Suche löschen...
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 11.03.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-03-11
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190203111
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19020311
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19020311
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-03
- Tag 1902-03-11
-
Monat
1902-03
-
Jahr
1902
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 11.03.1902
- Autor
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Eingabe an den Gemeindetag vor, betreffend die Ein» schränkung der Gemeindeabgaben-ErhebungSgebietS. In dem Eingaben-Entwurfe wird gegen die von der Re gierung geplante Kommunalsteuer-Reform, ähnlich wie sie im Jahre 1893 in Preußen durch Gesetz herbei geführt worden ist, Stellung genommen. Das Stadt- verordvetenkollegium beschloß nach längerer Debatte mit allen gegen eine Stimme, von einer Eingabe an den Gemeindetag abzusehen und vielmehr eine Petition an den Landtag zu richten. Diese Petition wird in Druck gegeben, an die Stadträthe und Stadtverordneten- Kollegien der sächsischen Städte versandt und diese zum Beitritt aufgefordert werden. Ja d«» ioerger Stadtverordnetensitzung vom 2. Febr. erklärte Bürgermeister Blüher, baß er der von Regierung und Ständen geplanten Gemeinde- steuerreform die ernstesten Bedenken entgegeubringe. Er habe diese Bedenken bereits an zuständiger Stelle geäußert und glaube, dies nach Möglichkeit weiter thun zu sollen. Auch im Konserv. Verein zu Plauen i. Bgtl. wurde jüngst über die geplante Gemeindesteuerresorm debattirt. Rechtsanwalt Or. Moeller lieferte den Nach weis, daß eine Beschränkung der Gemeinde in der Anwendung der Einkommensteuer auf 75 Proz. der staatlichen Einkommensteuer einen so bedeutenden Aus- fall an Steuereinnahmen zur Folge haben würde, daß dieser sich durch die zum Vorschlag gebrachte Gewerbe steuer niemals werde decken lassen. Die Aussührungen des Herrn Redners fanden allseitige Zustimmung. Nach einer längeren Aussprache wurde eine Erklärung angenommen, die sich gegen eine Gemeindesteuerresorm wendete, welche insbesondere den Mittelstand mehr be laste. Eine solche Mehrbelastung wurde auch für politisch nicht unbedenklich bezeichnet Auch Ober bürgermeister vr. Schroeder nahm an der Versamm lung und der Aussprache theil. Ueber sächsische Steuersragen schreibt man der „Köln. Ztg.: „Seit 1878 war die Gewerbesteuer in Sachsen abgeschafft; jetzt soll sie wieder ausgegraben werden. Ihre Abschaffung fiel zusammen mit der Einführung der staatlichen Einkommensteuer. Seit der Staat sich der Besteuerung des Einkommens zuge wandt hat, zeigt sich auch bei den Gemeinden eine besondere Vorliebe für die Einkommenbesteuerung; eS ist ja so verlockend und eine große Geschäftserleichter ung, wenn man sich der staatlichen Einschätzung auch für Gemeindezwecke bedienen und sich in der Behänd- lung von schwierigen Steuerangelegeuheiten an das staatliche Vorbild anlehnen kann. Wir haben Ge- meinden, die überhaupt keine andere direkte Steuer er heben als Einkommensteuer, und da es der Staat ziemlich ebenso macht, so ergiebt sich eine starke Aus nutzung dieser einen Steuer quelle: „getrennt marschiren und vereinigt schlagen" ist die Parole dem Einkommen gegenüber sür Staat und Gemeinde. Wo, wie eS vor kommt, die Stadt bis zu 6 Prozent des Einkommens als Einkommensteuer für sich beansprucht und der