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Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 21.12.1902
- Erscheinungsdatum
- 1902-12-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1841109282-190212213
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1841109282-19021221
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1841109282-19021221
- Sammlungen
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-12
- Tag 1902-12-21
-
Monat
1902-12
-
Jahr
1902
- Titel
- Hohenstein-Ernstthaler Tageblatt : 21.12.1902
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Pf. in 2. und 3. Klasse ein. Zu betonen ist dabei aber nochmals, daß alle Reisenden in Personenzügen, gleichviel ob sie eine einfache Fahrt oder eine Hin oder Rückfahrt unternehmen, zu denselben Rücksahr, kartenpreisen wie in Preußen besördert werden. Nur Schnellzug-reisende müssen 1 Pf. für da- Kilometer mehr als in Preußen bezahlen, wenn er sich um Hin- und Rückfahrt handelt, weil in Preußen die Rückfahr karten auch für Schnellzüge gelten. Darum sind die Blätter — wie wir hier einschalten —, die, sich mit ihrer besonderen Wissenschaft brüstend, behaupteten, Preußen habe den Beitritt zur Reform abgelehnt, weil er die Erhöhung der Tarife nicht wolle, auf ganz falscher Fährte gewesen, denn thatsächlich würde Preußen bei Annahme der sächsischen Reform noch einen Ausfall erleiden, also im Ganzen billiger be fördern als jetzt. Auch ist es irrthümlich, wenn be hauptet wird, der Durchgangsverkehr werde durch die eintretenden Erhöhungen ungünstig beeinflußt werden. Dies könnte doch nur bei Rückfahrkarten in Frage kommen, und auch da würden sich die Verhältnisse vielfach ausgleichev, wenn die sächsische Linie kürzer ist, als die Wettbewerbslinie. Bei einfachen Fahrten würde aber die sächsische Linie nur gewinnen. Als finanzielle Wirkung der neuen Einheitspreise auf die Einnahmen ergiebt sich nach dem Verkehrs- maße des Jahres 1901 eine Mindereinnahme gegen über dem jetzigen Ertrage für einfache Fahrkarten in Höhe von 1375611 Mark und eine Mehreinnahme gegenüber dem jetzigen Ertrage für Rückfahrkarten in Höhe von 2 796865 Mark, inSgesammt also eine rechnerische Mehreinnahme von 1421254 Mark. Die Regierung glaubt, daß, wie die eintretenden Erhöhungen das reisende Publikum keineswegs empfindlich belasteten, auch die rechnerische Mehreinnahme keinesfalls genüge, um eine vollständige Deckung der Selbstkosten des Personenverkehrs herbeizusühren. Und sie hält es nicht für richtig, wenn der Steuerzahler für den Eisen- bahnreisenoen Kosten ausbringen muß, denn die Kreise Beider decken sich nicht. — Diejenigen Ausnahme- einrichtungen, sür welche dringende Gründe wirthschaft- licher Natur vorhanden sind, sollen auch bei Durch- sührung der Resorm beibehalten werden, vor Allem die Monatskarten. Hier plant die Regierung die gleiche prozentuale Erhöhung wie bei den halben Rück- sahrkartenpreisen. Bei Entfernungen bis zu 10 Kilo- Meter, aus welche etwa drei Viertel aller Monatskarten entfallen, beträgt die Erhöhung 40 bis 80 Ps. in 3., 60 Pf. bis 1,20 Mark in 2. Klasse. Der Einheits satz für 1 Kilometer beträgt dabei, nur 60 Fahrten im Monat angenommen, in 3. Klasse nur 1,13 P'., bei Annahme von 100 Fahrten sogar nur 0,68 Ps. gegenüber dem normalen Satze von 3 Pf. Die Staatsregierung sieht diese Preise als das Mindestmaß dessen an, was für die Monatskarten anzurechnen sein wird, und erachtet sie nicht sür eine volkswirthschaft- lich bedenkliche Belastung des Verkehrs. Auch die Nebenkarten zum halben