festlich geschmückten Tafel die herrlichsten Speisen, die schönsten Weine bereit hielt, um durch Sekt und Austern den Magen und damit das Herz Seiner Excellenz milde zu stimmen. Aber Excellenz lehnte dankend ab, Excellenz schlug die Einladung des Offizierkorps aus — das war kein gutes Zeichen, und der Herr Oberst mußte sich Mühe geben, um seineü Schrecken, der ihn bei der Absage des Vorgesetzten überfiel, zu verbergen. Daß die Ad jutanten Sr Excellenz, die mit ihm gekommen waren, oie Einladung annahmeu, war ihm nur ein schwacher Trost: die hätten gerne fortk-lciben können, wenn Excellenz nur gekommen wäre. Aber der kam nicht, der wollte angeblich schlafen und er verabschiedete sich mit einem: „Aut Wiedersehen heute Nachmittag um fürst Uhr auf dem Kaserne nhofi Herr Oberst — die Com pagnien sollen zur Borinst.uktion bereit stehenl" Das war wenigstens noch ein Glück im Unglück, und der Herr Obe, st athmete bei den letzten Worten des Vorgesetzten erleichtert auf; im Süllen hatte er eine Besichtigung im Turne u oder ,m en äötuil-Exer- peren befürchtet. Daß Exce"enz die Leute im Unter richt hören wollte, erfüllte sein Herz mit Freude; da würde die Schlappe, die das Regiment am Vormittag erhalten hatte, schon wieder ausgemerzt werden. Nicht ganz so zuversichtlich wie der Oberst blickten die Herren Leutnants in die Zukunst, aber sie hofften d s Beste und trösteten sich mit dem Woil: Hoffnung läßt nicht zu Schänden werden. PünkUch aus die befohlene Minute nahm die Vor- mstrukiion ihren Anfang und Excellenz mit seiner großen Suite hörte andächtig zu, atü der erste Offizier über dos Gewehr lnstruirte. Der Leutnant hatte von dem Thema nur eine geringe Ahnung, die Leute hatten gar keine und so war das Unglück bald fertig — kein Dampfer, der auf Gruns gerath-n ist, laan so fest sitzen, wie der Herr Leutnant es that. „Bitte, fragen Sie nur ruhig weiter," mahnte Se ExcOlenz, aber das war viel leichter gesagt als gethan. Da kam Sem jungen Offizier eil! rettender Ge- sank?, nicht umsonst hatte ec so oft über Sedan unter richt: t. „Musketier Meier," fragte er, „können Sie m;r aus dem letzten Feldzüge eine Schlacht nennen, in der wir unsern Sieg hauptsächlich unserem guten Schietzen v.rdanlten." „Zu Befehl, Herr L utuant," lautete die prompte Antwort, „die Schlacht von Sedan." „Bravo," lobte der Offizier, Excellenz aber machte ein sehr erstauntes Gesicht Was hatte denn die Schlacht von Sedan m't der Konstruktion d-S Gewehres zu thun? „Was wissen Sie über die Kämpfe von «edan zu erzählen?" fragte der Offizier weiter, und der Mann blieb die Antwort nicht schuldig, er erzählte drauf los, bis Excellenz sagte: „Danke, ich habe ge nug" Daun kam die zweite Kompagnie an die Reihe, der Offizier sollte über die Kriegsartikel im allgemeinen und über die zweiten Kriegsartikel im besonderen in- struiren, aber der Herr Leutnant hatte von diesem Thema nur eine schwache Ahnung, seine Leute Hatter gar keine. Und so kam, was kommen mußte: noch einigen Minuten saß er derartig fest, daß ein Dampfer, der sich fcstgerannt hat, nicht fester sitzen kann. „Bitte, fragen Sie ruhig weiter," ermahnte Se. Excellenz, aber das war such diesem Falle viel leichter gesagt, als gethan. Da als die Roth am höchsten, kam dem Leutnant ein rettender Gedanke. „Musketier Meier," sagte er, einen Meier hat jeder Offizier in seiner Abtheiluvg. .Musketier Meier, wir sprechen eben von der Tapferkeit im Kriege — können Sie mir aus dem letzten Feldzuge eine Schlacht nennen, in der unsere Tapferkeit sich auf das Glän zendste bewährte?" „Zu Befehl," Herr Leutnant," lautete die prompte Antwort, „die Schlacht von Sedan." „Bravo," lobte der Offizier, Excellenz aber sah verwundert auf, wie kam der