Suche löschen...
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 04.05.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-05-04
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190205048
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19020504
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19020504
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-05
- Tag 1902-05-04
-
Monat
1902-05
-
Jahr
1902
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 04.05.1902
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
MMM-LiMM LUM! Amtsblatt. Nr. 102. Sonntag, den 4. Mai 1S02. 2. Vellage. Der Tag der Matter. Novelle von Reinhold Grtmaun. (Nachdruck verboten.) Seit vierzig Minuten schon steht Frau Rora Jmgart am Feu er. ES flimmert ihr vor den Augen von dem angestrengten Hinabspähen auf die vom grellen Sonnenlicht blendend hell überfluthete Straße. Und in immer kürzeren Zwischenräumen befragt sie ihre kleine, diamantenbesetzte Uhr. Schon eine halbe Stunde über die festgesetzte Zeit! Wenn er gar nicht käme! Wenn ihm so wenig an diesem Besuche der Mutter läge, aß er ihn über irgend einem knabenhaften Ver gnügen völlig hätte vergessen können! O, sie hat längst gefürchtet, daß einmal etwas Derartiges geschehen würde. Denn nicht sein Herz ist es, das ihn hierher zieht Er ist noch zu jung und zu unverdorben, um ihr eine Komödie vorzuspiclen; und sie müßte blind fein, um es nicht zu bemerken. Wie eS nur möglich ist, daß er so wenig Liebe stir sie empfindet — dieser weiche, gefühlvolle Knabe, der einmal vor Jahren bei dem Wechsel eines Kindcr- fräuleins gerad.zu lebensgefährlich krank wurde vor Kummer und Herzeleid. Und damals handelte sich's um eine fremde, bezahlte Perlon, um ein häßliches, mageres Geschöpf, das nach Frau Noras Meinung selbst für ein Kinderauge ganz und gar nichts Liebens würdiges haben konnte. Sie erinnert sich noch r.ch! gm, wie er sich trotzig ubgenandt, als sic ihn zu trösten versucht hatte, und wie zornig sie geworben war, eis er ihren Versuchen, ihn au' andere Gedanken zu brnigen immer nur dasselbe eigensinnige Verlangen nach üer entlassenen Bonne entgegengesetzt hatte. Aber sie er innert sich freilich auch des harten Wortes, das iv< Gatte an jenem Tage zu ihr gesprochen, da sie sich über die Lieblosigkeit des Kindes bei ihm beklagte. „Wie sollte Herbert Dich lieben, da er Dich ja kaum kennt!" war seine Antwort gewesen. „Kanu es Dich Wunder nehmen, wenn die schöne, geputzte Dame, die ihn gelegentlich auf ein paar flüchtige Minuten im Kinderzimmer besucht oder ihn hier und da in ihren Salon holen läßt, um mit seinem Lockenköpfchcn und seinem süßen Geplauder vor ihren B. kannten zu para- diren — wenn sie feinem Herzen viel Werner steht wie die treue liebevolle Pflegerin und die Vertraute seiner kindlichen Freude» und Leiden?" O, w-e empört sie ge vescn war über dies Wort und über die spießbürgerliche Engherzigkeit, die sie ver »Meilen wollte, einem Kinde zuliebe am jene kleinen Freuden und Vergnügungen zu verzichten, die für sie nun einmal den Inbegriff dcS Lebensglücks ausmach- ten! Es war zu einem heftigen Auftritt gekommen, wie schon so oft in den wenigen Jahren ihrer jungen Ehe. Und dann war alles in dem alten Gleise weiter g - gangen bis zu dem Tage der großen Katastrophe, durch die ihr Dasein eine so tiefgreifende Veränderung er fahren. Der Professor hatte einen Brief ihres Vetters Tassilo amgcsangen, jenes schöne», glänzenden Offizier;, der einen ganzen Winter hindurch ihr ritterlicher Kava lier gewesen war. Und wenn auch die kleine Liebele- zwischen ihr und ihm nicht viel gewcscu war aiS cine weit gctrickeoe Koketterie — wenn auch ihr Gewiss.» sie frei