Staat seine 4 Prozent, die künftig auf fünf erhöht werden sollen, vom Einkommen fordert, da haben wir es bereits zu einer Besteuerung der größeren Ein kommen von 10 Prozent gebracht. Die starke Mit arbeit der Gemeinden ar der Verkürzung der Ein kommen fängt an, dem Staate Sorge zu machen, der seine eigenen Bedürfnisse wachsen sieht und sich die Besteuerung der Einkommen sichern möchte. Es ist daher ein Gemeindesteuergesetz in Vorbereitung, durch welches den Gemeinden das Recht der Eiukommen- besteuerung beschnitten und sie auf Erhebung einer Gewerbesteuer und andere Aushilfsmittel hingewiesen werden sollen. Nur drei Viertel der staatlichen Ein- kommensteuer soll den Gemeinden für sich zu erheben gestattet sein. Darob große Beunruhigung in solchen Stadt- und Landgemeinden, die bisher schon erheblich höhere Eivkomwensätze erhoben haben als der Staat. Bei ihnen würde sich durch das Gesetz ein solcher Ausfall an Einkommensteuer ergeben, daß er sich auf anderem Wege kaum decken läßt, am allerwenigsten aber vom Stande der Gewerbetreibenden durch eine ihn allein treffende Gewerbesteuer aufgebracht werden kann, wenn man nicht diesen Stand in unerhörter Weise vorbelasten will. Da sich gutem Vernehmen nach in der Ersten Kammer wenig Neigung zeigt, einem die Freiheit der Gemeinden im Besteuerungs- Verfahren beschränkenden Gesetze zuzustimmen, so ist es zweifelhaft, ob die Rgierung mit dem angekündigten Gemeindesteuergesetz überhaupt Glück haben wird." Vsm «eichStege. B-rN«, 8. März 1902. Die „Deutsche TageSztg." schreibt zu den Ber- Handlungen über den Zolltarif: Die Möglichkeit, daß etwas Befriedigendes dabei herauskomme, reduzirt sich mehr und mehr auf ein Minimum. Wenn wir trotzdem rathen, weiter zu arbeiten, fo geschieht es nur, weil wir eS für geboten erachten, daß das Plenum der Reichtags seinerseits Stellung zum Zoll tarif nehme, damit die Wählerschaft über die Haltung der verbündeten Regierung und der einzelnen Abge ordneten vollkommen klar werde. Das ist für die nächsten Wahleu unbedingt erforderlich. Daß diese Wählest unter dem Zeichen der zollpolitischen Frage stehen werden, ist heute schon unbedingt sicher, und weil dem so ist, ift eine Klärung der Verhältnisse dringend nothwendig. Eine solche kann aber nur er folgen, wenn der Reichstag im Frühsommer vertagt wird und im Herbste sich wieder mit der Angelegen- heit befaßt. Der Versuch, im Sommer die Angelegen heit zur Erledigung zu bringen, würde trotz der Ein führung von Tagegeldern, für die wir grundsätzlich eintreten, ohne Frage scheitern. In der Zolltariskommission des Reichstags richtete der Abg. Spahn (Ctr.) an den Staatssekretär Grafen Posadowsky zunächst die Frage, wie sich dir verbün deten Regierungen zur Gewährung von Tagegeldern für Kommissionsmitglieder außerhalb der Reichstags- tagung stellen. Staatssekretär Graf Posadowsky er widerte, Bedenken lägen nicht vor, wenn die Kommissions- Mitglieder auf Grund eines Gesetzes für ihre Berath- ungen außerhalb der regelmäßigen Plenarsitzungszeiten Tagegelder gezahlt erhielten. Abg. Spahn (Ctr.) schlägt darauf vor, bis zum 28. März Sitzungen der Zolltarifkommission abzuhalten und am 8. April wieder zu beginnen. Mit der Gewährung von Tagegeldern an die Kommission solle eine Vorentscheidung für die Tagegelderfrage an Reichstagsmitglieder nicht geschaffen werden. Nach weiterer Erörterung wird ein Antrag des freis. Abg. Müller-Meiningen angenommen, vor Ostern nicht länger