Preise der Stamm-Monats karten sollen beibehalten werden. Wohl hauptsächlich in Folge einer ständischen Anregung beschäftigt sich die Denkschrift noch mit einxr weitergehenden Er höhung der Monatskarten- und Nebenkarten-Preise, auch mit der Aushebung der Nebenkarten. Mi- Rücksicht au! die schwerwiegenden Gründe, die gegen diese Maßnahmen sprechen, legt die Staats- regierung auf die Neußerung des Eisenbahnrath-S io dieser zweifelhaften Frage einen ganz besonderen Werth. Beibehalten werden ferner die Schülerkarten mit ihrer jetzigen außerordentlichen Ermäßigung, ferner die Ar- beiter-Wochenkarten ohne Aenderung der Preisberech nung, die zusammenstellbaren Fahrscheinhefte unter Erhöhung auf die neuen halben Rückfahrkartenpreise. Auch an den im Deutschen Tarife vorgesehenen Aus nahmen — sür Kinder, milde Zwecke usw. — soll nichts geändert werden. Ebenso sollen die Berwalt- ungS-Sonderzüge — vielleicht sogar in erweitertem Umfange — und endlich die Gewährung der Frei gepäcks noch beibehalten werden. Dagegen sollen weg fallen die Arbeiter-MonatS- und Rückfahrkarten, ferner die festen Ruvdreisekarten, die Sonntagskarten und die Vergünstigung für GesellschastSfahrten. Unter Zugrundelegung des Verkehrs vom Jahre 1901 weist eine überschlägliche Berechnung als Ergeb- niß der Tarifreform eine Mehreinnahme von 1,840.171 Mark — 6,41 Prozent der Gesammteinnahme aus dem Personen, und Gepäckverkehr nach. Die Staats- regierung betont, daß mit Sicherheit auf diese Mehr einnahme nicht zu rechnen sei, wohl aber sei anzu nehmen, daß die Neuregelung sich auch in der ersten Zeit ohne jeden Ausfall vollziehen wrde. Mit den Resormvorschlägen wird sich zunächst der Verkehrs- aus schuß des EiseubahnratheS in der Sitzung am 8. Januar 1903 befassen. * * Zur geplanten Eisenbahnresorm berechnet ein Dresdner Blatt: Bisher kostete ein einfaches Billet DreSden-N. bis Leipzig im Personenzuge in 1. Klasse 9,30 Mark, in 2. Klasse 7 Mark, in 3. Klasse 4,70 Mark; hin und zurück ebenfalls im Personenzuge 12,40 Mark, 9,30 Mark und 6,20 Mk. Nach dem neuen Tarife stellen sich die Preise wie folgt; ein faches Billet 1. Klasse 8,10 Mk., 2. Klasse 5,20 Mk., 3. Klasse 3,50 Mk.; hin und zurück: 16,20 Mk., 10,40 Mk., 7 Mk. Außerdem ist für die Benutzung von Schnellzügen aus der genannten Strecke je ein Zuschlag von 1,20 Mk. zu zahlen. * * Berlin, 16. Dez Zur Eisenbahnresorm in Sachsen bemerkt die „Rat.-Ztg." u. A.: „Soviel wir wissen, ist man sich im prenßrschen Eiseubahum-uistcrium fett längerer Zeit darüber klar, daß die Tariffrage ihre Lösung auf dem jetzt in Sachsen geplanten Wege finden muß. Man hielt nur den Zeitpunkt noch nicht sür gekommen. Geht nun aber Sachsen auf dem bezeichnete Wege vor, so dürste es sür die preußisch-hessische Eisen bahngemeiuschast gerathen sein, das Beispiel alsbald zu befolgen, und den Schritt schon jetzt zu thuu, von dessen Nothweudigkeit für eine spätere Zeit mau sich hinlänglich überzeugt hat. Er ist zu hosten, daß dar nach auch die anderen Eiuzelstaaicn nicht zurückstehcn und allgemein ein einheitlicher vereinfachter Tarif Durchführung kommen wird." «hemaitzer Bries. Chemnitz, 19. Dezember. Unser Städtchen wird „Großstadt", hört man hier immer sagen, wenn sich was Neues austhut und das ist in letzter Zeit recht häufig der Fall gewesen. Aber auch Altes kehrt wieder! Es ist noch nicht lang, her, als die Nachtwächter abgeschafft wurden und mit dem Neujahr haben wir solche wieder, nur mit dem Unterschied, daß sie nicht von der Stadt angestrllt werden, sondern von einer Genossenschaft