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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 21.12.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190212213
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19021221
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19021221
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-12
- Tag 1902-12-21
-
Monat
1902-12
-
Jahr
1902
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 21.12.1902
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Amtsblatt. Nr. 296. Sonntag, den 21. Dezember 1902. 2. Beilage. Politische Wochenschau. Da» Wort, daß jedes Dina in der Welt sein Ente hat, bi» auf die Wu.st, welche deren zwei anfweift, hat sich auch an dem Kampf um die Zolltarifvorlage be. wahrheitet. Der Zolltarifkrieg, dessen Ende noch vor kurzer Zeit als unabsehbar, und dessen AnSgang als völlig ungewiß erschien, hat an der Scheide der vorigen und dieser Woche unerwartet schnell sein Ende gefunden, indem der Reichstag die Zolltarifvorlage auf Grund de« Kompromisse- zwischen der Regierung und den MehrhcitSparteien mit 202 gegen 100 Stimmen, also Mit sehr starker Majorität annahm. Das Ende des Kampfe- um die Zolltarifvorlage bedeutet freilich noch nicht daS Ende des Kampfes um den Zolltarif, um die Gestaltung der künftige« Handelsvertragspolitik. Diese Fragen werden sowohl bei dem kommenden Wahlkampf, wie auch in dem neuen Reichstag, dem die Entscheidung über die künftigen Handelsverträge selbst zufallen wird, einen breiten Raum e,»nehmen. Im Anschluß au die Zollkämpfe haben sich zwischen den Parteien, und nicht bloS zwischen denen, die sich im Zollkampf feindlich gegenüber standen, scharfe Aus einandersetzungen entwickelt, die noch keineswegs rhr Ende gesunden haben. Solche Auseinandersetzungen haben insbesondere zwischen der Sozialdemokratie und der freisinnigen Volk-parm, welche in der taktischen Behandlung der Zolltarifvorlage wesentlich von jener abwich, einerseits, und zwischen der konservative» Partei und dem Bund der Landwirthe andererseits stattgefunden Besonders diese letztere Auseinandersetzung Hst so scharfe Formen angenommen, d ß der offene Bruch zwischen den beiden politisch verwandten Gruppen bc- vorzustehen schien, doch hat sich die beiderseitige Ab rechnung jetzt wieder in ein etwas ruhigeres Fahrwasser verlaufen Recht lebhafte Auseinandersetzungen haben sich auch in einem großen Theil der Presse über die Einstellung deS Verfahrens entspannen, daS gegen den „Vorwärts" und eine Reihe anderer Zeitungen wrgen Beleidigung der unlängst verstorbenen GeheimratyS Krupp emg» leitet worden war. Das sozialdemokratische C-ntrsI- organ hat stch selbstverständlich beeilt, diese Einstellung des Verrohrens als einen Triumph der Sozialdemokrat-' hinzustellen. Aber auch ein großer Theil derjenigen Blätter, welche in jener Astaire daS Vorgehen des sozialdemokratischen Blattes auf das Schärfste ver- urtheilt hatten, geben unverhohlen der Anschauung Aus druck, daß mau mrt der unerwarteten Einstellung der Verfahrens der Sozialdemokratie einen unverdienten Triumph bereitet habe, da sie sich mit dem Siege in dem von ihr veranstalteten Feldzuge brüsten könne. Der Feldzug gegen die unbotmäßige Regierung in Venezuela, die unter der Acgidc des Herrn Castro in ihrem Trotze verharrt, hat unterd-.ss-n seinen Fortgang genommen und auf dir scharfe Sprache der diplomati- scheu Rote» und Ultimaten ist die »och schärfere Sprache der Kanonen gefolgt. Unterdeß hat daS Vorgehen gegen Venezuela bereits eine weitere Basis erhalten, da sich auch Italien der d-utsch-englischen Aktion ai- geschlosse» hat. Und cS ist nicht ausgeschlossen, daß noch andere an dem antir eaezolanischcn „Dreibund" Anschluß suchen werden. Was Vie Bereinigten Staaten von Amerika betrifft, auf die sich Herr Castro zuerst stützen zu können glaubte, so hat die Washingtoner Regierung bisher eine unparteiische und loyale Halmng bewahrt, und eS steht zu hoffen, daß dies auch weiter hin der Fall sein wird, wenn die Herren im Weiße» Hause zu Washington auch unverkennbar von fthr starken Beklemmungen geplagt sind. Aber die Chauvi nisten in Amerika finden diesmal keine Handhabe, sich auf ihre Monroe-Doktnn zu berufen, obwohl die amerikanische Jingo-Presse, felundirt von einem Theil der englischen Presse, sich in der albernen Hetze gegen Deutschland überschlägt. Unterdeß scheint übrigens auch in Venezuela selbst die Bewegung gegen den Präsidenten Castro, die er unlängst mit Mühe niedergeschlagen hatte, wieder an Umfang und Bedeutung zu gewinnen, sodaß man bald mit einem Doppelkriege in Venezuela wird rechnen müssen, mit dem äußere« Kriege und dem Bürgerkriege. Mitten im Bürgerkriege befindet sich auch wieder die Republik Haiti, wo die Verhältnisse, oder richtiger ge sagt die Mißverhältnisse, mit denen in Venezuela viel Aehnlichkeit aufweisev. I« Haiti iK wieder Präsidenten wahl und dabei führe« nach alter Gewohnheit die Flinten daS große Wort. Ein internationales Sorgenkind der Mächte ist zur Zeit auch wieder Mazedonien, aber die Mächte find offenbar entschlossen, die mazedonische Sorge nicht allzu stark anwachscn zu lassen. Die Reise des russischen Ministers Graf LambSdorf nach Wien kann als ein Beweis dafür aufgefaßt werden, daß zwischen der österreich-ungarischen und der russischen Regierung Ein- müthigkeit über diese komplizirteste aller Balkansragcn b-strht. Und deshalb kann mau hoff:», baß die Wolk.n welch: sich zur Zeit in diesem europäische» Werter winkel zusammenzichev. sich zu keinem allzuschwerev Unwetter verdichten werden. Die Personentartfreform der Sächsischen Staats-Eisenbahnen In der bereits erwähnten Denkschrift, die von oer Sächsischen St-mtsre-fi-rung den übrigen deutschen Regierungen und den Mitgliedern des Eifenbohnrathe? zugestellt worden ist, sind die G undzüge der b.ab- lichtigten Reform und dir Gründe, die sie rechtfertigen, in ausführlicher W-:se und mit Unterstützung eines umfassenden Zifferrwerkes dargelc^t. Zunächst begründet die Denkschrift die Mangel uastigkeit dec jetzigen Eiftubahu-Personenlorift, Vie aus ihrer geschichtlichen Entwickelung zu erklären ist und die auf der einen Seite dem Publikum kaum wehr ermöglicht, selbstständig di? zweckmäßigste Reise- irt herauszufinden und andererseits den Dienstbetrieb der Eisenbahn immer mehr erschwert und ihren Ber waltungsauswanb immer mehr erhöht. Der wieder holte Versuch, durch gemeinsames Vorgehen der deut schen Regierungeu mn Eisenbahnbesiy diesem Zuftnudr ein Ende zu bereiten, scheitert bislang an der Ve» schicdeuatligkeii der Verhältnisse und Jntcrcsstn in dem ausgedehnten Gebiet? des Deuts den Reiches, ohne daß sie Forderung de- Reform von der Tagesordnunc verschwunden wäre. In Sachsen besonders sand si Unterstützung durch eine Anregung ouS dec Mitte der Siändeversammluag. Js: B richte der Finonzdepulativi- A der Zweiten Kammer über Kapitel 16 des ordert, üchen Staatshaushalts für 1902/03 heißt es auf Seite 50: „ES wurde weiterhin angeregt, daß war. doch ans Abschaffung d r Riicksah. karten Mommer und billigere emfache'BiLets sinführen möchte, die im Preise so hoch a. st llt werden, daß keine Minoe:- einnahrmn entstehen. In der hierüber mit der Re gierung statigesnndenen Berathung erklärte die letztere, daß der Wegfall der Rückfahrkarten ihr nur erwünsch! sein würde und si? daher diese Anregung begrüße. Natürlich dürfe ein Ausfall für