Offizier plötzlich von den Kriegsartikeln auf die Schlacht von Sedan zu sprechen ? Was wissen Sie über die Kämpfe von Sedan und über die Kapitulation zu erzählen?" fragte der Offizier weiter und der Mann erzählte drauf los, bis feine Excellenz sagte: „Danke, ich habe genug." Der dritte Offizier instruirt über Kompetenzen und Gebühren, über die Besoldung und über die Ra- turalverpflegung im Kriege und im Frieden, und ihm erging es wie seinen Vorgängern, er beherrschte das Thema nicht und seine Untergebenen noch weniger. Aber auch er wußte sich zu helfen: als er von der Verpflegung im Kriege sprach, fragte er: „Musketier Meier — einen Meier hat bekanntlich jeder Offizier in seiner Abtheilung — Musketier Meier, können Sie mir aus dem letzten Feldzuge eine Schlacht nennen, in er die Leute besonders schwer unter der schlechten Verpflegung vor Beginn und nach Beendigung dcS Kampfes zu leiden hatten?" Und damit war auch er glücklich bei der Schlacht von Sedan angelaugt und da blieb er auch, bis Se. Excellenz sagte: „Danke, ich habe genug." Der Vierte instruirte über die Schießlehre, der Fünfte über die RcgimentSgeschichte, der Sechste über das Schützen ^efecht, der Siebente über dies, die an deren über jenes. Jeder oer Offiziere, jeder Leutnant, der seinen Zug vorinstruirte, be.am ein anderes Thema, aber die Herren mochten alle mit ihren Fragen noch so verschieden aufangen, sie endeten alle bei den Käm pfen um Sedan. Endlich war auch die letzte Kompagnie fertig und alle Leutnants machten ein frohes und glückliches Ge sicht und nicht ohne Grund: zu allen hatte Excellenz gesagt: „Ich danke, ich habe genug!" Das war der beste Beweis dafür, daß er mit dem, was er gehört hatte, zufrieden war, er hatte sich kein Thema ganz bis zu Ende vorinstruiren lassen, weil das, waS er hörte, ihm die Ueberzeugung verschaffte, daß alle voll ständig genügend unterrichtet wären!" Alle strahlten — am meisten aber strahlte der Herr Oberst. Er hatte jedem Leutnant, sobald dieser mit seiner Instruktion fertig war, dankend die Hand gedrückt und ihm zugcflüstert: „Sehr gut, mein Lieber, sehr gut." So waren die Kämpfe um Sedan seiner Meinung nach uoch nie in ihrer Bedeutung gewürdigt worden wie am heutigen Tag. Er strahlte — seine Augen leuchteten vor Wonne und Entzücken. Was lag daran, daß heute Vormittag nicht alles so gewesen war, wie es hätte sein sollen, selbst Napoleon hatte seine Tage, an denen er weniger gut über seine Truppen diSponirte, und wenn das den Ruhm eines Napoleon nicht beeinträchtigte, so würde der heutige Vormittag auch seinem Ansehen nichts schaden. Er war wieder lustig und guter Dinge, er hatte sim Selbstvertrauen wieder gewonnen, seine Leutnants hatten die Wunde, die er sich selbst ge- schlage», wieder geheilt. Napoleon stand nach keiner seiner gewonnenen Schlachten so groß da, wie er nach dieser Vorinstruktion „Die Herren Offiziere," befahl Excellenz, und um den hohen Vorgesetzten versammelte sich das ganze OsfiziercorpS des Regiments, um das Lob und die wohlverdiente Anerkennung entgegen zu nehmen. Aber Excellenz schwieg, obgleich der Herr Oberst jetzt schon zum zweiten Mal die Offiziere „zurStellc" meldete, weil er glaubte, daß der Vorgesetzte Sie Meld ung bei dem ersten M-l überhört hatte. Und Ecxcellenz schwieg immer noch, in tiefes Nach denken versunken blickte er vor sich hin, dann aber richtete er sich hoch auf und sagte: „Herr Oberst, wenn Sie mit ihren Offizieren in Zukunft noch einmal em Steckenpferd reiten wollen, dann reiten Sie bitte nicht Ihr eigenes, sondern in erster Linie dar Ihres Vor gesetzten, meins zum Beispiel, das ist praktischer. Und mein Steckenpferd ist für die Ausbildung Jhr-s Rezi- mems sehr viel praktischer als