sprach von eigentlicher Schuld, so war sie doch zu stolz gewesen, sich zu vertyeidigen und um Ver zeihung zu betteln Ihre Seele dü stete ja auch so heiß nach Freiheit, sie war des verhaßten JochcS so müde, daß ihr jeder Anlaß willkommen war, die un erträglichen „Sklavcnketten" zu brechen Fast ohne Be denken hatte sie dem Vorschläge ihres Mannes zuze- stimmt, der sie mit einem Schlage von allem lästigen Zwang befreite, ausgenommen von dem einen, vor dem Gesetz auch weiter seine angetraute Gattin zu heißen. Er ging nach dem Süden, um sich ganz in eine lange galante, wissenschaftliche Arbeit zu ver senken; sie aber blieb, um nach Gefallen ihre Jug-nr und Schönheit zu genießen. Und es kostete sie nicht allzu viele Thränen, daß sie um solchen Preis auch in eine Trennung von ihrem Ki-de willigen mußte, renn mit unbeugsamer Festigkeit hatte der Professor am dieser Bedingung bestanden. Das zwischen ihnen ge troffene Abkommen lautete: „Herbert kommt in cim. Pension, und nicht öfter als einmal in jeder Woch- darf er auf zwei Stunden seine Mutter besuchen." Das «ar für Frau Nora ein etwas demütigendes Arrarge ment; aber sie hatte sich darein gefunden Und seit beinahe drei Jahren schon erschien er jetzt regelmäßig an jedem Somiabend, den man ihm als den „Tag seiner Mutter" bestimmt hatte Aber es sah heute nicht mehr aus, wie vor drei Jahren — iu Frau Noras Hause ebenso wenig als in ihrem Herzen. Die goldene Freiheit hatte nicht ge halten, waS sie sich von ihr versprochen, die unbarm herzige Welt war der „getrennten Frau" ganz anders begegnet als der onscheinend glücklich verhnratheten. Auf Schritt und Tritt hatte sie erkennen müssen, w c unendlich viel sie dem gesellschaftlichen Ansehen ihres Gatten und wieviel mehr sie seiner Großmuth und Herzensgüte zu danke» gehabt. Sie war sich der Hohlheit und Verlogenheit jener vermeintlichen Freuden bewußt geworden, denen zuliebe sie einst ihre Pflichien vernachlässigt hatte. Und noch ehe si: selber so recht begriffen, wie cS geschehen, war sie eine einsame Frau geworden. Zugleich mit der peinigenden Erkcnntniß ihrer Verirrungen und ihres Verschuldens aber war in ihrer Seele eine leidenschaftlich heiße Zärtlichkeit erwacht für da- Kind, dem sie in den Tagen ihrer Thorhcit kaum mehr als dem Ramen nach Mutter gewesen war. Ihm llein gehörten jetzt alle ihre Gedanken. Und ihr ganzes Sinnen und Trachten war nur noch darauf gerichtet, eS für sich zurück zu gewinnen. Ja, sogar zu einer Demütigung hatte sie sich um seinetwillen entschlossen, obwohl sic iu allem anderen dem ferne» Gatten gegenüber noch immer den alten Stolz be wahrte. In flehentlichen Worten hatte sie den Pro fessor gebeten, ihr de» Knaben zurück zu geb u, mit dem heiligen Gelöbniß, daß sie ihm nicht nur eine zärtliche, sondern auch eine treue und gewissenhafte Erzieherin sein werde. Aber die Antwort ihres Mannes war eine bestimmte Ablehnung gewesen, ein klares, unabänderliches Rein, dessen Schroffheit jede Wieder holung ihrer Bitte unmöglich machte. Sv muß sie sich nach wie vor mit den kurzen zwei Stunden an jedem Sonnabenimachmittag begnü gen, und während der ganzen Woche lebt sic n»r für diese kärgliche Zeitspanne eine- schmerzlich süßen Glück S Denn ihre mütterlichen Freuden sind nicht frei von Bitterkeit und immer erneuter Enttäuschung. Sie weiß, daß Herbert ihre Liebe nicht mit der glei chen, stürmischen Zärtlichkeit erwidert, daß er nur einem Befehl, nicht aber dem heißen Antriebe feines eigenen Herzens gehorcht, wenn er den „Tag einer Mutter" mit unveränderlicher Regelmäßigkeit inne hält. Und immer schwächer wird ihre Hoffnung, daß eS ihr jemals gelingen werde, «rin eine Wandlung zu ihren Gunsten