und daß ihr Wirkungskreis ein größerer sein wird, als ihre be rühmten Muster. Am meisten freuen sich die Ehe- männer darauf, denen die Frau den Hausschlüssel vor- enthält. Bor den Häusern gcht der Wachmann aus und ab, jede Minute bereit, dem Manne ohne Schlüssel daS Hausthor zu öffnen. Der Privatwächter har ja eine Liste, auf der alle Hausbewohner verzeichnet find, sei es Hauswirth oder Miether, Asiermiether oder Dienstpersonal. Der Wächter steht nach Feuer und Licht, Gas- und Wasserleitung, er läßt des Nachts Niemanden aus dem Hause heraus, wenn Sachen mit- genommen, d. h. „gerückt" werden soll. Er läßt kei nen Spitzbuben in das Haus hinein, weckt, wenn Gefahr droht, die Hausbewohner, holt Hilfe herbei, falls sie gebraucht wird; er geht zum Arzt wie zur Hebamme, das ist ihm ganz egal. Strenger als das männliche Geschlecht soll das weibliche beim Aus- und Eingang bewacht werden. Der Nachtwächter soll auch streng auf Beobachtung guter Sitten sehen, also eine Vielseitigkeit besitzen, die man seinen ehemaligen Kol- legen nicht abverlangte. Uns will es scheinen, als muthe man den Leuten etwas zu viel zu. Die Be wachung eines Hauses mit einem Eingang kostet mo- natlich 2 Mark; unter 100 M. wird ein handfester, zuverlässiger, umsichtiger, ehrlicher und sittenreiner Mann nicht zu haben sein, er muß also 50 Häuser überwachen, wenn sein Gehalt gedeckt sein soll. Da aber nicht jeder Hausbesitzer einen Nachtwächter enga- girt, die Schutzbefohlenen der letzteren räumlich aus- einanderliegev, so muß daS neue Institut seine Zweck- Mäßigkeit und Existenzfähigkeit erst noch beweisen. — Außer der Besserung der sittlichen Verhältnisse, welche das Wachirstitut mit anstrebt, steht ein weiterer Fort, schritt in Aussicht: Für Schanklokale mit weiblicher Bedienung soll eine Polizeistunde von abends 10 Uhr eiogesührt werden und was dabei noch die Hauptsache ist, die Anstellung von Kellnerinnen unter 30 Jah ren soll ganz verboten sein. Der Zeitpunkt desEin- wittS dieser Neuerung ist noch nicht festgesetzt, angeregt worden ist sie von den deutschen Gastwirthsgehilfen. Am Donnerstag gingen die Stadtverordneten über diesen Antrag nochmals zur Tagesordnung über. So bald aber die Gastwirthsgehilfen die Mehrheit im Stadtverordnetcnsaal erlangen, werden sie ihrem An trag auch Geltung verschaffen. Die weitere Folge davon wird sein, daß die Handlungsgehilfen mit einem gleichen Antrag kommen und noch verschiedene mehr. Aus den Fabriken möchte man das weibliche Personal auch gern verbannen, nur wissen wir nicht, ob da auch derselbe Altersunterschied wie im Gastwirths- gewerbe gemacht werden soll? Uns muß schon ge- nügen, daß die Gastwirthsgehilfen die unhaltbaren (?!) sittlichen Verhältnisse erkannt, auf dieselben aufmerksam gemacht haben und auf Abhilfe dringen. Was aber aus all den Mädchen unter 30 Jahren werden soll, wenn sie keine Beschäftigung mehr haben, das ist ein Räthsel, dessen Lösung sich die Antragsteller als eine ihrer vornehmsten Aufgaben ansehen müssen. Das Einfachste würde es sein, wenn jedem Mädchen bald nach seiner Geburt ihr zukünftiger Mann und zwar ein solcher, dessen Vermögeusverhältnisse einen weib lichen Erwerb cuSschließen, zugewiesen werden könnte. Vielleicht hätten wir solche idealen Verhältnisse be- kommen, wenn Professor Schenk in Wien nicht zu früh gestorben wäre. — Für die Beschäftigung der Arbeits losen während, des Winters haben die städtischen Be hörden vorläufig 40,000 Mark bewilligt. — In der inneren Stadt verschwinden im Laufe des nächsten JahreS wieder