zu tagen als das Plenum, also bis zum 15. März, nach der Osterpause aber die Sitzungen schon am 8. April, also 8 Tage vor der Wiederausnahme der Plenarverhandlungen zu beginnen. In freihändlerischen Kreisen ist man von der Bereit willigkeit der verbündeten Regierungen,denKommissions- Mitgliedern selbst während der Ferien Diäten zu zahlen, unangenehm berührt. Es ift dadurch die Hoffnung, daß die Kommission mit ihrer Berathung überhaupt niemals fertig werden würde, stark erschüttert worden. In sreihändlerischen Kreisen ist man nämlich der Ueber- zeugung, daß sich die Mehrheitsparteien des Reichs tags, trotz der abweichenden Kommission sbeschlüsie, schließlich doch noch aus der Grundlage der Regierungs vorlage verständigen werden, da hält man in diesen Kreisen die Verschleppung der Angelegenheit für das einzige Mittel, die Zollerhöhung zu verhüten. Daß nun die Berathungen der Kommission sogar auch in den Reichstagsferien fortgesetzt werden sollen, und daß die Kommissionsmitglieder sür ihre Extcaarbeit auch einen Extralohn in der Gestalt von Diäten erhalten sollen, geht der Linken vollkommen gegen den Strich. Das Verlangen der Mehrheilsparteien nach diesen Tagegeldern, sowie die Bereitwilligkeit der Regierung dazu sind andererseits dagegen Beweise dafür, daß Reichstagsmehrheit wie Regierung auf eine sichere Landung der Zolltarifvorlage rechnen. In der Be rathung der Kommission wurde beschlossen, sür die Position Heu und Stroh, die die Regierungsvorlag zollfrei läßt, einen Zoll von 1 M. festzusetzen. De» Zoll sür Tabak wird nach langer Debatte gemäß der Regierungsvorlage angenommen, nachdem der Reichs- schatzsekretär v. Thielmann eine von der Rechten ge wünschte Zollerhöhung auss entschiedenste bekämpfi hatte. Ar Reise des Prinze« Heinrich. Cambridge (Mass.), 8. März. Das Dank- telegramm, daS ver Präsident der Harvard-Universität, Eliot, an Se. Majestät den deutschen Kaiser gerichtet hat, lautet in der Uebersetzung: „Die Harvard- Unioer stritt dankr Ew. Majestät für Ihr Begeistern- g weckendes Telegramm an Prinz Heinrich und sür Ihre hochherzige Gabe. Mögen die Handlungen Ew. Majestät die beiden verwandten Völker einander immer näher bringen." Der Besuch der Militär-Akademie in Westpoint am heutigen Nachmittag war hochinteressant. Aus dem Exerzierplatz standen die 6 Kompagnien Kadetten, durchweg kräftige, gesundheitsstrotzende junge Leute, in Paradesront aufgestellt. Sie trugen hellgraue Mäntel, mützenartige Käppis, halbhohe Gamaschen, weißes Lederzeug, über der Brust gekreuzt, und hatten moderne Jnsanteriebewaffnung. Der Prinz schritt die Parade- aufstellung ab. Dann erfolgte zweimaliger Vorbei marsch in Kompagniefront, erst im Schritt, wobei sie nach amerikanischer Art kurz vor dem Standpunkt des Prinzen daS Gewehr quer vor die Brust nahmen, das zweite Mal im Lausschritt mit Gewehr über — da daS ganze Paradefeld mit gut einem halben Fuß Schnee bedeckt war, keine kleine Leistung! Dann nahm der Prinz verschiedene Einrichtungen der Anstalt in Augenschein, die durchweg vorzüglich sind; auch im Gedenksaal hielt er sich auf, wo Bilder berühmter Generale und alte Fahnen aufgehängt sind. Brillantes leistete später eine Kadettenabtheilung im Reiten und Boltigiren auf ungesattelten Pferden. Kein Cirkus- mann hätte d.e halsbrecherischen Voltigen besser machen können. Ebenso vorzüglich wurden im Turnsaal Hantelübungen ausgesührt, kurzum, was man von den Einrichtungen der Anstalt