Herbeizuführei!. Aber wo er nur heute bleibt! - inute auf Mi nute verrinnt, und noch immer wartet sie vergebens Alles .st zu feinem Empfange bereit. Em Teller mit Näschereien und eine Schale voll auserlesener Früchte prul-gcu verlcckcad auf dem Tische. Daneben liegen feine Lieblingsbücher und ein verhülltes Päckchen mit der üblichen Ucbcrcaschung. Denn er geht niemals vou ihr, ohne ein Geschenk mitzunchmen, über dessen Wahl sie sich meist Sie ganze Woche hindurch den K pf zerbrochen hat. Vielleicht, saß es ihr eines Tages gelingt, ieiue geheimsten Wünsche zu treffen und vurch ihre Erfüllung den Weg zu seinem Herzen zu enden Fast schon hat sie die Hoffnung aufgegeben, daß er noch kommen werde. Da ringt sich's wie ein Freu- denrin von ihren L'ppen Denn die schlanke Kuaben- igur, die oa am Ende oer sonnenbeschienenen Straße austaucht — das ist er, ihr Liebling, ihr Abgott, ihr süßer dlMiScr Junge! Aber er scheint nichts von ihrer brennenden, ver zehrenden Ungeduld zu ahnen, denn er hat es garnicht eilig. Langsam, ganz langsam kommt er näher, immer bemüht, sich in dem schmalen Schatteustreisc» dicht an den Häusern zu halte». Er sieht nicht zu ihrem Fenster empor, und nachdem er endlich in daS HauS eingetreten ist, vergeht eine lange, lange Zeit, ehe draußen die Glocke anschlägt. Frau Nora ist ihm uichl wie sonst entgegen geeilt. DaS soll seine Strafe ,cin für die Verspätung. Doch wie er au' der Schwelle erscheint, find alle Qualen vergessen, die sie während der letzten Halden Stunde um seinetw llen rduldi t. Sic fliegt auf ihn zu, um ihn beinahe zu ersticken mit ihren Umarmungen und ihren Küssen. Eine Minute lang duldet er L-e Liebkosungen, ohne sie zu erwidern; dann macht er sich frei, so heftig und mit einer un willkürlich abwehrenden Gebärde, daß cs wie em Schwert durch ihre Seele geht „Warum kommst Du so spät, mein teurer Junge? Aber nein, Du brauchst Dich deshalb nicht zu recht- 'ertigen — rch will Dich nicht frage». Gewiß hast Du eine dringende Abhaltung gehabt oder Du hast über einem lustigen Spiel Seu rechrcn Augenblick ver säumt die Hauptsache ist ja, daß Du jetzt da bist und Dich erfreuen kannst an all den guten Dingen, die ich für Dich hergerichtct habe. Da find PralmäS und Katzenzungen. Und soll ich Dir eine Apfelsine schälen? Lu magst sie koch so gern — nicht wahr?" Aber der blasse Knabe schüttelt verneinend den Kop! „Ich danke, Mama! Heute nicht. Ich habe keinen Appctir" „Keiurn Appetit? — Mein Gott und wie an gegrinen Du aussiehst! Du fühlst Dich doch nicht trank?" „Reiu — garnich:. Ich bin nur ein bischen i- üde." „Dann mußt Du Di. auf das Sofa legen, um zu ruhen. Undich lasse Dir nachher 'ür den Heimweg eine Droschke holen. Willst Du. daß ich Dir etwas vorlese? Aus dem „Pfadfinder" oder aus Andersens Märchen?" „Rein — ich danke, Mama! Aber wenn ich mich etwa- med-erlegen dürfte — ich glaube, das würde mir ganz gut sein." Mit geschäftiger Hast trägt sie Kissen und Decken herbei, um ihm auf dem seidengcpolstirten Divan in ihrem Salon eine bequeme Lagerstätte zu bereiten Und wie sie sich sorglich um ihn zu schaffen macht, mit weichen zarten Händen, wie es eben ur eine liebende Mutter thuu kann, da trifft sie aus sc-nen blauen Kinderaug-.» ein so dankbarer Blick, wie sie ihn bisher nicht einmal für ihre schönsten und kostb.rstcn Geschenke geeinte:. Sie würde sehr glücklich darüber sein, wenn sie nur nicht zugleich den ungewohnte»:, fiebrischen Glanz in diesen Augen gesehen hätte, und wenn ihr nicht bei einer liebkosenden Berühren« ausgefallen wäre, wie heiß seine Stirn ist, wie glühend heiß. Wieder be stürmt sie ihn mit Fragen nach seinem B-finden, und zö.erno gesteht er, daß er ein wenig Kopfweh