vier alte kleine Häuser, zwei an der Lange- und zwei an der Kroncnstraße, an deren Steve rin großes neues Eckhaus erstehen wird. Dadurch wird die enge Kronenstraße wesentlich verbreitert, was der Stadt nur 15,000 Mark kostet. — Im übrigen bot die letzte diesjährige, am Donnerstag abgehaltene Stadtverordnetensitzung nichts Interessantes. Alle RathSbeschlüsse wurden einstimmig für gut befunden. Nur gegen die Aufnahme eines DarlehnS von 3000 Mar? seitens der Lukaskirchengemeinde stimmten die Sozialdemokraten. Das machen diese Leme stets so, wenn eS sich um die Kirche handelt. Diesmal wür den wir mit ihnen gestimmt haben, denn rin Darlehn von 3000 Mark für eine nach Tausenden von Köpfen zählende Gemeinde ist doch recht wenig. Werden doch zu anderen Zwecken durch freiwillige Gaben größere Summen gesammelt. Ein Erfolg stand jedoch auch sür die Gegner nicht in Aussicht, selbst wenn sie die Mehrheit gehabt hätten, das Darlehn nämlich hatte sich die LukaSgcmeinde bereits — auszahlen lassen. — Bei der Wahl des Vorstandes, der aus einem konser vativen Vorsitzenden, zwei vationalliberalen Stellver tretern für denselben und zwei kreuzkonservativen Schriftführern besteht, machten die Sozialdemokraten — wie wiederholt bei der Wahl eine« Stadtrathes — keinen Versuch, einen der ihrigen in das Bureau zu bringen. Ganz wie im Reichstage, wo sie auch auf einen Sitz am Borstandstische verzichten, den sie sonst aber, wie bereits berichtet, in letzter Stadtverordneten sitzung naturgetreu kopirten. Ob. Uermifchtes. BreSlau, 18. Dez Der am 16. d MtS. im Alter von 61 Jahren verstorbene Bankier Otto Springer hat den Hauptthcil seines auf eine Million Mark ge schätzten Vermögens seiner Vaterstadt Breslau vermacht. Genua, 18 ^ez. In einem hiesigen Hotel er schoß sich heute ein Liebespaar, der Marchese Fran« zesco Reggio und die Gräfin de Capei, die Schwester eines Flügeladjutanten des König». Die Gräfin war die Gattin des Hauptmanns Casitto und Mutter dreier Kinder. Kopenhagen, 17. Dezember. Der schwedische Dampfer „Öresund" überrannte im Kattegat den dänischen Dampfer „Cimbria". Auf der „Cimbria" ü folgt? bei dem Zusammenstoß eine Explosion, bei welcher der Steuermann schwer verletzt wurde, daun versank das Schiff sofort in den Wellen. London, 17. Dezbr. Auf dem Shannon-Fluß sank in der vergangenen Nacht in der Nähe von Tarbert ein zu dem Schiff „Columbia" gehöriges Boot, in welchem sich der Kapitän, der Steuermann, der erste Ingenieur und zwei Matrosen des genannten Schiffes befanden. Alle sind ertrunken. WitU, 19. Dezember. Bei dem Versuch, die 3000 Meter hohe Bergkette zu übersteigen, welche Virgen vom Defirggenthal in den Hohentauern trennt, stürzten drei Personen ab. Zwei der Verunglückten sind todt, einer schwer verletzt. * Ein Ingenieur in Mo«K hat einen Apparat er funden, der die Explosion schlagender Wetter in den Kohlenbergwerken verhindern soll. Der Apparat wird in nächster Zeit in den Gruben von Frameries auf seinen praktischen Werth geprüft werden. * Hagen, 13. Dezember. Die Thai eines Trunken boldes., Der Arbeiter Feick in Herdecks bei Hagen kam in betrunkenem Zustande nach Hause. Als ihm von seiner 20jährigen Tochter Vorwürfe gemacht wurden, ergriff er eine brennende Lampe und warf sie dem Mädchen an den Kopf Die Lampe explodierte und setzte das Mädchen in Flammen. Auf die Hilferufe herbejeilende Nachbarn veranlaßten den Transport des Mädchens nach einem Krankenhaule in Hagen, wo cs nach entsetzlichen Qualen seinen Verletzungen erlegen ist. Der Vater des Mädchen- >st