und der körperlichen Aus bildung der Kadetten in Westpoint sah, war durchweg tadellos. New-Uork, 8. März. Prinz Heinrich gab den geplamen Besuch des DeykmalS des Generals Grant aus, ließ jedoch durch Leutnant v. Egidy dort einen Kranz nieberlegen. Heute Mittag hörte Prinz Heinrich im Hotel ein interessantes Negerkonzert. Der Sänger chor bestand aus Negern und Indianern, und zwar Männer und Frauen. Es wurden acht Lieder ge- zungen, die alle verschiedenen Charakter besaßen, aber jämmtlich eindrucksvoll und mit höchster Vollendung vorgetragen wurden. Als die Sänger sich nach stündigem Aufenthalte verabschieden wollten, sagte der Prinz zu ihnen, er wünsche, daß sie ihre eben so ein drucksvoll gezeigten schönen Traditionen bewahren und die Schönheit der nationalen Gesänge weiterpflegen möchten. Der Chor sang hierauf zum Dank sür die Worte des Prinzen die „Wacht am Rhein" in eng lischem Text und daS „Starspangled-Banner". Prinz Heinrich drückte sodann den Sängern nochmals seine Freude über das Gehörte aus. Durch den Kapitän z. S. v. Müller hat Prinz Heinrich die Erklärung abgeben lassen, daß er von der Reise höchst befriedigt sei; er wisse wohl, daß er nur einen sehr kleinen Landestheil ganz oberflächlich kennen gelernt habe, er habe aber doch eine Idee von der Größe des Landes und seiner Hilssquellen be kommen. Mehr als die Reiseeindrücke, erklärte Kapitän v. Müller serner, schätze der Prinz das herzliche Willkommen, daS ihm überall bereitet worden sei und durch welches die Bevölkerung gezeigt habe, daß sie die Absicht, welche Kaiser Wilhelm bei der Entsendung des Prinzen hatte, verstehe und würdige. Der Prinz bedauert wiederholt, daß er nicht jedem einzelnen danken könnte, besonders denen, die ihn mit Musik und Hochrufen bewillkommneten, während er noch im Bette lag; nie werde er vergessen, wie das amerika nische Volk ihn überall mit Gastsreundschaft und Sympathie ausgenommen habe. New-Uork, 8. März. Im Festsaal der Waldorf-Astoria-Hotels wurde heute Abend das 117. Stiftungsfest der „Deutschen Gesellschaft" gefeiert, au welchem Prinz Heinrich mit Gefolge theilnahm. An te-usend Gäste waren erschienen. Der Vorsitzende Gustav H. Schwab hielt eine Ansprache, welche eine Menge Einzelheiten aus der ruhmvollen Geschichte der Gesellschaft enthielt, überreichte ein Gedenkblatt und schloß mit einem Hoch auf den Prinzen Heinrich. Karl Schurz hielt sodann eine Rede, in welcher er die alte Freundschaft zwischen Amerika und Deutschland behandelte und ausführte, seit Amerika eine Großmacht sei und aus festen Füßen stehe, habe es Freunde überall. Als jedoch die Union in Noth war, da sei das deutsche Volk sein bester Freund gewesen. Ebenso sei die Herstellung der deutschen nationalen Einheit nirgends so sympathisch begrüßt worden wie von den Amerikanern. Alle Preßhetzereien, welche darauf ge richtet feien, die deutsch-amerikanische Freundschaft zu zerstören, seien nur kraftlose Giftmischerei und knaben- yafteS Geschwätz gewesen. Ein Friedensbruch wäre ein Verbrechen, doch sei solches Verbrechen schlechtweg unmöglich. Des Kaisers herzgewinnender Freundschafts- bote sei mit einem so elementaren Ausbruch von Wärme begrüßt worden, daß alle Welt sich von der Aufrichtigkeit überzeugen mußte. Der Erfolg sei eine Freude für jeden Freund der Menschheit. Der Redner sprach alsdann die Bitte aus, der Prinz möge in Deutschland erzählen, wie hoch die Weisheit des Kaiser», des Urhebers