die Einnahmen der Bahn durch eine solche Maßregel nicht cintreten. Es feien auch Erörterungen in dieser Richtung eingelcitet, aber noch nicht zum Abschlusse gelangt." Diese Er örterungen sind seitdem ununterbrochen fortgesetzt worden und nunmehr soweit gediehen, daß die General direktion der Staatseis-nbahnen beauftragt werden konnte, vor endgiltiger Entschließung der StaatS- regierung den Eisenbahnrath über die einzelnen R-formvorschläge zu hören. Fraglich könnte eS zunächst erscheinen, ob sich da? selbstständige Vorgehen der sächsische« StaatSeisen. bahnen mit einer einschneidenden Reform auch ohne den Beitritt der übrigen deutschen Eisenbahnverwaltungen empfiehlt. Die sächsische StaatSregierung bejaht diese Frage mit Rücksicht darauf, daß eine Abwartung der Einigung aller deutschen Verwaltungen einer Ber- schiebung der Reform auf unabsehbare Zeit gleich- kommen würde. Sie glaubt vielmehr, daß ein energi scher Schritt vielleicht bahnbrechend wirken und den gewünschten Erfolg mehr beschleunigen werde, als er- neute langwierige Verhandlungen. Die Personentarif- reform, wie sie für Sachsen geplant ist, bezweckt in erster Linie die weitgehendste Vereinfachung der Personentarife durch Beseitigung aller AuSnahme- Einrichtungen, für welche nicht ganz gewichtige Gründe sprechen. Als ihr Kernpunkt ist die Aufhebung der Einrichtung der Rückfahrkarten zu betrachten. Die Gründe für diese Beseitigung sind bekannt u-'d viel seich erörtert. Hier s i nur bemerkt, daß die Em- - ich'urig der Rückfahrkarte vor Allem den Grundsatz Vor Gerechtigkeit und Gleichmäßigkeit der Tarife durch bricht und daß heute der AuSnahmetaris zur Regel und der normale Tarif zur Ausnahme geworden ist. Aber auch vom tarisiechnischenStandpunkte hastenden Rückfahrkarten die schwersten Mängel an. Aus den ächsrscheu Stationen liegen allcin 48 000 Sorten Rückfahrkarten auf, von denen 43 700 Sorten dem Binnenverkehr dienen. Die Zulassung der wahlweise» Giltigkeit über verschiedene Bahnweg' schafft dazu äußerst verwickelte Verhältnisse. So geO n zur Zeit von den vorhandenen Rückfahrkarten 91.90 Sonen über 2 Wege, 1590 üb.r 3 und 790 Sorten über mehr als 3 Wege. Hierzu kommen aber auch noch 251 Sv'ien Umwegkarten. Alle diese verw'ckelten, den Dter.st erichwerenden und das Publikum oec- wirrc ^n B"'M isst beseitigt die Erziehung der Rückfahrkarten mit einem Siste.gr. Und sic beseitig auch d e große Zahl der durch das System verur sachten Fahrgeldreklamationru, di- bei einem Rück- rahlungSbetrage von rund 50000 Mark jährlich der Veiwaduna noch etwa 18 000 Mark jährlichen Vee. waltungsoufwand verursachen. Da die größeren österreiiischen Verwaltungen mit Au-nahme der Süd- b chn ebenfalls keine Fach Preisermäßigung für Hin- und Rück ahrt aewäh en, so können auch noch 568 Sorten solcher Kurten im Verkehr mit Oeste. reich Ungarn wegfalleu, dagegen würden selbstredend im Verkehr mb solchen Bahnen, die noch Fahrpreis ermäßigung für die Rückfahrkarten gewähren, die Rückmhrkaneu noch bi tzubehalt n sein. Dies wü-.de» 3600 Sonen im Verkehr mit deutschen und 74 Sorten im Verkehr mit fremden Bahnen sein. Hiernach würden von sämmtlichen Rückfahrkarten 92,3 Prozent wegfallen kö- nen und nur 7,7 Prozent zunächst noch beizubeholt-n sein. Wichtig für das Publikum ist nun die Frage, in welcher Weise .hm für die wegsallende B-qu..