verhaltet worden. * Von dem Kriegsgericht zu München wurde ein Oberleutnant, der gelegentlich einer Sitzung des Kriegs gerichts einem soziald mokratischen Redakteur nachgerufcn hatte: „Der Herr Zeilungsschmiercr drückt sich", zu einer Gclnstra'e von 10 Mk. verurtheilt. nicht schreckt, ist zu allem fähig. — Ich will mich dort unten an den Bach legen, wir lasten die Kerle über das Master herüberkommeu und während Du sie anrulst, schneide ich ihnen den Rückweg ab. Ich denke, sie wer den keinen Widerstand mehr leisten." Mit diesen Worten steht Jens am, wirst die Büchs, über die Schulter und ist bald im Nebel verschwunden, während Bürge aus seinem Posten zmückbleibt. ES ist mit der Zeit kälter xewo.den, eine leichte Schneedecke hat sich über die Heide gebreitet und ihr fahler Schimmer verwebt sich mit den Nebeln des Bruches Auch der Sturm hat seine Heftigkeit gemindert, Sein wildes Pfeifen und Heulen ist zu einem hohlen, schweren Brausen herabgestimmt. Gespenstisch aus dem Nebelmeer emporragend bewegen dazu die Erlen ihre kahlen, starren Acste, hin und wieder änstlich stöhnend, wenn der Wind eine neue Tonart anhebt. — In dem geisterhaften Weh n der Mitternacht scheinen vicse Töne übernatürlichen Wesen anzugehören. Vornüber gebeugt, ein Bild gespanntester Ausmcrk- samkeit, fitzt der einsame Grenzaufseher in seinem Stuhle. Die aufs äußerste angestrengten Sinne saugen die Stim men der Nacht in sich ein, jeden neuen Ton sorgsam aus seine Abstammung prüfend. Doch so scharf er auch lauscht kein Menschenlaut läßt sich vernehmen, und allmählich be- ginnt sich Sie Erregung der Nerven zu legen, die Ge- danken schweifen ab nach seinem Heim. Im traulichen Stübchen sieht er seine Lieben schlafen, das Jüngste eng an die Mutter geschmiegt, an sein Weib, das ihm gefolgt war in das rauhe Leber der Grenze, das willig Kummer und Noth mit ihm trug! — das auch heute, wie schon so oft, sich wohl um ihn bangte! — Das kleine Lichter- Bäumchen hängt von der Decke, daS er seinen Licbm anzünden will, morgen früh, wenn er nach Hause kommt! -- Ja, morgen, wenn er heimkehrt! — Ein seltsames Bangen ergreift ihn. — Morgen — was wird morgen sein? Wird Blut an den Händen klebcn, mit denen er die Lichter zu Ehren seines Herrn und Heilandes anzüncen will? Menschenblut? — Wird vielleicht zur selben Stunde ein fremdes Weib schmerzzerwühli vor eben dem Heiland auf den Knieen liegen und mit irrem Blick ihn verzweifelnd verklagen als Mörder ihres ManneS, de- Vaters der in Lumpen gehüllten, schuldlosen Kinder.deren herzzerreißendes Schreien nach Brot jenen vielleicht hinauSgemeben hat auf den Pfad deS Verbreche s? — Oder weint man um ihn selbst? Wird er dort liegen auf der schneeigen Heide, ein stummer Mann, Flecken von rothem Herzblut färbend in daö weiße Leichentuch der Natur? — Sieh — wir die Nebel dort heranwallen, als wollen sie mich decken zum letzten Schlaf! — Wie sie die weißen Hände ge spenstisch zum Himmel recken — vom Wind getrieben wallen sie auf und nieder, fliehen und kehren sie wieder, kommen sie näher und näher! — Hinweg! — hinweg! Wollt ihr mich greisen mit euren Schattcnarmen, wollt ihr mich brtfö.en, ihr Geisterstimmen der Luft? — Willst du mich erUänken in deinen Fluchen? Wie cs gurgelt und quillt, wie das Wasser murmelt und rauscht — das Wasser? — Ja dort im Bach! — Jetzt wieder! Was ist das? — Ah! . . . Die Büchse krampfhaft umspannt springt der Be- amte auf — die Schmuggler sind da! — Verflogen sir!d die Gedanken an Weib und Kind, vorbei das Grauen, verschwunden der Spuk der Mitterlacht! Bon