diese« FreundschaftS- und Frieden-feste», hier geschätzt werde. Die deutsch-amerikanische Freund schaft verjünge die große Garantie des Weltfrieden». Der Präsident der Columbia University, Butler, feierte alsdanu die deutschen Unterrichts- und Wissenschafts methoden, der Fortschritt der Welt beruhe hierauf; Amerika habe sie jetzt adoptirt; beide Länder stehen nunmehr in friedlicher geistiger Nebenbuhlerschaft. Rudolf Keeppler sprach über „das alte und neue Vaterland"; es sei sicher, daß Deutschland, ja der Kaiser selbst das hohe Ansehen der Deutschen in Amerika freudig anerkennen. Frederick W. Holls be handelte in ähnlichem Sinne das Thema „der Deutsche in Amerika". — Prinz Heinrich hielt eine kurze Rede, in der er ausführte, der ihm bereitete Empfang sei ein weiterer Beweis der Freundlichkeit und des Enthusiasmus, womit er in allen von ihm besuchten Landestheilen ausgenommen worden sei. Er schätze die Bekundungen der Freundschaft sehr hoch und sei über zeugt, daß die „Deutsche Gesellschaft" viel zur Aus breitung und Verstärkung der freundschaftlichen Gefühle zwischen Deutschland und den Bereinigten Staaten bei trage. Prinz Heinrich schloß: Wenn die Stimmungen eines Volkes, eines Publikums, dem Ausdruck geben können oder die Gefühle, die ein Volk hegt, ausdrücken, und ich habe keine Ursache, an der Echtheit dieser Ge fühle zu zweifeln, so möchte ich glauben, daß der Wunsch Sr. Majestät des Kaisers, meines allergnädig sten Herrn, in Erfüllung gegangen ist, dem die Mission seines Vertreters zwischen zwei Nationen zu Grunde gelegen hat. (Stürmischer Beifall.) — Während des Banketts trug der „Liederkranz" mehrere Chöre vor. Newyork, 9. März. Gerüchte von neuen Er krankungen auf der „Hohenzollern" sind vollkommen unwahr. Der deutsche Kriegerbund läßt eine Er innerungsmedaille für die Besatzung der „Hohen zollern" prägen. Die eindruckvollste Rede bei dem gestrigen Bankett war die des 73 Jahre alten Karl Schurz, der in bewunderungswürdiger Frische und prachtvollster Form unter ungetheilter Aufmerksamkeit der den Saal und,, die Galerien süllenden Anwesenden eine halbe Stunde lang über die alte Freundschaft zwischen Deutschland und Amerika sprach. Nach der Rede sang der Liederkranz des österreichischen Com« ponisten Engelberg „Muttersprache — Mutterlaut" in unübertrefflicher Vollkommenheit. Prinz Heinrich zeichnete Karl Schurz, welcher zu seiner Rechten saß, durch eine längere Unterhaltung aus. Der Nachbar von Karl Schurz zur Linken war Staatssekretär von Tirpitz. Die Galerien waren von Damen dicht be setzt. Zum Schmuck des Saales waren hauptsächlich Rosen verwendet, was einen prachtvollen Eindruck machte. Das Diner dauerte bis Mitternacht. Prinz Heinrich telegraphirte der Columbia University, die Admirale von Tirpitz und von Eisen decher würden in seinem Auftrage die Universität be suchen, um seine Werthschätzung der wohlbekannten Stätte amerikanischer Wissenschaft auszudrücken. New-Uork, 7. März. Der König von Eng land richtete an den Prinzen Heinrich folgendes Tele gramm: „Vielen Dank für Ihr freundliches Tele gramm vom Niagara. Ich bin gewiß, daß Ihre Reise Ihnen Freude macht und Sie überall in der freund lichsten Weise empfangen werden." New-Uork, 9. März. Prinz Heinrich empfing mehrere Besuche, darunter eine Abordnung des St. Pauker Commeicial-Clubs. In der Galerie des Ho tels Waldors-Astoria sang der Brooklyner „Arion" das Kaiserpreistied .My old Kenrucky-Home" und „Dies ist