das Ihrige." Der Herr Oberst knickt: nicht unbedeutend in sich zusammen, zwar war es nach feiner Ansicht ganz aus geschlossen, Saß irgend etwas anders für die Ausbild ung seiner Leute auch nur annähernd so praktisch sein könne wie di: Schlacht von Seda , trotzdem sagte er: „Selbstverständlich, Euer Excellenz, selbstverständlich — würden Euer Excellenz di- Güte habcn, mir das Steckenpferd Euer Excellenz zu nennen?" Da sah Excellenz den Herrn Oberst mit einem Blick ap der diesem alle Aussichten auf cm Avance ment raubte und sagte fe.t und bestimmt: „Mein Steckenpferd besteht darin, kein Steckenpferd zu haben. Bitte merken Sie sich das, Herr Oberst." Und der Herr Oberst merkte es sich, er wollte es sich wenigstens merken, aber es war zu sM, nach e'nigsnWochen starb er, zwar nicht als Mensch, wohl aber als Oberst und Regimentskommandeur. Sein Tod betrübte niemanden mehr als ihn selbst, aber eins freute ihn doch. Als er sich eines Morgens als schöne militärische Leiche in einem Zivilanzug und einem kleinen runden Strohhut mit blauem Band wiedcrfand, eins freute ihn doch, daß er an den Folgen der Schlacht von Sedan als Soldat gestorben war. Und wenn er io Zukunft gefragt wurde, warum er so früh den Abschied bekommen, pardon, genommen habe, dann sagte er stets mit einem gewissen Stolz. „Sic wissen, meine Herren, ich war mit bei Sedan — damals war es mir nicht vergönnt, für das Vaterland zu sterben, jetzt aber tri ich, wenn auch nicht meinen Wn den, so doch den Folgen der Schlacht erlegen." Und da hatte er Recht Die Deutschenhetze in Ungarn. Seit einiger Zeit wird in Ungar» die Magyari- siruugsthätigkeit, die freilich von jeher, wenn auch still und geräuschlos, dort ausgeübt wurde, mit erhöhtem Eifer betrieben. Auch in Ungarn herrscht, ebenso wie in Oesterreich, eine Vielgestaltigkeit der Nationalitäten, welche die Grundlage der dauernden nationalen Kämpfe in CiSleithanien wie in Transleithanien bildet, wenn sie auch in Ungarn bisher noch nicht die Bedeutung gewonnen haben, wie in Oesterreich. Bon den 19,254,459 Einwohnern Ungarns gehören nicht ganz 43 Proz., nämlich 7*/, Millionen, dem herrschenden Bolksstamm der Magyaren an, sodaß also die Ge- sammtheit der anderen Nationalitäten in Ungarn über wiegt. Den zweitgrößten Bestandtheil bilden mit rund 15 Proz. die besonders in Siebenbürgen ansässigen Rumänen, und gleich nach diesen folgen die Deutschen, die mit 12,2 Proz. den drittstärksten Bevälkerungsbe- standtheil in Ungarn bilden. Danach kommen die Slo- vaken mit 11 Pcoz., die Serben mit 9 Proz., die Kroaten mit über 6 Proz., die Ruthenen mit 2,2 Proz., die Zigeuner mit 0,6 Proz., die Slovenen mit 0,5 Proz., die Italiener mit 0,1 Proz. und endlich noch über 10,000 Einwohner, die sich auf eine große An- zahl anderer, nur in kleinsten Portionen vorhandener Nationalitäten vertheilen. In den Zi/, Jahrzehnten, die feit dem im Jahre 1867 rbgffchloss°nen Ausgleich mischen den beiden ReichShälfren des habsburgischen Gesammtstaats ver flossen sind, hat die Entwicklung in Oesterreich und in Ungarn einen sehr verschiedenartigen Gang genommen, obwohl in beiden Ländern die gleichen nationalen Schwierigkeiten Vorlagen. In Oesterreich räumte der Ausgleich den Deutschen, in Ungarn den Magyaren die herrschende Stellung ein, aber nur die Letzteren haben es verstanden, sich in dieser Stellung zu be haupten, wobei sie freilich in der Wahl der Mittel nichts weniger als wählerisch gewesen sind, sondern sich auf den Standpunkt stellten, daß Macht vor Recht geht. Während die Deutschen Oesterreichs in idealer Selbstlosigkeit ihr Hauptziel in der kulturellen Förder ung des Landes und damit aller Nationalitäten sahen, ohne daß sie an die Befestigung ihrer