Fleisch und Blut wi- er sind die, welche dort heranschleichen, mit kaltem Blut faßt er die Waffe schußzerecht, was er auch immer denken mag — zu ihun aiebi'S jctzt nichts anderes als die Pflicht! Bor ihm klingen schlürfende, hastige Tritte und aus dem Neb--l heraus tritt eine dunkle Gestalt mit schwerem Packen «ul dem Rücken. Sie bleibt stehen und horcht halb zulückgewendet, jeden Augenblick zur Flucht bereit Doch es ist nichts zu hören, als das eintönige Pfauchen des Winde», d r durch die kahlen, knarrenden Aeste streicht. Sie neigt sich vor, legt die Hand über die Augen und dreht langsam musternd den Kopf nach allen Seiten. Der wolkenschwere Himmel und das flimmernde Schneefeld geben ein seltsam ungewisse» Licht. Die Konturen der Büsche scheinen größer geworden zu sein seit gestern, doch da» befremdet den Mann nicht, der durch jahrelange Erfahrung wohl vertraut ist mit dem Einflüsse, den bei ungewissem Licht die Nacht auf da» Aurschen einer Gegend aus- übt. Er kann nicht» ungewöhnliche» entdecken und setzt seinen Weg fort, halblaut vor sich hinpfeifend: da» verabredete Zeichen für seine Gefährten, solange der Weg frei ist. Zwei, drei Köpfe tauchen nun au» dem Rebel auf, nach und nach kommen die Gestalten zum Vorschein, die schwer belastet ihrem Führer folgen. „Halt! Grenz-Beamter!" Wie au- dem Boden gewachsen stand Bürge, der bis dahin hinter dem Gebüsch sich versteckt gehabt hatte, vor den Schwärzern, deneu der plötzliche Schreck wie ein Blitz durch die Glieder fährt und einen Mo ment lang daS Blut im Herzen stocken macht. M't einem Blicke aber hoben sie erkannt, daß nur ein ein zelner Mann ihnen gegenübersteht, der nach der In struktion nur zur Selbstvertheidigung von seiner Wisse Gebrauch machen darf: Die Packen fliegen zur Erde, und die Pascher wenden sich zur Flucht. — „Halt! Oder ich schieße! Halt! Grenzbeamter!" Bon zwei Seiten gleichzeitig tönt diesmal der Rus von vorn und von rückwärts. Jens hat ihnen drn Rückweg abgeschmtten! Jetzt wird es bitterer Ernst! Die Holländer wissen, daß, da es zwei Be amte sind, dieselben daS Recht haben, auf sie zu schie- ßen, wenn sie auch nur eine Bewegung zur Flucht machen — sie bleiben stehen, regungslos, aber wie gestellte Katzen zum Sprung bereit. Ihr Führer hat beide Hände auf dem Rücken geborgen und sicht mit ruhigem, prüfenden Blicke den heraneilenden Bürge an. Jctzt ist derselbe nahe genug die rechte Hand des Schmugglers zuckt nach vorn: eia kurzer peitschen- ntiger Knall, daS dumpse Schlagen der Kugel, ein kurzer herber Schrei und der Beamte stürzt vornüv:r zu Boden. Einen Augenblick noch starren die Schmuggler wie vom Schrecke gebannt nach ihm hin, dann wenden sie sich in rascher Flucht nach der Grenze, aber nur, um dem zweiten Beamten in die Arme zu laufcn, der sie umgangen hat und ihnen jetzt den Rückweg ver sperrt. Mit erhobenem Gewehr wirft sich Jens den Flüchtigen entgegen und will sie aufhalten — doch von Furcht gehetzt und angesichts der Sicherheit bie tenden Grenze achten diese daS drohende „Halt!" ge ring. — „Auf ihn!" schreit eimr — da blitzt eS aus — ein markerschütternder Schrei — die dunkle Ge- statt eine- ManneS sinkt iu die Kniee, schnellt wieder empor, springt ein paar Schritte weiter, dreht sich ein paarmal um sich selbst und stürzt dumpf stöhnend in daS aufplätschernde Wasser des Baches, der die Grenze bildet. Ohne zu zögern springt der Greuzbeamte ihm nach in daS eiskalte Wasser und zieht ihn mühsam ausS Trockene hinauf. Dann beugt er sich über ihn. Unter weitgröffneten Lidern