der Tag des Herrn". Der Prinz dankte und beglückwünschte den „Arion" zu seinen vorzüg lichen Leistungen; nie habe er zartere und schönere Töne von Männerchören vernommen. Er habe auch andere Musik in Amerika gehört, welche ihn auss höchste entzückt und ihm zu dec Ansicht verholfen habe, daß der Sinn für Musik ins Herz des Menschen ohne Rücksicht auf die Rasse und Hautfarbe gepflanzt sei. Der Verein „Arion" sandte ein Dank- und Huldig- ungStelegramm an den Deutschen Kaiser und über reichte dem Prinzen eine künstlerisch ausgestattete Adresse. Die Delegirten des Präsidenten, Corbin Hill, Evans und Bingham gaben dem Prinzen ein Luncheon im University-Club, bei welchem die eben beendete Rundreise des Prinzen Heinrich lebhaft besprochen wurde. Das Zirtaskiad. Roman von Emma Merk. I. Fortsetzung. Nachdruck verboten. Ich danke Ihnen, Herr Rittmeister; diese Be gegnung hat meiner Laune merkwürdig aufgeholfen!" Wildenau biß die Lippen aufeinander; er fühlte, daß ihn feine Ruhe verlasien wollte, und als ihm nun plötzlich auffiel, wie hübsch der Mensch an seiner Seite war, wie er jene Leidenschaftlichkeit des Ausdrucks, jene Lebendigkeit des Mienenspiels besaß, die von jeher Fraven zu täuschen und zu blenden vermocht, da war's ihm einen Moment, als müsse er sich auf die ge- schmeidige, zierliche Gestalt losstürzen, sie in den Fluß Hinabstoßen, an dem sie nun hinschritten. Aber wie eS auch in ihm kochte, seine Züge blieben unbeweglich. Er sollte noch länger Gelegenheit haben, sich in der Selbstbeherrschung zu üben. Als sie sich nun dem freien Platz vor dem Flusse näherten, schlug ihnen die schrille Musik eines Karussells, der Qualm von Küchel bäckereien entgegen. Marktbuden waren hier aufge schlagen; das Aufbrüllen eines wilden Thieres, dar Kreischen eines Papageis mischte sich mit den heiseren Stimmen der Ausrufer, die aus Leibeskräften dem spärlichen Publikum zuschrieen: „Herein! Nur herein, meine Herrschaften!" „O dort, sehen Sie — vor dem Zirkus hält der Wagen der schönen Frau!" rief Stzezamk lebhaft und legte seinem Begleiter die Hand auf den Arm. Sie blickt zu uns herüber! Bemerken Sie denn nicht, Wildenau, daß die Dame angesprochen sein will! Auf diese Weise kann ich ihr auch gleich vorgestellt werden!" „Ich bin im Jagd-Kostüm, wie Sie sehen, und nicht präsentabel vor Damen!" entgegnete Leo, nun mit kaum verhehlter Ungeduld. Doch als sie nun an dem Wagen vorüber kamen, und er grüßend den Hut zog, nickt die Frau in der That mit einer so deut lichen Aufforderung sich zu nähern, daß es geradezu unritterlich gewesen wäre, derselben nicht Folge zu leisten. Er trat dann näher und erkundigte sich nach Frau Lockhardts Befinden. Es blieb ihm auch nichts anderes übrig, als sie mit seinem Begleiter bekannt zu machen, der sich eifrig vordrängte und die schöne Frau mit seinen feurigen Augen anstarrte. ES war ein feines, weiches Gesicht, daS sich vor den Offizieren verneigte. Um die Augen lag freilich ein Schatten der Trauer, auch wenn die Lippen lächelten; aber dieses Lächeln war dennoch von einem ganz süßen Reiz und die dunklen Bänder des Hütchens umschlos sen ein entzückend anmuthigeS Kinn, sanstgerundete Wangen und kleine wachsbleiche Ohren, an die sich welliges dunkelblondes Haar in reizvoller Linie an schmiegte. Adele von Lockhardt war nicht mehr ir der ersten Jugendblüthe, aber sie besaß eine Weichheil der Linien, eine Liebenswürdigkeit des Ausdrucks und eine Grazie in den