Herrschaft dach ten, die sie sich denn auch bald genöthigt sahen, mit den Polen und Slaven zu theilen, wurden in Ungarn alle magyarischen Parteien, von der äußersten Rechten bis zur äußersten Linken, von der Idee des Einheits staates, der magyarischen Suprematie über alle anderen Völkerschaften erfüllt. Dieses Ziel haben die Magyaren nie aus den Augen gelassen, und in Aller Erinnerung sind wohl noch die heißen Kämpfe, welche insbesondere in Siebenbürgen zwischen den Ungarn einerseits und den Rumänen und auch den siebenbürgischen Sachsen andererseits ausgesochten worden sind. In neuerer Zeit wird nun diese MagyarisirungS- arbeit unverkennbar mit verstärktem Eifer und mit ver stärkter Rücksichtslosigkeit, ja, man kann getrost sagen, mit verstärkter Brutalität durchgeführt. Schon die Härte, mit der das neue Ortsnamengesetz in Ungar» durchgesnhrt wurde, zeigt, wohin der jüngste Kurs in Ungarn geht. Noch krasser aber ist dies in verschie denen Preßprozessen hervorgetreten, die in den letzten Wochen gegen die Verleger und Redakteure mehrerer deutschen Zeitungen geführt wurden, und die nicht mehr den Charakter eines Rcchtsverfahrens, sondern eines Willkür- und Gewaltaktes auswiesen. So sind die Redakteure der Großkckindaer Zeitung und des Deutschen Tageblattes in TemeLvar wiederholt bestraft und dann ausgewiesen worden auf Artikel hin, die lediglich eine Abwehr Vie! heftigerer Angriffe in magy arischen Blättern bedeuteten. Für die maßlosen An griffe und Hetzartikel, welche tagtäglich in der magy arischen Presse gegen die Deutschen erscheinen, findet ich in Ungarn kein Kläger und kein Richter; gegen die deutsche Presse aber, die sich lediglich gegen diese Angriffe und diese Hetze wehrt, wird mit einer Rück- ichtslosigkeit und Parteilichkeit vorgcgangen, die eines Rechtsstaates unwürdig ist. Die Politik, welche zur Zeit in Ungar» betrieben wird, ist eine sehr gesährliche und weit gesährlicher, als es die magyarischen Chauvinisten zu ahnen scheinen. Druck erzeugt Gegendruck, und die Magyaren, welche der Gesammtheit der übrigen Nationalitäten in Ungarn an Zahl nachstehen, sollten wohl das Wort bedenken, daß, wer Wind säet, Sturm ernten wird. Die zwi schen Nord und Südslaveuthum eingekeilten Ungarn hätten wahrlich keinen Anlaß, sich auch noch die Deut schen zu erbitterten Gegnern zu machen. Diese Frage hat aber auch eine internationale Bedeutung. Wie d°r enge Bund zwischen Deutschland und Oesterreich-Ungarn in die Brüche zu gehen drohte, als die österreichische Regierung Miene machte, die Deutschen Böhmens den Slaven auszuliesern, so würde dieses Bündniß auch auf die Dauer nicht aufrecht zu erhalten sein, wen» die 2,130,000 Deutschen Ungarns den Magyaren aus geliefert würden. Das sollte man sowohl in Ungarn wie in Oesterreich bedenken, und die Regierungen bei der Staaten hätten alle Ursache, sich die Folgen der chauvinistischen Politik, die soeben in Ungarn betrieben wird, klar zu machen! * * * Wie oben erwähnt wurde, ist der Pester Pcivat- beamte Alois Krisch auf Grund eines Artikels in der Großkikindaer „Alldeutschen Zeitung" wegen „Aufreiz ung" zu vier Monaten Gesängniß und 200 Kronen Geldstrafe verurtheilt worden. Da in diesem Falle, so wenig wie in den gegen den soeben aus Gioßki- kinda ausgewiesenen Redakteur Arthur Korn verhan delten Fällen das Material zur Beurtheilung der Sachlage der reichsdeutschen Presse durch die großen ungarischen Blätter zugänglich gemacht wird, drängt sich von selbst der Gedanke auf, daß man in Ungarn sich scheut, diese Vorgänge der Kritik des Auslandes anSzusetzen. Wir würden, schreiben die „Berl. N. N.", wenn die inkriminirten Publikationen in der That der
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