starren ein paar unbeweg liche, verglaste Augen aus einem blutüberströmten, schmerzverzerrten, eingefallenen Gesicht zum Himmel — der Mann ist todt! Die ohne zu zielen abgefeuerte traf nur zu gut! Der Tod iu der Christnacht. Erschauernd richtet sich JenS aus, ein plötzlicher Frost scheint ihn zu packen, hörbar schlagen ihm die Zähne aufeinander. Hier kann er nichts mehr helfen — doch, wo ist sein Kamerad? Er hat vorhin den Schuß wohl gehört, auch den Schrei. Doch war er selbst beschäftigt geuug, sich seiner eigenen Haut zu wehren, die Ereignisse folgten so Schlag auf Schlag, er hat gar nicht mehr an seinen Kameraden, an Bürge gedacht. Er dreht sich um nach den Büschen z r, wo sie postirt waren, dort heben sich deutlich vou dem schneeigen Boden die Umriffe einer Gestatt ab. Mit raschen Satze eilt er zu ihr: e» ist Bürge und er lebt! Freilich, wenn der Zustand noch Leben ist — Der Verwundete hat ihn erkannt. Er hebt müh sam den Arm ein wenig vom Boden und läßt ihn schwer wieder sinken. Dann v ill er sprechen! Er versucht den Kopf zu heben, die GefichtSmuSkeln zucken krampfhaft, ein dumpfe- Acchzen, daS in schweres Röcheln übergeht, ist der einzig hörbare Laut. Dann strömt dicke» dunkle» Lcbentblut au» dcm Mund der Verwundeten in den Schnee hinab! Dem im rauhen Greozer-Leben hart gewordenen Jens krampst sich bei diesem Anblick das Herz zu sammen. Fast instinktiv ergreift er den Kameraden und trägt ihn zu dem Postier-Stuhl, auf den er ihn sanft nicdcrlegt und mit kem eigenen Mantel sorg sam zudeckt. Weiter kann er hier nicht» helfen, er will eS nicht ausdenken, daß hier überhaupt nicht» mehr zu helfen ist! Roch einen Blick wirft er auf den nur mühsam nach Atem ringenden Freund, daun rennt er in die Nacht hwein zum Dorfe, um Hilfe herbei zu holen. — Wieder rufen die Glocken zum Gebct, zur Früh messe am Geburtstage des Herrn! Bleiern, dumpf, wie Uvhei' kündend am Morgen des Heils, klingen ihre Schläge durch die schneegefüllte Luft! Die Hau»- thüren im Greozdorfe öffnen und schließen sich fast lautlos und mit hohlen, durch den Schnee gedämpfte» Schritten eilen die Gläubigen zur Kirche Auch die Thüre von Bürge'» WohohanS öffnet sich, zEm bleiches Weib mit wirrem Haar und rothgeweinteu Augen blickt die Straße hinab — zum hundertsten Male wohl schon au diesem Morgen. Und ihr Manu kommt nicht! Schon lange müßte er zu Hau» fein! Sie hat sich so gebangt um ihn die ganze Nacht, iu wirren Träumen hat sie ihn um Hilfe rufen hören, daun ist sie aufgesprungen und an'» Fenster geeilt hat hiuau-gehorcht auf die stille Straße! Und noch immer ist er nicht da! Gott im Him mel. giebt c» nicht zu, daß ihn ein Unglück getroffen hat! Laß ihn gesund und frisch zu feinem Weibe, zu seinen Kindern zurückkehre»! Doch halt! ich höre Schritte! — Kommen dort nicht Männer — sie gehen langsam, schwer und müh sam ringen sie sich vorwärts durch de» tiefen Schnee. Sie kommen näher, sie find ganz mit Schnee b-deckt. — Ist daS nicht Jeu», der vorausgeht? Wo» tragen die Männer verhüllt auf der Schulter? Ah — Dok tor Langhoff auch! — Hinan» auf die schneeverwehte Straße, in da» Wirbeln der Flocken springt da» arme, verzweifelnde Weib. — „WaS blickst Du zur Seite, Mann? — Was bringt ihr unter dcm Mantel? Laßt mich — ich will — ich muß e» se eu — Blut?! — Ah — allmächtiger Gott im Himmel " Weiter klingen die Glocken und in ihre Kläuge mischt sich vom Thurmr herab feierlich der Thora-: Friede auf Erden! Der Grenzer uud sein We b haben ihn beide gefunden! —
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