habe — schon seit mehreren Tagen. Aber der Oberlehrer, bei dem er lebt, ist ein Feind aller Verweichlichung, und ein Unwohlsein gilt in seinem Hause beinahe für gleich bedeutend mit einem sträflichen Vergehen. Darum be reut Herbert auch sogleich wieder sein Geständniß und fragt ängstlich, ob eS nicht schon an der Zeit sei, wie der aufzubrechen, damit er sich nicht verspäte. Frau Rora muß ihre ganze Kraft zusammcnnehmen, um nicht in Thränen auSzubrcchen; denn der heldenmütige Kampf d-s armen Jungen gegen fein körperliches Lei den zer e-ßt ihr die Seele. Und so soll sie ihn wieder von sich lassen — so? Rein, nimmermehr! Mag sie vamit auch den Zorn ihres Gatten über sich herausbe- fchwören — so groß war ihre Versündigung doch nicht caß sie ihm ein Recht gegeben hätte, Uebermenfchluhrs von idr zu verlangen „Nein, Herbert, Du hast noch mehr als eine Stunde Zeit," lügt sie, und macht sich auf dem Kaminsims za schaffen, um mit leisem Finger das Pen del der Stutzuhr zum Stehen zu bringen, deren Ziffer blatt er von feinem Lager aus sehen kann. „Und ich werde Dir einen kühlenden Umschlag zurecht machen, das wird Deinen Kopfschmerz lindern." Sie huscht hinaus und instruiert mit fliegenden Worten das Dienstmädchen, da- sich sofort auf den Weg machen soll, einen Arzt zu holen. Als sic mit dem Tuch und der ei-gefüllte» Schale wieder ins Zimmer tritt, liegt der kleine Herbert mit geschloffenen Augen da. Aber r Mäst koch nicht; uenn wie sie ganz sacht die kühle Kompresse auf ,cim ungestüm pochenden Schläfen legt, flüstern seine bleiche», Lippen: „Meine liebe Mama! Laß mich bei Dir!" Was hätte sic sonst um diese Worte gegeben unk um den Ausdruck, mit dem sie gesprochen wurden! Und wie thun sie ihr jetzt so unsäglich weh! Aber sie nimmt sich tapfer zusammen; denn sie ist da- verzärtelte, schwache Geschöpf nicht mehr, daS ohne R- cksicht aus andere jeder Empfindung nachzuzeben pflegte. Sic fühlt, daß hier eine ernste heilige Pflicht an sic heran tritt, uns sie ist entschlossen, sie zu erfüllen. „Gewiß mein theurcS Kind, ich lasse Dich nicht von mir, ehe Du wieder ganz gesund bist." Ein Lächeln huscht über dar schmale, farblose Kindcrgcsicht. „Ich danke Dir, Mama — Du bist sehr gut." Dann spricht er nicht- mehr. Der Arzt erscheint, und nachdem er den kleinen Patienten untersucht hat, macht er ein sehr bedenkliches Gesicht. Als ein alter Freund dcS Professors rennt cs dessen zerrüttete Familicnverhältnisse und richtet an Frau Nora die zögernde Frage, ob sie den Knaben v-isich zu behalten gedenke. Und als sie entschieden, ja fast mit einem Ausdruck der Entrüstung bejaht, hält er es für seine Pflicht, sie darauf vorzubereiteu, daß sie Krankheit des kleinen Herbert selbst im besten Fall eine sehr lange und schwere sein werde. „Um so weniger könnte ich daran denken, ihn van mir zu geben»' lautete die Antwort „Aber sagen Sic wir ganz aufrichtig, Herr Doktor, fürchten Sie, er — er könnte cs nicht überstehen?" Ich hoffe, daß wir ihn mit Gottes Hülfe durch bringen werden, Frau Professor! Aber es wird viel leicht doch aut sein, Ihren Herrn Gemahl telegraphisch zu benachrichtigen — tür all: Fälle" Rach scchSunddrcißigstündigcr Eisenbahnfahrt ist vcr Professor Jrmgart angelanqt. Auf dem halb- dunil.cn Gang der Wohnung, die er fett nahezu drei Jahren nicht mehr betreten, empfängt 'hn semc Frau. Kein Gruß, kein Händedruck wird zwischen ihnen ge tauscht, nur eine hastige, angstvolle Frage und eine be klommene Antwort. „R.in, cs geht ihm noch nichi besstr. Roch immer vcstcht die schwerste Gefahr für f in Leben." Der Professor wendet sich »ach seinem Schlaf- gcmach, um sich von dem S:aub der langen Reise zu befreien, ehe er das