-»- lichkeit, die Fahrkarte zur Rücksahn zugleich in oer- jenigen sür die Hinfahrt mitzulösen, Ersatz geboten werden kann. Zunächst ist hier beabsichtigt, mit Er richtung zahlreicherer Siadtverkaufsstcllen sür gangbare Kartensorten in Geschäften und Gasthäusern einen B rsuch zu machen. Vornehmlich aber soll die be sondere Einrichtung getroffen werden, daß überall und stets die Karte für die Rückfahrt zugleich mit derjenigen sür die Hinfahrt gelöst werden kann Da- bei wird die erstere mit dem Datumstempel daS be ¬ sondere Kennzeichen: „Rücks." erhalte«. Eine so ge kennzeichnete Karte gilt dann nur für die Gegen richtung, auch soll ihre zeitliche Giltigkeit wie die der Katte zur Hinfahrt auf den LösungStag beschränkt sein. Diese Beschränkung ist geboten, wenn nicht die Schwierigkeit, deren Beseitigung die Reform anstrebt, von Neuem eintreten soll. Für den Massenverkehr (Ausflugs-, Jahrmarktsverkehr u. dergl.) genügt die Maßregel jedenfalls. Für länger dauernde Reisen wird nach Wegfall der Ermäßigung zur Entnahme der Rückfahrkarte bei Antritt der Hinreise um so weniger ein dringendes Bedürfniß vorhanden sein, als in vielen Fällen die unnöthige Festlegung deS Rück weges Nachtheile bringen kann. Bei der nothwendigen Neuregelung der Fahr preise wird von der öffentlichen Meinung, die eine durchgängige Ermäßigung der Fahrpreise als den Hauptzweck der Reform betrachtet, die Herabsetzung der Fahrpreise für alle Fahrkarten auf die Hälfte der jetzigen sächsischen Rückfahrkartensätze erwartet. Da mit würde gegen die einfachen Preise eine Ver billigung von 33'/g Prozent eintreten. Die sächsische Staatsregierung sieht sich jedoch in der ihr obliegenden verantwortlichen Fürsorge für die Finanzen deS StaateS und zugleich in Beachtung der ihr von der Stände- Versammlung gegebenen Direktiven außer Stande, diesen Weg einzuschlagen. Zu beachten ist hierbei vor Allem, daß in Sachsen die jetzigen Rückfahrkartenpreise sür Personenzüge ganz außerordentlich billig, nämlich in Höhe von nur 133'/g Prozent der einfachen Fahr preise, gebildet sind, während sie in Preußen 150 Prozent, in Süddeutschland 142,5 Prozent bis 166,25 Prozent deS einfachen Preises betragen. Bei dem Suchen nach einem diesen Verhältnissen Rechnung tragenden Maße der zu gewährenden Ermäßigung legte sich gezwungen der Gedanke nahe, auf die Rück- sahlkartenjätzs des großen preußischen Netzes zuzu kommen, also als Einheitssätze die Hälfte der preußi- 'che: Rilckfahrkartemätze anzunehmen. Da die jetzigen halben Sätze für Rückfahrkarten betragen: in Sachsen in 1. Klasse 5.34 Pf., in 2. Klasse 4 Pf., in 3. Klaffe 2,67 Pf., in Preußen 6 Pf. in 1. Klasse, 4,5 Pf. in 2. Klosse und 3 Pf. in 3. Klasse, so ergiebt sich bei Annahme dieser letzteren Sätze eine Erhöhung von 0 66 Pf., 0,5 Pf. und 0,33 Pf. — Die Regierung oeabsichiigt, den Say für die 1. Klaff? noch um I Pfennig exp-a, also auf 7 Pf. zu erhöhen, dann ergiebt sich bei den neuen Sätzen gegenüber den Sätzen sür einfache Fahrt von 8 Pf. in 1., 6 Pf. in 2. und 4 Pf. in 3. Klasse eine Ermäßigung von 12,5 Prozent in 1. und von 25 Prozent in 2. und 3. Klasse, und .egenübec den jetzigen halben Rückfahrkartennreisen ine Erhöhung von 31,21 Prozent in 1., 12,5 Prozent >n 2. und 12,57 Prozent in 3 Klasse, während die Preise der 4. Klasse unverändert bleiben. Bon der Ermäßigung weiden betroffen 7,34 Prorent, von der Ercohung 48,41 Prozent der Reisenden. Der Schnell- zugSzuschlag wird beibehalten. Ec beträgt 1 Pf. in jeder Klasse für das Kilometer, und es betragen hier nach eie SchnellzugSsätze 8 Pf. in 1., 5,5 Pf. in 2. und 4 Pf. in 3 Klasse; sie ermäßiget: sich also gegen die jetzigen Schnellzugssätze bei einfacher Fahrt nm 11,11 Prozent in 1., 17,54 Prozent in 2. und 14,35 Prozent in 3. Klasse und erhöhen sich gegen die jetzigen Rückfahrkartenpreise mit Zuschlag um 26,18 Prozent in der 1., 10 Prozent in der 2. und 8,99 Prozent in der 3. Klasse. Nach der der Denkschrift veigegebenen BergleichStabelle treten für die Hin- und Rückiahrt in Prlsonenzügen auf 10 Kilometer Ent fernung — auf