Bewegungen, die eine 30-Jährige bezaubernder machen können, als das jüngste, rosigste Mädchen. „Sie könnten mir einen G-fallen thun, meine Herren," wandte sie sich an die beiden Osfiziere mn j-nem sicheren Ton verwöhnter Frauen, die wissen, daß man ihnen gerne einen Dienst erweist. „Hier vor dem Zirkus stand eben ein wunderliebes kleines Mäd chen mit braunen Locken und großen, scheuen Augen. Ich möchte zu gerne wissen, ob es zu der Truppe gehört, möchte eS zu gerne in der Nähe sehen." Stzezanek, rascher und gewandter in den Beweg ¬ ungen als der Rittmeister, sprang sofort diensteifrig die paar Stufen zu dem ZirkuSeingang empor und rief dem Direktor, einem breitschultrigen Mann mit rothaufgedunsenem Gesicht und weitvorstehenden wasser- blauen Augen, der im engen schäbigen Frack, mit dem Cylinder auf dem Kopf, vor der Bude stand, die Frage zu. „DaS Kind gleicht auffallend meiner armen, kleinen Elly," sagte Adele leise zu dem Rittmeister, der noch vor dem Wagen verweilte. „Es muß im selben Alter sein, in dem mein verlorner lieber Schatz nun wäre —" „Ein bedauerliches Geschöpf, wenn es hier im Zirkus aufwachsen muß," bemerkte Wildenau. „Ah, da kommt die Kleine ja! Wie mager sie ist! DaS arme Ding!" Der Direktor der Seiltänzer-Gesellschaft zog mit grotesk geschwungenem Arm den Hut vor der Dame, und flüsterte fdem Kinde ein p ar Worte zu, ehe er sich dem Wagen näherte. Die Kleine trug ein sehr verwaschenes, nur bis an die Knie reichendes bunter Fähnchen; die dünnen Aermchcn und fleischlosen Schultern waren röthlich angehaucht vor Kälte, di« zierlichen Beine steckten in verblaßten rosafarbenen Strümpfen und ehemals weißen, nun von der Näss- des BodenS und dem Staub der Straße ergrauten Atlasschuhen. DaS massige dunkle Haar war mii bunten Bändern durchflochten, um den Hal- hatte sie eine vielreihige Kette falscher Korallen und in der Ohren baumelten große Halbmonde von dünnem Goldblech. Der Knix, daS Kußhändchen, mit dem dar Kind vor die Dame hintrat, bewiesen deutlich genug, daß dasselbe schon gelernt hatte, sich vor einem Pu- blikum zu verneigen. Aber die großen, klaren Kinde. - äugen wußten nichts von Dressur und Routine. Scheu, vl liegen, in einer rührenden Angst sahen sie in daS traurige Frauengesicht, daS sich zu ihm herab beugte, um dessen Lippen eS leise zuckte, in schmerz voller Erinnerung an den verlorenen Liebling, an de» daS Gauklerkind mit seinen feinen, blaffen Zügen sie gemahnte. „Wie heißt Du, Kleine?" srug sie dann gütig, die schlanken Fingerchen mit ihren in perlgrauen Glace handschuhen steckenden Händen liebkosend. „Dahla Weiß" „Ist der Mann dort im schwarzen Anzuge, der eben mit Dir sprach, ist er Dein Vater?" Das kleine Mädchen schüttelte trotzig das krause Haar. Es schaute mit einem finstern Blick voll Haß und Furcht auf den Mann vor der Bude. „O nein! Mein Vater ist Signor Bianchino. Er zeigt den g'lehrigen Esel." „Und Deine Mutter?" „Ich habe keine Mutter." Das Kind schien nicht zu sühlen, welch tiefes Unglück in den paar Worten lag. Adele warf dem Rittmeister einen Blick zu, voll Schmerz und Mitleid; „daS Kind ohne Mutter, die Mutter ohne Kind? Wie grausam ist doch das Leben!" schien ihr leiser Seufzer zu sagen. Der Direktor vor der Bude aber knallte mit der Peitsche, die er tändelnd in der Hand hielt und dieser Ton mußte Dahla unwillkürlich zwingen, ihm da» Gesicht zuzuwenden. (Fortsetzung folgt.)
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)