Zimmer seines kranken Kind s be tritt Aber auf der Schwelle bleibt :r noch einmal stehen. „Und wie geht es zu, daß er hier ist, statt bei seinen PflcgeUtern oder in einem Krankenhaus-?" „Er war hier bü mir, als die Krankheit zum AuSbruchüküm. Es war Gottes Fügung, Karl, die es gerade an dem „Tage seiner Mutter" geschehen ließ". Für den Professor ist w.nrg Tröstl'ches in dem Gedanken an diese Fügung. Ader er hat trotz der ungewissen Beleuchtung di: herben Linien des Kummers auf dem ehedem so glatten und heiteren Antlitz feines schönen Weibes gesehen — und er schweigt Mit schrecklicher, unerträglicher Langsamkeit schleichen die Tage und die Rächte dr-hm. Roch immer keine entscheidende Wendung, noch immer kein schwach:» Hoffnungsschimmer, kein tröstlicher Sonncnblick in der Rächt der düsteren, herzschnürcndcn Sorge um ein ge liebtes Leben! Aber Frau Rora ist eine Heldin Die bezahlte Pfl gerin kommt sich fast überflüssig vor neben dieser aufopferndsten aller Mütter, für die eS weder Müdigkeit zu geben scheint noch Hunger oder Durst bei der hingcbcnden Wartung ihres todtkranken Kindes. Und der Proicsior, der ihrem gc»äuschlosen Walten zusicht, er fragt sich immer wieder, ob dies scnn in Wahrheit dieselbe Frau sei, von der er sich cor drei Jahren um ihrer Leichtfertigkeit und Ober flächlichkeit willen mit dlutcudem Herzen getrennt — dieselbe Frau, die nur Interesse für ihre thörichten Vergnügungen hatte und selbst den zartesten, liebe vollsten Hinweis auf ihre Pflichten wie eine tödtlichc Beleidigung empfand? Anfänglich Hot er allen Ernstes geglaubt, daß auch dies bis zur Selbstvernichtuvg getriebene Aufgchen in ihrem neuen Pflegerinnen-Amt nichts als eine flüchtige Laune M deren sie bald genug über rüssig sein werde Aber er schämt sich jetzt beinahe diese- "erdacht-, denn er hat nicht nur ihr umsichtige- Schalten und ihre tapfer behauptete Gelassenheit am Krankenbett gesehen, sondern auch ihre verzweiflungSvollen Thränen, wenn sie sich allein md unbeobachtet wähnte. Noch immer haben sie nicht mehr al» da» Rothwcndigste mitein ander gesprochen und kein Wort, da- nicht einzig Be ¬ zug gehabt hätte aus ihr krankes Kind; aber cS ist doch ganz aode S zwischen ihnen als in der Stund: seiner Heimkehr. Und wenn der Kammer ihr Zeit ließe, an vergleichen zu denken, würde Frau Rora ohne Zwenel mit dem scharfen Instinkt de- Weibe- fühlen, daß sie sich in diesen schweren Tagen und Rächten Schritt ?ür Schritt die verlorene Achtung ihre- Gatten zurückge- wonncn. So kommt die gefürchtete Krisi- heran — eine Nacht, grausamer und peirvoller al- alle voraufgcgan- genen feit Herbert- Erkrankung. BlS gegen Mitter nacht isi der Arzt bei ihnen geblieben; dann hat seine Pfl cht ihn a.r un ansereS Leidcn-lager gerufen, und sic sind allein mit ihrem fiebernden bewußtlosen Kinde. Stumm sitzen sie beide an seinem Lager, und auf ihren Gesichtern steht cS geschrieben, daß kaum noch ein schwaches Hoffnungsfünkchen glimmt in ihren Herzen. Sie haben cs bisher immer vermieden, sich anzusehcn. wenn sie auein miteinander waren; heute aber bgez- nen sich einmal wie unter dcm Zwange cwcc unsichl- baren, nnwik-AMrMn Gewalt ttirc Blicke — und 'ast IN 0c,n : amuchcu Monunt auch haben sich ihr-. Hände gesunden, zum erstenmal, sutdcm sie wieder unter dem- silbe i Dache weilen. Auch jetzt noch wird kein Wort zwilchen ihnen gesprochen; aber sie bleiben Hand in Hand, und feierlicher war nie eine Versöhnung wi- diese. Bleich stiehlt sich der erste Schimmer der Morgen dämmerung durch den schmalen Spalt zwischen dcu Feustervorhängen in Kar Gemach. Da hebt sich in einem tiefen Auiathmen die Brust des kranken Kna ben, und weit geöffnet sind plötzlich