welche fast die Hälfte aller Reisen -ntMt — überhaupt nur Erhöhungen von 5 bis 10 Heilig-Abend. Von Freiherr von Wangenheim-WölfiS (Nachdruck verboten) Ei« bleicher, dämmernder Abend hielt die Land schaft umschlösse«- Auf der Straße nach der hollän dischen Grenze schritten zwei Mänuer mit dumpfen, schweren Tritten. Die Wettermäntel fest um sich ge zogen, die Mützen tief in die Augen gedrückt, achteten sie wenig auf den heulenden Sturm, der ihnen den wässerigen Schnee ins Gesicht peitschte .... Wie aus weiter Ferne klangen zuweilen hin sterbende, klagende Glockeutöne an lhr Ohr: io dem Dorfe, aus dem sie kamen/luden sie die Christen zum Gebet. Den« eS war Heilig-Abend heute- Die beiden ernsten Grenzauiseher wechselten kein Wort. Durch das Toben des Wetters zog sie ihr Herz rückwärts «ach dem Herd, den sie verlassen; durch daS Heulen des SmrmeS glaubten sie die Stimmen ihrer Lieben daheim zu hören, wie die Mutter den Kleinen erzählt von dem Christkindlein, das in jedem Jahr herniedersteigt zur Erde, um seine Gaben den guten Kinder« zu spenden- Auch ihnen hatte einst die l ebe Mutter so er zählt am knisternden Feuer. Auch ihnen hatte sie einst den Christbaum augezüvdet und gar manche sauer verdiente Gabe darunter gebreitet- — Wie lange war doch all' das her! Im rauhe« Leben halb vergessene Lehre« wurde« lebendig i» ihrer Brust: auch sie hatten ja einst im frommen Kindcrglauben der Botschaft gelauscht, die der Engel des Herrn vor Zeiten den Hirten des Fel des verkündete in der Nacht, als das Christkind ge boren ward- „Friede auf Erden!" Für die beiden Wanderer aber war kein Friede i« der WeihoachtS-Nacht. An jenen Büsche» vor ihnen, wo die giftigen Redel de« Bruches mit schwe ren Schleiern die Gegend verhüllten, sollten sie ihre Weihnacht halten. An dem kleinen Wasserlauf, der die Grenz? gegen Holland bildet, sollten sie ihr Lager auischiagen, um den Schmugglern auf d^s Handwerk zu passen- Vom Sturme gepeitscht wogte der Nebel wie die errgte See; seltsame, weißliche Streifen zuckten hoch m die düstere Luft und legten sich wie Riescobänder um die unter der Gewalt des Wetters stöhnenden und ächzenden Erle« und Kiesern. DaS war eine Nacht, wie. sic die Schmuggler za ihrem lichtscheuen Thun lieben! Wenn all' die unheimlichen Kräfte der Natur io wilder Erregung, wenn Mensch und Thier sich eine Zuflucht vor den Dämonen der Finsteraitz suchen, dann glauben jene sich sicher vor deu Wächtern deS Gesetzes! „Hier wollen wir bleiben, Bürge," redete der eine Grenzer den andern an und warf den feuchten Postierstuhl auf die feuchte Erde- „Es münden hier zwei Wege, die durch daS Bruch vom Holländischen herbeisühreo, und wenn die Pascher heut' Nacht unter wegs sind, müssen sie hier durch " „Hast recht, Jens! In daS Bruch hinein wär' ich in der Nacht auch rocht gegangen. Ich thu'S bei Tage nicht gern, geschweige bei die,er Dunkelheit." „Teufel, wie das weht! — Dort an den Büschen haben wir etwas Schutz gegen das Unwetter uns können das Bruch gut übersehen. Ra, ich denke, die Nacht wird doch auch vorüber gehen, wie schon so manche andere!" „Aber erst eine Piep anstecke»! Nichts Hilst so gut gegen de« Schlaf wie ei« echter Knaster. Wär' eS beim Kommiß erlaubt, auf Posten zu rauchen, hält' ich nicht fünf Tage im Loch gesessen!" „Guck' an! Davon hast Du ja nie nichts ver lauten lassen!?" „Hm, Jens, da- war auch eine sonderbare Ge- schichte! — ES sind jetzt dreizehn Jahre her, 'S war auch grad' am Heilig-Abend, da stand ich Posten vor der Fahne im Schloßhose zu S- Ra, Du weißt ja, zu den Festtagen werde« die Herren Einjährigen, Lie mal irgend was verbrochen haben, mit VorUcbc zum Wachckloppen herangczogeu, und so waren bei unserer Wache