seine großen blauen Augen. „Mein Papa! — Und meine liebe, liebe Mama! — O wie gut, daß ich Euch wieder habe — alle beide!" Seine Stirn ist kühl geworden und fein Puls geht in gleichmäßigen, ruhigen Schlägen. Lächelnd wendet er daS Köpfchen zur Seite und schlummert ein, der Genesung entgegen und dem wieder gewonnenen Leben. Frau Rora aber liegt schluchzend an ihre- Manne- Brust, und die Schauer nie gekannten Glückes durch zittern ihre Seele, da seine bebende Stimme ihr zu- flüstert: „Mein geliebter Weibl" Vom Landtage. Die Rechenschaftsdeputation der Zweiten Kammer beantragt, der König!. Staatsregierung betreffs der mittelst Dekrets abgelegten Rechenschaft über de» Staatshaushalt innerhalb der Finanzperiode l898/9S Entlastung zu ertheilen. Aus dem allgemeinen Theil des Berichts sind folgende Punkte hervorzuheben: Die in den Borberichten der Deputation wiederholt ausgesprochene Annahme, daS Lerhältnitz des Ein- kommens aus den Nutzungen des StaatSvermögen» und der Staatsanstalten zu den durch Steuern und Abgaben aufgebrachten B trägen werde sich für dir Zukunft in der Richtung des Borwiegens der Steuer« und Abgaben entwickeln, hat sich für die Berichtsperiode erneut bestätigt. Im speziellen Theil wird zu dem Kapitel „Staatseisenbahnen" u. a. ausgeführt: „Mit Rücksicht auf die seit den letzten 3 Finanzperioden eingetretene fortgesetzte Steigerung der Ueberschreitungen in saft allen Titeln und Positionen hat sich die Deputation veranlaßt gesehen, wegen einzelner gegen den Etat ganz erheblicher Mehrausgaben und Ueberschreitungen Aufklärung und Unterlagen über verschiedene Titel und Positionen vom Finanzministerium zu erbitten. Ganz enorme Ueberschreitungen gegen die im Etat veranschlagten und gesonderten Summen zeigen sich m-hrsach. Gemäß Dcputationsbefchlusses wurde Auf klärung erbeten speziell über Titel 9, Position I, Tage gelder, Reisekosten, Kommandogelder, Umzugskosten, welche Position allein eine Ueberfchreitung von 20910s Mark 25 Pfg. aufweist. In der Sitzung vom 3. Februar 1902 erklärte der Herr Regierungskommissar, daß die Kgl. Staatsregierung bereits auf Gmnd des ungünstigen Abschlusses von 1899 hin im Jahre 1900 eine besondere Verordnung zwecks Erzielung größerer Ersparnisse im Eisenbahnbetriebe erlassen habe, um die Ausgaben im Allgemeinen und so auch im Besonderen bei Titel 9, Position 1 thunlichst zu vermindern. So seien b?i Ausstellung des Etats 1902/03 in Titel 9, Posiuon 1 von den für Dienstreisen veranschlagten Beträgen rund 100000 Mk. gestrichen worden, jedoch unter gleichzeitiger Einstellung eines Reservebetrages von 45000 Mk., welche der Kgl. Generaldirektion sür dringende Fälle Vorbehalten bleiben müßten. Im Uebrigen erklärte der Herr Rcgierungskommissar, daß künftig derartig hohe Ueberschreitungen, wie sie leider in den Vorjahren zu beklagen gewesen wären, insbe- umdere auch zu Titel 9, Position 1, nicht wieder ein treten würden. Mittelst Schreibens vom 19. Februar 1902 sagte das König!. Finanzministerium ferner zu, daß gemäß einer Anregung von Seiten der Rechen schaftsdeputation künftig, und zwar bereits in dem nächsten Rechenschaftsberichte auf die Periode 1900/01 oie Höhe der Tagegelder und Reisekosten einerseit» und die der UmzugSkosten andererseits getrennt ersichtlich gemacht werden sollen. Ebenso sollen ab 1902 die Nachweisungen über deu Aufwand an Tagegeldern und Reisekosten für >ede einzelne Dienststelle und für jede Beamtenkategorie getrennt geführt und der Rechen- schafiSdeputation zur V-rsügung gehalten werden. Mit Befriedigung nahm die Deputation von den Erklär- ungen des Herrn Kommissars, sowie von den fchrist-
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)