auch jo zwei Verbrecher- Vom viele» Posteostchcn waren sie aber gerad' kcine Freunde, uni zo waren wir übereingekommcn, daß sie ein Fäßchen zum Besten geben, wenn wir die paar Stunden -ü- fie stehe« wollten- Kerlchen, das war ei« Fest, Mir that cS höllisch leid, als ich um 1 Uhr sür den Ein jährigen Müller — aber halt! was war Las? cZai das nicht ein Licht drüben im Bruch?" „Hab' nicht» gesehen! Aber ich denke, bei dem Wetter und bei der Nacht wagt sich kein Christen- mensch in daS Bruch hinein, den« ein einziger Tritt vom Wege wäre dort sicherer Tod!" „Und doch hab' ich ganz deutlich ein Licht flim mern sehu! — Glaubst Du an Irrlichter?" „Hm — hm! In meiner Heimsth, drunten in Schwaben, erzählen sich die Leute, dcß vor Jahren einmal ein Mann von einem Irrlicht? in ein Moor gelockt und dort elevdiglich versunken sei Aber unser Schulmeister sagte immer, daS wär' Dummheit. De: Mann würde wohl eine Maß über den Durst ge trunken und sich verirrt haben. Und das glaub' ick auch! Denn ich hab' mich auch schon manchesmal verlaufen, aber ein Irrlicht war gewiß nicht schuld daran." „Ich weiß nun doch nicht. Und zumal hier in dem verdammten Bruche ist schon alles möglich. Aber — um wieder auf meine Geschichte zu kommen, so halt' ich einen höllischen Aerger, als ich für den Ein jährigen Müller auf PoKen ziehen mußte In dem Fäßchen war gerade noch so viel, daß eS ausgerechnet eben leer geworden sein mußte, wenn ich nach zwei Stunden zurückkam. Doch, was hals'S? Ich pumpte mir daher schnell noch den Magen so voll, wie e» an- ständigerweise nur gehen wollte, und zog auf. — Dunnerlitzchen, hör' Dir, wie ich wieder munter werde, hat mich einer am Kragen gepackt und schüttelt mich nur so rum. „Nu, aber langsam," sag' ich noch so halb im Dusel, da schreit wich auch schon der Leu - nant Schwitzer, der d e Ronde hatte, an: „Wa» ist denn daS für'n Kerl, der da au» Posten schnarcht, wie ein Sch . . - ?" — „Einjähriger Müller." sag' ich. — „War, Einjähriger, Du Lüzenbengel! — Leucht' mal dem Kerl auf die Schulter!" schrie er die Patrouille an. — S'wir mir zwar nicht lächerlich zu Mute, aber da mußt ich doch hell auflache», mußt' doch der Leutnant nicht mal, daß auf den Posten- mäntcla natürlich keine Schnüre sind! Da üc habe ich dann 5 ..." „Still, Bürge, vergiß mal Deine Rede richt! Siehst Du das Licht, dort — halbrechts — im Brach — jetzt ist es fort, doch halt, oa taucht es wie.er auf — weg ist eS wieder! — Ich meine, eS wirb nicht mehr lange dauern, dann haben wir die Schmuggler auf dem Halse " „Bei Gott! Dort kommt es wieder zum Vor schein! Was cS auch immer damit sür eine Be- wandtniß haben möge, wir wollen unsere Gewehre laden: Vorsicht hat noch nie etwa- geschadet. Mir graust es zwar, wenn ich daran denke, daß ich auf einen Menschen schießen soll, den ich nicht einmal kenne und der doch auch mein Feind nicht ist. Und dazu in einer Christnacht. Was hat's schließlich auch zu sagen, wenn sie ein paar Pfund Kaffee oder eine Kuh 'mal herüberbriugen? So eia armer Teufel hat vielleicht hungrige Kinder zu Haus, für die er deu schweren Gang macht, um stch ein paar Groschen zu einem Stück Brot zu verdienen! Und dafür bekommt er hier vielleicht eine Kugel durch den Kops! I», ja, wen« die, welche solche Gesetze machen, sie auch auS- 'ühren sollten, und wenn sie wüßten, wie weh Hunger chut, den man selbst leidet, und wie viel schlimmer noch der ist, den man seine Lieben leiden steht, sie würden wohl etwas and reS hineinschrcibm." „Nun hör' aber auf mit Deinem Limenlicren. Ich will ja auch hoffen, daß eS ohne Blutvergießen abgeht. Aber da» ist gewiß: Die Gesellschaft, die eine solche Nach
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